Österreichische Geschichte (eBook)
130 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-82767-9 (ISBN)
Das Gebiet der heutigen Republik Österreich bildete bis 1806 einen Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches. Ist die Geschichte Österreichs daher eine der Landesgeschichten der seit dem späten Mittelalter immer klarer erkennbaren Territorien des Reiches? Drei wesentliche Faktoren unterscheiden die Entwicklung Österreichs von der anderer Länder des Reiches. Zum Ersten war dieses Gebiet die 'Hausmacht' der habsburgischen Dynastie, die von 1438 bis 1806 mit einer kurzen Ausnahme den Herrscher des Heiligen Römischen Reiches stellte. Zweitens kam es schon vor der habsburgischen Herrschaft durch die spezifische Randlage und die besondere Rechtsstellung der Mark Österreich zu einem Phänomen, das man als 'Hinauswachsen aus dem Reich' bezeichnet, und drittens bildete dieses Österreich nach 1918 einen eigenen Staat, der zwar um seine Identität rang, aber realpolitisch ein souveräner Staat war. Wie sich die Geschichte Österreichs von den Anfängen bis zum Beitritt zur EU gestaltete, wo seine Grenzen im Laufe von mehr als eintausend Jahren verliefen, welche Bedeutung die Religion für das Land hatte, welche kulturelle Blüte es hervorbrachte, aber auch wie es zum Niedergang der politischen Kultur in der Zeit des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus beitrug, schildert Karl Vocelka in eindrucksvoller Klarheit und Anschaulichkeit in diesem kleinen Band.
Karl Vocelka lehrte als Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien.
Mittelalterliche Landesbildung
Nach der Entmachtung des letzten bayerischen Stammesfürsten Tassilo III. 788 und den erfolgreichen Awarenkriegen Karls des Großen wurde das Gebiet des heutigen Österreich Teil des karolingischen Markensystems. Ende des 9. Jahrhunderts geriet diese politische Ordnung durch den Einfall der Magyaren, die sich in der ungarischen Tiefebene niederließen, aber Raubzüge quer durch Europa unternahmen, erneut in die Krise. 907 kam es bereits zu einer Schlacht mit ihnen bei Pressburg/Bratislava, in der Markgraf Luitpold (vielleicht ein Ahne der Babenberger) getötet wurde. Erst der Sieg gegen die Ungarn auf dem Lechfeld 955 eröffnete die Möglichkeit einer Neuordnung des Donauraumes.
Die Babenberger und die Landwerdung Österreichs
976 verkleinerte Kaiser Otto II. das bis dahin mächtige Herzogtum Bayern und trennte Kärnten als eigenes Herzogtum ab. Im selben Jahr wird auch der «marchio Luitpoldus» (Leopold I.) erwähnt, der die Dynastie der Babenberger, die bis 1246 in Niederösterreich (später auch in Oberösterreich und Steiermark) regieren sollte, begründete. Über die Herkunft der Familie weiß man nichts Konkretes; trotz der Quellenarmut der Zeit waren aber durch die besitzgeschichtlich-genealogische Methode viele Erkenntnisse über diese Zeit der Babenberger zu erlangen.
Leopold I. beherrschte mit der Mark Österreich zunächst nur einen kleinen Teil des Donautales mit dem Mittelpunkt Melk, das eine zentrale Rolle spielte. Seine Stellung als Markgraf war stark, weil sie militärische und zivile Befugnisse vereinigte. Allerdings gab es auch ausgedehnte Besitzungen anderer Familien – die fast alle Mitte des 11. Jahrhunderts ausstarben – in dem sich rasch vergrößernden Gebiet, und auch die Vogteigewalt über die Klöster lag nicht ausschließlich bei den Babenbergern. Im Laufe der Zeit konnten die Babenberger jedoch immer stärker Fuß fassen und ihre Macht schrittweise ausbauen.
Am 1. November 996 wurde eine Urkunde für das Kloster Freising über die Schenkung des Gutes Neuhofen an der Ybbs ausgestellt, in der zum ersten Mal der Name des Landes vorkam, der bis heute erhalten blieb. Es hieß in dieser Urkunde: Das Gut sei «in regione vulgari vocabulo Ostarrîchi in marcha et comitatu Heinrici comitis filii Luitpaldi marchionis» (in jenem Gebiet, das in der Volkssprache Österreich heißt und in der Mark des Grafen Heinrich, des Sohnes Markgraf Leopolds, liegt). Etwa um die gleiche Zeit taucht in Urkunden auch der Name «Austria» für dieses Land auf. Aus diesen beiden Bezeichnungen leiten sich mit wenigen Ausnahmen die Namen für Österreich in den Sprachen der Welt ab. Der ebenfalls in den Quellen vorkommende Begriff marcha orientalis wurde im 19. und 20. Jahrhundert als «Ostmark» übersetzt und spielte in der Zeit des «Dritten Reiches» als Bezeichnung für dieses Land eine Rolle.
Eine wesentliche Veränderung, die auch ein Ende der Expansion nach Osten für die Mark Österreich bedeutete, war die Christianisierung Ungarns, das mit Stephan dem Heiligen einen christlichen König erhielt. Die Babenberger konzentrierten sich in der Folge stärker auf den inneren Landesausbau. Vor allem ein Siedlungsausbau durch Neurodungen im 11. und 12. Jahrhundert ist an den Ortsnamen (z.B. auf -gschwend, -reith, -brand und -schlag) deutlich ablesbar. Auch viele Klöster, vor allem der Benediktiner, aber auch der Augustiner-Chorherren, Zisterzienser und Prämonstratenser, wurden in dieser Zeit auf dem Gebiet des heutigen Staates gegründet (Ossiach, Lambach, St. Florian, Admont, Göttweig, Melk, St. Paul im Lavanttal, St. Lambrecht, Herzogenburg, Seitenstetten, Rein, Heiligenkreuz, Klosterneuburg, Zwettl, Altenburg, Wilhering, Geras, Vorau, Lilienfeld, Schlägl). Die Grundlage für die Bezeichnung Österreichs als «Klösterreich» wurde zweifellos in dieser Zeit gelegt.
Der bedeutendste Babenberger war sicherlich Leopold III. (1095–1136), der sich im Investiturstreit eindeutig der kaiserlichen Seite zuwandte, nachdem sich sein Vorgänger schwankend verhalten hatte. Er stellte sich im Familienkonflikt zwischen Kaiser Heinrich IV. und dessen Sohn Heinrich V. – im Widerspruch mit seiner Lehenspflicht – auf die Seite des Sohnes und heiratete auch die Schwester des Königs, Agnes, die Witwe Friedrichs von Staufen. So stand er mit einem Schlag mit den wichtigsten Familien des Reiches, den Saliern und den Staufern, in verwandtschaftlicher Beziehung. 1125 nach den Tod Heinrichs V. war er einer der Kandidaten für den Thron des Reiches, lehnte aber ab. Seine Förderung der Kirche brachte ihm später den Beinamen «der Fromme» ein; im 15. Jahrhundert wurde er heiliggesprochen, 1663 machte ihn der habsburgische Kaiser Leopold I. zum Landespatron für ganz Österreich.
Als Resultat der verwandtschaftlichen Beziehungen mit den Staufern wurden die Babenberger 1139 mit Bayern, wo der welfische Herzog abgesetzt wurde, belehnt. Nach der Aussöhnung zwischen Staufern und Welfen unter Friedrich Barbarossa mussten die Babenberger Bayern 1156 zurückgeben. Als Ausgleich erhielten sie die Herzogswürde in Österreich und das Privilegium minus, das ihnen eine Reihe von Vorrechten (alleinige Gerichtsbarkeit im Lande, Einschränkung der Hoffahrts- und Heerfahrtspflicht etc.) zubilligte und auch die weibliche Erbfolge – nicht zuletzt in Rücksichtnahme auf die byzantinische Prinzessin, mit der Heinrich Jasomirgott verheiratet war – sowie das ius affectandi, das Recht, frei einen Nachfolger zu wählen, zugestand. Die weitere politische Entwicklung im Reich verlief nicht mehr so günstig; bei der erneuten Absetzung der Welfen in Bayern 1180 kamen die Wittelsbacher und nicht die Babenberger zum Zuge. Hingegen schlossen sie 1186 einen Erbvertrag mit dem letzten kinderlosen Traungauer Otakar IV., der in der Steiermark und in Oberösterreich herrschte. Die Georgenberger Handfeste sicherte vertraglich die Rechte der Ministerialen und der Klöster im Falle des Übergangs der Herrschaft an die Babenberger. 1192 trat der Erbfall ein.
Mit Herzog Leopold V., der 1190/91 am dritten Kreuzzug teilnahm, verbindet sich die Legende von der Entstehung des Bindenschildes, des rot-weiß-roten Wappens, das zum Symbol Österreichs wurde und heute noch als Fahne des Landes existiert. Er soll in Akkon mit einem weißen Waffenrock so tapfer gekämpft haben, dass nach der Schlacht, als er den breiten Gürtel abnahm, diese Farbkombination entstanden sei. Zwar ist diese Legende leicht als solche zu durchschauen, doch woher dieser Bindenschild wirklich stammt, ist – trotz vieler gelehrter Spekulationen – nicht klar zu sagen.
Unter dem vorletzten Babenberger Leopold VI., der sich im Bereich der internationalen Politik – und auch in dem der «Ketzerbekämpfung» weit außerhalb seines Staatsgebietes – bewegte, wurde die babenbergische Herrschaft durch das Erbe einiger hochfreier Geschlechter und die Erwerbung von Städten im Inneren gestärkt. Leopold griff mit Gebietsgewinnen in Krain (heute Slowenien) und der Erwerbung Pordenones/Portenaus in Italien über das Gebiet des heutigen Österreich hinaus. Weitaus weniger glücklich agierte sein Nachfolger Friedrich II. der Streitbare, dessen Tod ohne männliche Erben die Geschichte der babenbergischen Herrschaft in Österreich beendete; im Sinne des Privilegium minus wurden seine Schwester Margarete und seine Nichte Gertrud begehrte Heiratsobjekte. Margarete heiratete den weitaus jüngeren Přemysliden Ottokar von Böhmen, der sich für kurze Zeit in den babenbergischen Ländern festsetzen konnte. Weniger erfolgreich war der ungarische König, dessen Verwandter Gertrud geheiratet hatte – nur kleine Teile des babenbergischen Gebietes kamen kurzfristig unter seine Herrschaft.
Die nichtbabenbergischen Länder
Durch die Perspektive der späteren Zeit, die Österreich vom babenbergischen und später habsburgischen Machtzentrum aus betrachtet, übersieht man leicht, dass im hohen Mittelalter noch...
Erscheint lt. Verlag | 24.10.2024 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Regional- / Landesgeschichte | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Schlagworte | Europa • Geschichte • Gesellschaft • Kultur • Länderportrait • Österreich • Österreichs • Politik • Ungarn • Vielvölkerstaat |
ISBN-10 | 3-406-82767-5 / 3406827675 |
ISBN-13 | 978-3-406-82767-9 / 9783406827679 |
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