Kapitel 1

Ye Ci saß in der Beobachtungsetage des Hauptgebäudes der Glory Corporation.

Neben ihr lag die Trophäe, die sie gerade erhalten hatte: Zweite Schlacht der Könige von Fate, Solo-PVP-Vizemeister.

Als Ye Ci ihren Kopf senkte, um einen Blick auf die Kristalltrophäe zu werfen, spürte sie eine Leere in ihrem Herzen.

Sie kramte in der Tasche ihres r Mantels und holte die Zigaretten heraus, die sie gerade gekauft hatte.

Ye Ci hatte nie geraucht, aber heute fühlte sie sich versucht, eine zu rauchen. Sie zündete die Zigarette, die sie im Mund hatte, ungeschickt an, nahm einen tiefen Zug und würgte sofort. Sie blickte in den Nachthimmel und schnitt eine Grimasse.

Ye Ci streichelte die Trophäe mit ihren schlanken Fingern und hob sie in die Höhe, bevor sie mit heiserer Stimme rief: "Mama, Papa, ich habe es geschafft. Aber warum spüre ich nicht das kleinste bisschen Glück?"

"Schau, ich habe eine Trophäe bekommen. Ich bin stark geworden. Ich stehe an der Spitze, aber warum bin ich nicht glücklich!" In dieser geschäftigen Stadt, deren Skyline von Neonlichtern erhellt wurde, bemerkte niemand den kleinen, einsamen Menschen.

Sie umfasste ihr Gesicht mit den Händen. Es war trocken, ohne auch nur einen einzigen Tropfen Tränen. "Ist es das, was ich verdient habe? Ist es das, was ich bekomme, weil ich allem den Rücken gekehrt habe, um stärker zu werden?" Ye Ci schrie gequält auf.

Im nächsten Moment verließ ein Lachen, das sie nicht unterdrücken konnte, ihren Mund.

"Ich habe mich von allem abgewendet? Ich wurde stärker? Die Wahrheit ist, dass ich von allen anderen im Stich gelassen wurde. Was habe ich getan, um den Erfolg zu haben, den ich heute habe? Ich habe Papa zu Tode geärgert, Mama hat mich verlassen, und ich habe alle meine Freunde im Stich gelassen. Damals war ich berüchtigt. Ich dachte, ich wäre etwas Besonderes, ich dachte, niemand könnte mich verstehen. Die Wahrheit ist: Ich bin Abschaum."

"Aber jetzt..."

Ye Ci schloss ihre Augen. Ihr Geist war überwältigt von der Verlegenheit, die sie empfand, als ihr das Recht auf Teilnahme am Wettbewerb verweigert worden war, nur weil sie keine Mannschaftskameraden hatte, nur weil sie keine Freunde hatte.

"Das Schicksal hat nichts mit individueller Stärke zu tun, denn die Stärke eines Einzelnen kommt von den Menschen, die ihn umgeben. Fräulein Ye, es tut mir leid, aber das Wesen der Schlacht der Könige ist ein Gruppenkampf. Ohne eine Gruppe, die bereit ist, Sie aufzunehmen, haben wir keine andere Wahl, als Ihnen die Teilnahme zu verweigern."

Keine Gruppe war bereit, sie aufzunehmen...

Hehe, wie könnte irgendeine Gruppe bereit sein, sie zu akzeptieren!

Sie war die Nummer 1 der Zauberinnen in Fate, aber auch die gefühlloseste und hartherzigste. In den 10 Jahren, in denen sie Fate spielte, hatte sie noch nie einer einzigen Seele Hilfe angeboten.

Auch im wirklichen Leben war sie die Verkörperung von Egoismus und Grausamkeit.

Nachdem sie ihr Handy herausgeholt hatte, wählte Ye Ci eine der wenigen Nummern, die darin gespeichert waren. Sie war einsam. Sie wollte mit jemandem sprechen, egal mit wem.

"Die von Ihnen gewählte Nummer ist leider nicht mehr erreichbar."

"Die von Ihnen gewählte Nummer ist leider nicht mehr erreichbar."

......

90 % der wenigen Nummern, die in ihrem Telefon gespeichert waren, waren nicht mehr in Betrieb. Wie lange genau war es her, dass sie den Kontakt zu anderen Menschen verloren hatte?

Der Cursor auf dem Bildschirm blieb bei der letzten Zahl stehen. Es war eine Zahl, die ihr sehr vertraut war, und sie stellte den letzten Funken Wärme in den Tiefen ihres Herzens dar. Diese Person... vielleicht ist sie noch da. Nach einigem Zögern wählte sie die Nummer.

"Die von Ihnen gewählte Nummer ist leider nicht mehr erreichbar."

Die kalte Stimme des Hörers schien Ye Ci all ihre Energie geraubt zu haben. Ihre Situation war lächerlich. Gab es noch jemanden auf dieser Welt, der so war wie sie? Scheinbar glamourös an der Oberfläche, doch isoliert von ihrer Verwandtschaft.

Nachdem er sich mühsam aufgerichtet hatte, warf Ye Ci das Telefon in die Luft. "Inaktive Nummern! Ich, Ye Ci, brauche euch Leute nicht..."

Bevor sie ihren Satz beenden konnte, fegte der Nachtwind sie aus dem Gleichgewicht und sie fiel das Gebäude hinunter. Unbewusst streckte sie aus Verzweiflung den Arm aus und schaffte es, sich an etwas festzuhalten. Als sie den Kopf hob, erkannte sie, dass das Objekt, an dem sie am Rande des hundert Meter hohen Gebäudes baumelte, nichts anderes als ihre Trophäe war.

Ye Ci war einen Moment lang verblüfft, dann flossen die Tränen.

War das am Ende das Einzige, was sie noch hatte?

Hatte ihr Leben noch einen Sinn?

Lass es gehen, lass alles gehen. Lass ihr elendes Leben so enden, in Einsamkeit und Kummer.

Ye Ci warf einen letzten Blick auf die PVP-Trophäe und lockerte ihren Griff.

Endlose Dunkelheit verschlang ihr ganzes Wesen; es war, als hätte sie nie existiert.

Ein rasender Kopfschmerz setzte ein.

Doch das behagliche Sonnenlicht lullte sie noch einen Moment lang in den Schlaf.

Das Mädchen auf dem Bett atmete tief ein und rollte sich unter ihrer Decke zusammen, um in ihre süßen Träume zurückzukehren.

10 Sekunden später wurde die weiche weiße Decke heftig zur Seite geschoben. Das Mädchen setzte sich abrupt auf und betrachtete alles im Zimmer, als hätte sie einen Geist gesehen.

"Ist das der Himmel? Oder träume ich?" Sie murmelte vor sich hin, bevor sie den Kopf schüttelte: "Ich bezweifle, dass ein Mensch wie ich es in den Himmel schaffen kann..."

Sie senkte den Kopf und schaute auf ihre weißen, zarten Hände. Diese Hände krallten sich in ihre Decke und drückten ihr Bein fest an sich.

"Ahh!!" Sie schrie angesichts des unerträglichen Schmerzes, Tränen liefen ihr über die Wangen.

Das ist kein Traum!

"Was ist passiert? Was ist hier los?" Ein Mann mittleren Alters mit einer Schürze stürmte mit einer Kelle in der Hand ins Zimmer. Die Besorgnis in seinem Gesicht war deutlich zu erkennen, als er das Mädchen auf dem Bett eindringlich fragte: "Ci Ci, was ist passiert? Geht es dir gut? Bist du wieder nach einem Traum auf den Boden gefallen?"

Ye Ci saß auf ihrem Bett und starrte den Mann an, ohne sich von ihrer Überraschung erholen zu können.

"Sag mir nicht, dass du eine Gehirnerschütterung hast!?" Ye Nantian winkte mit der Hand vor Ye Ci.

"Papa!" Ye Ci ergriff seine Hand, stand auf und schlang ihre Arme um Ye Nantians Hals, während ihr die Tränen unkontrolliert aus den Augen liefen.

Sie wollte sich nicht mehr darum kümmern. Selbst wenn es nur ein Traum war, wäre sie froh, wenn sie ihre Eltern wiedersehen könnte.

"Was ist los mit dir?" Ye Nantian war verblüfft. Seit sie 15 Jahre alt war, hatte seine Tochter noch nie einen so intimen Umgang mit ihm gehabt. Ihre plötzliche Veränderung heute machte ihn fassungslos.

"Papa, es ist schön, dich wiederzusehen." Ye Ci sprach aus der Tiefe ihres Herzens. Tränen trübten ihre Sicht, während sie sich fest an ihren Vater klammerte.

"Was redest du da? Du redest, als wäre ich von den Toten auferstanden." Ye Nantian lachte und klopfte Ye Ci auf den Rücken, bevor er sie an die Seite zog. "Ich mache jetzt Frühstück, komm schnell runter, wenn du ganz wach bist!"

Er tätschelte Ye Ci erneut den Kopf und verließ den Raum.

Ye Ci saß auf ihrem Bett und starrte mit leerem Blick auf die Digitaluhr an der Wand, als wäre sie eine wunderschöne Skulptur.

20. August 2050, 7.37 Uhr

Jahr 2050?

Es ist das Jahr 2050!!!?

Nachdem sie für eine unbestimmte Zeit wie betäubt war, schritt sie zur Tat. Sie eilte zu ihrem Schreibtisch und griff mit zitternden Händen nach einem Spiegel, um ihr Spiegelbild zu betrachten.

Das Gesicht eines 18- oder 19-Jährigen erschien im Spiegel. Das Gesicht hatte einen gesunden Rotton und ein wenig Babyspeck. In ihren Augen lag Leben und Vitalität.

Das war sie vor 10 Jahren.

Ye Ci war sich hundertprozentig sicher. Dieses Gesicht hatte nicht die Narbe, die der Autounfall vor 10 Jahren hinterlassen hatte.

Aber was ist passiert?

Ye Ci legte den Spiegel ab und sah sich in dem Zimmer um. Es gab ein Bambusbett, ein Bücherregal und einen Computertisch, außerdem hing ein Werbeplakat von Fate an der Wand. Eine Ecke des Zimmers war leergeräumt.

Ist sie 10 Jahre in der Zeit zurückgereist?

Sie war 10 Jahre in der Zeit zurückgereist!

Ye Cis Herz füllte sich...