Gespenster-Krimi 160 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-7233-4 (ISBN)
Im Jahr 1902 sticht im Hamburger Hafen der Passagierdampfer ?Friedrich der Große? in See. Sein Ziel ist Singapur, und an Bord befindet sich Mali Bannák, die junge Gattin des siamesischen Botschafters in Deutschland. Was die meisten der anderen Passagiere nicht wissen: Mali ist auf der Flucht vor einer dämonischen Macht, die ihr nach dem Leben trachtet! Einer Macht, der kein Mensch gewachsen ist - bis auf den attraktiven Ethnologen Professor Barth, der sich seit langer Zeit mit fremden Kulturen und dem Übersinnlichen befasst. Ihm hat sich Mali anvertraut in der Hoffnung, dass er sie beschützen kann vor dem namenlosen Grauen!
Reise ins Verderben
von Raymond Haffner
Auf den Straßen des Tiergartenviertels
Berlin, 28. August 1902, kurz nach Mitternacht
Phraya Suan spazierte über den Kemperplatz. Die Straßen des nächtlichen Tiergartenviertels waren menschenleer, und Suan sah keinen Grund, sein breites Grinsen zu unterdrücken.
Mit federnden Schritten ging er an dem neuen Rolandbrunnen vorbei. Dem Kaiser gefiel der Brunnen nicht, hieß es. Er war ihm zu neobarock. Suan lachte leise vor sich hin. Einfach unglaublich, worüber sich die Leute ärgern konnten, wenn die Welt doch so schön war.
Er dachte an die Frau seiner Träume. Endlich, endlich war sie sein. Seit fast einem Jahr hatten sie sich verstohlene Blicke zugeworfen. Als der neue Botschafter aus Bangkok eingetroffen war und sich vorgestellt hatte, war Suan sofort die atemberaubende Schönheit an seiner Seite aufgefallen. Seitdem hatte er von Mali geträumt.
Und vor einem Monat war es endlich passiert.
Sie war sein.
Stets mussten sie sich vor den wachsamen Augen des Botschafters und seiner Lakaien verbergen, aber das machte das Spiel nur reizvoller und die Belohnung süßer, so wie heute Nacht.
»Warum starrst du mich so an?«, hatte sie noch vor ein paar Minuten lächelnd geflüstert.
»Ich präge mir dein Bild ein – wie du da liegst –, und dann nehme ich es mit nach Hause«, hatte er geantwortet.
Und es stimmte: Während er leise pfeifend in die Bellevuestraße einbog, schwebte Mali vor seinem inneren Auge – ihr Lächeln, ihr verschwitztes Haar, das ihr im Nacken klebte, ihr geschwungener Rücken und ihre Hüften, die er kurz zuvor noch fest umklammert hatte.
†
Etwas sah aus dem Fenster auf die vom gelblichen Licht der Straßenlaternen erleuchtete Straße.
Kalte Augen hefteten sich auf den jungen Mann, der ohne große Eile durch das schmiedeeiserne Tor schritt und auf die Haustür zuging.
Die Tür öffnete sich. Die Tür schloss sich. Das Opfer war in der Falle.
Mit einem kaum hörbaren Schnarren verschmolz der Beobachter mit den Schatten.
†
Ein Chanson vor sich hin summend, trat Suan ein und machte Licht. Er hängte seinen Sommermantel in die Garderobe und ging dann hinüber zum Salon. Er wollte nur einen kleinen Abendtrunk zu sich nehmen.
Die Straßenlaterne vor dem Haus warf etwas Licht ins Zimmer. Suan ging schnurstracks zu der Anrichte mit den Getränken.
Doch mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass etwas nicht stimmte. Dort, wo die Schatten am dunkelsten waren, bewegte sich etwas.
Suan blieb abrupt stehen. Seine Augen weiteten sich. Ein leises Scharren ertönte, etwas Schweres ließ den Parkettboden knarren. Die Finsternis starrte ihn an und setzte zum Sprung an.
Ein markerschütternder Schrei entfuhr Suans Kehle.
Und er hörte erst auf zu schreien, als er keine Kehle mehr hatte.
†
Privates Arbeitszimmer des Ethnologen Professor Dr. Wilhelm Barth
Berlin, 28. August, kurz nach dem Frühstück
Mit gerunzelter Stirn las Wilhelm den Brief, den er soeben geschrieben hatte. Er hatte lange überlegt, ob er sich zum dem Thema Kolonien äußern sollte. Die Begeisterung für die Politik des Kaisers hatte auch vor der akademischen Welt nicht haltgemacht, doch für Wilhelm waren besonders die Berichte über die Niederschlagung des Boxeraufstands in China geradezu bestürzend.
Öffentlich zu machen, was er dachte, wäre allerdings riskant gewesen, und er war mit seinen 39 Jahren zu jung, um ein solches Risiko eingehen zu können. Also hatte er sich schließlich entschieden, ein vertrauliches Schreiben an mehrere Bekannte zu verfassen.
Wirklich zufrieden mit dem Ergebnis war er allerdings nicht. Etwas umständlich schrieb er über Zivilisation und Barbarei und scheiterte in seinem Unterfangen letztlich schon deshalb, weil jeder unter diesen Begriffen etwas anderes verstand.
Seufzend lehnte er sich zurück, nahm die randlose Brille mit den runden Gläsern ab und rieb sich die Augen.
In diesem Moment klopfte es.
»Ja«, rief Wilhelm.
Die Tür öffnete sich, und sein Assistent Xaver Böttcher trat ein. »Hier ist ein Gast für Sie, Professor«, sagte er zögerlich. »Mali Bannák, die Gattin des siamesischen Botschafters.«
Wilhelm war verblüfft. Er war dem Botschafter und seiner Frau bei zwei oder drei offiziellen Anlässen begegnet, war aber nicht mit ihnen bekannt.
»Hat sie gesagt, was sie will?«
Xaver schüttelte den Kopf. »Sie will mit Ihnen sprechen. Sagt, es sei dringend. Ehrlich gesagt wirkt sie auf mich außerordentlich verstört.«
Wilhelm überlegte. Dann zuckte er ratlos die Schultern. »Tja, dann bringen Sie sie zu mir.«
»Professor.« Xaver verschwand in der Diele.
Kurz darauf war der Klang hoher Absätze zu hören. Wilhelm erhob sich, ging um seinen Schreibtisch herum und putzte dabei nervös seine Brille.
Xaver erschien wieder. Über dem Arm trug er einen Damenmantel. »Bitte, Frau Botschafter, treten Sie ein.«
Sie trug einen flachen weißen Hut, ein mit blauen und orangefarbenen Blüten verziertes weißes Reitkleid aus Bastseide und Damenstiefel aus hellem Leder. Das rabenschwarze Haar hatte sie zu einem Knoten gebunden, aus dem sich jedoch mehrere Strähnen befreit hatten. Ihre Haut war etwas heller als die der meisten Siamesen, und auch die etwas untypischen Gesichtszüge verrieten die ursprünglich persische Herkunft ihrer Familie.
In ihren weit aufgerissenen Augen stand die blanke Angst.
»Professor Barth, es ist etwas Schreckliches passiert.« Sie kam auf ihn zu und ergriff seine Hände. »Bitte helfen Sie mir.«
»Frau Botschafter«, erwiderte Wilhelm stockend. »Sie scheinen ... Sie scheinen sich nicht ganz wohlzufühlen. Bitte setzen Sie sich doch.«
»Haben Sie vielen Dank.« Sie setzte sich auf den ihr angebotenen Stuhl und schloss für einen Moment die Augen.
Wilhelm nahm ihr gegenüber Platz. »Xaver, bringen Sie Tee«, sagte er. Dabei ging es ihm in erster Linie darum, seinen Assistenten deutlich zu machen, dass er sich zurückziehen sollte.
Xaver zuckte zusammen und eilte davon.
»Nun also.« Wilhelm räusperte sich. »Erzählen Sie mir doch bitte, worum es geht, Frau Botschafter.«
»Mali. Bitte nennen Sie mich einfach Mali.« Sie lächelte schwach. »Es mag Ihnen als ungebührliche Vertraulichkeit erscheinen, aber es wäre mir wohler dabei.«
Wilhelm räusperte sich erneut und nickte schließlich, wenn auch widerwillig. »Schön. Nun ja. Sehr gern. Mali also. Sie, äh ... Sie sprechen übrigens sehr gut deutsch. Wenn ich mich nicht täusche, sind Sie erst seit einem Jahr in Berlin.«
»Danke, Professor«, antwortete Mali. »Ich habe einen sehr guten Lehrer.« Ihr Lächeln erstarb. »Das heißt: Ich hatte einen sehr guten Lehrer. Deswegen bin ich hier. Mein guter Freund Phraya Suan ist in der vergangenen Nacht ermordet worden – von einem Schwarzmagier!«
Wilhelm saß da wie versteinert.
Vor seinem inneren Auge tauchten Bilder auf – Bilder, an die er sich nur sehr ungern erinnerte.
Er sah den jungen Laoten vor sich, dem ein schwarzes, teerartiges Geschwür den Leib zerfraß. Er sah das ungewöhnlich große Krokodil aus dem brackigen Wasser des Mekong auftauchen und sich vor dem Klang der Zimbeln zurückziehen. Er sah die Träger um das nächtliche Lagerfeuer sitzen, die Schutzamulette in den zitternden Fingern, hinter ihnen das tiefe Knurren in der Dunkelheit.
»Lassen Sie mich Ihnen zuerst mein Beileid ausdrücken«, sagte Wilhelm nach einer Weile. »Es tut mir sehr leid, dass Sie einen guten Freund verloren haben. Ich kann mich an den Phraya erinnern. Ich meine, er hat an der Kadettenanstalt in Lichterfeld studiert. Und jetzt ... ermordet, sagen Sie? Also, das ist wirklich schrecklich. Ganz ungeheuerlich! Ich werde dazu gleich einen guten Freund von mir befragen, der bei der Polizei arbeitet.« Seine Stimme klang weniger herzlich, als er beabsichtigt hatte.
»Auch ich bin angriffen worden«, erklärte Mali, ohne sich für die Beileidsbekundung zu bedanken. »Von einem Schwarzmagier, Professor«, wiederholte sie.
Wieder schwiegen sie. Über den breiten Schreibtisch hinweg sahen sie einander an, und Wilhelm erkannte, dass es keinen Sinn hatte, so zu tun, als wisse er nicht, was er wusste.
Gerade öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, da trat Xaver wieder ein und servierte den Tee.
Das leise Klappern des Geschirrs und das Einschenken des Tees unterstrichen das angespannte Schweigen noch. Erst als Xaver das Zimmer wieder verlassen hatte, fragte Wilhelm: »Und wie hat dieser Angriff ausgesehen?«
Mali biss sich auf die Unterlippe und brauchte nun ihrerseits eine Weile, um zu antworten. Es war leicht zu sehen, dass sie kurz davor war, in Panik zu geraten. Doch es gelang ihr, sich zu fassen und Wilhelms Blick zu erwidern.
»Ich war allein im Schlafzimmer. Ich war noch...
Erscheint lt. Verlag | 23.11.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-7233-2 / 3751772332 |
ISBN-13 | 978-3-7517-7233-4 / 9783751772334 |
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