Das Haus Zamis 107 (eBook)

Der Dämonenstab

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Aufl. 2024
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-7292-1 (ISBN)

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Das Haus Zamis 107 - Rüdiger Silber
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Der Mann stand gebeugt vor dem frischen Grab. Er hieß Anton Klingler und hatte Erfahrung im Trauern. In den vergangenen zehn Jahren hatte er vier Frauen überlebt. Jede war vermögend gewesen, und auf jede hatte er bald nach der Hochzeit eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen.
Aus den Augenwinkeln musterte Klingler die Frau, die ein Stück entfernt vor einem anderen Grab verweilte. Die Trauerkleidung, die sie trug, wirkte teuer. Das tiefschwarze Kostüm war figurbetont geschnitten und umspannte üppige Rundungen. Unter dem breitrandigen schwarzen Hut hatten sich etliche blonde Haarsträhnen gelöst.
Klingler besaß das Augenmaß eines Kenners. Mit gemessenen Schritten näherte er sich der Witwe ...

1. Kapitel


Der Mann hieß Anton Klingler und hatte Erfahrung im Trauern. Schließlich war er nicht zum ersten Mal Witwer geworden. In den vergangenen zehn Jahren hatte er vier Frauen überlebt. Jede war vermögend gewesen, und auf jede hatte er bald nach der Hochzeit eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen.

Anton Klingler machte ausschließlich Witwen mittleren Alters mit lohnenswerten Erbansprüchen den Hof. Den Kontakt suchte er mithilfe von Zeitungsinseraten. Aber vielleicht war es an der Zeit für eine Veränderung. Zeit, den Modus Operandi zu wechseln ...

Aus den Augenwinkeln musterte Klingler die Frau, die ein Stück entfernt vor einem anderen Grab verharrte. Die Trauerkleidung, die sie trug, wirkte teuer. Das tiefschwarze Kostüm war figurbetont geschnitten und umspannte üppige Rundungen, die von der schmalen Taille wie eingeschnürt wirkten. Der Rock reichte knapp über die Knie und ließ stramme Waden sehen. Unter dem breitrandigen schwarzen Hut hatten sich etliche helle Haarsträhnen gelöst.

Klingler besaß das Augenmaß des Kenners. Der Körper der Frau hatte die Blütezeit hinter sich und den Zenit reifer Weiblichkeit erreicht. Eine gut erhaltene, attraktive Fünfzigerin, schätzte er. Leider war das Gesicht hinter einem Witwenschleier verborgen.

Sie stand mit gefalteten Händen vor einer alten Familiengrabstätte mit einem prachtvollen Monument aus Marmor. Nichts wies darauf hin, dass dort kürzlich jemand bestattet worden war. Doch das hatte wenig zu bedeuten. In diesen über Generationen benutzten Familiengräbern wurden aus Platznot oft nur noch Urnenbestattungen vorgenommen. Möglicherweise war die Dame bereits länger im Witwenstand, aber noch immer untröstlich. Beides würde sich vielleicht bald ändern ...

Bislang hatte Klingler nie zweimal in derselben Stadt gefreit. Die Gräber seiner verblichenen Gemahlinnen verteilten sich über halb Europa. Nur deshalb war bislang noch kein Verdacht auf ihn gefallen. Aber gewiss würde es nicht schwer werden, seine nächste Wiener Braut zu einem Ortswechsel zu überreden.

Wie von Trauer übermannt, senkte Anton Klingler das Haupt und rieb sich hinter den getönten Brillengläsern über die Augen. Dann näherte er sich gemessenen Schrittes der Witwe.

Er räusperte sich. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie in Ihrer Trauer störe ...« Höflich nahm Klingler die Sonnenbrille ab und blinzelte die Dame aus feuchten, rot geriebenen Augen an. Er wies auf die rostige Gießkanne, die auf der Einfassung des Familiengrabes stand. Ein besserer Vorwand, um die Auserwählte anzusprechen, war ihm nicht eingefallen. »Aber die Blumen auf dem Grab meiner Frau benötigen etwas Wasser. Dürfte ich mir kurz den Sprenger von Ihnen ausleih...«

Klingler verstummte abrupt. Sein Blick klebte auf der Handtasche, die, vom Schulterriemen gehalten, auf der ausladenden Hüfte ihrer Besitzerin ruhte. Eine merkliche Hitze ging von dem Accessoire aus. Im ersten Moment glaubte Klingler, die Dame führe in der Tasche einen elektrischen Handwärmer mit sich. Aber dafür war der November bisher nicht kalt genug.

Doch dann bemerkte er, dass die Handtasche pulsierte, sich blähte und zusammenzog wie ein schwach pumpendes Herz oder eine flach atmende Lunge.

»Gefällt Ihnen meine Handtasche?«

Die Dame hatte den Hutschleier zurückgeschlagen. Sie war viel älter, als Klingler angenommen hatte. Ihre kreidige Gesichtshaut war straff über den Schädelknochen gespannt und von unzähligen Runzeln und Furchen durchzogen. Sie wirkten wie ein Netz von Sprüngen in einer Gipsmaske. Die Miene zeigte von Trauer keine Spur. Das trockene schwarze Augenpaar glänzte wie Kohlesplitter. Zwar waren die Lippen zu einem weißen Strich zusammengepresst – aber der Strich bog sich zu einem Grinsen.

Die Alte packte Klinglers Rechte. Ihr Griff war überraschend kalt und hart. Sie zwang ihn, mit den Fingerspitzen über das warme, feinporige, pulsierende, bläulich-schwarze Leder der Handtasche zu streicheln. Was Klingler für einen Knopf gehalten hatte, erwies sich bei der Berührung und näherem Hinsehen als menschlicher Nabel.

Die knirschende Stimme der Alten ging ihm durch Mark und Bein. »Diese Tasche wurde vor zweihundert Jahren gefertigt, unter anderem aus der Haut und dem Gebärorgan einer überaus fruchtbaren Negersklavin, die den Besitz ihres Herrn zu Lebzeiten um ein Dutzend kräftiger Negerkinder vermehrt hat.«

Die Alte gab Klinglers Finger frei. Er riss die Hand zurück, als habe eine Giftnatter danach geschnappt. Er wirbelte herum und ergriff blindlings die Flucht. Zu spät bemerkte er den Mann, der ihm im Weg stand.

Der Mann war gut einen Kopf größer als Klingler und so stark und schwer, dass es Klingler vorkam, als sei er gegen eine Mauer gerannt.

Der Fremde schrie auf.

Es war ein höllischer Wutschrei.

Benommen taumelte Klingler zurück. Er begriff, dass der Mann etwas fallen gelassen hatte. Etwas, das er unter dem zusammengefalteten Mantel, den er in der Armbeuge trug, versteckt gehalten hatte, und das nun nach dem Zusammenstoß auf dem laubbestreuten Kiesweg lag.

Klingler starrte von Grauen erfüllt darauf.

Er war am helllichten Tag in einen Albtraum geraten!

Zu seinen Füßen lag ein Glaszylinder, in dem eine klare, perlende Flüssigkeit schwappte. In der Flüssigkeit schwamm ein menschlicher Fötus.

Der Fötus strampelte schwächlich.

Trotz seines mörderischen Zorns kümmerte Michael Zamis sich im ersten Moment nur um den Fötus. Rasch bückte er sich und hob den Glaszylinder auf. Offenbar war das Gefäß unbeschädigt geblieben. Der Fötus wirkte unruhig. Die kleinen Füße und Fäuste ruderten schwach in der Nährflüssigkeit. Über der Nasenwurzel hatte sich eine winzige Falte eingegraben und verlieh dem unfertigen Gesicht einen missbilligenden Ausdruck. Zum wiederholten Mal fragte sich Michael Zamis, wem das Ungeborene ähnlich sah.

Die Erleichterung darüber, dass der Fötus unverletzt geblieben war, wich prompt der Rachsucht. Michael Zamis blickte sich nach der Kreatur um, die ihn angerempelt hatte.

»Keine Sorge«, sagte die Frau in Schwarz. »Der Kerl kommt nicht davon. Er hat die Handtasche berührt.«

»Hat sonst jemand den Vorfall beobachtet?«

»Sonst sind wir hier weit und breit allein«, beruhigte ihn die Frau. »Obwohl ich mich noch immer frage, warum du dich unbedingt nachmittags an einer alten Grabstätte auf dem Zentralfriedhof mit mir verabreden musst.«

Michael Zamis spähte misstrauisch umher. »Ich hatte keine Zeit zu verlieren«, sagte er. »Asmodi hat das Ungeborene in seinem alchemistischen Labor mit einer aufwendigen magischen Apparatur am Leben erhalten. Aber als ich ihn zwang, es mir zu übergeben, schwamm es in diesem Glas, in dieser Bizzel-Plörre. Anfangs war der Fötus recht lebhaft, wie ein fast fertiger Säugling. Inzwischen rührt er sich kaum noch. Asmodi hat ihn mir ausgehändigt wie ein in Formaldehyd eingelegtes pathologisches Objekt. Ich fürchte, er hat Schaden genommen oder stirbt sogar.«

Die Frau nahm den Fötus in Augenschein. »Sagtest du nicht, er sei ein Dämonenspross?«

»Natürlich! Wozu bräuchte ich dich sonst?«

»Dann ist er zäh«, stellte die Frau fest. »So schnell stirbt ein Dämon nicht, und sei er noch so winzig. Der Winzling hier erscheint mir trotz allem in guter Verfassung zu sein.«

Michael Zamis stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Immerhin war die Frau eine Dämonen-Amme – eine Dämonin, die darauf spezialisiert war, den Dämonennachwuchs in die menschlichen Leihmütter einzupflanzen. Niemand kannte sich besser mit ungeborenen Dämonen aus.

»Öffne das Glas«, forderte sie. Während Michael Zamis den Deckel des Zylinders abschraubte, griff die Amme nach der Handtasche. Beim Aufklappen gab die Lasche ein schmatzendes Geräusch von sich. Das Innere der Handtasche wirkte wie ein schmiegsames Futteral aus feuchter Schleimhaut. Pochende rote und blaue Äderchen schlängelten sich an den Innenseiten entlang. Seitlich saß ein faustgroßes, pulsierendes Gebilde von purpurroter Färbung. Es wurde der Länge nach von einem Lippenpaar geteilt, das entfernt an eine Vagina erinnerte.

Nach der Anweisung der Amme hob Michael Zamis den Fötus aus dem Zylinderglas und ließ ihn behutsam in das aufklaffende Innere der Tasche gleiten. Die Amme nahm das von der Plazenta abgetrennte Ende der Nabelschnur und strich damit über die Lippen des purpurnen Organs. Die Lippen stülpten sich vor und saugten die Nabelschnur ein. Zugleich füllte sich das Innere der Tasche, das den Fötus aufgenommen hatte, mit einem klaren, speichelartigen Sekret. Michael Zamis beobachtete, wie die steile Falte auf der Stirn des Fötus sich glättete. Das Gesicht nahm einen entspannten Ausdruck an. Es sah aus, als sei der Fötus friedlich eingeschlummert.

Die Dämonen-Amme klappte die Handtasche zu. Michael Zamis ließ langsam die Atemluft entweichen. Vorläufig war der Balg in Sicherheit!

Jetzt erst hatte er...

Erscheint lt. Verlag 16.11.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond
ISBN-10 3-7517-7292-8 / 3751772928
ISBN-13 978-3-7517-7292-1 / 9783751772921
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