Lassiter Sonder-Edition 60 (eBook)
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-7319-5 (ISBN)
Die rothaarige Frau lächelte grausam. An den starken Ästen der Eiche baumelten die vier Gehängten. Nur eine Schlinge war noch frei. Plötzlich wies die Frau auf Lassiter. 'Die letzte Schlinge ist für ihn!', schrie sie hysterisch. 'Hängt ihn auf!'
Vier Mann stürzten sich gleichzeitig auf Lassiter. Die Überraschung lähmte ihn sekundenlang. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass das Todeslos ausgerechnet auf ihn fallen würde...
EIN GALGENBAUM –
EIN TEUFELSWEIB
Lassiter verharrte auf dem Hügel und hielt sich in der Deckung einiger dicht beieinanderstehender Büsche. Angespannt spähte er in die Senke hinab. Eine große Eiche hob sich mit ihrem bizarren Geäst dunkel im bleichen Mondlicht ab. Unter der Eiche hatten sich Reiter versammelt. Von einem der starken, weit ausladenden Äste hingen zwei Schlingen herab und schaukelten im leichten Nachtwind hin und her.
Zwei ungesattelte Pferde wurden unter den Galgenbaum geführt. Auf den blanken Rücken der Tiere saßen zwei Männer. Man hatte ihnen die Arme auf dem Rücken gefesselt. In stummer Verzweiflung erlebten sie die letzten Minuten ihres Lebens.
Und Lassiter blieb nichts anderes übrig, als untätig zuzuschauen.
Selbst wenn er gewillt gewesen wäre, den beiden armen Teufeln zu helfen, wäre er dazu nicht in der Lage gewesen. Gegen die zehn Männer dort unten hätte er keine Chance gehabt. Außerdem hatte er auch nicht die Absicht, sich einzumischen.
Er befand sich hier in einem fremden, unbekannten Gebiet. Wusste nicht einmal, warum die beiden Männer dort unten gehängt werden sollten.
Und er hatte genug eigene Sorgen. Er war auf der Flucht. Am Nachmittag hatte er sein Pferd verloren. Es war so unglücklich in ein Erdloch getreten, dass es sich das rechte Vorderbein gebrochen hatte. Für Lassiter gab es nur eine Möglichkeit, das Tier von seinen Qualen zu erlösen. Er musste es erschießen.
Wahrscheinlich hatten seine Verfolger inzwischen schon das tote Tier gefunden und waren dadurch wieder auf seine Fährte gestoßen. Vielleicht waren sie jetzt schon nicht mehr weit von ihm entfernt.
Er musste weiter. Wollte im Schutz der Nacht möglichst weit marschieren, um irgendwo in den zerklüfteten Bergen unterzutauchen. Allerdings wollte er dieses Land noch nicht verlassen. Er hatte seine Gründe dafür, lebenswichtige Gründe. Denn er war wieder einmal gegen seinen Willen in eine Sache hineingeraten, die ihn Kopf und Kragen kosten würde, wenn es ihm nicht gelang, sich zu rehabilitieren.
Unten im Tal herrschte tiefe Stille, die nur hin und wieder vom leisen Schnauben eines Pferdes oder vom Klirren einer Gebisskette unterbrochen wurde.
Jetzt lenkte einer der Reiter sein Pferd an die beiden Todgeweihten heran, um ihnen die Schlingen über die Köpfe zu streifen. Nachdem er damit fertig war, ritt er zurück zu den anderen Reitern, die reglos nebeneinander auf ihren Pferden im Schatten des Baumes verharrten.
Als er sich wieder eingereiht hatte, trieb ein anderer Mann sein Pferd auf die Todgeweihten zu. Ein Mann?
Lassiter bekam schmale Augen und blickte genauer hin.
Dann hörte er die Stimme. Er hatte sich nicht versehen.
Denn das war tatsächlich die Stimme einer Frau.
»Ihr werdet gleich tot sein, Baird und Chester!«, rief sie. »Habt ihr noch etwas zu sagen?«
Die beiden schwiegen.
»Ihr müsst sterben, weil ihr zu Mortimers Halunkenbande gehört«, fuhr die Frau fort. »Ich habe das Todesurteil gefällt, und ich selbst werde es auch vollstrecken, so wie ich es immer vollstreckt habe.«
Ihre rechte Hand ruckte hoch, und sie hielt eine lange Reitgerte. Klatschend traf der erste Schlag eins der Tiere. Es sprang an, der Mann auf seinem Rücken klammerte sich mit verzweifeltem Schenkeldruck fest, aber es war sinnlos.
Das Pferd donnerte davon, und der Mann fiel in die Tiefe.
Der andere Todeskandidat stieß einen furchtbaren Schrei aus und übertönte den letzten erstickten Todeslaut seines Kameraden.
In seinen Schrei hinein fiel der zweite Hieb mit der Reitgerte. Sofort sprang auch sein Pferd an und ließ ihn allein unter dem Galgenbaum zurück.
Stille breitete sich aus.
An dem Ast der Galgeneiche baumelten die leblosen Körper der zwei Gehängten.
Die Frau trieb ihr Pferd aus dem Schatten des Baumes. Die Männer folgten ihr.
Jetzt konnte Lassiter sie besser sehen. Sie hatte rotes Haar, das lang unter einem beigefarbenen Stetson bis auf ihre Schultern fiel. Unter der grünen Bluse zeichneten sich deutlich die Konturen straffer Brüste ab. Sie saß geschmeidig auf dem schwarzen Hengst und erinnerte an eine wilde, unbezähmbare Raubkatze.
Ein Weib wie der Satan! Schön und grausam.
Lassiter duckte sich tiefer zwischen den Büschen. Die Mannschaft kam genau auf die Stelle zu, an der er sich verborgen hielt.
Er war zum Kämpfen bereit. Denn er wusste, dass es bitter für ihn werden konnte, wenn ihn die Lyncher hier entdeckten. In den letzten Tagen hatte er einiges über die Geschehnisse in diesem County gehört, was nicht gerade Anlass zu besonderem Optimismus gab.
Überall sprach man von der Galgenmannschaft. Immer wieder fand man Gehängte, die Opfer der grausamen, unerbittlichen Lyncher geworden waren. Man wusste nicht, wer die Galgenmannschaft war und warum immer wieder Männer sterben mussten. Es gab zwar verschiedene Gerüchte, aber niemand wagte es, seinen Verdacht laut auszusprechen.
Die rothaarige Lady war noch etwa fünfzig Schritt von Lassiters Versteck entfernt, als sie ihr Pferd plötzlich mehr nach rechts lenkte. Nach ein paar Minuten war sie dann mit ihrer Mannschaft in der Nacht untergetaucht.
Der Hufschlag der zehn Pferde verklang in der Ferne. Wieder legte sich die Stille des Todes über die Berge und Täler.
Lassiter schritt den Hang hinunter. Unter dem Galgenbaum blieb er kurz stehen und starrte in die Gesichter der Gehängten. Es war ein grauenerregender Anblick, der die ganze Grausamkeit des Geschehens widerspiegelte.
Aber der große Mann war nicht stehengeblieben, um das Grauen zu betrachten. Für ihn gab es einen bestimmten Grund, dass er zum Galgenbaum gegangen war.
»Joe Chester und Sid Baird«, murmelte er nachdenklich vor sich hin. »Und ihr gehörtet zu Mortimers Mannschaft. Interessant...«
Er löste seinen Blick von den verzerrten, leblosen Gesichtern und ging weiter. Seine Gedanken drehten sich um einen ganz bestimmten Punkt. Denn Joe Chester und Sid Baird waren ihm keine Unbekannten.
Die beiden Gehängten ritten schon seit Jahren auf krummen Pfaden. Vor zwei Monaten waren sie noch in Colorado mit der berüchtigten Bande von Red Jack Warren geritten, die bei einem Überfall auf einen Geldtransport in einen Hinterhalt geraten und vernichtet worden war. Nur wenige konnten entkommen, unter anderem diese beiden Männer, die von der Galgenmannschaft gehängt worden waren.
Lassiter dachte an seinen Auftrag, der ihn in diese Gegend geführt hatte. Ja, er hatte einen ganz bestimmten Auftrag und wurde gleichzeitig von Wells-Fargo-Agenten und Kopfgeldjägern gehetzt. Er befand sich mit einem Bein mitten in der Hölle, und es wäre sicherlich das Beste für ihn gewesen, dieses Land auf dem schnellsten Wege zu verlassen. Aber er musste bleiben.
Wenn er jetzt floh, würde er keine Minute mehr Ruhe finden. Es gab für ihn keine andere Möglichkeit, als zu kämpfen.
Aber konnte er die vor ihm liegende Aufgabe überhaupt jemals lösen? War er nicht schon jetzt zum Scheitern verurteilt?
Lassiter gab sich keinen Illusionen über die Zukunft hin. Er hatte es mit einem mächtigen, unheimlichen und unberechenbaren Gegner zu tun.
Vor vier Tagen war Lassiter aus dem Gefängnis von Flat Willow geflohen. Er hatte Glück gehabt, unwahrscheinliches Glück. Ohne fremde Hilfe wäre ihm die Flucht aus diesem Gefängnis nie und nimmer gelungen. Einem einzigen Mann hatte er alles zu verdanken, sonst hätte er jetzt schon sein Leben unter dem Galgen ausgehaucht.
Der Mann hieß Harold Hardstone und war sehr einflussreich. Und er hatte mit Lassiter Verbindung aufgenommen, als der bereits von der Jury zum Tode verurteilt worden war.
Harold Hardstone hatte genügend Geld, um für Lassiters Flucht sorgen zu können. Und er tat es, weil in seinen Augen Lassiter seine einzige und letzte Hoffnung war.
Es ging um Richard Hardstone, der seit zwei Monaten spurlos verschwunden war. Um Harold Hardstones einzigen Sohn und Erben.
Der Junge war verschwunden, aber Harold Hardstone war der festen Überzeugung, dass sein Sohn noch lebte und gerettet werden konnte. Aus diesem Grund hatte er seine sämtlichen Chips auf Lassiter gesetzt. Auf den Mann, der wegen eines mörderischen Raubüberfalls auf einen Wells-Fargo-Transport zum Tode verurteilt worden war.
»Ich habe viel über Sie gehört, Lassiter«, hatte er gesagt, nachdem Lassiter zu ihm geführt worden war nach der gelungenen Flucht. »Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass Sie entkommen konnten. Als Gegenleistung verlange ich von Ihnen, dass Sie mir helfen. Ich bin sicher, dass Sie es schaffen können.«
Lassiter hatte sich einverstanden erklärt, hatte dem mächtigen Mann sein Wort gegeben, alles zu tun, was in seinen Kräften stand. Natürlich durfte keine Menschenseele erfahren, dass Hardstone für Lassiters Flucht verantwortlich war. Sein Name musste völlig aus dem Spiel bleiben. Und auch das hatte ihm Lassiter versprochen.
Nun befand er sich gleichzeitig auf der Flucht und auf der Jagd. Er war auf der Flucht vor den Männern, die ihn an den Galgen bringen wollten. Er suchte die Halunken, die wirklich jenen Überfall auf den Geldtransport auf dem Gewissen hatten....
Erscheint lt. Verlag | 23.11.2024 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Abenteuer-Roman • alfred-bekker • Bestseller • Cassidy • Country • Cowboy • Deutsch • eBook • eBooks • erotisch • Erwachsene • erwachsene Romantik • Exklusiv • für • g f barner • Indianer • Karl May • Kindle • Klassiker • Laredo • Männer • Nackt • Reihe • Ringo • Roman-Heft • Serie • Sexy • Western-Erotik • Western-roman • Wilder Westen • Wyatt-Earp |
ISBN-10 | 3-7517-7319-3 / 3751773193 |
ISBN-13 | 978-3-7517-7319-5 / 9783751773195 |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 1,4 MB
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich