Das Karussell der Sündenböcke -  Reinhold Frigge

Das Karussell der Sündenböcke (eBook)

Ein Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
246 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-4165-3 (ISBN)
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Boris Sudhoff hat sich in seinem unabhängigen Leben in der Ruhrstadt bestens eingerichtet. Doch dann schreckt ihn der mysteriöse Tod der jungen Immobilienmaklerin Theresa Emmerich auf. Arbeiter hatten die Tote im Schutt eines stillgelegten Güterbahnhofs der Stadt gefunden, genau an jenem Ort, an dem Sudhoff ihr nur wenige Tage zuvor zum ersten Male begegnet war. Er hegte eine große Leidenschaft für derartig vergessene Orte. Auf seiner Suche nach Schuldigen gerät Sudhoff in ein Labyrinth aus geschäftlichen Netzwerken und persönlichen Verstrickungen. Sein Einfallsreichtum und sein unverstellter Sinn für Gerechtigkeit helfen ihm dabei, in diesem Irrgarten der Eitelkeiten nicht die Richtung zu verlieren.

Reinhold Frigge hat Germanistik studiert, ist Lehrer und Hochschullehrer. Nach kleineren literarischen Projekten legt er nun seinen ersten Roman in Form einer klassischen Detektivgeschichte vor.

8


Die Ereignisse rund um das Golfhotel hatten damit begonnen, dass Sudhoff am frühen Abend auf den Fahrweg abgebogen war, der am Fähnchen bestückten Grün vorbei zu einem ausgedehnten Gebäudekomplex führte.

Der Platz und das angeschlossene Hotel lagen für Personen des öffentlichen Interesses ausreichend abseits, waren aber über die Stadtautobahnen schnell erreichbar. Die Vielzahl an Tagungs- und Verköstigungsgelegenheiten machten die Anlage sowohl zu einer Art Hideaway für sportlich Ambitionierte als auch für verdeckt Handeltreibende. Man blieb weitgehend unter sich.

Sollten sich die Hinweise aus dem belauschten Gespräch auf dem Güterbahnhof und Kurrats anschließenden Recherchen bewahrheiten, würde er in diesem Teich der Geldaristokratie zwangsläufig eine etwa fünfunddreißigjährige Nixe und einen Froschkönig auftauchen sehen. Genau an diesem Ort, genau zu dieser Zeit. Froschkönig Grönnow sollte auf jeden Fall Mitglied des Clubs sein. Das jedenfalls hatte Kurrat aus einer ihn gut unterrichtenden Quelle erfahren.

Als Zugang zum Gebäude hatte er sich für die sonnenwarme Veranda entschieden, die hinter Prachtkerzen und Rosenduft versteckt, ein wenig abseits des Haupteingangs lag und deren weit ausgespannte Sonnenschirme weithin sichtbar Botschaften von Ungezwungenheit und sicherem Stilempfinden aussandten; unterstützt von einer Männerrunde sonnengewöhnter Mittdreißiger, die sich auf einige tiefe Korbsessel zurückgezogen hatten. Sudhoff disponierte um. Er griff sich eine der Kisten mit Mineralwasser, die an einer der Seitentüren aufgetürmt standen, und betrat das Clubhaus durch einen schmalen Gang, der übergangslos in einer Art Empfangshalle für Lieferanten mündete.Dort verstellte ihm ein Gewirr aus überdimensionierten Werbebannern mit offensichtlich ernst gemeinten Fragen den Weg. "Willst du langfristig mit eigenen Immobilien Geld verdienen?", wurde er von einem sehr auffällig platzierten Aushang gefragt. „Möchtest du dich vor Ort mit Gleichgesinnten vernetzen?“, fragte ein anderer.

Spätestens angesichts der Option, ob er nach lukrativen Investment-Möglichkeiten suche, wollte Sudhoff im Anblick der Kiste vor seinem Bauch ein stilles Feixen nicht mehr unterdrücken. „Dieser Kongress in der kommenden Woche ist eher etwas für die Gattung der Selbstoptimierer.“ Der Mann, der ihn so unvermittelt ansprach, lächelte unerwartet freundlich. „Zugvögel, die im Club sicher nicht heimisch werden.“ Er war schnell an ihm vorbei, schaute aber noch einmal über die Schulter zurück. „Hands on, anpacken, wenn angepackt werden muss. Das macht uns Rotarier doch aus.“

Er ließ Sudhoff einigermaßen sprachlos zurück. Eher irritiert als erschöpft, obwohl er schmächtig gebaut war, ließ er die Getränkekiste vor sich auf den gefliesten Boden gleiten. Allein aufgrund eines flüchtigen ersten Eindrucks in die Gemeinschaft berufener Wohltäter aufgenommen worden zu sein, war für ihn durchaus eine biografische Grenzerfahrung.

Doch überraschend schnell konnte er in diesem Milieu zumindest mental ein Zuhause finden. Was konnte es schaden, wenn auch nur vorübergehend in ein weltweit arbeitendes Netzwerk eingeflochten zu werden. Und sich für eine bessere Welt zu engagieren, klang so falsch nun auch wieder nicht.

„Die Stehtische werden nicht ausreichen“, schreckte ihn eine Stimme aus seinen Gedanken auf, an deren angenehme Klangfarbe er sich sofort erinnerte, obwohl sie, für ihn ungewohnt, in eine wohltuende Vornehmheit gehüllt war. In einem eng geschnittenen, in einem wirklich sehr eng geschnittenen Baumwollkleid betrat die Stimmkünstlerin, die er auf einem verlassenen Güterbahnhof kennengelernt hatte, den Raum von der sonnenbeschienenen Fensterseite her.

„Die Stehtische werden sicher nicht ausreichen, Wolfgang“, wiederholte sie mit einem Seitenblick in den angrenzenden Saal, widmete ihre gesamte Aufmerksamkeit dann aber unverzüglich dem Mann, der aus Sudhoffs Richtung zielstrebig auf sie zusteuerte. Als er vor ihr stehen blieb, lehnte sie die Schultern beinahe unmerklich ein wenig zurück und machte einen kleinen Schritt des Vertrauens auf ihn zu.

„Theresa Emmerich“, stellte sie sich vor, „Paul und Partners. Schön, Herr Neuberger, dass wir die Veranstaltung in diesem Jahr zusammen durchführen. Und wenn ich mich umschaue, die Terrasse, der gläserner Ballsaal, welch ein wundervoller Ort, gemeinsam Gutes zu tun.“

Die Antwort des Mannes, um dessen lässige Eleganz Sudhoff ihn beneidete, wurde durch eine technisch verstärkte Stimme überlagert, die aus unbekannter Ferne zu ihnen in den Vorraum herüberklang. Dieser Wolfgang schien sich in seiner Begrüßungsrede üben zu wollen: „Golf ist nicht nur ein Spiel des Chippens, Pitchens und Puttens, sondern in erster Linie ist es ein Spiel des großen Schwungs. Und mit eben solchem Schwung, mit eben einem solchen großen Schwung“, korrigierte er sich, „dürfen Sie sich heute …“ Die Satzerweiterung ging in den Störgeräuschen der Mikrofonprobe unter.

Sudhoff griff erneut zu und machte sich mit seiner Kiste auf den Weg in die Küche, die er im rückwärtigen Teil des Gebäudes vermutete, damit den Gästen der großzügige Blick auf das Grün des Platzes nicht beschnitten wurde.

Nachdem er den Vorraum und dann noch einen weiteren und wieder einen weiteren Raum, alle menschenleer, durchquert hatte, gab ihm ein Hinweisschild mit der Aufschrift Buffetraum die Richtung vor. Er folgte der längsseitigen Fensterflucht, bog intuitiv im rechten Winkel nochmals ab, wobei sein Blick eher zufällig auf das kleine, mit sanftem Schwung ansteigende Freigelände fiel, das diesen Gebäudeteil vom erkennbar zugehörigen Hotelkomplex trennte. Eine kleine Freitreppe führte direkt darauf zu.

In der Verlängerung der Sichtachse hatte es sich ein mintgrünes Cabriolet mit offenem Verdeck im Schatten einer Rosenhecke bequem gemacht. Es war auf der engen Zufahrt äußerst privilegiert abgestellt, hatte sofort Sudhoffs ungeteiltes Interesse geweckt und seinen Tatendrang aktiviert.

Über das geöffnete Verdeck hinweg scannte er den Innenraum, verlor sich lange in diesem Hort der Verschwendung aus Leder, Chrom und lachsfarbener Auslegware, entdeckte auf den ersten Blick allerdings nichts wirklich Überraschendes. Bis ihm ein winziges goldfarbenes Etwas auffiel, das sich bei näherer Betrachtung als Ausweiskärtchen herausstellte.

Es hatte augenscheinlich bereits versucht, sich nahezu unbeobachtet aus seinem Asyl zwischen Rückpolster und lachsfarben ausgekleidetem Stauraum im Fond des Wagens zu befreien und war auf denselben Namen ausgestellt, über den er binnen kurzer Zeit nun bereits zum zweiten Mal stolperte: Grönnow, Frederik Grönnow. Golfclub Felderforst e. V. las er ebenfalls, dann, doch ein wenig lauter als gewollt, select.

Das Foto auf dem Ausweis zeigte ein dunkles, feingeschnittenes Gesicht mit klugen Augen und schmaler Lippenlinie. Ohne jeden Zweifel eine recht sympathische Erscheinung.

Wie war die Ausweiskarte in diese Zwangslage gekommen? War sie absichtlich dort verstaut worden? Für Sudhoff war das eher unwahrscheinlich. Es lag näher, dass sie aus einem Jackett gerutscht war. Aber was außer ihrer Verabredung zum Bahnhofs-Monopoly verband die Besitzerin dieses Cabriolets mit dem vielversprechenden Emporkömmling? Eine amouröse Klammer? Ein gemeinsames weltkluges oder ein berechnendes Interesse? Augenscheinlich waren sie sogar gemeinsam angereist. Denn sollte der goldfarbene Plastikstreifen tatsächlich aus seiner im Stauraum abgelegten Jacke herausgefunden haben, dann deutete vieles darauf hin, dass diese von der Fahrerseite her in den Fond befördert worden war. In diesem Falle wäre Grönnow sogar selbst gefahren.

Sudhoff nahm das Plastikkärtchen an sich und fuhr über die herunter gelassene Seitenscheibe hinweg mit den Fingern unter die Griffschale des Handschuhfachs. Es war nicht verschlossen. Zwischen Bordbuch, Sonnenbrille, Erfrischungstüchern und einer Warnweste fiel ihm ein flaches, rot-goldenes Fläschchen auf. Must de Cartier, las er, Paris, London, New York. Alles in allem utilitaristisch, weltläufig, aber selbst mit dem Abstand seiner nächtlichen Rückschau im Ergebnis eher unergiebig.

Mittlerweile hatte sich der Regen verzogen und der neue Tag linste blau zwischen dünnen Zirruswolken hervor. Auf dem Parkplatz wurde es geschäftig und Sudhoff beschloss, die letzte Etappe der Fahrt anzugehen, um sich, den Zündschlüssel bereits eingedreht, dann doch in den Sitz zurück fallen zu lassen. Der Kopf gedankenschwer.

Zwar konnte sich nicht mehr daran erinnern, aus welchem Grund er sich im Golfclub vom Mercedes zurück auf den Weg zur Freiterrasse gemacht hatte, wusste allerdings noch sehr genau, dass er gerade um eine niedrige Mauer herum auf den Hotelkomplex zugesteuert war, als keine zwanzig Meter vor ihm Grönnow, hochgewachsen und sichtbar trainiert, vor dem Eingang des Hotels aufgetaucht war. Er trug eine...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7597-4165-7 / 3759741657
ISBN-13 978-3-7597-4165-3 / 9783759741653
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