Das Buch Anderswo (eBook)
512 Seiten
Gutkind Verlag
978-3-98941-045-9 (ISBN)
Keanu Reeves, geboren in Beirut im Libanon, ist einer der bekanntesten Schauspieler Hollywoods. Für seine Rollen als Neo in den Matrix-Filmen oder als John Wick wird der Kanadier weltweit gefeiert. Gemeinsam mit Matt Kindt und Ron Garney hat er die BRZRKR-Comic-Welt geschaffen, die aktuell von Netflix als Spielfilm mit Reeves in der Hauptrolle adaptiert wird.
Prolog
Ein Raum, erfüllt von bevorstehender Gewalt. Dann vom hässlichen weißen Licht der LEDs. Dann trat ein Mann ein und setzte sich zwischen die Schließfächer. Er holte ein Gerät hervor und ließ technische Protokolle darauf ablaufen. Eine Weile lang saß er allein da und starrte auf den Bildschirm. Schließlich kamen seine Kameraden in den Raum.
Der Mann fuhr mit seinen Vorbereitungen fort. Jeder der Soldaten hatte sein eigenes Ritual.
Zwei lachten über unanständige Witze. Zwei weitere überprüften in stiller, konzentrierter Synchronie ihre Waffen. Einer machte oben ohne zu Füßen seiner Kameraden Liegestützen und klatschte dabei zackig in die Hände. Der Befehlshaber für den Einsatz dieser Nacht trat ein. Er studierte eine Karte, so aufmerksam, als hätte er sie in einem Grabmal gefunden. Der Soldat, der als Erster hereingekommen war, ließ immer noch Diagnostikprogramme auf seinem Scanner laufen.
Ein weiterer Mann trat ein, schon fertig ausstaffiert. Er hatte den Reißverschluss seiner voluminösen Kakijacke, auf der keine Abzeichen zu sehen waren, bis ans Kinn hochgezogen, als wäre ihm kalt. Niemand achtete auf ihn. Aber als er den Blick durch den Raum schweifen ließ, sah er für einen Moment dem Mann mit dem Scanner in die Augen, und beide nickten einander zu.
Ein letztes Mal öffnete sich mit einem leisen Geräusch die Tür. Diesmal blickten alle zu der Gestalt auf, die auf der Schwelle stand.
Ein hochgewachsener, drahtiger Mann in einfacher schwarzer Kleidung sah sie unter seinem langen, dunklen Pony hinweg an. Reglos zeichnete er sich vor dem Licht ab.
Als Einziger unter seinen Kameraden warf der Mann mit dem Scanner einen verstohlenen Blick einem der übrigen Anwesenden zu, einem der beiden, die ihre Waffen vorbereitet hatten und der seinerseits wie alle anderen zu dem Neuankömmling schaute.
Als der Dunkelhaarige eintrat, löste sich die Stille, und alle machten weiter wie zuvor. Der Mann, der als Erster gekommen war, widmete sich wieder seinem Scanner, um dessen Funktionen zu überprüfen und mit dem Wahrsageschirm die Anwesenden zu begutachten. Einen Moment lang verharrte er bei dem Mann, den er zuvor mit einem verstohlenen Blick bedacht hatte, und wechselte die Einstellung seines Geräts, sodass die Soldaten sich in ein Panorama farbiger Umrisse verwandelten.
In der Ecke stand der Neuankömmling allein und mit gesenktem Kopf. Jemand trat auf ihn zu.
Der Mann mit dem Scanner runzelte die Stirn. Es war nicht der einzigartige Strudel von Finsternis auf seinem Bildschirm, der ihn stutzig machte: Er hatte den Dunkelhaarigen schon oft in dieser Weise erscheinen sehen. Es war die Anomalie jenes Mannes, der sich ihm näherte – des kleineren Soldaten mit dem hochgezogenen Reißverschluss. Dessen Jacke erschien auf dem Bildschirm weiß und undurchsichtig, was bei Kleidung eigentlich nicht der Fall sein sollte. Sie leuchtete. Sie war abgeschirmt.
»He«, sagte der mit dem Scanner als Reaktion auf das, was er auf seinem Bildschirm sah. »Ulafson?« Er beobachtete, wie der Soldat in der Jacke sich vorsichtig dem Mann näherte, der Sinn und Zweck ihrer Einheit darstellte.
Ulafson war außer Hörweite. Also scrollte er zur Audioeinstellung, um zu lesen, was der Scanner aus dessen Lippenbewegungen und schwachen, zerfransten Schallwellen zusammensetzte, bekam aber nichts Verständliches herein.
Der dunkelhaarige Mann wandte sich Ulafson zu, der sich ihm näherte und dabei mit flehender Stimme etwas flüsterte. Dann streckte Ulafson die Arme aus und beschleunigte seinen Schritt. Der Dunkelhaarige betrachtete ihn ungerührt. Die Lippen des zur Umarmung Heranstürzenden formten Worte, sein Gesicht sah aus, als würde er weinen, und der Mann mit dem Scanner sagte erneut »He!«, diesmal so laut, dass alle die Köpfe hoben, und nun schrien auch die anderen durcheinander, und sie sahen, wie der Soldat mit dem hochgezogenen Reißverschluss eine Pistole aus der Tasche zog, und er schluchzte, es war ihm jetzt deutlich anzusehen, und zielte mit der Waffe nicht auf die Gestalt, der er entgegenstolperte, sondern auf die Zuschauenden.
»Bleibt zurück!«, rief er.
Der Dunkelhaarige streckte den Arm aus und hielt den Herankommenden auf, indem er ihm die Handfläche gegen die Brust drückte. Er schlug nicht zu, stieß ihn nicht zu Boden, er brachte ihn nur zum Stehen. Reglos und mit traurigem Gesicht stand der Attackierte da und tat weiter nichts, als den verzweifelt gegen ihn ankämpfenden kleineren Mann auf Armeslänge zu halten.
Der Mann in der Jacke stemmte sich schnaufend gegen den ausgestreckten Arm des anderen, während er mit der freien Hand seinen Reißverschluss aufzog und in eine Innentasche griff. Ein Klicken ertönte, und Metall blitzte auf.
»Waffe!«, brüllte jemand, als hielte der Mann nicht bereits eine Waffe in der Hand und zielte damit auf sie, auf die, an deren Seite er getötet hatte und fast gestorben war. »Ulafson, nein!«, ertönte eine andere Stimme.
Schüsse. Sehr laut. Ulafson begann zu zucken, als der Soldat mit dem Gewehr, dem sein Kamerad einen Blick zugeworfen hatte, anlegte und in kurzen Stößen auf ihn feuerte, ihm mit einem Ausdruck des Entsetzens im Gesicht Kugeln in Brustkorb und Oberschenkel jagte und dabei versuchte, nicht das zu treffen, wonach Ulafson griff, der unter dem Kugelhagel aufschrie und seine Pistole fallen ließ, aber irgendwie stehen blieb und sich weiter gegen den ausgestreckten Arm seines Ziels stemmte, das, ebenfalls von Kugeln zerfetzt, keine Miene verzog, während Blutblüten aus seinem Leib sprossen.
Doch dann ließ ein Ruck den Arm des Dunkelhaarigen verrutschen. Dieselben Kugeln, die den Mann in der Jacke töteten, stießen ihn am ausgestreckten Arm seiner Beute vorbei, sodass er und der Dunkelhaarige sich in einer Art Clinch wiederfanden. Mit einem letzten, triumphierenden Atemzug betätigte der Angreifer einen verborgenen Zünder.
Erneut füllte sich der Raum, diesmal mit Rauch und Metall und Lärm und Feuer.
Der erste Mann, der den Raum betreten hatte, war zwar nicht der letzte, der ihn verließ, aber er blieb für die mühsamen, blutigen Aufräumarbeiten.
Er war ein gutes Stück weit weg vom Explosionsradius gewesen, teilweise abgeschirmt durch diejenigen, deren Überreste nun unter seinen Augen zusammengekehrt, markiert und mit dem bisschen Respekt, das sich für solche Fetzen aufbringen ließ, eingesammelt wurden. In Gedanken hatte er ihre Namen heruntergebetet. Er wusste nicht, wie viele der noch Lebenden nie wieder aufwachen würden. Wie viele, so wie er, nach einer gewissenhaften Pause ins Feld zurückkehren würden. Wie viele an ihm vorbeigestapft waren, um sich die Reste ihrer Freunde abzuwaschen.
Eine Hand auf seiner Schulter. Es war der Kamerad, der als Erster gefeuert hatte.
»Kommst du?«
»Nach dir«, sagte er.
Am anderen Ende des Raums stand der Truppführer. Sein Lageplan war vergessen, seine Miene unter dem Blut gefasst. Er zündete sich eine Zigarre an, deren Rauch sich mit Schießpulvergestank und Kräuterduft mischte.
Auf der Bank, im Epizentrum des verkohlten rot-schwarzen Sterns, saß der Dunkelhaarige, den der Selbstmordattentäter mit in den Tod hatte reißen wollen.
Oberhalb der Lippen wirkte sein Gesicht friedvoll und fast völlig sauber; der Teil war durch das Kinn abgeschirmt gewesen, bei dem es sich nurmehr um eine Ruine handelte, gesplitterte Kieferknochen, von denen Haut- und Gewebefetzen hingen. Er saß mit den Ellbogen auf den Oberschenkeln da. Durch die verbrannte Höhlung, die einmal der Brustkorb des Mannes gewesen war, erhaschte der Mann mit dem Scanner einen Blick auf ein Stück Wirbelsäule. Er sah, wie die Eingeweide sich bewegten wie vom Licht aufgescheuchte Fische.
Ohne die Hand zu heben, schwenkte er sein Gerät leicht hin und her und nahm die beiden damit ins Visier. Die Audio-Verstärkung war immer noch eingeschaltet.
Als der Truppführer sprach, erschienen Worte auf dem Bildschirm des Scanners.
– Alles in Ordnung, Junge?
Der Sitzende blickte nicht auf. Blut stieg mit seinem Seufzer auf, und er bewegte seinen zerfetzten Mund.
– Müde/Prüde /[?], las der Mann mit dem Scanner.
– Himmel, was für ein Scheißdreck, erschienen die Worte des anderen. – Was hat er sich nur dabei gedacht?
Sein Gesprächspartner zuckte mit den Schultern. Er griff sich unter sein vorspringendes Rumpffleisch, zog etwas aus sich heraus und hielt es hoch.
– Gras/Glas/?, sagte er laut des Geräts.
– Ja, sagte er andere. – Er hat sich mit Flaschen umwickelt. Die Techniker werden schon rausfinden, was da drin war.
– Vierräuberessig, las das Gerät von seinen zerstörten Lippen ab. – Und Weihwasser. Steinsalz, und die Nägel sind von Hufeisen. Und Salbei. Man riecht ihn. Er hat brennenden Salbei hochbetagt /hochgejagt [?].
– Was soll das heißen? Woher weißt du das?
– Ich weiß, wie Salz und Essig sich in einer Wunde anfühlen. Ulafson hat die Bombe mit Talismanen vollgepackt. Und das ist nicht alles, Keever.
Der versehrte Dunkelhaarige reichte ihm einen kleinen Fetzen rußgeschwärzten, blutigen Papiers.
– Das war unter meinen Rippen.
– Ich kann das nicht lesen.
– Da steht ein Name.
Er deutete in den Raum und fuhr fort.
– Das meiste/Weiße? ist verbrannt, aber ein paar Fetzen sind...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
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Übersetzer | Jakob Schmidt |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
ISBN-10 | 3-98941-045-8 / 3989410458 |
ISBN-13 | 978-3-98941-045-9 / 9783989410459 |
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