Das Urteil eines Gottes (eBook)
268 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-3550-1 (ISBN)
Yanik Rolf Härdi wurde 1994 in Zürich geboren, arbeitet als Informatiker und ist in seiner Kindheit extra früh aufgestanden, um vor der Schule noch ein wenig zu lesen. Seit dem sechzehnten Lebensjahr schreibt er Fantasy und Science-Fiction Geschichten.
KAPITEL 1
Die Kirche brannte und die Menge jubelte. Nicht weniger als zweihundert Menschen hatten sich spätabends auf dem Marcisse-Platz versammelt. Mit Schreien und triumphierend in die Luft gestreckten Armen brachten sie das glühende Funkenmeer zum Tanzen. Die Flammen leckten gierig über die Kirchenmauer, überzogen den weißen Marmor mit grauer Asche. Das rotgelbe Licht warf die Schatten der umstehenden Meute an die Häuserwände. Ihre dunklen, langgezogenen Umrisse zappelten, als seien sie Figuren in einem Puppentheater.
Chantal Deneraux stand weit hinter den wütenden Massen im Halbdunkel, direkt unter einem Vordach. Die Kapuze des Windmantels hing ihr tief über den Kopf, verhinderte aber nicht, dass einige schwarze Locken den Weg ins Freie fanden. Die Jahre waren ihr größtenteils gnädig gewesen. Das Haar strahlte noch immer mit der Kraft der Jugend und war kaum von der Nacht zu trennen. Einzig ein paar Falten umrahmten ihre müden Augen, in deren Zentrum das Feuer funkelte und das Blau nach außen drängte. Sie verfolgte das Geschehen aus sicherer Entfernung und nagte an ihren Fingernägeln. Auch wenn die Stadtwache in großer Zahl mit Anwesenheit glänzte, durfte man den Mob nie unterschätzen. Insbesondere dann nicht, wenn die Wache selbst Fackeln führte.
Die Nachricht hatte Althea wie eine Lawine überrollt. Ein Buch, eine Idee. Ein Mann, der dort überlebte, wo niemand überleben sollte. Eine Lüge, die zwei Reiche in eine Spirale aus Tod und Verderben stieß. Götter hatten sich in die Angelegenheiten der Sterblichen eingemischt. Angetrieben von ihrer Gier nach Macht säten die Zwillingsgötter des Krieges Missgunst in den Herzen der Menschen und brachten zwei Reiche an den Rand des Untergangs. Es war eben jener Konflikt gepaart mit der Sturheit eines einzelnen Mannes, der zu ihrem Stolperstein werden sollte. Auch wenn es nicht in der Absicht des Autors lag, so hat sein Werk vor allem eines bewirkt: Chaos. Die weiße Insel ertrank in zivilen Unruhen. Die ausgelöste Welle schwappte auf das Festland über und zerstörte sämtliche religiöse Fundamente. Brennende Kirchen, eingerissene Tempel, tote Götter. Es war die sterbliche Art zu sagen, dass es reichte.
Chantal schauderte, als eine kühle Brise durch die Straße zog. Sie hob den Kopf. Düstere Wolkenfetzen drängelten sich vor die tiefhängenden Sterne. Seit die Tumulte gegenüber dem Pantheon begonnen hatten, kam es ihr so vor, als ob das Himmelszelt weit tiefer hing als zuvor. Verängstigte Seelen sahen darin den Anfang eines Vergeltungsschlags. Eine himmlische Faust, die zum Schlag ausholte. Andere behaupteten, es sei genau dieser Makel, der fest im Gedankengut der Gläubigen verankert war, der sie alle überhaupt erst in diese prekäre Lage gebracht hatte. Sie fürchteten sich vor dem Göttlichen, sahen es als eine fremdartige Macht, die ihr Leben bestimmte. Dabei war es der eigene Glaube, gestärkt durch Angst, der den Göttern ihre Kraft verlieh.
»Ihr solltet nicht allein hier draußen sein, Madame Deneraux.« Gilbért de Baudelaire hatte die Figur eines Mannes, der noch nie einen Tag gehungert hatte. Fette Wangen, wulstige Finger und ein Kinn, für das man eine Vermisstenmeldung hätte ausschreiben können. Äußerlich mochte er nicht die schönste Gestalt am Platz sein, dafür loderte in seinen tiefliegenden Augen ein scharfer Verstand. Er steckte in einem übergroßen Mantel, der die pummelige Figur verbarg. Ein dichter Nebel aus Limettenparfüm umgab ihn.
»Ich gehe seit über zwanzig Jahren jeden Abend spazieren.« Der starke Limettengeruch brannte in ihrer Nase. »Ich breche wegen Ausschreitungen nicht mit Traditionen. Dafür müsste mehr als nur ein Gebäude in Flammen stehen.« Sie warf einen flüchtigen Blick in Richtung Kirche. Die bunten Fenster waren eingeschlagen. Die mit Tulpen verzierte Kirchentür lag in Stücke geschlagen auf dem Vorplatz. Sie empfand dem kalten Gemäuer gegenüber kein Mitleid, kam aber nicht umhin, den verlorenen Farben nachzutrauern. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie zum letzten Mal zwischen den Altären hindurchgewandert war. Ihre Eltern hatten sie früher immer mitgeschleppt, damit sie ihre Gebete sprechen konnte. Je mehr Götter man um ihre Gunst bittet, desto höher die Chance, dass einer von ihnen antwortet, pflegten sie zu sagen. Es war stets ein einseitiger Dialog gewesen. Chantal blickte mit großer Abscheu auf ihr junges Selbst zurück. Naivität ist keine Tugend.
»Der Stolz knüpft wahrlich die schönsten Schlingen.« Er grinste selbstzufrieden. Er stellte sich unpassend nahe neben sie. Der Gestank des Parfüms wurde schier unerträglich. Chantal getraute sich gar nicht mehr durch die Nase zu atmen. »Faszinierend, nicht wahr? Wie schnell Loyalität zerbrechen kann. Noch vor Kurzem beugten sie demütig das Knie und heute werfen sie mit Feuer um sich.« Er tätschelte seinen runden Bauch. »Sollte jedem Staatsoberhaupt auf dieser Welt zu denken geben.«
»All jene, die sich gestern an der Straßenschlacht beteiligt haben, um die Kirche zu schützen, sehen das bestimmt anders. Davon abgesehen solltet Ihr nicht sämtliche Formen der Loyalität in den gleichen Topf werfen. Basiert nicht Euer ganzes Handelsnetz auf der mit aller Macht aufrechterhaltenen Wertvorstellung des Geldes? Es braucht nur eine ungünstig verlaufende Münzreform, wie vor sechzehn Jahren, als der Solaire eingeführt wurde, und Ihr habt eine wütende Menge vor Eurem Haus.«
Gilbért lachte und legte die Hand auf seine Brust. »Eine weitere Reform käme mir in der Tat nicht gelegen. Doch frage ich mich, wie so etwas zustande kommen sollte. Wir haben nach dem Krieg die Währung gewechselt, sofern es also nicht noch einmal zu einem solch bedauernswerten Ereignis kommt, sehe ich keinen Grund zur Beunruhigung.« Er lächelte selbstzufrieden. »Natürlich besteht auch die Möglichkeit, eine neue Münze aufzunehmen, doch welches Metall soll dafür herhalten? Wir haben mit Kupfer, Silber und Gold alles abgedeckt. Wollen wir uns mit Exotischerem zudecken, wie man es weit im Süden pflegt? Oder gleich ganz zurück zum Tauschhandel?« Er schüttelte den Kopf. »Eine Währung hat irgendwann den Punkt erreicht, an dem sie ihre Entwicklung abgeschlossen hat und zum Stillstand kommt. Es ist etwas vollkommen Natürliches, so wie auch wir unser Wachstum eines Tages beenden. Ich habe während meiner Zeit an der königlichen Universität Dutzende Bücher zu diesem Thema verschlungen.«
Wortwörtlich dachte Chantal und rollte mit den Augen.
»Daher kann ich Euch getrost versichern, Euer Hab und Gut sieht sich von keiner Gefahr bedroht. Der Solaire ist eine der stabilsten Währungen in ganz Althea.« Als gäbe es Grund, diese Aussage mit einer Geste zu untermauern, stampfte Gilbért mit dem rechten Fuß auf den Boden.
Chantals Aufmerksamkeit wurde zurück zur tobenden Menge gezogen, als ein triumphaler Schrei durch ihre Reihen ging, der den Scherbenregen des letzten Kirchenfensters begleitete. Die ersten Schaulustigen sahen darin einen krönenden Abschluss ihres Protests und schlenderten langsam davon. Die meisten von ihnen blieben und ergötzten sich am leuchtenden Inferno.
»Ich nehme an, Ihr werdet morgen der Stadtratsitzung beiwohnen?« Gilbért lehnte sich vor, um einen Teil ihres Blickfelds zu erobern. »Meinem Herzen täte es gut zu wissen, dass Ihr dabei seid, wenn ich den Antrag zur Hafenerweiterung vorbringe.«
»Bevor ich auch nur einen Fuß in dieses Irrenhaus setze, werfe ich mich von der Stadtmauer.«
»Eine Schande«, klagte Gilbért. »Ihr würdet Euch in der Politik gut schlagen. Ihr erfüllt sämtliche Voraussetzungen.«
Soll das eine Beleidigung sein? »Ich bin eine Advokatin der Krone und als solche ist die Wahrheit das höchste Gebot.« Chantal streckte den Kopf in die Höhe, als könnte sie damit über diese närrische Anmaßung hinwegsehen. »Es ist mir per Gesetz verboten, eine Lüge auszusprechen, und ist das nicht die wichtigste Anforderung an einen Politiker?« Abgesehen davon, dass man sich selbst gerne reden hören muss.
»Ritter leisten einen ähnlichen Eid und doch hält sie das nicht davon ab, der Welt ein falsches Gesicht zu präsentieren.«
»Eide sind nichts weiter als unbedacht ausgesprochene Worte. Wenn man nicht aufpasst, werden sie vom Wind davongetragen. Was glaubt Ihr, wie viele Zeugen mir untergekommen sind, die trotz ihrer Versprechen gelogen haben? Spart euch die Antwort, denn ich weiß die genaue Zahl nicht. Ich habe vor langer Zeit aufgehört zu zählen.« Ihre Stimme war von einer traurigen Note getränkt. »Meine Verpflichtungen sind in den Gesetzestexten unseres Landes niedergeschrieben. Nur was auf einem Stück Papier zählt, ist auch wirklich von Bedeutung. Handhabt Ihr das mit Euren Verträgen nicht...
Erscheint lt. Verlag | 26.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
ISBN-10 | 3-7583-3550-7 / 3758335507 |
ISBN-13 | 978-3-7583-3550-1 / 9783758335501 |
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