John Sinclair 2416 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-6888-7 (ISBN)
Der rhythmische Schlag der Trommeln hallte durch die Dschungelnacht, steigerte sich, wurde immer wilder, fordernder. Die Dorfbewohner hatten sich vor dem Tempel eingefunden, tanzten wild zum Klang der Trommeln, riefen und schrien, gerieten immer mehr in Ekstase und Trance.
Dann erschien sie - die Voodoo-Hexe!
Sie würde das magische Ritual durchführen, das dem Opfer einen qualvollen Tod bringen würde!
Dieses Opfer war eine junge Frau - und zugleich auch eine blutrünstige Werwolfbestie!
Der Todesfluch
der Voodoo-Hexe
von Marlene Klein
Der Ruf der Trommeln hallte durch die Nacht.
Untermalt wurde er vom schrillen Gesang der Frauen, die in bunten Kleidern mit großen, bauschenden Röcken, weiten, flatternden Ärmeln und aufgewickelten Kopftüchern stampfend zu diesem Rhythmus tanzten. Die Kleider verwandelten den Platz im unsteten Licht der Feuerstellen in ein rauschendes Farbenmeer, das die Schatten der Nacht verdrängte. Primitive Rasseln aus mit Reiskörnern gefüllten Nussschalen wurden geschüttelt, aufeinandergeschlagene Klangstäbe erzeugten ein hohes Klappern.
Jedes Mitglied der Gemeinde nahm an dieser Zeremonie teil, keiner war nur Zuschauer. Sie benötigten weder Noten noch Absprachen, der Brauch war seit Jahrtausenden gleich und wurde von einer Generation in die nächste getragen. Die Götter selbst waren es, die Hände und Füße lenkten. Ein ekstatischer Rausch, in den sie sich gemeinsam steigerten. Ein Rausch, um mit den Geistern der Ahnen und mit den Göttern in Kontakt zu treten. Gefördert durch einen Trank, der aus einer großen Schale gereicht wurde.
Außer der Madam wusste niemand genau, woraus diese Flüssigkeit bestand.
Madam, das Oberhaupt der Gemeinde, die Zauber-Frau, die Voodoo-Hexe.
Voodoo ... einst war diese Religion mit den Sklaven von Afrika nach Südamerika gekommen. Man hatte den Sklaven aus Afrika alles genommen – ihre Namen, ihre Identität, ihre Freiheit. Man hatte ihnen sogar das Recht abgesprochen, Menschen zu sein, denn nach ihrer Ankunft in den verschiedenen südamerikanischen Häfen galten sie nur noch als Ware.
Doch eins hatte man ihnen nicht nehmen können: ihren Glauben.
Sie glaubten fest an die Traditionen ihrer Väter, der afrikanischen Yoruba. Ihre Religion bestand aus einem permanenten Austausch mit den Geistern der Verstorbenen.
Häufig im Verborgenen praktiziert war ihr Glaube das verbindende Element unter den Sklaven und eine unterschwellige Auflehnung gegen ihre Unterdrücker.
Christliche Einflüsse fanden in unterschiedlicher Ausprägung ihren Weg in den Voodoo. Es entwickelten sich regional verschiedene religiöse Strömungen, in Kuba der Santeria, in Brasilien der Candomblé ...
Die Madam war das Oberhaupt ihrer Gemeinde. Eine geheimnisvolle und schöne Frau mit harten, strengen Gesichtszügen, leicht schräg stehenden Augen und schlanker Figur.
Natürlich war Madam nicht verheiratet. Kein Mann hätte jemals gewagt, sich ihr auf diese Art und Weise zu nähern. Madam war mit ihrer Gemeinde verheiratet, mit ihrer Aufgabe.
Niemand wusste, wie alt sie war. Sie konnte genauso gut dreißig oder fünfzig Jahre alt sein. Ebenso wusste niemand, wo sie herkam. Nach dem Tod des alten Candomblé-Priesters war Madam aufgetaucht, die Götter hatten sie geschickt.
Auch ihren Namen kannte niemand.
Doch Madam war eine Institution, ein Bindeglied zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, den Lebenden und den Toten, den Menschen und den Göttern.
Madam trat zusammen mit Mari-Jo und ihrem Assistenten Nua'naan aus ihrer Hütte. Nua'naan war ein Hüne mit dunkler Haut, wildem krausem Haar und buschigem Bart, der bereits leicht ergraute. Über seinen stattlichen Bauch und den breiten Schultern spannte sich ebenfalls der seidige Stoff eines bunten zeremoniellen Gewandes.
Nua'naan begann mit tiefer sonorer Stimme eine neue Intonation. Auch sie passte perfekt zu dem trommelnden Rhythmus, und die Tänzerinnen antworteten ihm in einem Kanon. Es waren abgehackte Laute, die nur wenige hier verstanden, weil sie keine offizielle Sprache waren.
Mari-Jo war apathisch, ihr Geist schien schon längst abwesend. Sie ließ sich von Madam auf die Mitte des Platzes führen und zeigte keine Reaktion auf die Musik und das bunte Treiben um sie herum.
Zwei junge Männer, die noch Teenager waren, begannen Mari-Jos nackten Körper mit farbigen Pasten einzureiben. Arme, Beine, Brüste und das Gesicht. Mari-Jo ließ es reglos über sich ergehen. Die Jungen trugen ihre Alltagskleidung, bestehend aus kurzen Hosen, Flip-Flops und fleckigen Nike-T-Shirts, die in dieser Umgebung fehl am Platz wirkten.
Die Tänzerinnen und Sängerinnen formierte sich neu und bildeten einen Kreis um Madam und Mari-Jo. Singend umrundeten sie sie immer wieder mit ihrem stampfenden Tanz mit wiegenden Hüften und Oberkörper. Der bunte Stoff ihrer Kleider und der weiten Ärmel ließen die beiden Frauen zu einem Zentrum eines lebendigen Kaleidoskops werden.
Mari-Jo stand wie gebannt auf der Stelle, ihr Blick starr geradeaus gerichtet. Nua'naan reichte Madam einen verschlossenen Weiden-Korb, so wie ihn die Frauen in den weit entfernten Städten an Marktagen auch auf dem Köpfen trugen.
Madam öffnete ihn und griff beherzt hinein. Sie zog eine grüne Lanzenotter heraus, eine der giftigsten Schlangen des Amazonas. Der Biss war tödlich.
Das etwa zwei Meter lange Tier war jedoch nicht aggressiv oder verängstigt, und dies trotz des rhythmischen Lärms. Oder hatten die Trommeln das Tier gar beruhigt?
Die Schlange glitt durch die Hände der Madam, strebte nach vorn, wurde neu gefasst und kam trotz der stetigen Vorwärtsbewegung nicht weg.
Madam hielt die Otter vor Mari-Jos Gesicht. Deren Starre löste sich, und ihr Blick wanderte von einem unbekannten Punkt in unendlicher Ferne zu den Augen des Tiers. Frau und Schlange starrten sich gebannt an.
Mari-Jo begann die Bewegungen des Tiers zu kopieren, wand sich wie ein Spiegelbild geschmeidig von links nach rechts, von oben nach unten.
Nua'naan intonierte eine andere Textzeile, wieder antworteten die Tänzerinnen ihm und rezitierten seine Worte.
Dann hob Nua'naan eine Machete und trennte dem sich windenden Tier mit nur einem gezielten Schlag den Kopf vom Körper.
Madam legte den kopflosen Körper Mari-Jo um den Hals. Schlangenblut lief ihr über die Brust und den Bauch, vermischte sich mit den aufgetragenen Farben.
Mari-Jo erstarrte wie zuvor.
Der Kopf der grünen Lanzenotter war zu Boden gefallen. Er lebte noch und begann nun doch mit aufgerissenem Maul und herausgefahrenen Fängen nach einem imaginären Ziel zu schnappen. Kopf und Körper konnten bis zu eine Stunde getrennt voneinander überleben, und solange sie noch zubeißen konnte, war die Schlange auch genauso giftig wie zuvor.
Wieder lösten sich die beiden Jungen aus der Gruppe. Mehrmals ließen sie dicke Holzpfähle auf den Kopf der Schlange herniederfahren und zermalmten so den Schädel zu einem unförmigen Brei. Ein gnädiger Tod für das stolze Tier.
Das Ritual um Madam und Mari-Jo ging auf den Höhepunkt zu. Nua'naan reichte der Voodoo-Priesterin einen Hahn, der aufgeregt flatterte und gackerte, während Madam ihn an den Füßen hielt und die ausgebreiteten Flügel Mari-Jo ins Gesicht schlugen. Mari-Jos Kopf zuckte zwar von einer Seite zur anderen, sie verzog jedoch keine Miene.
Das Blut aus dem Schlangenkörper rann in dunklen Bahnen über ihren Oberkörper, ihre nackte Scham und die Beine entlang.
Die Tänzerinnen hielten in ihrer Umkreisung inne, tanzten nun an einem festen Punkt und wiegten ihre Körper hin und her, den Blick auf die Vorgänge in der Mitte des Kreises gerichtet. Der Schlag der Trommeln wurde lauter, schneller, fordernder.
Rasseln und Klangstäbe verstummten.
Dann der Gesang von Nua'naan und der Frauen.
Es folgten drei letzte harte Schläge auf das Fell der Trommeln.
Dom – Dom – Dom!
Und Madam köpfte den Hahn über Mari-Jos Haupt.
Blut spritzte auf ihr Gesicht, wo es in dunklen Schlieren verlief.
Mari-Jo schrie gellend auf!
Dann brach sie wie tot zusammen, blieb verkrampft liegen, jeder Muskel war angespannt, die Augen nach innen verdreht, sodass nur noch das Weiße zu sehen war.
Die Zeremonie war geglückt. Mari-Jo war nun in Trance.
Ihre Brüder und Schwestern aus der Gemeinde trugen ihren steifen Körper zu einer rituellen Liegestatt zwischen den Feuern. Der Schlangenkörper wurde an das Kopfende gebettet, der Hahn zu ihren Füßen.
Mari-Jo war eingerahmt vom Tod und konnte mit dem Geist ihres verstorbenen Sohns Kontakt aufnehmen. Bis zum Sonnenaufgang würde sie so aufgebahrt liegen bleiben, bis Madam sie wieder erweckte und sie in die Welt der Lebenden zurückkehrte.
Niemand konnte wissen, welche Reise ihr Geist in den verbleibenden Stunden der Nacht unternehmen würde.
Mari-Jo erlebte den Tod ihres Sohnes aus seiner Perspektive. Ihr Geist hatte sich mit dem seinen verbunden, und sie konnte in seiner Erinnerung miterleben, wie er gestorben war und was er dabei hatte durchstehen müssen.
Doch die Erinnerung des Geistes setzten früher ein ...
Es war eine Vollmondnacht gewesen.
Bis vor Kurzem hatte es wie aus Kübeln geschüttet, nun verzogen sich die Wolken und machten dem Mond und den Sternen Platz. Die Luft hatte etwas abgekühlt, doch noch immer war sie schwül und feucht.
Sich hier an einem der zahlreichen Nebenarme des Amazonas nachts herumzutreiben, war gefährlich. Nahezu jedes Lebewesen, das in der Dunkelheit lauerte, konnte bei einer Begegnung mit einem Menschen tödlich sein. Schon nach wenigen Metern wurde der dichte Urwald so dunkel, dass...
Erscheint lt. Verlag | 26.10.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Academy • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • e Book • eBook • E-Book • e books • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horrorthriller • Horror-Thriller • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Tony-Ballard • Top • Walking Dead |
ISBN-10 | 3-7517-6888-2 / 3751768882 |
ISBN-13 | 978-3-7517-6888-7 / 9783751768887 |
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Größe: 3,4 MB
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