ChinaLeaks (eBook)
381 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-82309-1 (ISBN)
MARKUS FRENZEL ist Investigativreporter für RTL. Nach dem Politikstudium in Berlin, Aix-en-Provence und Paris hat er lange Jahre für die Deutsche Welle und das ARD-Magazin FAKT gearbeitet. Für seine Recherchen hat er renommierte Journalistenpreise bekommen - darunter den Marler Fernsehpreis für Menschenrechte, den Deutsch-Polnischen Journalistenpreis oder den Journalistenpreis des Europäischen Parlaments.
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Der Angriff
Dort, wo sie herkommt, ist die Welt noch in Ordnung. Plattes Land, saftig grüne Wiesen, im nahen Hafen von Husum liegen die Kutter bei Ebbe auf dem Schlick, bei Flut schaukeln sie an der Kaimauer. Ihre Kindheit verbrachte Gyde Jensen in einem Dorf in Schleswig-Holstein. Die große gefährliche Welt schien da weit weg. «Ich bin in einem absolut sicherheitsverwöhnten Umfeld aufgewachsen», sagt die Bundestagsabgeordnete, «wo alle ihre Häuser offen lassen, weil sowieso niemand einbricht.»[1] Am 16. Mai 2018 bekam diese heile Welt einen Riss. In das bislang so beschauliche Leben der jungen Politikerin brach mit einem Schlag die brutale Weltpolitik ein. In einem Brandbrief an den Bundestagspräsidenten sowie sämtliche Fraktionsvorsitzenden beschwerte sich der chinesische Botschafter über Jensen, die vor wenigen Monaten erst ins deutsche Parlament eingezogen war. «Auf diesem Weg wollen wir unsere große Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen», schrieb Shi Mingde, der sich mit den ersten Schritten der Abgeordneten im Parlament überhaupt nicht zufrieden zeigte.[2] Weil es für die FDP-Frau als Newcomerin nicht so einfach war, direkt in ihr Lieblingsgebiet, die Außenpolitik, einzusteigen, hatte sie sich für den Menschenrechtsausschuss entschieden. Prompt wurde sie dort zur Vorsitzenden gewählt und arrangierte sogleich ein Treffen mit dem Chef der tibetischen Exilregierung, Lobsang Sangay. Für die Chinesen kam das einem Affront gleich, weshalb sie nun offiziell ihren Unmut zeigten. Der Adressat des Schreibens, der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, sollte «seinen persönlichen Einfluss geltend machen», so die Aufforderung der Chinesen, damit die Zusammenarbeit in Zukunft wieder «reibungslos und erfolgreich» verlaufe. Eine unverhohlene Drohung in Richtung der Abgeordneten aus dem Dorf in Schleswig-Holstein. In einem persönlichen Brief an Jensen legte der Botschafter nach. «Mit großem Bedauern und tiefer Unzufriedenheit habe ich zur Kenntnis genommen, dass Sie sich ungeachtet unserer Mahnungen mit dem Chef der sogenannten ‹Tibetischen Exilregierung› (…) getroffen haben», schrieb Shi. «Als Bundestagsabgeordnete und junge Politikerin der FDP wären Sie gut beraten, statt Gegenwind für mehr Rückenwind für eine gesunde Weiterentwicklung unserer bilateralen Beziehungen zu sorgen.»
Der gewünschte Rückenwind für die Sache Chinas blieb jedoch aus. Weiterhin bohrte die Abgeordnete Jensen unangenehm nach, thematisierte das Unrecht in China, sprach mit Dissidenten und Opfern des Regimes. Ihr Missfallen zeigten die Chinesen nun, wo es nur ging. Als es ein klärendes Gespräch zwischen Jensen, dem Botschafter und dem Bundestagspräsidenten geben sollte, ließen die Männer die junge Frau wie ein Schulmädchen vor der Türe warten, bevor sie hereingerufen wurde. Das Signal, auf welches die Chinesen hinarbeiten wollten, war klar. «Die richtigen Staatsmänner, die wissen, wie es läuft», beschreibt Jensen den Eindruck, den sie bei dem Termin bekommen sollte, «die junge Kollegin nicht. Das wollte man mir vermitteln.» Nach dem kurzen, technischen Gespräch gab es zwischen den chinesischen Diplomaten und der deutschen Politikerin keinen direkten Kontakt mehr. Aus ihren Fängen lässt das Regime in Peking die junge Frau aber bis heute nicht mehr. Wo es nur geht, versucht die chinesische Seite Jensen zu schikanieren, zu überwachen und zu bekämpfen. Als die Vorsitzende in einem Schreiben darum bat, den Menschenrechtsausschuss nach China einreisen zu lassen, um dort auch Tibet und die Uiguren-Region Xinjiang zu besuchen, verweigerte die Volksrepublik die Visa. Als Jensen mit einer kleinen FDP-Delegation doch einmal ins Land gelassen wurde, kam sogleich ein Vertreter des Regimes auf sie zu. «Sie werden empfangen, weil Sie Teil der Delegation von Christian Lindner sind», habe die chinesische Seite ihr mitgeteilt, so die Erinnerung der Abgeordneten an den Besuch in Schanghai und Peking. Es gehört zur Strategie der Machthaber im Reich der Mitte, verbal maximal auf Konfrontation zu gehen. Und wenn es sein muss, vor den Augen der Welt.
Seit einigen Jahren hat sich die Gangart der chinesischen Seite massiv verschärft. Inzwischen schreckt Peking auch vor offenen Rangeleien nicht mehr zurück. Was Gyde Jensen im Kleinen erlebt hat, müssen manchmal ganze Nationen erfahren. So vor nicht allzu langer Zeit Österreich. Im Mai 2012 kam der Dalai-Lama zu einem elftägigen Besuch in die Alpen. Publikumswirksam und für die Fotografen posierte das geistige Oberhaupt der Tibeter Hand in Hand mit dem österreichischen Kanzler und dem Wiener Kardinal vor dem Stephansdom. Bereits im Vorfeld hatten die Machthaber in Peking versucht, Druck aufzubauen. Österreichische Diplomaten wurden in der Volksrepublik ins Außenministerium einbestellt. Managern aus der Alpenrepublik wurde signalisiert, dass der Besuch nicht gut für ihre Geschäfte sein würde. Zu einem gewissen Punkt handelte es sich dabei um eingespielte Rituale. Doch diesmal eskalierte China die Lage. Für gut ein halbes Jahr verweigerte das Regime danach Staatsbürgern des EU-Landes die Einreise. «Keine Tibet-Visa für Österreicher», titelten die Journalisten, «China bestraft Österreich». Dabei war der Besuch des obersten Tibeters nichts Neues. Der Dalai-Lama war bereits viermal zuvor nach Österreich gereist, hatte sich schon ins Goldene Buch der Stadt Wien eingetragen, war ein andermal offiziell im Rathaus empfangen worden. 2007 hatte ihm auch der Bundeskanzler die Hand geschüttelt, ohne dass es größere Verstimmungen gegeben hätte. Die Eskalation zwischen Peking und Wien trug sich im Vorfeld der Machtübernahme Xi Jinpings zu, als im Hintergrund schon die Fäden gezogen wurden und alles für seinen Aufstieg an die Spitze Chinas vorbereitet wurde. Seit der mächtigste Mann der KPCh ganz oben angekommen ist, versucht er sein Land immer mehr zu einer skrupellosen Ein-Mann-Diktatur auszubauen. Unter Xi verschärfen die Kommunisten ihre Politik nicht nur zu Hause, sondern auch im Ausland. «Bestraft» wurden im Mai 2012 neben Österreich auch Großbritannien, Norwegen und Südkorea, wo ebenfalls hohe Vertreter aus Tibet und chinesische Bürgerrechtler geehrt worden waren. Xi und seine Entourage vergessen auch nicht. Noch ein Jahr nach dem Besuch des Dalai-Lama in Wien sann die chinesische Seite auf Vergeltung – nun drohte Peking, das Panda-Pärchen Yang Yang und Long Hui zurück in die Heimat zu holen, die Hauptattraktion des Tierparks im Schloss Schönbrunn. Nur mit einer enormen Charmeoffensive gelang es den Österreichern, die Vertreter aus Fernost wieder einigermaßen zu besänftigen. In der Austrian Chinese Business Association werben inzwischen ehemalige Kanzler, Landeshauptleute, Bürgermeister und Abgeordnete für reibungslose Beziehungen nach Fernost. Nach dem Besuch des Dalai-Lama wurden chinesische Infrastrukturkonzerne ins Land geholt und bis zum Ausbruch des Ukrainekrieges sogar eine Beteiligung des EU-Landes am Prestigeprojekt der Neuen Seidenstraße erwogen. «Die Einschüchterung von chinesischer Seite hat funktioniert», erinnert sich Tenzyn Zöchbauer, die in Wien aufgewachsen ist und auch durch den Besuch des Dalai-Lama im Frühjahr 2012 politisiert wurde. Heute lenkt sie die Tibet Initiative in Berlin. «Gerade auch das Kuschen der österreichischen Seite hat das Selbstbewusstsein der Chinesen noch einmal gestärkt», so die Menschenrechtsaktivistin, «und sie haben verstanden, dass sie so weit gehen können.»[3] Die Volksrepublik China hatte gewonnen, Österreich war auf Linie gebracht. Mit Gyde Jensen lief es nicht so rund. Entsprechend beließen es die Chinesen nicht bei Demütigungen und Einschüchterungen. Im September 2020 lud die Abgeordnete Menschenrechtsaktivisten und Vertreter aus Taiwan zu einer Videokonferenz ein. Sie sprachen auch über das Spannungsverhältnis zwischen der Volksrepublik China und den Vereinten Nationen. Thematisieren wollten die Teilnehmer eine UN-Resolution aus dem Jahr 1971, die von Juristen immer wieder in die eine oder andere Richtung interpretiert wird, je nachdem, welchem Lager die Experten nahestehen, der Volksrepublik China oder der Republik China (Taiwan). Jensen und die Menschenrechtsaktivisten wollten verstehen, inwiefern der kurze Text vielleicht wirklich als Grundlage für eine Zwei-China-Politik gelesen werden kann. Gemeinsam suchen und analysieren wollten die Experten den Text gleich – es handelte sich um die UN-Resolution...
Erscheint lt. Verlag | 15.10.2024 |
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Reihe/Serie | Beck Paperback |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft ► Geld / Bank / Börse | |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft | |
Reisen ► Reiseführer ► Europa | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Staat / Verwaltung | |
Schlagworte | Autoritarismus • Bundestag • Demokratie • Deutschland • Diktatur • Enthüllungsbuch • Investigativjournalist • Netzwerk • Politik • Sachbuch • Unterwanderung • Wirtschaft |
ISBN-10 | 3-406-82309-2 / 3406823092 |
ISBN-13 | 978-3-406-82309-1 / 9783406823091 |
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