Die Blinden Riesen (eBook)
474 Seiten
Dead Soft Verlag
978-3-96089-700-2 (ISBN)
Kapitel 2
Keuchend fuhr Thanis aus dem Schlaf und richtete sich mit einem Ruck auf. Tageslicht drang durch die großen Fenster in eine ihm fremde Wohnung. Er benötigte ein paar Sekunden, um sich zu orientieren. Als Erstes nahm er die Decke wahr, die Crill über ihn gelegt haben musste. Offensichtlich durfte er als Eigentum des Iskaques darauf hoffen, dass er nicht zu frieren brauchte. Und was hatte er obendrein zu erwarten? Schnell flocht Thanis seine Haare zu einem Zopf, damit sie ihm nicht ins Gesicht hingen, und erhob sich. Das weiße Gewand war ihm etwas zu lang und schleifte beim Laufen über den Boden. Vorsichtig näherte er sich der Schlafmulde, wo sein Herr auf dem Rücken lag und leise schnarchte. Nach wie vor trug er seinen silbergrauen Hausmantel, das linke Bein war leicht angewinkelt, das rechte ausgestreckt. Da der Mantel die Knie nicht bedeckte, lagen die schaurigen Narben frei. Mit morbider Faszination beugte sich Thanis über Crills steifes Bein und studierte die unförmige Gliedmaße. Die Knochen mussten regelrecht zertrümmert worden sein. Elloks waren ungemein kräftig, er konnte sich gut vorstellen, was der Klauenhieb angerichtet hatte. Beinahe bekam er Mitleid mit dem Iskaque. Beinahe …
„He! Was treibst du da?“
Als der Schrei ertönte, warf er sich automatisch zur Seite. Seine überanstrengten und schmerzenden Muskeln waren schuld daran, dass er nicht schnell genug entkommen konnte. Ein schwerer Körper landete auf ihm und bemühte sich, ihn zu fixieren. Während er gegen seinen Angreifer ankämpfte, registrierte er nebenbei, dass Crill aus dem Schlaf schreckte.
„Hör auf … dich … zu wehren …“
Thanis’ Faust traf eine weiche Körperstelle, was ein dumpfes Grunzen zur Folge hatte. Schaden richtete er nicht an, da sein Gegner dicke Outdoorkleidung trug.
„Hört auf! Beide!“
Harte Finger krallten sich in sein Haar und knallten seinen Kopf auf den Boden. Zum Glück schlug er auf den gepolsterten Rand der Schlafmulde, sonst wären ihm sicherlich die Lichter ausgegangen.
„Schluss! Ihr sollt aufhören! Thanis! Jerik!“
Ihm brannten die Sicherungen durch, als er begriff, wer da mit ihm rang. Sein Peiniger höchstpersönlich! Endlich hatte er die Gelegenheit, sich an dem Mistkerl zu rächen. Thanis begann ernsthaft zu kämpfen. Er war flink und wendig und obwohl er nicht in Höchstform war, geriet sein Gegner in Schwierigkeiten und wandte nun ebenfalls brutale Gewalt an.
„Verdammt! Hört gefälligst auf!“
Hände bemühten sich, ihn und Jerik auseinanderzuzerren, doch beide schlugen und traten wild um sich. Das war kein findiger Kampf mehr, sondern vielmehr eine Prügelei wie in einem Wirtshaus, wobei Thanis die schlechteren Karten hatte, da Jerik seine Felljacke trug.
„Hey! Ich sag’s nicht …“
Ein Schrei!
Laut!
Gellend!
Crill stürzte halb zwischen und halb auf sie und wand sich in Qualen, wobei er sich das Bein hielt.
Sowohl Thanis als auch Jerik erstarrten.
„Scheiße! Hol seine Spritze! Schnell!“ Der Widerling stieß ihn von sich und zog seinen wimmernden Bruder in die Arme.
„Wo?“, fragte Thanis keuchend, angesichts des hilflosen, schmerzgepeinigten Mannes nur darauf bedacht, zu helfen.
„Dort hinten im Schrank.“
Er sprang auf und rannte durch den Wohnbereich, wobei er auf den Saum des zu langen Gewandes trat und der Länge nach hinschlug.
„Beeil dich, du ungeschickter Trottel!“, brüllte Jerik.
Hastig rappelte er sich auf und riss wenig später den Schrank auf. Dort lagerten etliche vorbereitete Injektionen. Rasch ergriff er eine und eilte zurück, wobei er seine Kleidung dieses Mal gerafft hielt.
„Crill! Crill! Hast du gestern gespritzt?“, fragte Jerik eindringlich.
Sein Herr nickte. Kiefermuskeln und Halssehnen traten deutlich hervor, so sehr biss er die Zähne aufeinander.
„Ich gebe dir drei Einheiten, ja?“ Jerik öffnete den Hausmantel und zog ihn über Crills Schultern, um dessen Oberarm zu entblößen. Ob der Iskaque nickte, bekam Thanis gar nicht mehr mit. Er starrte den verstümmelten Körper an. Der Ellok hatte Crill nicht nur am Bein erwischt. Rote narbige Vertiefungen zogen sich über den ganzen Körper seines Besitzers, wo ihm das Fleisch herausgeschält worden war. Die Krallen hatten ganze Arbeit geleistet.
„Glotz nicht! Drei Einheiten! Direkt in den Muskel“, schnauzte der Scheißkerl ihn an. Thanis beeilte sich, die Nadel in den Arm vor sich zu versenken und das Medikament wie angegeben zu dosieren. Ihm war bewusst, dass er dabei streng überwacht wurde. Ein paar unangenehme Sekunden hockten sie schweigend beieinander, bis sich Crill allmählich entspannte. Das Medikament musste recht heftig sein, wenn es dermaßen schnell wirkte.
„Geht’s?“, fragte Jerik sanft.
„Einer von euch hat mich getreten und ganz mies am Bein erwischt.“ Mühsam versuchte sich Crill aufzurichten und gleichzeitig verschämt den Mantel über sich zu ziehen.
„Es tut mir leid“, sagte Jerik zerknirscht und half seinem Bruder auf die Beine, um ihn zum Sofa zu führen, wo sich der ächzend niederließ. Sein Gesicht war grau und kaltschweißig, das Bein musste wirklich grausam schmerzen. Während Thanis immer noch an der gleichen Stelle stand und Crill anstarrte, stapfte der verhasste Iskaque auf ihn zu. Er registrierte die Annäherung erst richtig, als ihm die Spritze aus der Hand gerissen und er von einer Ohrfeige getroffen wurde, die ihn zu Boden schleuderte. Blutgeschmack breitete sich in seinem Mund aus. Beinahe wäre er aufgesprungen und dem Mistkerl wutsprühend an die Gurgel gegangen. Im letzten Moment bremste er sich und blieb zusammengekauert hocken, denn der Iskaque wirkte, als würde er lediglich auf eine weitere Attacke warten.
„Genau“, knurrte es schaurig über ihm. „Bleib hübsch unten, wo du hingehörst. Und da du dich gerade zu unseren Füßen befindest … Rutsch auf den Knien zu Crill hinüber, bitte ihn um Verzeihung und küss den Saum seines Mantels. Und wehe, es kommt nicht wirklich überzeugend rüber.“
Thanis glaubte, sich zu verhören.
„Jerik …“
„Crill! Lass mich das jetzt übernehmen. Je eher dieser Japhoy begreift, dass er nichts weiter als ein erbärmlicher Sklave ist, desto besser. Willst du einen weiteren Tritt riskieren? Oder womöglich etwas Schlimmeres?“
„Natürlich nicht. Ich …“
„Japhoy!“, zischte der Iskaque. „Ich warte! Wenn du nicht bei drei bei meinem Bruder bist, ertränke ich dich im See!“
Prompt hatte Thanis das kalte schwarze Wasser vor Augen und er fing Crills bittenden Blick ein.
„Eins!“
Dieses Scheusal würde ernst machen. Schließlich hatte er auch seinen Bruder und seine Gefährten umgebracht. Trotzdem weigerte sich alles in ihm, sich dermaßen demütigen zu lassen.
„Zwei!“
Thanis ballte die Hände zu Fäusten.
„Jerik!“
Das war wieder Crill. Mit einem Stöhnen erhob er sich vom Sofa, geriet ins Straucheln und schon gab sein Knie nach. Ohne nachzudenken schoss Thanis in die Höhe und gleichzeitig mit Jerik auf den Schwankenden zu. Gerade noch rechtzeitig konnte er seinen Besitzer stützen, bevor der fiel. Als der Iskaque einigermaßen sicher stand, sank Thanis auf die Knie. Mit den Lippen berührte er den Saum des Hausmantels.
„Ich erbitte deine Vergebung“, wisperte er und fügte hastig: „mein Herr“ hinzu, da er Jerik direkt hinter sich spürte. Crills Hand legte sich kurz auf seine Schulter.
„Ich weiß, dass der Tritt nicht beabsichtigt war. Ich bin mir nicht einmal sicher, wer von euch mich erwischt hat. Wenn du magst, kannst du dich in die Schlafmulde zurückziehen.“
Und ob er mochte. Nahezu fluchtartig eilte er aus Jeriks Reichweite. Er war sich sicher, dass der grimmige Drecksack keine leeren Drohungen ausgesprochen hatte. Doch statt in die Schlafmulde zu steigen, setzte er sich auf das Polster an deren Rand.
„Du bist zu nachsichtig. Der Bursche tötet dich schneller, als ich blinzeln kann. Als ich kam, kauerte er bereits über dir. Er hat sich nicht im Griff“, zischte der Iskaque. Thanis drehte den Brüdern den Rücken zu und rieb sich verstohlen die zahlreichen Blessuren. Er war rundum voller Blutergüsse und Schrammen, die zum Teil bereits von dem Kampf vor zwei Tagen im Eis stammten.
„Du hast ihn mir geschenkt, richtig?“, fragte Crill, die Stimme nach wie vor ein wenig zittrig.
„Ja.“ Die Zustimmung erfolgte widerstrebend.
„Thanis gehört also mir?“
„Hör mir zu! Ich will …“
„Wie üblich nur mein Bestes, ich weiß. Aber halte dich von meinem Sklaven fern. Misch dich nicht in Belange ein, die ihn betreffen. Und hör auf, mich wie ein Küken zu bemuttern.“ Das Letzte schrie sein Herr beinahe.
Dessen Bruder seufzte. „Er hat mich angegriffen, als ich ihn von dir fernhalten wollte.“
„Eine Kurzschlusshandlung. Du hast ihn vergewaltigt, Jerik. Und seinen Bruder getötet. Hätte ich dich auf diese Weise verloren, würde ich genauso handeln. Und du wärst an seiner Stelle ebenso impulsiv gewesen.“
Crill verteidigte ihn? Das war unglaublich. Weit erstaunlicher war, dass er den Zorn seines Bruders beherrschte.
„Lass mich das mit ihm regeln, Jerik.“
Thanis drehte den Kopf ein wenig und schielte zu den Brüdern hinüber. Der Ältere verschränkte aufgewühlt die Arme vor der Brust.
„Jerik, hörst du? Wenn du dich erneut einmischst, werde ich dir den Zutritt zu meinem Haus verwehren.“
Damit hatte Thanis nicht gerechnet. Sollte er zu einem Keil zwischen den Brüdern werden? Kurz...
Erscheint lt. Verlag | 27.8.2024 |
---|---|
Verlagsort | Mettingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction |
Schlagworte | enemies to lovers • Gay Fantasy Romance • gay romance • LGBTQ • Queer Love • schwule liebesgeschichte • Science Fiction |
ISBN-10 | 3-96089-700-6 / 3960897006 |
ISBN-13 | 978-3-96089-700-2 / 9783960897002 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 2,9 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich