Der Richter von Köln (eBook)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
272 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3595-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Richter von Köln - Reinhard Rohn
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Er nennt sich selbst 'der Richter von Köln'. Zuerst tötet er einen türkischen Jungen, der wegen Totschlags vor Gericht stand, dann einen Lehrer, der vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen wurde; das dritte Opfer ist ein junger Italiener. Ganz Köln ist entsetzt und die Polizei machtlos. Bis Kommissar Schiller auf einen verwegenen Plan verfällt. Er will seinen alten Schulfreund Broder als Lockvogel einsetzen. Als dieser spurlos verschwindet, überschlagen sich die Ereignisse ...



Reinhard Rohn wurde 1959 in Osnabrück geboren und ist Schriftsteller, Übersetzer, Lektor und Verlagsleiter. Seit 1999 ist er auch schriftstellerisch tätig und veröffentlichte seinen Debütroman 'Rote Frauen', der ebenfalls bei Aufbau Digital erhältlich ist.

Die Liebe zu seiner Heimatstadt Köln inspirierte ihn zur seiner spannenden Kriminalroman-Reihe über 'Matthias Brasch'. Reinhard Rohn lebt in Berlin und Köln und geht in seiner Freizeit gerne mit seinen beiden Hunden am Rhein spazieren.

 

2


Die ersten Kilometer lief es sich leicht. Der Himmel war bewölkt, zum Glück regnete es nicht, ein nicht zu kalter Oktobertag. Jan Schiller hatte ein Lied im Kopf, einen älteren Song von Snow Patrol. Außerdem hatte er die ganze Zeit Carla vor Augen, wie sie ihn am Morgen verabschiedet hatte. Sie hatte ihn geküsst, ihn liebevoll Marathonmann genannt, und ihre Augen hatten gefunkelt wie schon lange nicht mehr. Er würde ihr einen Heiratsantrag machen, nahm er sich vor, als er durch die Straßen von Köln rannte. Sie würden heiraten und endlich ein Kind bekommen, und er würde weniger arbeiten, und vielleicht würden sie ein Haus kaufen, nicht zu weit draußen, in Nippes, ja, Nippes wäre perfekt, mit einem kleinen Garten und Nachbarn, die einem nicht zu sehr auf die Nerven gingen … und dann vielleicht noch ein Kind …

Die ersten Ermüdungserscheinungen, die sich nicht mehr ignorieren ließen, hatte er in der Roonstraße, Kilometer zweiundzwanzig. Seine Knie begannen zu schmerzen, er wurde langsamer, etliche Läufer zogen leichtfüßig ihm vorbei. Die meisten sahen noch frisch aus, bemerkte Schiller neidisch. Einige trugen sogar Kostüme, als kämen sie soeben vom Karneval und als wäre ein Marathonlauf nicht mehr als ein kleiner Aufgalopp zu größeren Festivitäten.

An der Dürener Straße tauchte plötzlich Therese, die alte Hebamme, auf und rief laut seinen Namen. Sie winkte und lachte über das ganze faltige Gesicht. Neben ihr stand der alte Professor Goldmann, der die Faust ballte und »forza, forza« brüllte, als wäre er ein Italiener. Schiller winkte müde zurück. Er hatte nicht genügend trainiert, und er wurde älter. Vielleicht sollte man mit zweiundvierzig nicht mehr dem Wahnsinn nachhängen und zweiundvierzig Kilometer über knüppelharten Asphalt rennen. Irgendwann registrierte er Schultke von der Kriminaltechnik mit ein paar Kollegen und Brasch, ja, Matthias Brasch. Der ehemalige Hauptkommissar, der sich nun als Privatdetektiv durchschlug, feuerte ihn auch irgendwo an der Strecke an, aber dessen Gesicht verschwamm ihm schon vor Augen.

Ab Kilometer fünfunddreißig wurde es die Hölle. Da war Schiller irgendwo am Hansaring. Immer wieder hob er den Blick und suchte den Dom. Wo war die verdammte Kathedrale? Wenn er am Dom war, hatte er noch einen Kilometer. Diesen Kilometer würde er noch schaffen, aufgeben würde er nicht, wenn er am Dom war, aber bis dahin …

Seine Füße bewegten sich nur noch mechanisch, jeder Schritt auf dem harten Asphalt sandte einen dumpfen Schmerz bis in die Knie hinauf. Er war verrückt. Was wollte er sich da beweisen? Dass er noch nicht zum alten Eisen gehörte? Nein, es war sein siebter Marathonlauf durch Köln – das war Tradition, aber so schwer war es ihm noch nie gefallen.

Er versuchte, den Song von Snow Patrol zurück in seinen Kopf zu zwingen – »Run« hieß das Lied, doch irgendwie ging nichts mehr. Er nahm den heißen Tee von einer Versorgungsstation, sah das mitleidige Gesicht einer jungen Helferin und stürzte die lauwarme Flüssigkeit die Kehle hinunter.

Komm, sagte er sich, komm, Junge, quäl dich!

In seinem Kopf hämmerte es – ein hässliches Wummwumm. Sein Herz, das bis in den letzten Winkel in seinem Schädel dröhnte. Dann drang ein anderes Geräusch in dieses monotone Wummwumm. Ein schriller Klingelton. Er geriet beinahe ins Straucheln, als er versuchte, dieses Geräusch einzuordnen. Der verdammte Dom kam einfach nicht näher, aber immerhin gelang es ihm, zwei Läufer zu überholen. Gut, er hatte seine Schwächephase überwunden. Der schrille Ton aber verstummte nicht. Dann fiel es ihm endlich ein. Sein Smartphone! Er hatte sich das Ding hinten in die schmale Tasche gesteckt. Er zog es hervor. Wahrscheinlich erwartete Carla, dass er bereits kurz vor dem Ziel war, während er Kilometer achtunddreißig entgegentaumelte. Noch vier Kilometer – wie sollte er viertausend Meter hinter sich bringen?

Das Klingeln verstummte nicht. Am liebsten hätte er das Telefon genommen und auf den Boden geschleudert. Verflucht, ja, er war deutlich langsamer als letztes Jahr. Er war noch nicht im Ziel, noch nicht im Ziel …

Keuchend nahm er das Gespräch an.

»Jan«, meinte Birte Jessen, seine Kollegin von der Mordkommission, »sag bloß, du bist noch auf der Strecke?« Sie lachte leise. »Wo bist du? Welcher Kilometer?«

»Siebenunddreißig«, stieß er hervor. »Fast achtunddreißig.«

»Dann lauf mal ein bisschen schneller – wir haben wieder einen Toten. Ein Mann wurde im Parkhaus an der Arena erschossen. Ist ja ganz in deiner Nähe.« Dann unterbrach sie die Verbindung.

Schiller brauchte einen Moment, um zu Atem zu kommen. Das ist nicht ihr Ernst, dachte er. Eher breche ich tot zusammen, als dass ich gleich zu einem Tatort gehe.

Vier Stunden, sieben Minuten – die schlechteste Zeit, die er je gelaufen war. Carla wartete am Ziel auf ihn. Besorgt legte sie ihm eine Jacke über die Schulter.

»Du hast es geschafft«, sagte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

Er brachte es lediglich fertig zu nicken. Was tat ihm eigentlich nicht weh? Er trank das Bier aus. Eigentlich hasste er Bier, aber nach so einem Lauf musste man möglichst schnell seinen Flüssigkeitshaushalt wieder ins Gleichgewicht bringen.

»Wir haben einen zweiten Toten«, sagte er dann und sah, wie Carla ihn forschend anschaute.

»Ja und?«, fragte sie.

»Im Parkhaus an der Arena. Ich muss kurz nach dem Rechten sehen.«

Carla lachte und küsste ihn noch einmal. »Du bist verrückt«, sagte sie, »und du bist bleich wie ein Gespenst.«

Eine halbe Stunde später stakste Schiller durch das Parkhaus an der Kölnarena. Schon an der Einfahrt hatten uniformierte Polizisten alles abgeriegelt. Bert Cremer, der Dritte in ihrem Team, starrte ihn entsetzt an.

»Kein Mitleid«, sagte Schiller und versuchte zu lächeln. »So sehe ich immer nach einem Marathonlauf aus.« Hinter Cremer entdeckte Schiller drei Kriminaltechniker. Schultke, der Chef der Abteilung, und zwei andere waren bereits bei der Arbeit. Zwei große Scheinwerfer leuchteten drei Parkbuchten aus.

Cremer eilte auf Schiller zu und packte ihn am Ellbogen, als wolle er ihn stützen.

»Wir kommen schon zurecht«, erklärte er leise und sah sich um, als wolle er von irgendwoher einen Stuhl organisieren.

»Der Tote wollte offenbar zum Eishockey, er trug jedenfalls einen Schal der Haie um den Hals«, sagte eine helle Frauenstimme. Birte Jessen trat hinter einem Auto hervor. In der Hand hielt sie einen Kaffeebecher, den sie Schiller reichte. »Du siehst aus, als könntest du ein wenig Koffein gebrauchen.«

Schiller lächelte und trank. »Mir geht es schon wieder besser«, sagte er. »Aber ab Kilometer fünfunddreißig war ich wirklich fix und fertig.« Er lehnte sich gegen einen weißen Audi. Seine Knie fühlten sich an, als wären sie porös und würden gleich auseinanderbrechen. Er blickte wieder zu den Technikern hinüber. Dann entdeckte er zwei Beine, die neben einem roten Passat lagen. »Der Tote ist noch da?«

Birte nickte. »Zwei Schüsse in die Brust. Der Mann war sofort tot. Wir haben seinen Pass in seiner Brieftasche gefunden. Er heißt Thorsten Sawatzki, dreiundvierzig Jahre, Lehrer und leider kein Unbekannter.« Sie zog ein Stück Papier aus ihrer hinteren Jeanstasche. Ein Zeitungsausschnitt. »Er stand letzte Woche vor Gericht. Er soll eine Kollegin vergewaltigt haben, wurde aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen. War vor drei Tagen ein großer Artikel im Stadt-Anzeiger.« Birte hielt ihm den Ausschnitt hin. »Freispruch dritter Klasse« lautete die Überschrift. »Trotz begründeter Zweifel an der Unschuld des Angeklagten kam das Gericht nicht zu einer Verurteilung. ›Skandal!‹, rief das dunkelhaarige Opfer, bevor es im Gerichtssaal zusammenbrach.«

Schiller sah Birte an. Sie nickte und steckte den Zeitungsausschnitt wieder ein.

»Ja«, sagte sie dann. »Auch bei dem türkischen Jungen, der vor drei Tagen erschossen wurde, gab es vorher einen Bericht über seine Verhandlung und das milde Urteil. Wenn sich herausstellt, dass es dieselbe Tatwaffe ist –«

»Die Kriminaltechnik soll das als Erstes untersuchen«, unterbrach Schiller sie.

Schultke hatte ihn erspäht und streckte ihm den Daumen entgegen. »Tolle Leistung!«, rief er. Dann...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bestseller 2024 • Köln • Krimi • neuerscheinung 2024 • Regionalkrimi • Ruhrgebiet • Ruhrpott • Thriller
ISBN-10 3-8412-3595-6 / 3841235956
ISBN-13 978-3-8412-3595-4 / 9783841235954
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