John Sinclair 2412 (eBook)
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-6884-9 (ISBN)
Nach meinen grausigen Erlebnissen in Deutschland kehrte ich zwar heim, doch ich blieb nicht lange in London. Der nächste Fall führte mich nach Schottland, auf die Shetland-Inseln, wo ein Mädchenmörder sein Unwesen trieb.
Warum man ausgerechnet mich, den Geisterjäger von Scotland Yard, hinzugezogen hatte? Weil jedem der bisher fünf Opfer ein Stein in die Hände gedrückt worden war, und es handelte sich dabei um besondere Steine, Relikte aus der Kultur der Pikten!
Zugleich schlich eine schaurige, dämonenhafte Gestalt durch die altehrwürdige Kirche Saint Columban auf einer der Inseln. Noch ahnte ich nichts davon. Auch nicht, dass es eine Verbindung zwischen diesem Gespenst und dem Mädchenmörder gab ...
Das Gespenst von
Saint Columban
von Rafael Marques
Gedankenverloren legte Ryan Fraser die Gesangbücher auf die Holzbänke in den hinteren Reihen, als er aus den Augenwinkeln die Bewegung wahrnahm. Um diese Uhrzeit, eine Stunde vor dem sonntäglichen Gottesdienst, waren die Pforten seiner Kirche noch geschlossen. Nur er besaß einen Schlüssel, und da er sicher war, hinter sich abgeschlossen zu haben, hätte er eigentlich allein in den heiligen, altehrwürdigen Hallen von Saint Columban sein sollen.
Der Pater legte das letzte Buch ab und drehte sich um. Eine fremde Person entdeckte er nicht, weder auf den Bänken noch an den Säulen, auf der Treppe zur Orgel oder im Bereich des Altars. Dabei war er sich so sicher gewesen, etwas gesehen zu haben. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, nicht zum ersten Mal in den letzten Wochen. Manchmal kam es ihm vor, als würde ein Gespenst in seinem Gotteshaus umgehen.
Als er sich schon wieder umdrehen wollte, erschien unweit des Altars ein heller Schein. Sofort begann sein Herz zu rasen, er schlug sogar das Kreuzzeichen. Was sich unweit von ihm manifestierte, war eine Lichtgestalt mit den Umrissen eines Menschen ...
Ein Engel!
Dass es sich tatsächlich um ein Himmelswesen handelte, blieb zunächst eine Vermutung des Paters. Schon oft hatte er davon geträumt, einmal einem echten Engel zu begegnen und mit ihm Kontakt aufzunehmen. Zwar glaubte er fest an das, was er predigte, doch die leibhaftige Existenz eines solchen Geschöpfes eröffnete ihm einen völlig neuen Blick auf die Welt.
Wenn er mit seinem Verdacht richtig lag, drängte sich ihm automatisch die Frage auf, warum sich ihm der Engel nicht sofort gezeigt hatte. Immer wieder mal waren ihm rätselhafte Bewegungen in den Augenwinkeln aufgefallen, manchmal in Form eines huschenden Schattens, bei anderen Gelegenheiten war er von einem kalten Hauch getroffen worden. Sollten Sendboten des Himmels nicht eine gewisse Wärme ausstrahlen und sich den Menschen offen zeigen? In einem Gotteshaus gab es keinen Grund für sie, sich zu verstecken.
Die Schritte des Paters hallten als Echos durch das weite Kirchenschiff und wurden an seinen steinernen Wänden entlanggetragen. Seit über hundert Jahren gab es diese Kirche nun schon, das größte katholische Gotteshaus der Shetland-Inseln. Es stand in der Altstadt des Küstenorts Lerwick, unweit des Hafens. Im Vergleich dazu wirkten die dreizehn Jahre, die Ryan Fraser seinen Posten bekleidete, geradezu unbedeutend.
Andererseits nahm er in dieser entlegenen Region Schottlands eine wichtige Rolle ein. Traditionell dominierte im nördlichen Teil Großbritanniens der Presbyterianismus, der von der Church of Scotland verbreitet wurde. Die katholische Kirche blieb deshalb eine Randerscheinung, nur knapp über vier Prozent der Bevölkerung der Inseln bekannten sich zu ihr.
Das alles spielte für den Pater gerade nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidend war, herauszufinden, wer oder was diese Gestalt wirklich war, die sich quasi direkt vor dem Altar aufbaute und deren Umrisse leicht waberten. Das Licht der Morgensonne strich über den Körper, der sich in stetiger Bewegung befand und sich auch veränderte, je näher Ryan Fraser an ihn herankam. Dunkle Fäden begannen sich durch die Erscheinung zu ziehen, die sich rasant ausbreiteten und bald das gesamte Geschöpf in ein schattenhaftes Gebilde verwandelten, das nun das Licht abzustoßen schien, statt es zu produzieren.
»Was bist du?«, fragte der Pater mit brüchiger Stimme. Angst verspürte er dabei nicht, vielmehr war er begierig, die Wahrheit über diese Erscheinung zu erfahren.
Jetzt, da er sich nur noch wenige Meter von der Gestalt entfernt befand, begann er zu frösteln. Inzwischen zweifelte er stark an seinem ersten Gedanken, dass ihm ein Engel erschienen sei. Dieses Wesen war garantiert kein Sendbote des Himmels, der kalte Hauch wies eher darauf hin, dass von ihm eine gewisse, unbestimmbare Gefahr ausging.
Unweit des Gebildes blieb der Pater stehen und wartete ab. Obwohl der Schatten keine Augen hatte, glaubte Ryan, von ihm angestarrt zu werden. Dort, wo sich das Gesicht hätte befinden sollen, zuckte es, als stünde das geisterhafte Wesen unter Strom.
Unwillkürlich wanderte Frasers rechte Hand zu dem goldenen Kreuz, das er offen vor der Brust trug. Dabei handelte es sich um ein Geschenk eines Priesters, der einen großen Einfluss auf ihn ausgeübt und ihn den Weg in den Schoß der Kirche gewiesen hatte. Fraser vertraute auf die Macht seines Talismans, die auch diesem Geschöpf trotzen würde, wenn es auf der anderen Seite des Seins stand.
Ob es ihn gehört hatte, blieb weiterhin ein Rätsel. Es bewegte sich auch nicht, sondern blieb auf der Stelle stehen. Einzig das Gesicht zuckte weiterhin, als würden sich unter der Oberfläche des Schattens dicke Würmer ringeln.
Ryan war versucht, eine Hand nach dem Kopf der Gestalt auszustrecken, wenngleich er sich dafür natürlich viel zu weit weg befand. Er wollte unbedingt wissen, ob es sich bei dem Wesen um ein Gespenst oder ein reales Geschöpf handelte.
Schlagartig begann sich das Gesicht zu verändern. Rot funkelnde Augen erschienen, gleichzeitig war es, als würde ein unsichtbares Messer einen Mund in das zweidimensionale Wesen schneiden, der sich nicht nur öffnete, sondern auch zwei Reihen spitzer Zähne präsentierte. Das Maul wies eine geradezu absurde Größe auf, da es fast die gesamte untere Hälfte des Gesichts einnahm, und eine schwarze Zunge leckte über die Spitzen hinweg.
Ein Dämon!, schoss es dem Pater durch den Kopf. In meine Kirche ist ein Dämon eingedrungen!
Er schlug erneut das Kreuzzeichen und wich zurück, woraufhin sich auch das schattenhafte Wesen in Bewegung setzte. Lautlos huschte es über den Teppich hinweg, jagte auf Ryan Fraser zu ...
... und schlug die Arme in die Brust des Priesters!
Wie lange er auf dem Boden der Kirche gelegen hatte, wusste Ryan Fraser selbst nicht mehr. Er erlangte das Bewusstsein in mehreren Intervallen zurück, in denen er zunächst seine eigenen Atemgeräusche wahrnahm, später auch in der Lage war, sich zur Seite zu rollen, bis es ihm endlich gelang, die Augen zu öffnen.
Noch immer fröstelte er, obwohl dafür kein physischer Grund mehr existierte. Das dämonische Gespenst war verschwunden, und mit ihm war auch die Kälte aus der Kirche gewichen.
Ryan Fraser war davon überzeugt, wieder allein zu sein, und dennoch fühlte er sich weiterhin von einer fremden Macht bedroht. Ihm war es nicht gelungen, das Geschöpf zu stoppen. Im Gegenteil, er war sogar niedergestreckt worden und konnte wohl von Glück reden, noch am Leben zu sein.
Endlich fand er die Kraft, sich aufzurichten. Dem Stand der Sonne nach würde es nicht mehr lange dauern, bis die ersten Gemeindemitglieder zum Gottesdienst eintrafen. Normalerweise hätte er ihnen nun die Pforten aufschließen müssen, nach der Begegnung mit diesem schrecklichen Wesen fühlte er sich jedoch nicht mehr dazu in der Lage, die Messe zu halten. Beinahe war es ihm, als könnte er noch ein leichtes Kribbeln an jenen Stellen spüren, wo die Arme des Schattens in seine Brust gedrungen waren.
War es der Teufel gewesen? Fraser dachte an die rot glühenden Augen des Schattens. War der Erzfeind seines Glaubens in die Kirche eingedrungen, um sie zu einem Hort des Bösen zu machen? Oder war am Ende alles nur ein Traum gewesen?
In all den Jahren, in denen er nun schon die Gottesdienste in Saint Columban abhielt, war ihm etwas Derartiges nie widerfahren. Zudem fiel es ihm schwer zu akzeptieren, dass ein Geschöpf der Hölle in dieses geweihte Haus eindringen konnte, immerhin war dies heiliger Boden. Es hatte ihn auch nicht getötet, nicht einmal verletzt. Er war lediglich geschockt.
»Was war das nur?«, flüsterte er und rieb sich über das angespannte Gesicht.
Was auch immer er gerade erlebt hatte, er musste davon Abstand gewinnen. Frische Luft und ein kleiner Spaziergang würden ihm guttun. Aber vorher musste er den Kirchenbesuchern erklären, dass der Gottesdienst heute ausfallen würde.
Weil er sich nicht wohlfühlte, was ja durchaus der Wahrheit entsprach ...
Böse Zungen könnten über mich, John Sinclair, behaupten, dass ich dem Tod folge. In gewisser Weise stimmt das sicher, denn nur sehr selten nehme ich eine Reise auf mich, an deren Ziel keine Leichen, Vermisste oder sogar direkt dämonische Erscheinungen auf mich warten. Als Geisterjäger von Scotland Yard lerne ich dadurch zwar zahlreiche ferne Länder und nicht nur im übertragenen Sinne magische Orte kennen, ich erlebe sie aber meist von ihrer dunkelsten Seite.
In diesem Fall handelte es sich bei meinem Ziel um eine Wiese neben einem auf einem Hügel gelegenen Friedhof, der sich nahe der Stadt Lerwick erhob. Die bildet mit knapp sechstausend Einwohnern die größte Ansiedlung der Shetland-Inseln, einem von Mythen und nordischen Einflüssen geprägten Winkel Schottlands.
Von meinem Standpunkt aus ließ sich die Landschaft samt den unzähligen, zumeist unbewohnten Inseln recht gut überblicken und dabei auch der raue Charme dieser ganz eigenen Welt spüren, die Jahr für Jahr zahlreiche Touristen in ihren Bann zieht. Mir jedoch war angesichts...
Erscheint lt. Verlag | 28.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Academy • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • e Book • eBook • E-Book • e books • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horrorthriller • Horror-Thriller • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony Ballard • Tony-Ballard • Top • Walking Dead |
ISBN-10 | 3-7517-6884-X / 375176884X |
ISBN-13 | 978-3-7517-6884-9 / 9783751768849 |
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Größe: 2,7 MB
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