Vor ihr der Abgrund (eBook)
475 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-23547-3 (ISBN)
Mela Storm wurde 1970 in Hamburg geboren und begeisterte sich schon von Kindesbeinen an für das Schreiben. Ihr Lebensmittelpunkt liegt seit 2003 in Elmshorn, wo sie als Erzieherin in der Kindertagespflege arbeitet. Nach einigen Veröffentlichungen von Kurzgeschichten unter anderem Namen hat sie sich endlich getraut, ihren großen Traum des ersten Buches zu verwirklichen.
Mela Storm wurde 1970 in Hamburg geboren und begeisterte sich schon von Kindesbeinen an für das Schreiben. Ihr Lebensmittelpunkt liegt seit 2003 in Elmshorn, wo sie als Erzieherin in der Kindertagespflege arbeitet. Nach einigen Veröffentlichungen von Kurzgeschichten unter anderem Namen hat sie sich endlich getraut, ihren großen Traum des ersten Buches zu verwirklichen.
- 2. Kapitel
Rosa stöhnte. Sie richtete sich auf und massierte mit beiden Händen ihren unteren Rücken. Es war an der Zeit, dass Horst kam und ihr den Spiegel, an dem sie arbeiten wollte, auf den Bock wuchtete. Sie war mit Anfang sechzig nicht mehr fit genug, um ihn allein in die richtige Position zu bringen. Die Restaurierung sehr alter Spiegel oder die Bearbeitung moderner Spiegel, die sie historisch herrichtete, war nicht nur ihr Beruf, sondern auch ihre Leidenschaft. Seit etwa 30 Jahren liebte sie nun schon alles, was mit Spiegeln zu tun hatte. Sie sammelte nicht nur besonders interessante Stücke, sondern auch Filme, Geschichten und Gedichte rund um das Thema. Zudem stellte sie von ihr bearbeitete Spiegel in einer Galerie aus.
Die Firma „Spieglein, Spieglein“, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Horst betrieb, existierte nunmehr seit fast 30 Jahren. Sie hatten sich im Laufe der Zeit einen guten Namen gemacht und bekamen daher immer genug Aufträge – teilweise sogar aus ganz Europa –, um gut davon leben zu können. Rosa restaurierte ausschließlich und war froh, dass Horst sich dafür um den ganzen Bürokram kümmerte. Sie war einfach nicht für Versand, Zahlen und Kundenkontakt geschaffen. Zudem arbeitete Jonas nun schon über zehn Jahre als Restaurator für sie. Sie konnten ihm zwar kein sehr hohes Gehalt zahlen, doch er hatte ihnen schon oft gesagt, dass er seine Arbeitsstelle sehr schätze. Er fühle sich sehr wohl, denn Rosa und Horst würden ihn so herzlich behandeln, als wäre er ihr eigener Sohn.
Jetzt, Ende Juli zu Beginn der Sommerferien, hatte Rosa endlich mehr Zeit für ihre persönliche Spiegelkunst. Wie üblich hatten sie in diesem Zeitraum weniger Aufträge abzuarbeiten. Zudem war heute Samstag. Die wenigen Spiegel, die gerade in Arbeit waren, hatten noch bis Anfang der Woche Zeit.
Der Spiegel, der nun in ihrer Werkstatt stand, war einfach fantastisch. Als leidenschaftliche Sammlerin ging sie fast jedes Wochenende über antike Flohmärkte und am letzten Sonntag hatte sie auf einem Markt dieses Prachtexemplar gefunden. Sofort hatte sie gesehen, dass es sich um einen antiken Barockspiegel handelte. So ein Stück wurde unter Kennern mit mindestens fünfhundert Euro gehandelt. Das wusste natürlich auch der Händler, doch sie hatte ihn auf vierhundertzwanzig Euro heruntergehandelt und den Markt mit sehr viel Stolz und Freude verlassen. Bereits während sie mit Horst zum Auto gegangen war, hatte sie in Gedanken die beschädigte Metallschicht des Spiegels sorgfältig abgetragen, um ihn dann mit Silbernitrat neu zu belegen, ganz nach der traditionellen Art.
Jetzt konnte Rosa sich endlich an die Arbeit machen, denn Horst hatte ihr den Spiegel inzwischen auf den Bock gelegt. Glücklich begann sie mit den ersten Schritten und schnalzte dabei konzentriert mit ihrer Zunge, ein Tick, der Horst nunmehr seit fast vierzig Jahren nervte. Im Radio lief der Oldiesender, und sie summte zu ihren Lieblingsliedern mit, als ihr Mann plötzlich neben ihr stand.
„Liebes …“
Horst legte ihr vorsichtig beide Hände von hinten auf ihre Schultern, und vor Schreck sprang sie zur Seite. Sie hatte ihn nicht kommen hören, so vertieft war sie.
„Huch, mein Lieber, du schaffst es immer wieder, mich in Aufregung zu versetzen.“
Beide lachten und Rosa drückte Horst einen zärtlichen Kuss auf seine Wange.
„Na, das sieht ja schon gut aus“, lobte er ihre Arbeit.
Rosa lächelte und machte sich weiter an ihrem Werk zu schaffen.
„Warum bist du hier?“, murmelte sie, schon wieder vollkommen vertieft.
„Ich wollte dich nicht stören, aber wir haben gestern Mittag einen Spiegel hereinbekommen, der noch dringend repariert werden muss. Habe ich ganz vergessen, dir zu sagen. Eigentlich wollte Jonas das gestern Nachmittag noch machen. Es ist ein Eilauftrag, der Spiegel sollte bestenfalls noch heute raus.“
„Och, nein, und das am Wochenende?“, fragte Rosa enttäuscht.
„So ein Pech, dass Jonas krankgeworden ist. Reicht nicht auch Montag?“
Horst lachte. „Rosa, mein Liebes, der Auftraggeber bezahlt das Doppelte von unserem üblichen Preis, wenn er noch am Wochenende repariert und verschickt wird.
Rosa stutzte und unterbrach ihr Tun. Ein Leuchten ging über ihr Gesicht. „Oh, so ein guter Auftrag? Doppeltes Honorar? Ein bisschen mehr Geld könnten wir für unsere Rubinhochzeitsfeier gut gebrauchen.“ Sie lachte ihn versöhnt an.
„Ja, ich dachte mir, dass du das sagen würdest“, schmunzelte Horst. „Dann bring ich dir mal das gute Stück.“
Er verließ die Halle, hob den Spiegel von der Ladefläche ihres roten Pickups und trug ihn hinein. Er legte ihn auf die große Werkbank gegenüber der Stelle, an der sie gerade gearbeitet hatte.
Interessiert trat sie hinzu, betrachtete den Auftrag und schnalzte begeistert mit der Zunge.
„Was für ein schönes Stück, Frankreich, etwa 18. Jahrhundert würde ich sagen, vergoldeter Rahmen mit Stuckverzierungen. Etwa einen Meter sechzig hoch und siebzig Zentimeter breit, wunderschön! Der Besitzer muss glücklich sein.“
Horst zeigte auf die Spiegelfläche, über die sich in der rechten unteren Hälfte ein etwa dreißig Zentimeter langer Riss zog, der sich in die Ecke hinein in viele kleine Risse verzweigte.
„Darüber ist der Besitzer wohl nicht so glücklich“, stellte er sachlich fest.
Konzentriert las Horst den Auftragszettel, der an dem Spiegel mit Tesafilm befestigt war. Dann sah er Rosa stirnrunzelnd an. „Der Auftrag lautet, den Riss zu kaschieren, in eine neue Spiegelscheibe möchte der Besitzer nicht investieren.“
„Dann hoffe ich, dass dem Besitzer klar ist, dass der Bruch immer etwas sichtbar bleiben wird“, bemerkte Rosa nachdenklich.
„Wir richten uns nach dem Auftrag“, erwiderte Horst und wandte sich Richtung Ausgang.
Noch während er hinausging, suchte Rosa sich das benötigte Werkzeug zusammen. Dann machte sie sich ans Werk.
***
Schweigend wanderten sie hintereinander her, oberhalb der Kreidefelsen auf Rügen.
„Lass uns doch mal zum Strand hinunterklettern. Von da aus hätten wir einen tollen Blick auf die Felsformationen“, rief Christine Ralf zu.
„Von hier oben ist die Aussicht doch aber auch schön“, brummte er und seufzte.
Sofort spürte sie eine für sie typische körperliche Reaktion auf seine abweisende Antwort. Ihr war, als schnürte sich ihr Hals zu, so dass ihr das Schlucken schwerfiel. Dazu kam dieses dumpfe Gefühl, das sich in ihrer Brust breit machte. Christine wünschte sich, dass sie cool bleiben könnte, und versuchte diese körperlichen Symptome zu unterdrücken, doch es war ihr nicht möglich. Im Prinzip war es egal, was sie ihm vorschlug, da er seit ein paar Tagen grundsätzlich mit Ablehnung reagierte. Oder konnte sie einfach nichts anderes mehr wahrnehmen?
Als sie mit Stefan und seinen Kindern gegrillt hatten, hatte sie allerdings einen offenen, redseligen Ralf erlebt. Fast war er wieder so, wie sie ihn von früher kannte, als es noch keine Probleme zwischen ihnen gegeben hatte. Zugegeben war der Abend sehr nett verlaufen, und Christine hatte sich sogar etwas entspannen können. Der Rotwein hatte sie etwas lockerer werden lassen und das ein oder andere Mal hatte sie sich sogar bei einem Lächeln ertappt. Die Anwesenheit der Tochter Stefans hatte ihr gar nicht so viel ausgemacht, wie sie es sich vorher ausgemalt hatte. Im Gegenteil, es war sogar sehr auflockernd gewesen, seine Kinder dabei gehabt zu haben. Besonders Jona hatte durch seine kindliche Offenheit und neugierigen Fragen dazu beigetragen.
In dieser lockeren Atmosphäre hatte Ralf Stefan von der Kreideküste Rügens erzählt, und dieser war sehr begeistert gewesen. So war die Idee entstanden, dass Stefan mit seinen Kindern ein Stück mit ihnen reisen würde. Eigentlich hatte Christine diese Idee gut gefunden, und sie hatten Stefan und seine Kinder in der knappen Woche, bis sie auf Rügen angekommen waren, recht gut kennengelernt. Es war schön, an Ralf auch diese alte Seite zu sehen, von der sie gedacht hätte, dass er sie verloren hätte.
Doch in ihrer Gegenwart war er weiterhin verschlossen und mürrisch, was sie sehr traurig machte. Sie hatte sich in den letzten Tagen wirklich Mühe gegeben. Heute Morgen hatte sie spontan diese Wanderung zu zweit vorgeschlagen, in der Hoffnung, ihm vielleicht doch etwas näherzukommen. Aber es schien nicht möglich zu sein. Es fühlte sich an, als ob eine Mauer zwischen ihnen stünde, die immer mit dabei war, egal was sie taten.
Christine wischte ihre schweißnassen Hände an ihrer schwarzen Jeans ab und wanderte weiter hinter ihm her.
„Lass uns doch mal schauen, ob hier irgendwo eine Treppe kommt, um abzusteigen. Ich habe gelesen, dass es zwischen Sassnitz und Lohme noch eine geben soll“, versuchte sie es nach ein paar Minuten erneut.
Ralf blieb abrupt stehen und wandte sich zu ihr um, so dass sie fast gegen ihn lief.
„Natürlich, mein Schatz! Schön, dass du nach langer Zeit endlich mal wieder Engagement zeigst.“
Ihr sträubten sich die Nackenhaare aufgrund des Sarkasmus, von dem seine Stimme nur so troff.
„Ich mache doch immer gerne das, was du möchtest“, fügte er hinzu, grinste und sah sie direkt an. Sein Verhalten kam ihr äußerst provokant vor.
Fassungslos starrte sie in sein Gesicht. Sie konnte nicht verstehen, warum er sich ihr gegenüber so ablehnend verhielt. In den letzten Tagen hatte sich die Stimmung zwischen ihnen wesentlich verschlechtert statt verbessert, wie sie es sich erhofft hatte. Immer noch blieben die Gefühle, die sie beide beschäftigten,...
Erscheint lt. Verlag | 21.5.2024 |
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Mitarbeit |
Cover Design: Jarie Santaella Sonstige Mitarbeit: Amelie Hanke, Erik Kinting |
Verlagsort | Ahrensburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Schlagworte | Allein • Angst • finden • Gefangen • Hoffnung • Liebe • Paar • Schuld • Teenager • Trauer |
ISBN-10 | 3-384-23547-9 / 3384235479 |
ISBN-13 | 978-3-384-23547-3 / 9783384235473 |
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Größe: 421 KB
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