Mauern und Lügen (eBook)
416 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02039-9 (ISBN)
Ralf Langroth ist das Pseudonym eines Autors mit Übersetzungen in fünfzehn Sprachen. Fünf seiner Bücher sind für eine Verfilmung optioniert, darunter der erste Gerber-Band 'Die Akte Adenauer'. In den Romanen um den BKA-Mann Philipp Gerber und die Journalistin Eva Herden verbindet Langroth seine beiden Stärken, die genaue Recherche und das Erzeugen hoher Spannung. Mit dem Auserzählen historischer Leerstellen präsentiert der Autor atmosphärische und packende zeitgeschichtliche Spionagethriller aus den jungen Jahren der BRD.
Ralf Langroth ist das Pseudonym eines Autors mit Übersetzungen in fünfzehn Sprachen. Fünf seiner Bücher sind für eine Verfilmung optioniert, darunter der erste Gerber-Band "Die Akte Adenauer". In den Romanen um den BKA-Mann Philipp Gerber und die Journalistin Eva Herden verbindet Langroth seine beiden Stärken, die genaue Recherche und das Erzeugen hoher Spannung. Mit dem Auserzählen historischer Leerstellen präsentiert der Autor atmosphärische und packende zeitgeschichtliche Spionagethriller aus den jungen Jahren der BRD.
// Prolog //
Berlin. Dienstag, 14. August 1945
Werwölfe! Wo mochten sie stecken?
Aus seinem Versteck, einer zerbombten Mietskaserne, glitt sein Blick über die Häuser zu beiden Seiten der Straße. Oder was von ihnen übrig war. Oft nur noch Ruinen, zerbombt, ausgebrannt, ausgeschlachtet von den Überlebenden in ihrem verzweifelten Kampf um die nackte Existenz.
Philipp Gerber schob den Stahlhelm in den Nacken und strich mit dem Ärmel seiner Uniform über seine schweißnasse Stirn. Nicht die Jagd auf die Werwölfe, die er seit Jims Tod mit Verbissenheit durchführte, trieb ihm den Schweiß auf die Stirn, sondern dieser verflucht heiße August.
Ganz Berlin stank nach Kadavern, nach erschossenen, erschlagenen, von Granaten zerrissenen Menschenleibern, die zu nichts weiter gut waren als dazu, den herrenlos gewordenen Hunden als Fraß zu dienen. Sie lagen offen herum in verödeten Gärten, auf verdorrten Wiesen, und sie verrotteten zuhauf unter den Trümmerbergen. Vielleicht, ging es Gerber durch den Kopf, gab es in der Stadt mehr Tote als Lebende.
Als gäbe es nicht schon genug Verwüstung, waren die Verblendeten, die sich Werwölfe nannten, in der Ruinenstadt unterwegs, die einmal das Herz von Hitlers Reich gewesen war. Allein der Gedanke an sie brachte Gerbers Blut in Wallung, und er musste sich zwingen, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Vor vier Monaten hatten sie Jim erwischt. Zwei Eierhandgranaten hatten seinen Freund getötet, als sie einen Trupp Werwölfe gejagt hatten. Gerber hatte ihn noch aus dem unterirdischen Versteck der Nazibestien gezogen, um ihn ins nächste Lazarett zu bringen, aber einen Toten konnte man nicht mehr retten.
Manche bezeichneten die Werwölfe als Opfer, nicht als Täter. Opfer der Nazipropaganda, die den jungen Deutschen eingeimpft hatte, für ihren wahnsinnigen Traum vom arischen Weltreich bis zum Äußersten zu kämpfen. Nicht viele waren diesem Aufruf zu letzten Gräueltaten gefolgt, aber jeder Einzelne war eine Gefahr. Menschen, die glaubten, sie hätten nichts mehr zu verlieren, waren immer eine Gefahr. Terrorisieren und Töten, das war ihr Ziel. Sie wussten genau, was sie taten, und deshalb waren sie für Gerber Täter, keine Opfer.
Er durfte sich nicht beschweren, schließlich war er selbst bei Major Anderson vorstellig geworden und hatte seinen Vorgesetzten darum gebeten, ihn nach Berlin zu schicken. Der Hinweis eines Waffenschmugglers hatte das CIC auf die Spur der Berliner Werwölfe gebracht. Anderson, der mit Gerbers Kameraden Jim seinen Sohn verloren hatte, hatte ihm diesen Wunsch gern erfüllt. Der Major wusste, dass Gerber noch eine Rechnung offen hatte.
Die Einheit unter seinem Befehl bestand aus sechzehn Soldaten und einem blutjungen Second Lieutenant, Tom Novak, der ihm als Ersatz für Jim Anderson zugeteilt worden war. Natürlich konnte niemand Jim ersetzen, aber Gerber hatte beschlossen, Novak eine Chance zu geben.
Ein offener Jeep, auf dessen Motorhaube der weiße Stern im weißen Kreis prangte, brauste heran und umfuhr die Trümmer auf der Straße mit traumwandlerischer Sicherheit. Gerber griff nach der Thompson-Maschinenpistole, die vor ihm auf einer halb zersplitterten Kommode lag, und spähte durch eins der Fenster, in denen schon seit Monaten keine Scheiben mehr saßen, angestrengt auf die Straße. Wie er hielten auch seine Männer ihre Maschinenpistolen und Sturmgewehre schussbereit. Nicht weit vom Versteck der CIC-Einheit entfernt bremste der Fahrer ab, und seine Passagiere stiegen aus dem Wagen: drei amerikanische Offiziere. Sie riefen dem Mann am Steuer noch etwas zu und verschwanden zwischen den Trümmern auf der anderen Straßenseite, während der Jeep davonfuhr.
Nichts war geschehen, und die CIC-Männer entspannten sich wieder. Der vermeintliche Trümmerhaufen auf der anderen Straßenseite war der Eingang zur Flotten Ilse. So hieß das Kellerlokal, das sich bei den Amerikanern großer Beliebtheit erfreute. Für die Sieger war die Stadt der Trümmer und der Toten ein Paradies, in dem sie alles kriegen konnten, was das Herz begehrte. Für Dollars und Whiskey, für Zigaretten und Schokolade taten die überlebenden Deutschen alles, wirklich alles.
Lieutenant Novak huschte zu Gerber und ging neben ihm in Deckung, die Maschinenpistole in beiden Händen. «Fehlanzeige, Sir. Wie sicher ist es, dass die verfluchten Werwölfe bei der Flotten Ilse etwas vorhaben?»
«Das kann ich nicht sagen, Tom. Es ist der einzige Hinweis, den wir haben, also halten wir uns dran.»
«Ich meine ja nur, weil wir schon den vierten Abend hier auf der Lauer liegen. Die Männer werden allmählich unruhig und langweilen sich.»
«Was ihr gutes Recht ist, solange sie sich nicht dazu hinreißen lassen, aus Langeweile Mundharmonika zu spielen oder Songs von den Andrew Sisters zu singen. Dann wird sie ihre Langeweile vors Kriegsgericht bringen.»
«Gut, Sir, genau das werde ich ihnen sagen.»
Als Novak zurück zu seinem Trupp schlich, stieß der vierschrötige Sergeant McDuff, der neben Gerber lag, ein Grunzen aus. «Dem Ersten, der die Mundharmonika rausholt, breche ich die Finger, Sir.»
«Aber nicht die der Schusshand, Mac.»
Der Sergeant grinste. «Natürlich, Sir.»
Die Sonne tauchte hinter den Schutthaufen unter, als sei sie es leid, sich die Steinwüste zu betrachten. Die Straße vor ihnen lag bereits in tiefen Schatten. Ein dreiachsiger Lastwagen rumpelte die Straße entlang und hielt vor dem Kellerlokal.
Gerber sah die britische Kennung, und fünf Männer in britischen Uniformen sprangen heraus, bevor der Laster weiterfuhr. Sie verschwanden ebenso schnell im Eingang zur Flotten Ilse wie zuvor die Amerikaner.
«Der Schuppen ist bei allen beliebt, das muss man ihm lassen», flüsterte McDuff. «Bin gespannt, wann die ersten Froschfresser hier auftauchen.»
Der nächste Wagen, der das Lokal ansteuerte, war wieder ein amerikanischer Jeep. Nur zwei Männer saßen in dem offenen Wagen, und beide trugen Militärmützen. Der Mann auf dem Beifahrersitz kletterte etwas umständlich heraus.
Kaum stand er neben dem Wagen, da kam Bewegung in die Trümmerlandschaft. Dunkle Gestalten, bis gerade noch mit den Schatten verschmolzen, erhoben sich und streiften die Planen ab, mit denen sie sich so getarnt hatten, dass sie mit den Geröllhaufen eins geworden waren. Für Gerber sah es aus, als hätten sich die Toten aus dem Schutt erhoben.
Aber sie waren höchst lebendig, schwer bewaffnet und richteten ihre Waffen auf die beiden Neuankömmlinge. Denen blieb nichts anderes übrig, als überrascht die Hände zu heben.
Gerber zögerte keine Sekunde. Er brüllte den Angriffsbefehl, und die CIC-Männer stürmten aus ihrem Versteck.
Während er in geduckter Haltung auf die Straße lief, rief er den Werwölfen auf Deutsch zu: «Waffen fallen lassen und Hände hoch!»
Die Nazis, vier an der Zahl, hatten nicht vor, der Aufforderung zu folgen. Sie wirbelten herum und eröffneten das Feuer auf die CIC-Männer. Die waren schneller und in der Überzahl. Gerbers Feuerstoß traf einen jungen Mann in einer Tarnjacke, der gerade eine Stielhandgranate werfen wollte. Der Getroffene stolperte rückwärts, und die Granate in seiner Hand riss ihn in Stücke.
Die Explosion blendete Gerber für einen Moment, aber aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr: ein Schatten, der sich hastig entfernte, um mit der Ruinenlandschaft zu verschmelzen. Ein fünfter Werwolf!
Augenblicklich nahm Gerber die Verfolgung auf, und McDuff schloss sich ihm an.
«Was haben Sie gesehen, Sir?», fragte der Sergeant keuchend, als er Gerber einholte.
«Noch einen von der Bande.»
Sie hasteten, stolperten, kletterten durch die Trümmerlandschaft.
«Teilen wir uns auf», sagte Gerber im Flüsterton zu seinem Begleiter. «Sie nach links, ich nach rechts!»
«Ja, Sir. Seien Sie vorsichtig!»
Der Sergeant entfernte sich von Gerber, stapfte durch die Überreste eines turmartigen Gebäudes und verschwand aus seinem Blickfeld.
Auch Gerber arbeitete sich voran und wollte fast daran glauben, dass er sich den Schatten nur eingebildet hatte. Da nahm er wieder eine Bewegung wahr.
Er wischte sich mit dem Rücken der linken Hand über die Augen und nahm die Verfolgung auf, darum bemüht, möglichst leise zu sein. Vielleicht konnte er den Flüchtenden überraschen. Um ihn nicht zu warnen, unterließ Gerber es, nach McDuff zu rufen.
Ein kaum beschädigtes Haus, drei Stockwerke hoch, reckte sich vor ihm trotzig aus der Wüstenei. Der Schatten wollte es auf der linken Seite umrunden. Gerber wählte die rechte Seite und beschleunigte seine Schritte.
In geduckter Haltung lief er um das Haus, die Thompson feuerbereit in den Händen. Als er die Rückseite des Gebäudes erreichte, bog der Mann gerade um die Ecke: kaum älter als fünfzehn, spindeldürr, mit struppigen rotblonden Haaren und jeder Menge Sommersprossen in seinem sonst blassen Kindergesicht. Gerber las in seinen Zügen die nackte Panik. Den Wehrmachtskarabiner in seinen Händen schien er nur zu benutzen, um sich daran festzuhalten. Jedenfalls traf er keine Anstalten, die Waffe auf Gerber zu richten.
Der Junge blieb zitternd stehen, die weit aufgerissenen Augen auf Gerber gerichtet. Er rührte sich nicht und brachte keinen Ton heraus.
Gerber grinste ihn böse an und sagte auf Deutsch: «Klappe zu, Affe tot, wie man beim Zirkus sagt. Du hast gerade deine letzte Vorstellung gegeben.»
Die Lippen des anderen öffneten sich, und er stammelte mit leiser, unsicherer Stimme: «Sie … Sie sind …...
Erscheint lt. Verlag | 13.8.2024 |
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Reihe/Serie | Die Philipp-Gerber-Romane |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 60er Jahre • Adenauer • Agententhriller • Babylon Berlin • Berlin • BKA • BND • Bonn • Bundesrepublik Deutschland • deutsche Nachkriegszeit • Deutscher Thriller • Eva Herden • Geheimdienst • Historischer Thriller • Justizthriller • Kalter Krieg • Kommunismus • Krimineuerscheinungen 2024 • Mauer • Mauerbau • Organisation Gehlen • Ost-West • Ost-West-Politik • Philipp Gerber • Politthriller • Reinhard Gehlen • spannende Bücher • spannende Thriller • spiegel bestseller • Spionageroman • Thrillerneuerscheinungen 2024 • Thrillerreihe • Thrillerserie • Zeitgeschichtlicher Kriminalroman |
ISBN-10 | 3-644-02039-6 / 3644020396 |
ISBN-13 | 978-3-644-02039-9 / 9783644020399 |
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