Die Geheimnisse von Hill House (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
464 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-32185-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Geheimnisse von Hill House -  Elizabeth Hand
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Willkommen in Hill House - eure schlimmsten Ängste erwarten euch bereits ...
Die meisten alten Häuser schlafen, und fast alle träumen. Doch Hill House schläft nicht und träumt nicht. Hill House wartet ...
Hill House ist der perfekte Ort für ihr Projekt, davon ist Holly Sherwin überzeugt. Das Herrenhaus, hoch in den Wäldern von Upstate New York, soll für einige Wochen ihr Zuhause werden. Hier will die Autorin zusammen mit drei weiteren Künstlern ihr Theaterstück über einen Hexenprozess proben, das ihr den Durchbruch bringen soll. Sie fragt sich nicht, warum die Besitzerin selbst sich von ihrem Anwesen fernhält, oder weshalb das Paar, das hier nach dem Rechten sieht, nie über Nacht bleibt. Holly weiß, dass die Atmosphäre von Hill House sie inspirieren wird. Bei den Proben ist die Energie mit Händen zu greifen. Oder ist hier noch etwas anderes am Werk? Woher kommen die Blutflecke auf dem Tischtuch, die seltsamen Stimmen? Die schwarzen Hasen, die immer wieder auftauchen? Etwas Unheimliches geht vor in Hill House ...
»Eine zeitlos unheimliche Geschichte - der Stoff, aus dem Albträume sind.« Kirkus Reviews

Elizabeth Hand, geboren in New York, ist die Autorin von über fünfzehn Romanen und Kurzgeschichtensammlungen. Sie wurde u.a. mehrfach mit dem Shirley Jackson Award, dem World Fantasy Award und dem Nebula Award ausgezeichnet. Ihre Literaturkritiken und Essays erscheinen u.a. in der Washington Post, der Los Angeles Times und der Village Voice, dem Boston Review oder der Zeitschrift Salon. Sie lebt in Maine und London.

KAPITEL 1


Als ich in der Ferienwohnung aufbrach, reckte die Sonne gerade ihren Kopf über die nahe gelegenen Berge, und goldenes Licht fiel auf das breite Stück des Flusses, das an dem kleinen Städtchen entlangfloss. Nisa lag noch zusammengerollt im warmen Bett und atmete gleichmäßig, ihre dunklen Locken klebten an ihrer Wange. Ich schob sie zur Seite, doch sie regte sich nicht. Nisa schlief wie ein Kind. Anders als ich litt sie nie unter Albträumen oder Schlaflosigkeit. Es würde vermutlich noch eine oder zwei Stunden dauern, bis sie aufwachte. Vielleicht noch länger. Wahrscheinlich.

Ich küsste ihre Wange, atmete ihren Duft ein – ein Flieder-und-Freesien-Parfum, das sich mit meinem importierten Jasmin et Tabac vermischte, fast der einzige Luxus, den ich mir gönnte – und streichelte mit der Hand über ihre nackte Schulter. Ich war verlockt, zu ihr zurück ins Bett zu kriechen, doch ich verspürte zugleich eine merkwürdige Rastlosigkeit, das bohrende Gefühl, dringend irgendwo sein zu müssen. Ich musste nirgendwo hin – wir kannten hier niemanden außer Theresa und Giorgio, und die beiden würden gerade in ihrem Homeoffice mit Blick auf den Fluss arbeiten.

Ich küsste Nisa noch einmal: Falls sie aufwachte, würde ich das als Zeichen betrachten und bleiben. Doch sie wachte nicht auf.

Ich kritzelte eine Nachricht auf ein Stück Papier – Nisa vergaß oft, ihre Mitteilungen stummzuschalten, und sie würde den ganzen Morgen schlecht gelaunt sein, wenn sie von einer Textnachricht geweckt würde.

Fahre ein bisschen herum, bringe was zu essen mit. Ich liebe dich.

Ich zog mich hastig an, angetrieben von einer gewissen Vorahnung, die ich nicht erklären konnte. Vielleicht lag es daran, dass wir an einem neuen Ort waren und nach so langer Zeit einmal raus aus New York City.

Am Abend zuvor hatten wir in unserer Ferienwohnung eine Flasche Champagner geleert, und das nach Bier und einigen Gläsern zwölfjährigem Jura in der Bar, die Theresa als die beste in diesem Teil von Upstate New York empfohlen hatte. Auch die Ferienwohnung war Theresas Idee gewesen. Sie und ihr Mann, Giorgio, hatten sich hier vor Jahren eine zweite Wohnung gekauft, doch während der Pandemie hatten sie ihr Apartment in Queens aufgegeben und waren dauerhaft hergezogen. Seitdem bearbeiteten sie mich und Nisa und ihre anderen Freunde, die noch in der City lebten, das Gleiche zu tun.

»Im Ernst, Hols, du wirst es lieben«, hatte mich Theresa am Abend zuvor bedrängt. »Ihr hättet das schon vor Jahren machen sollen, das ist euch klar, oder?«

»Klar«, hatte Nisa geantwortet. Sie war sich sicher, dass Theresa und Giorgio vor Langeweile durchdrehten, was vermutlich auch stimmte. Sie kamen mindestens ein- oder zweimal im Monat in die Stadt und übernachteten auf jemandes Sofa, weil sogar für sie Kurzzeitmieten zu teuer geworden waren und sie ihre eigene wunderbare Dreizimmerwohnung in Sunnyside untervermietet hatten. »Und ich hätte mir einen Vater suchen sollen, der mir eine Million Dollar vermacht, nachdem sein Ultraleichtflieger beim letzten Flug über Torrey Pines abgestürzt ist. Wieso bin ich da nicht draufgekommen?«

Nisa griff sich an die Stirn. Theresa lächelte reumütig, machte eine Touché-Geste und bestellte eine weitere Runde für uns alle. Sie und ihr Vater hatten schon lange keinen Kontakt mehr gehabt. Das Erbe war eine Überraschung gewesen, und sie ging großzügig damit um.

Trotzdem hatte Theresa nicht unrecht. Es war wirklich schön hier oben. Die sich windende Fahrt am Fluss entlang, wenn das zersiedelte Stadtgebiet von New York City in die vorgelagerten Orte überging – Apfelplantagen, zu Solarparks umgewandelte Weiden und Lagerhäuser, all die noch nicht gentrifizierten, zwielichtig aussehenden Städtchen am Fluss, verschandelt durch Industriebrachen und jahrzehntelange Armut. Nisa und ich waren an unzähligen »Vom Eigentümer zu verkaufen«-Schildern vorbeigefahren, vor Häusern aufgestellt, die zu heruntergekommen aussahen, als dass sich noch etwas anderes als ein Abriss gelohnt hätte. Und man hätte immer noch den Boden austauschen müssen, der durch Abwässer aus der industriellen Landwirtschaft und aus Fabriken verseucht war, die schon vor einem halben Jahrhundert dichtgemacht hatten.

Doch nach einigen Stunden waren wir für die lange Fahrt mit solchen schmucken Dörfern wie diesem belohnt worden. Kleinen Städtchen, die schon längst von selbst ernannten Künstlern und Kunsthandwerkern kolonialisiert worden waren, die in Wirklichkeit bloß reich genug waren, um der Stadt zu entkommen und sich zu nennen, wie auch immer sie wollten. Craftbeer-Brauer, Textildesigner, Glaskünstler mit Spezialgebiet maßgeschneiderte Bongs und Yoga-Accessoires wie Nasenspülkännchen. Chiropraktiker für Hunde. Steinmetze, die einen Hunderte Jahre alten Feldsteinkamin abrissen, jeden einzelnen Stein nummerierten, um ihn dann, Stück für Stück, einen Raum weiter wiederaufzubauen. Leute, die seltene Schnäpse aus Sonnenhut und Schwarzwurz destillierten oder Sirup aus Zirbelkiefernadeln machten oder komplizierte Ringe und Broschen aus deinem eigenen Haar und dafür so viel Geld verlangten, wie ich als Lehrerin in einem Monat verdiente. In einem sehr guten Monat.

Ich versuchte, nicht daran zu denken, als ich mit meinem alten Toyota Camry die Main Street entlangrollte und den Hals reckte, um zu sehen, ob das Café schon geöffnet hatte. Nisa und ich hatten am Tag zuvor mit dem Besitzer geredet – er kam ebenfalls aus Queens. Er war erst seit sechs Monaten hier, doch er sagte uns, es stünden jeden Morgen Schlangen vor dem Café, wenn er die Türen öffnete.

Offenbar hielt er noch immer an seinen NYC-Zeiten fest – es war sechs Uhr morgens, und der Laden war noch zu. Doch der Parkplatz des Cup and Saucer, am Rand der Stadt, war vollgepackt, Pick-ups und SUVs standen auf dem rissigen Asphalt verteilt. Ich parkte neben einem Sattelzug und kam beim Eintreten an drei Typen vorbei, die sich neben der Tür unterhielten.

»Morgen«, sagte einer. Unsere Blicke begegneten sich, und er hielt meinem lang genug stand, dass ich mich zu einem Lächeln verpflichtet fühlte, auch wenn er nicht gelächelt hatte.

Ich bestellte einen Coffee to go mit reichlich Kaffeesahne und sah mir die Donuts auf der Theke an. Ich beschloss, darauf zu verzichten und auf dem Rückweg ein paar Croissants im Café zu kaufen. Die würden das Doppelte kosten, aber Nisa mochte keine Donuts. Schade, denn diese waren selbst gemacht und genau so, wie sie sein müssen, in Schmalz frittiert.

Ich kehrte zum Auto zurück und saß ein paar Minuten lang da, nippte an meinem Kaffee und überlegte, was ich mit meiner rastlosen Energie anfangen sollte. Ich wollte nicht zurückfahren und Nisa aufwecken, nicht ohne Croissants und Milchkaffee. Doch wir hatten uns diesen Ort in den letzten zwei Tagen bereits gründlich angesehen. Ich erinnerte mich, dass Theresa und Giorgio uns außerdem reichlich Tipps für andere reiche Städtchen in der Nähe genannt hatten.

»Nur Hillsdale könnt ihr vergessen.« Giorgio hatte mit den Fingern geschnipst, als sei Hillsdale bloß eine vorbeisurrende Mücke. »Das ist ein Drecksloch.«

Theresa hatte genickt. »Da muss irgendwas im Leitungswasser sein oder so. Die ganze Stadt war schon am Boden, als wir zum ersten Mal hierherkamen. Man sollte meinen, dass sie froh sind, wenn es neue Steuerzahler gibt, aber die hassen Außenstehende wirklich.«

Das erschien mir merkwürdig – dass eine kleine Stadt arm geblieben war, obwohl doch so viele Orte ringsum von dem Immobilienboom profitiert hatten. Doch es deutete auch darauf hin, dass Hillsdale ein Ort sein könnte, an dem Nisa und ich uns irgendwann einmal ein heruntergekommenes Haus würden leisten können. Ich entschied, eine kleine Erkundungsfahrt zu unternehmen. Sollte Hillsdale interessant sein, könnten wir beide später gemeinsam hinfahren, um es uns genauer anzusehen. Ich trank meinen Kaffee aus, kurbelte das Fenster herunter und fuhr aus der Stadt heraus. Ich machte mir nicht die Mühe, mir auf dem Handy die Strecke anzusehen. Route 9K war die einzige Straße weit und breit, und auf der befand ich mich.

Die Luft hatte diese berauschende Schärfe des frühen Herbstes: Goldrute und getrocknetes Wollgras und das erste Laub, vermischt mit dem Geruch des Flusses, nach Fisch und Schlamm. Jetzt, da die Straße schnurgerade vor mir lag, schweiften meine Gedanken ab. Manche Menschen hassen das Ende des Sommers, aber ich habe es schon immer geliebt, genauso wie ich als Kind den Beginn des neuen Schuljahrs geliebt habe.

Das änderte sich, als ich an einer Privatschule in Queens anfing. Zu diesem Job kam ich vor zwei Jahrzehnten durch Zufall und bin damit nie wirklich warm geworden. Ich habe keine pädagogische Ausbildung und bin keine zugelassene Lehrerin, aber das braucht man nicht, um an einer Privatschule zu unterrichten. Jedenfalls nicht an der, die mich anstellte. Die Bezahlung war nicht toll, aber auch nicht zu schlecht, und die Schule übernahm die Hälfte meiner Krankenversicherung. Jahrelang redete ich mir ein, es sei nur eine Zwischenlösung, ich würde schon bald wieder Arbeit beim Theater finden.

Das war nie geschehen. Wenn ich mich einmal beklagte, wies Nisa mich darauf hin, dass ich froh sein konnte, einen Job zu haben, der wenigstens ein bisschen mit meinen Interessen zu tun hatte. Wer stellt schon eine erfolglose Theaterautorin ein? Ich unterrichtete Englisch, und im Laufe der Zeit gelang es mir zumindest, Stücke für Achtklässler in den Unterricht einzubauen, angefangen mit stark vereinfachten Versionen von Shakespeare-Dramen – Macbeth und Ein...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2024
Übersetzer Tobias Schnettler
Sprache deutsch
Original-Titel A Haunting on the Hill
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2024 • a haunting on the hill • eBooks • Geisterhaus • Gothic novel • Halloween • Herbstbuch • Herrenhaus • Hexenprozess • Hexenverfolgung • Horror • Neuerscheinung • New York • spannend • spooky • Unheimlich
ISBN-10 3-641-32185-9 / 3641321859
ISBN-13 978-3-641-32185-7 / 9783641321857
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