Spur der Gier

(Autor)

Buch | Softcover
392 Seiten
2024
8280-edition.ch (Verlag)
978-3-03977-031-1 (ISBN)
14,90 inkl. MwSt
Nazi-Raubkunst - geschätzte 600.000 Kunstwerke wurden enteignet oder unter Zwang verkauft.

Noch heute verzeichnet die Lost-Art-Datenbank 180.000 betroffene Objekte. Diese Zahlen verkörpern individuelle Schicksale, Geschichten von Verlust und Leid. Wie würde man selbst reagieren, wenn sich das wertvollste Erbstück als NS-Raubkunst entpuppte?
Marthes Großmutter besitzt Nazi-Raubkunst. Das behauptet Steve, ein New Yorker Kunstdetektiv. Doch ist Steve vertrauenswürdig? Marthe begibt sich mit ihrem Freund Tom - einem leidenschaftlichen Darknet-Aktivisten - auf die Suche nach der Wahrheit.
Eines Tages wird Steves Leiche gefunden. Ist er einem Handel mit Nazi-Raubkunst auf die Spur gekommen?

Marthe und Tom folgen diesem Verdacht. Marthe macht eine Entdeckung, die sie in Lebensgefahr bringt.
Sie hat ihre Gegner unterschätzt!

Vera Lohkamp, ausgebildete Tänzerin, Auftritte u.a. in New York, Tschechien und Berlin, MA in Ethnologie/VWL an der FU-Berlin, besucht seit 2009 Kinderstationen als Clownin Edeltraut. Sie ist Mutter von drei Kindern und im Jahr 2004 mit ihrer Familie nach Stahnsdorf gezogen.

Sonntag, 28. August 2023 Das hohe Gras verdeckt den schmalen Uferpfad. Touristen verirren sich selten hierher. Die mächtige Weide empfängt mich freundlich, ihre Blätter tanzen im leichten Wind. Die Kuhle zwischen ihren Wurzelsträngen ist der perfekte Sitzplatz. Es ist schön, hier zu sitzen, die raue Borke im Rücken zu spüren. Durch das Blätterdach schimmert das Blau des Himmels. Ein wunderbarer Ort zum Entspannen, abgeschirmt von den Blicken anderer Parkbesucher. Der See ist ruhig, leichte Wellen plätschern sanft, formen Linien, die sich wieder auflösen. Das Wasser reflektiert die Sonne, Funkeln und Glitzern, wie Irrlichter. „CHHHM.“ Das Räuspern fährt mir in die Glieder. „Christian, erschrick mich doch nicht so!“ Über mir - ein fremdes Gesicht. „Autsch. Verdammt!“ Ich hatte den dicken Ast vergessen. Mein Kopf pocht. Der Ast dagegen streckt sich ungerührt Richtung See. Nicht das kleinste Zittern zeugt von unserem Zusammenstoß. „Sorry.“ Der Fremde lächelt schief, macht einen Schritt auf mich zu. Mein Herz flattert, als ob der Mann mich in meiner Badewanne überrascht hätte. Ich weiche zurück. Mein rechter Fuß landet im Morast. „Was wollen Sie?“ Der Mann hebt beschwichtigend seine Handflächen. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“ „Haben Sie aber. “, das kommt von meiner Träumerei, „ich muss gehen, eine Verabredung.“ Der Fremde weicht keinen Schritt zur Seite. „Interessanter Ort.“ Er lässt seinen Blick schweifen. Hat der Typ nicht verstanden, dass er mich durchlassen soll? „Was ist das für ein Bau dahinten?“ Er zeigt hinter sich, die Uferböschung hinauf. „Die Muschelgrotte. Ich möchte vorbei.“ „Bleib doch noch.“ Breites Lächeln, strahlende Zähne, Grübchen in der rechten Wange. Was ist, wenn der Mann mich nicht gehen lässt? Seine dunklen Augen fixieren mich. Ein Psychopath? Ruhig - kein Grund, mich in eine Horrorvision hineinzusteigern. Wird er mich aufhalten, wenn ich mich an ihm vorbei dränge? Er sieht sportlich aus, körperlich eindeutig überlegen. Hinter ihm, an der Muschelgrotte, blonde Haare, wippender Schritt. Endlich! „Christian!“ Ich war ewig nicht so glücklich, ihn zu sehen. „Meine Verabredung.“ Über das Gesicht des Fremden huscht Enttäuschung oder bilde ich mir das ein? Schon lächelt er wieder charmant, gibt den Weg mit einer kleinen Verbeugung frei. Er beginnt einen Satz. Ich höre nicht zu, eile zu Christian. „Marthe! Du bist ja ganz atemlos.“ Christian streift seine blonde Haarsträhne hinters Ohr. Wir umarmen und küssen uns flüchtig. „Wer ist der Mann?“, missbilligend sieht er über meine Schulter in Richtung Weide. „Der starrt dir hinterher.“ „Keine Ahnung. Der Typ stand plötzlich neben mir, ich hatte ihn überhaupt nicht kommen hören! Bin vor Schreck aufgesprungen und hab mir den Kopf gestoßen.“ „Autsch.“ Christian streichelt mitfühlend über die kleine Beule. „Soll ich dem Typ die Meinung geigen?“ „Lass mal, ich hab Hunger. Gehen wir in die Meierei.“ Christian hat einen Tisch an der Terrassenbrüstung reserviert, unter uns schwappt das Wasser an die Mauer. Wir bestellen wie üblich ein Potsdamer und einen vegetarischen Burger für mich, ein Helles und den Meierei-Burger für Christian – Routine eines alten Ehepaars. Christian sieht mich schmunzelnd an. „Schon komisch, dass du so gerne hierher kommst.“ „Wieso?“ Er lacht. „Du magst keine Touristenschuppen.“ „Nostalgie ... weißt du doch. Opa ist oft mit mir hierhergekommen. Freiheitsblick hat er den Ort genannt. Und früher, bevor die Meierei eröffnet hat, ist er mit mir immer zu der Weide gegangen, mit einem kleinen Picknick im Gepäck. Er hat mir von der Zonengrenze erzählt, den Zäunen und Menschen, die von dem Ufer in den Westen geschwommen sind. Vom Cecilienhof, dem Vier-Mächte-Abkommen...“, bei der Erinnerung wird mir ganz warm. „Ich wollte natürlich lieber seine geheimnisvollen Geschichten über die Grotte hören. Opa war ein guter Geschichtenerzähler.“ „Nostalgie ... Du bist ein Familienmensch Marthe ...“ Christian streichelt meine Hand. „Äh, ich weiß nicht.“ Christian setzt seine gewichtige Miene auf. Mir schwant, welches Thema ihn beschäftigt. Die Kellnerin bringt unsere Bestellung. Wir wenden uns Bier und Burgern zu. Wie immer sind zu viele Zwiebeln im Burger. Christian spült den letzten Bissen mit seinem Bier runter. „Marthe, ich ... ich bin auch ein Familienmensch, das weißt du.“, greift er den Faden wieder auf, „wollen wir nicht endlich zusammenziehen, eine eigene Familie gründen?“ Etwas atemlos, mit gerötetem Gesicht, lehnt er sich über den Tisch. Mit Christian zusammenziehen, Familie. Ich bin gerne mit ihm zusammen ... „Marthe? Du sagst gar nichts.“ Christian beißt auf seine Lippen. „Ich denke nach.“ Ein Ring legt sich um meine Brust, zieht sich zusammen. „Meinst du nicht, es wird langsam Zeit, eine Entscheidung zu treffen? Ich möchte eine Familie, das weißt du. Oder gibt es einen anderen Mann in deinem Leben? Der Typ an der Weide?“ Eine große Stirnfalte zieht sich in seinem Gesicht zusammen, sein Kinn schiebt sich vor. „Quatsch! Ich bin einfach glücklich so, wie es ist.“ „Ich nicht. Wir werden auch nicht jünger.“, grummelt er. „Grund zur Eile besteht trotzdem nicht.“ „Marthe, du bist dreißig!“ „Was willst du damit sagen? Dass meine biologische Zeituhr tickt, oder was? Vielleicht, vielleicht will ich gar keine Kinder.“ Er hat meinen wunden Punkt getroffen. Christian zuckt zurück. „Aber ... Ich will aber welche. Wenn du keine Familie gründen willst, dann ...“ „Dann was ...“, Marthe beruhige dich. ‚Du bist schon dreißig‘ der Satz rotiert in meinem Kopf. Tief durchatmen ... „Christian, ich habe gerade die Wohnung von Oma übernommen. Meine erste Wohnung für mich allein nach all den Jahren in WGs. Ich möchte ankommen, sie einrichten, wie es mir gefällt, bevor ...“ Christian richtet sich auf, seine Miene versteinert. „Letztes Jahr war es die tolle WG, die du nicht auflösen wolltest, jetzt willst du alleine leben, dich finden, du hast immer eine Ausrede. Entweder liebst du mich nicht ...“ Ich hole tief Luft, er redet hastig weiter, bevor ich die richtigen Worte gefunden habe. „Oder dir ist die Freiheit wichtiger als Bindung, als Verantwortung füreinander zu übernehmen. Es hat keinen Sinn, länger zu warten, oder? Unsere Lebenspläne passen nicht zusammen.“ „Christian, ich ... es“, mir fehlen die Worte. Ein tiefer Graben trennt uns. Warum? Ich bringe keinen Bissen mehr herunter. Der matschige Rest vom Burger, der Geruch … mir wird übel. Christian winkt die Kellnerin herbei. „Möchten Sie noch etwas?“ „Zahlen bitte.“, antwortet Christian mit gepresster Stimme. Der Blick der Kellnerin streift mich. Ich versuche zu lächeln. Wie konnte unser Gespräch so eskalieren? Ist es meine Schuld? Christian zahlt, wir stehen schweigsam auf. Ich möchte ihn umarmen, um Geduld bitten ... „Christian ...“ Er entzieht sich. „Lass gut sein.“ Ich fasse es nicht, er lässt mich einfach stehen. Unsere gemeinsame Zeit soll in einem Scherbenhaufen enden? Meine Gefühle sind erstarrt wie nach einem Eisbad. Warum will ich nicht, dass er bei mir einzieht? Vielleicht könnten wir eine glückliche Familie werden? Ich bin eine Idiotin! So ein Scheißtag, erst zerstört dieser Mann meinen Frieden unter der Weide, dann Christian. Ich muss mit jemanden reden. Von dem Fremden keine Spur. Zum Glück. Fehlte noch, dass er ein Stalker ist. Hoffentlich hat Frances Zeit, sie hat meist einen guten Rat. Ich hätte besser auf den zweiten Himbeer-Margarita verzichtet. Meine Knie sind wattig, der Kopf benebelt. Hitze und Alkohol, eine ganz schlechte Kombination. Frances ist ein Schatz und eine gute Zuhörerin. Ich fühle mich nicht mehr wie ein herzloses Miststück wegen Christian, dem Bruch ... Wo ist der Schlüssel? Na klar, ganz unten in der Tasche. Verdammt, blöder Schlüssel, geh jetzt ins Schloss! Ich kann es nicht erwarten, ins Bett zu fallen. Drei Etagen, in meinem Zustand eine Besteigung des Mount Everest. Habe ich wirklich nur zwei Margarita getrunken? Mir ist schwindelig, der Boden wellig. Frances hat mit dem Tequila nicht gespart. Ich war noch nie so dankbar für das Treppengeländer. „Marthe, Guten Abend!“, die resolute Stimme stoppt meinen mühsamen Aufstieg. Frau Knesebeck steht breitbeinig in ihrer Wohnungstür, sieht mich mit Argusaugen an. Die Gute hat ein Talent dafür ungelegen aufzutauchen. „Was ist mit dir Kind?“ Für sie werde ich immer die kleine Enkelin der Frau Keller bleiben. „Du siehst schrecklich aus.“ „Danke.“ Nur noch ein Stockwerk, dann kann ich endlich ins Bett fallen. Die alte Dame macht einen resoluten Schritt vor, blockiert meinen weiteren Aufstieg. „Nur ein Margarita zu viel, nichts Ernstes.“ „Na, betrinkst dich doch sonst nicht an einem Sonntag.“ Sie wird keine Ruhe geben, bis ich ihr eine Erklärung gebe. Ich bin zu müde für eine gute Lügengeschichte. „Christian und ich haben uns getrennt.“ Die Knesebeck reißt bestürzt ihre Augen auf. „Ach Gott Kind, willst du einen Tee mit Schuss, der wirkt Wunder. Dann kannste schlafen wie ein Baby. Morgen sieht alles schon ganz anders aus. Vielleicht wird‘s ja wieder.“, plappert sie los. Mein Kopf dröhnt. „Ne, das wird nicht wieder. Aber danke. Ich will nur ins Bett.“ Sie nickt verständnisvoll. „Was wollt‘ ich noch? Ach ja, heute war ein hübscher junger Mann hier. Ist es wegen dem?“ Sie lächelt siegessicher. „Hübscher Mann ... keine Ahnung. Ich bin vorerst bedient.“ „Verstehe, der wollte ja auch eigentlich zu deiner Oma.“ Was redet sie da? Ist sie verwirrt? „Ich erzähle es dir besser morgen, wenn du wieder nüchtern bist. Kommst du alleine hoch?“ Sie streckt ihre Hand nach meinem Ellbogen aus, ohne eine Antwort abzuwarten. Ich weiche zurück, mein Fuß tritt ins Leere. Hilfe! Eine Hand packt meinen rudernden Arm. Die Knesebeck hakt mich resolut unter, bugsiert mich die Treppe hoch. Warum hat sie mir aufgelauert? Mein Kopf brummt. „Was war mit dem Mann?“ „Also, heute Nachmittag, bin ich kurz nach dir aus dem Haus. Da stand ein junger Mann vor der Haustür. Er hat die Klingelschilder angestarrt. Ich fragte ihn, zu wem er denn will. Da sagte er zur Frau Keller. Da hab ich ihn mir gleich genauer angeschaut. Schmucker Kerl, dachte ich. ‚Die haben Sie grade verpasst‘, sag ich ihm. Da war er ganz verwirrt. ‚Na die junge Frau eben. Die mit dem Fahrrad weggefahren ist.‘, erklär ich ihm. Da hat er gelächelt, ‚ne er meine eine ältere Dame.‘ Stellte sich also raus, er wollte zu deiner Oma. Er hatte die Adresse von einem Bekannten von deinem Opa. Wie war dem sein Name ... egal, hab’s uffjeschrieben.“ Sie stockt. Wirft mir einen Seitenblick zu. „Da hab ich ihm jesacht, dass die alte Frau Keller ins Betreute Wohnen in der Sonnenresidenz umgezogen ist, hier nur noch die Enkelin wohnt.“ „Sie haben ihm gesagt, wo Oma wohnt? Einem Fremden?“ Diese Quasselstrippe. „Vielleicht hätte ich das nicht tun sollen. Aber er kannte doch den, den Herrn ... wie jesacht, den Namen hab ich uffjeschrieben.“ „Was wollte er von Oma?“ Ich bin überfordert. „Sie grüßen. Nach dem Tod von deinem Opa ist der Kontakt eingeschlafen. Ich weiß auch nich.“, gibt die Knesebeck unwillig zu. „Das muss doch ewig her sein ...“ Wir sind oben angekommen. Noch nie war der Treppenaufstieg so mühsam und lang. „Ja, ja leg dich hin. Mach dir keine Gedanken. Der Mann war sehr nett. Ich geb dir morgen den Namen.“ Sie nimmt mir den Schlüssel aus der Hand und sperrt auf. „Gute Nacht.“ „Gute Nacht Frau Knesebeck.“ „Schön Absperren.“ Sie steckt den Schlüssel demonstrativ in die Tür. „Ist gut.“ Absperren, ein Wasser und ins Bett. Der Schwindel schlägt mir langsam auf den Magen. Hose und Shirt aus, unter die Decke kuscheln. Das Bett schwankt. Mit der Hand auf dem Boden gehts besser. Schmucker junger Mann – Knesebecks Worte schwirren weiter in meinem Kopf herum, vermischen sich mit dem Gesicht des Fremden an der Weide. Geht es um ein und dieselbe Person? Ergibt keinen Sinn. Die Knesebeck hat ihn vollgequatscht, während ich zum See gefahren bin. Er konnte nicht wissen, wo ich bin. Oder doch? Die Bilder verwischen ...

Erscheinungsdatum
Verlagsort Kreuzlingen
Sprache deutsch
Maße 125 x 190 mm
Gewicht 480 g
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Beutekunst • Beziehungsdrama • Generationskonflikt • Gesellschaftsroman • Potsdam • Restitution
ISBN-10 3-03977-031-4 / 3039770314
ISBN-13 978-3-03977-031-1 / 9783039770311
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