Finstere Provence (eBook)
336 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491975-1 (ISBN)
Herbst in der Provence: Ein trüber, verregneter November - und mitten im Lac du Paty wird ein toter Wanderer gefunden. Die Polizei-Capitaines Caterine Castel und Alain Theroux ermitteln. Das Opfer war ein bekannter Immobilienmogul. Haben seine dubiosen Geschäfte mit seinem Tod zu tun? Doch dann landet ein Hinweis im Briefkasten von Ex-Commissaire Albin Leclerc. Anscheinend steckt ein Serientäter dahinter, der sich Finsternis nennt und seit Jahren unentdeckt ein grausiges Spiel treibt. Und dieser Täter fordert Albin heraus, ihn zu fassen. Der Preis: die Familie Leclerc. Es geht um Leben und Tod, und Albin zerrinnt die Zeit zwischen den Fingern ...
Pierre Lagrange ist das Pseudonym eines bekannten deutschen Autors, der bereits zahlreiche Krimis und Thriller veröffentlicht hat. In der Gegend von Avignon führte seine Mutter ein kleines Hotel auf einem alten Landgut, das berühmt für seine provenzalische Küche war. Vor dieser malerischen Kulisse lässt der Autor seinen liebenswerten Commissaire Albin Leclerc gemeinsam mit seinem Mops Tyson ermitteln.
2
Castel stand neben dem Auto und zog ihren Fleecehoodie über, während Theroux bereits losgegangen war. Er trug lediglich ein Hemd und die obligatorischen Jeans mit eingearbeiteten Löchern. Die kühle Luft schien ihm nichts auszumachen. Er gehörte zu der Sorte Mensch, denen immer warm war – im Winter wie im Sommer.
Castel nicht. Sie fror schnell, insbesondere an den Füßen, weswegen sie bereits heute ein Paar gefütterte Schnürboots trug, in denen ihre khakifarbene Cargohose steckte.
Die Fleecejacke war am rechten Ärmel mit kleinen weißen Punkten besprenkelt. Das gehörte nicht zum Design. Es war Wandfarbe vom Streichen. Cat und ihr Lebensgefährte Jean hatten endlich eine gemeinsame Wohnung gefunden und gerade mit dem Renovieren begonnen – ein Prozess, der sich vermutlich noch über einige Zeit hinziehen würde. Die Wohnung war groß, Altbau, hohe Räume, und lag am Rand von Carpentras in der Nähe der Autobahn – strategisch günstig für Jean, der in Aix-en-Provence als Kurator im Musée Granet arbeitete.
Mittelfristig wollte er den Job nun kündigen und als Kunsthistoriker, Gutachter und Kurator freiberuflich arbeiten, weil die tägliche Anfahrt nach Aix einfach zu weit war. Zwar hatte er dort noch eine Wohnung, doch die würde er aufgeben und künftig von zu Hause aus in Teilzeit für das Museum tätig sein und außerdem andere Aufträge annehmen. Dazu brauchte er jedoch ein Homeoffice, und die neue Wohnung war zwar groß, hatte aber nur wenige Räume, weswegen sie zwei Wände neu eingezogen hatten, damit Jean sich in einem abgetrennten Bereich einrichten konnte.
Das war viel Arbeit, und seit sicherlich zwei Wochen hatte Cat schmerzende Muskeln an Stellen ihres Körpers, an denen sie bislang noch nie Muskeln vermutet hätte – eine verzichtbare, jedoch aktuell kaum vermeidbare Erfahrung.
Cat streckte sich, sah sich um. Der kleine Parkplatz neben dem Freizeitbereich mit Kiosk am Lac du Paty war mit einigen Fahrzeugen zugeparkt. Zwei Streifenwagen, ein Rettungsfahrzeug, der Notarzt, die Autos der Spurensicherung und die der Rechtsmedizin, ein Jeep der Forstverwaltung, ein Feuerwehrauto und der SUV des Wehrführers. Das Areal mit den Picknicktischen aus Holz unter den Platanen war verwaist und voller Laub, ebenso die Tanzfläche der überschaubaren Bühne mit der Aufschrift »Les Amis de l’Écluse«.
Cat fasste sich in den Nacken, massierte im Gehen die Muskulatur und ging in Richtung der Staumauer. In deren Nähe gab es eine Art Strand, der im Sommer von Badenden und Familien frequentiert wurde, die manchmal auch mit bunten Schlauchbooten auf dem Wasser fuhren. Heute jedoch war dort nur ein graues Boot mit der Aufschrift der Feuerwehr zu sehen. Auf der Mauer und am Strand arbeiteten die Forensiker der Spurensicherung in ihren faserfreien Overalls – und unter der mobilen Zeltüberdachung befand sich ohne Frage die Rechtsmedizinerin Berthe aus Nîmes mit ihrer Crew. Dort stand auch schon Theroux und winkte Cat herbei, die nun einen Schritt zulegte und ihre Kollegen unter dem Stoffdach mit einem Nicken grüßte. Ein Gendarm informierte Theroux darüber, dass ein Mitarbeiter der Regionalverwaltung bei einem Routinerundgang die Leiche im Wasser an der Staumauer entdeckt und zuerst angenommen hatte, es könnte sich um ein verendetes Tier handeln oder lediglich um ein Kleidungsstück. Er hatte mit einem Ast versucht, es herauszufischen, dann aber gemerkt, dass es sich um einen toten Menschen handelte, worauf er sofort die Polizei verständigt hatte. Die Gendarmerie war erschienen und hatte die Feuerwehr benachrichtigt, die mit zwei Rettungstauchern und dem Schlauchboot gekommen war und den Körper geborgen hatte.
Theroux nickte und stellte ein paar Nachfragen, während Cat mit einem Ohr der Rechtsmedizinerin zuhörte, die leise mit ihren Assistenten sprach. Im Rahmen der Erstbeschauung wurden Videoaufnahmen von der Leiche gemacht. Der Körper lag auf einer mobilen Liege, wie sie von Rettungssanitätern verwendet wurden, um Verletzte zu transportieren. Schließlich schien Berthe so weit zu sein und sammelte sich einen Moment lang. Cat gab ihr die Zeit.
Das Offensichtliche hatte sie ohnehin schon gesehen und abgespeichert. Die Leiche war männlich, vermutlich im mittleren Alter. Dem Zustand nach konnte sie noch nicht sehr lange im Wasser gelegen haben. Wie lange genau, würde Berthe bei der Obduktion herausfinden, die sich später anschließen und im Rechtsmedizinischen Institut stattfinden würde, das an die Unikliniken in Nîmes angegliedert und für die Region Vaucluse sowie einige andere zuständig war. Die Leiche war bekleidet mit einer Jeans und einer dunkelblauen Windjacke mit dem Polospieler-Logo von Ralph Lauren. Die Schuhe waren aus braunem Leder mit goldenen Schnallen an den Seiten. Sie wirkten teuer und nicht so, als würde man darin eine Wanderung in der Gegend von Caromb oder einen Spaziergang in der Natur unternehmen wollen. Denn so hatte es zunächst gelautet: Es sei ein toter Wanderer von der Forstverwaltung aufgefunden worden. Eine klare Fehldarstellung.
Neben der Leiche lag ein durchsichtiger Beweismittelbeutel. Darin befanden sich eine Geldbörse, persönliche Dokumente, ein Schlüsselbund und ein Handy sowie eine aufgeweichte Packung Zigaretten der Marke Gauloises Blondes nebst pinkfarbenem Einwegfeuerzeug.
Berthe zog die Latexhandschuhe von den Fingern, warf sie in einen Kunststoffbeutel und blickte Cat über den Rand ihres knallroten Brillengestells hinweg an. »Bei Wasserleichen«, sagte sie, »finden wir oft wenige Spuren bei der Erstbeschau. Das ist auch hier der Fall. Die Liegezeit im See würde ich auf maximal zwölf Stunden schätzen. Ich kann keine offensichtlichen Spuren erkennen, die auf Gewaltanwendung schließen lassen, keine augenscheinlichen Verletzungen. Aber ich gehe davon aus, dass der Tod durch Ertrinken eintrat, worauf zumindest einiges hindeutet. Ob es freiwillig war, ein Unfall oder ob Fremdeinwirkung im Spiel war, kann ich zum aktuellen Zeitpunkt nicht einschätzen. Das muss ich mir alles sehr viel genauer ansehen.«
Cat nickte, zog eine Packung Kaugummi aus der Jackentasche und schob sich eines zwischen die Zähne. Bruno Grinamy, der Noch-Leiter der Spurensicherung, kam nun hinzu. Er steckte in einem faserfreien Overall und hatte ein Clipboard unter dem Arm. Grinamys Gesicht war faltig, seine Figur drahtig. Sein Schädel war kahl, und er sprach ständig davon, dass er ihn bald in der Karibik bräunen würde, denn Grinamy stand kurz vor dem Ruhestand und hatte nur deswegen etwas Zeit angehängt, weil man ihn aus Personalgründen ausdrücklich darum gebeten hatte. Im Schlepptau hatte er Kevin Toullardin, der ebenfalls einen weißen Overall trug und mindestens einen Kopf größer war als Grinamy und die meisten anderen. Er trug eine Nerd-Brille und würde Grinamy sicherlich bald beerben.
Grinamy machte eine ahnungslose Geste, indem er beide Arme hob. »Wir haben nichts Besonderes finden können«, sagte er. »Was wiederum interessant ist – dass wir gar nichts gefunden haben.«
Cat merkte auf.
Toullardin redete nun weiter. »Wir hätten zumindest ein geparktes Auto erwarten können. Oder ein Motorrad, ein E-Bike. Aber nichts dergleichen war zu finden, woraus man schließen müsste, dass der Mann zu Fuß herkam, wobei ich mir nicht sicher bin …« Toullardin nickte mit dem Kopf in Richtung der feinen Anzugschuhe an der Leiche. »Aus Caromb kommend«, sagte er, »würde man auf einem der Wanderwege oder entlang der Straße einige Höhenmeter bewältigen müssen sowie einige Kilometer Wegstrecke. Ich würde eher nicht zu Fuß herkommen, schon gar nicht mit solchem Schuhwerk. Dennoch wäre es möglich. Die Alternative ist, dass er mit einer anderen Person im Auto herkam, die sich dann wiederum mit dem Auto entfernt hat.«
Cat nickte. Kaute auf dem Kaugummi. Sie wollte gerade etwas fragen, als sie im Kies knirschende Schritte hörte, die sich rasch näherten. Sie blickte über die Schulter nach hinten – und sah Staatsanwalt Luc Bonnieux, der sich offensichtlich ein Bild von der Lage machen wollte, nachdem er von dem Leichenfund gehört hatte.
Bonnieux war hochsensibel, wenn es um Tote in seinem Verantwortungsbereich ging. Einerseits verlangten Kapitaldelikte natürlich eine ganz besondere Beachtung. Auf der anderen Seite standen sie ebenfalls unter besonderer Beachtung – nicht nur der der Öffentlichkeit, sondern auch der von übergeordneten Behörden – und waren daher prestigeträchtig. Was Bonnieux wiederum wichtig war.
Er trug einen leichten, schwarzen Wollmantel, darunter einen grauen Anzug und ähnliche Schuhe wie der Tote, weswegen er sich auf dem Untergrund aus Kies und Sand am Strand des Sees nicht sehr elegant vorwärtsbewegte. Er ging eher wie auf rohen Eiern. Schließlich traf er am Zelt ein, grüßte alle mit einem Nicken und ließ sich kurz ins Bild setzen.
»Also ein Selbstmord?«, fragte er, nahm die randlose Brille ab und putzte sie mit einem Tuch, das er aus einem Etui in seiner Manteltasche gezogen hatte.
Berthe zuckte mit den Schultern, Grinamy, Toullardin und Theroux taten es ihm gleich.
»Ich würde sagen«, erklärte Cat, »dass es noch offen ist. Möglicherweise war es auch ein Unfall. Der Mann spazierte auf der Staumauer, wollte vielleicht ein Foto machen, stolperte, fiel ins Wasser und ertrank.«
Berthe ergänzte: »Wenn er sich ertränken wollte, würde man annehmen, dass er etwas dabeihatte, das ihn beschweren würde. Selbstmörder, die sich ertränken, wollen sicherstellen, dass sie es sich nicht anders überlegen, wenn ihnen erst einmal die Luft ausgeht und die...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2024 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für Commissaire Leclerc |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Avignon • Carpentras • Commissaire Albin Leclerc • Finsternis • frankreich-krimi • Geschenk für Männer • Mops Tyson • Pierre Lagrange • Provence-Krimi • Sven Koch • Urlaubs-Krimi • Wandern |
ISBN-10 | 3-10-491975-5 / 3104919755 |
ISBN-13 | 978-3-10-491975-1 / 9783104919751 |
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