Die Durchtriebenen (eBook)
320 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46840-1 (ISBN)
Elyse Friedman ist eine kanadische Autorin, die in North York, Ontario, aufgewachsen ist. Sie hat bereits verschiedene Romane und preisgekrönte Kurzgeschichten veröffentlicht. Auch viele ihrer Drehbücher wurden mit Preisen ausgezeichnet. Elyse Friedman lebt und arbeitet in Toronto.
Elyse Friedman ist eine kanadische Autorin, die in North York, Ontario, aufgewachsen ist. Sie hat bereits verschiedene Romane und preisgekrönte Kurzgeschichten veröffentlicht. Auch viele ihrer Drehbücher wurden mit Preisen ausgezeichnet. Elyse Friedman lebt und arbeitet in Toronto.
1
Als die Anrufe wieder anfingen, ignorierte Alana sie. Ebenso die SMS-Nachrichten und E-Mails, auch diejenigen, die mit roten Ausrufezeichen versehen waren. Sie hatte einen Teilzeitjob, der sich wie eine Vollzeitstelle anfühlte, und eine kranke Tochter, die rund um die Uhr ihre Aufmerksamkeit forderte. Sie hatte weder die Zeit, noch verspürte sie die Neigung, sich in das Familiendrama hineinziehen zu lassen. Und sie wusste bereits, warum ihre Brüder verzweifelt versuchten, sie zu erreichen. Der jüngere der beiden, Martin, hatte schon vor Monaten immer mal wieder eine SMS über die »Schlampe« abgesondert, mit der sich ihr Vater eingelassen habe – eine Krankenschwester, engagiert von Teddy, dem älteren, die sich um die Pflege des alten Mannes kümmern sollte, der zunehmend schrullig und gebrechlich wurde.
Schwester Kelly, achtundvierzig Jahre jünger als der Vater, offensichtlich eine Frau, die nur aufs Geld aus war, dazu noch gerissen, wenn man Martin Glauben schenken durfte. Ziemlich sicher hatte sie ihn gleich beim ersten Wannenbad am Haken. Alana amüsierte das eher, als dass es sie beunruhigte. Sie teilte ihren Brüdern mit, dass es ihr ziemlich egal sei. Sie hatte wichtigere Dinge zu tun. Irgendwann hatten sie aufgehört, sie damit zu behelligen.
Doch dann hatte sich vor ein paar Wochen ein übergroßes Kuvert in Alanas Briefkasten gefunden. Dickes cremefarbenes Papier, darauf in geschwungenen goldenen Lettern ihr Name – eine Einladung zur Hochzeit von Edward Shropshire senior und Kelly McNutt. Ha! Wirklich clever. Sie verspürte einen Anflug von Genugtuung, auch wenn sie sich auf den Ansturm ihrer Geschwister gefasst machen musste, die angesichts des drohenden Verlusts eines Teils ihrer beträchtlichen Erbschaft außer sich sein würden. Alana hasste ihren Vater und hatte für ihre Brüder nur Verachtung übrig. Weder hatte sie ein Interesse daran, »das Vermögen der Familie zu schützen«, noch wollte sie eine »geschlossene Front« bilden, »Papas Rückhalt besitzen« oder was ihre raffgierigen Geschwister sonst noch so an Gesülze von sich gaben. Sie hatte sich ihrem Vater vor Jahrzehnten entfremdet, wollte sich an diesem Spiel nicht beteiligen.
Dass man sie zur Hochzeit eingeladen hatte, war, offen gesagt, ein Schock. Kelly McNutt musste darauf bestanden haben. Die Anrufe, SMS-Nachrichten und Mails setzten mit neuem Furor wieder ein. Als Alana zu guter Letzt zu dem Schluss kam, dass ihre Brüder sie nicht in Ruhe lassen würden, bis sie endlich reagierte, setzte sie eine simple, drei Wörter umfassende SMS-Nachricht auf. Nicht unbedingt ein in der Familie kursierendes geflügeltes Wort, sondern etwas, das sie erkennen und begreifen würden: »Jenseits unserer Kontrolle.« Sie fügte ein Emoji hinzu, ein Gesicht mit Lachen und Heulen, und schickte Teddy und Martin die Nachricht.
Danach hörte sie nichts mehr von ihnen.
Die Nacht war hart. Lilys BiPAP-Beatmungsgerät hatte zweimal Alarm geschlagen. Sie konnte ohne das Gerät atmen, aber nicht besonders gut, und Alana war darauf geeicht, selbst aus dem Tiefschlaf heraus sofort in Aktion zu treten. Beim ersten Alarm, um ein Uhr nachts, saß die Atemmaske nicht richtig. Schnell zurechtgerückt und wieder ab ins Bett. Beim zweiten Mal, um 4:28 Uhr, war es nerviger: Das Gerät war offensichtlich undicht. Es dauerte ewig, bis das behoben war, und in der Zwischenzeit dauerte der Alarm an, egal, woran sie auch herumfummelte. Sie bekam es schließlich hin, sodass Lily weiterschlafen konnte. Nur Alana eben nicht. Sie lag wach, und die Gedanken kreisten. Um 5:40 Uhr stand sie schließlich auf, machte sich Kaffee und verschlang direkt hintereinander zwei Zimtschnecken, was sie sofort wieder bereute, auch wenn sie trotzdem noch die letzten Krümel Zuckerguss zusammensuchte und sie in den Mund bugsierte.
Es war ein Werktag. Also weckte sie Lily früh, half ihr beim Anziehen und flocht ihr die Haare zu Zöpfen. Ramona kam heute, und Lily machte sich gerne schön für ihre liebste Betreuerin. Im Unterschied zu Alana hatte es Ramona mit Mädchenkram: Frisur, Fingernägel, Mode. Sie machte bei Lily immer eine Mani- und Pediküre, und die beiden blätterten zusammen Harper’s Bazaar und Teen Vogue durch und gaben ihren Senf zu den Outfits dort dazu. Ramona war zu ihnen gekommen, als Lily drei Jahre alt war, und Alana vertraute ihr voll und ganz. Sie war absolut fähig und sehr lustig. Lily war eigentlich ein ernstes Kind, aber wenn Ramona bei ihr war, gestattete sie sich, auch einmal albern und übermütig zu sein. Es war nicht ungewöhnlich, dass die beiden sich die Haare toupiert sowie Glitzer-Make-up aufgelegt hatten und außerdem noch eine Folge der Reality-Show RuPaul’s Drag Race nach der anderen glotzten, wenn Alana nach Hause kam. Ramona war, was Lily »cool« nannte. So ziemlich das Gegenteil von Alana, die immer gestresst und erschöpft war.
»Wann kommst du wieder nach Hause?«, wollte Lily wissen.
»Wenn alles gut geht, um halb sechs.«
»Wann geht schon mal alles gut?«
Alana lachte. »Selten, ja, aber es soll schon vorgekommen sein. Letzte Woche war ich sogar zweimal rechtzeitig zu Hause.«
»Stimmt.«
»Und du hast Ramona.«
»Okay. Aber versuch es, ja?«
»Ich versuche das immer, mein Schatz. Aber wenn plötzlich um halb fünf noch jemand auftaucht, kann ich unmöglich gehen. Denen muss ich helfen.«
»Ich weiß.«
Alana arbeitete Teilzeit beim Frauenhaus RedTree, das Opfern häuslicher Gewalt vorübergehend Unterkunft bot. Eigentlich war es ein ziemlich blöder Job: schlecht bezahlt, aber dafür viel Stress. Nicht unbedingt das, was sie gebrauchen konnte in den wenigen Stunden, in denen sie sich einmal nicht um Lilys Gesundheit kümmern musste. Sie hätte sich eigentlich eine Stelle suchen sollen, die seelisch nicht so belastend war, so etwas wie in einem Laden Blumenarrangements zusammenstellen – irgendeine halbwegs angenehme, geistig nicht allzu anspruchsvolle Tätigkeit, die ihr Gelegenheit zur Erholung und Regeneration gab. Sie träumte öfter davon, professionell Hunde auszuführen oder den ganzen Tag Herzformen auf Cappuccinos zu zaubern, aber letztlich blieb sie bei RedTree. Die Arbeit war wichtig und gab ihr ein besseres Gefühl in Bezug auf sich selbst. Manchmal fragte sie sich, ob das nicht letztlich ganz schön egoistisch war.
Als Ramona da war, gab Alana Lily zum Abschied einen Kuss und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Beim dritten Versuch geruhte ihr uralter Honda Odyssey dann auch anzuspringen. Als sie rückwärts aus der Einfahrt fuhr, blockierte auf einmal ein Lexus den Weg. Sie hupte – eine höfliche Erinnerung daran, dass sie tatsächlich losfahren wollte. Nichts geschah. Der Wagen blieb stur stehen. Sie hupte erneut, diesmal lauter, und fragte sich, warum es eigentlich immer ein Lexus, ein Mercedes oder ein BMW zu sein schien, der sie behinderte, ihr die Vorfahrt nahm oder sich in ihre Einfahrt stellte, wenn sie, Teufel noch mal, gerade dringend zur Arbeit musste. Sie unterdrückte den Impuls, mit ihrem SUV einfach den schicken Sportwagen zu rammen, und ließ den Honda laufen, während sie nach vorne zu dem falsch abgestellten Fahrzeug ging, um den über Jahre aufgestauten Unmut auf Luxuskarossen abzulassen und dem selbstgerechten Arschloch hinter dem Steuer mal so richtig die Meinung zu geigen. Doch bevor sie mit der Faust gegen die getönte Scheibe hämmern konnte, fuhr diese geräuschlos herunter, und dahinter war ihr Bruder Martin zu sehen, wie er auf seinem Handy ein Telefongespräch führte. Er hielt sich das Gerät, das flach auf der Handfläche lag, vors Gesicht. »Okay«, sagte er. »Ich weiß schon. Kümmere mich darum.«
»Martin? Verdammt noch mal, ich muss zur Arbeit!« Seit Jahren hatte sie ihn nicht gesehen, aber er sah noch wie früher aus – abgesehen von einem etwas höheren Haaransatz und vielleicht ein paar Pfunden mehr. Nach allgemeinem Verständnis war er auch immer noch ansehnlich, blond, blaue Augen, das gemeißelte Kinn seines Vaters, wenn er auch mittlerweile das leicht aufgedunsene Gesicht eines Trinkers hatte, mit den dazugehörigen geplatzten kleinen Blutgefäßen an der Nase. Ein schwacher Geruch nach Kölnischwasser umgab ihn, übertönt noch von der Ledernote der Sitze des Luxusmietwagens.
Mit dem Finger bedeutete er Alana, dass er in nur einer Sekunde Zeit für sie haben würde. »Hör zu, Damian, ich muss los. Ich ruf dich in ’ner Stunde wieder an.« Martin steckte das Handy ein und lächelte seine Schwester an. »Tut mir leid!«
»Was machst du denn hier?«
»Hast du meine SMS-Nachrichten nicht gekriegt? Ich muss mit dir sprechen. Hast du ’ne Minute?«
»Im Moment nicht, nein.«
»Ich bin einmal quer durch das ganze Land zu dir geflogen, und du hast nicht mal zwei Minuten Zeit für mich?«
»Ich muss zur Arbeit, Martin. Wenn du mitfahren willst, herzlich gerne. Wenn du mich eben rausfahren lässt, kannst du in der Auffahrt parken und dir dann ein Uber zurück nehmen.«
Martin beäugte die Abgasschleuder von einem verbeulten Odyssey. »Warum fahre ich dich eigentlich nicht hin? Ich geb dir das Geld für ein Taxi zurück.«
»Nein danke.«
Er lächelte angespannt. »Na schön.«
Alana ging zu ihrem Auto und wartete dort auf ihren Bruder. Als Martin einstieg, hatte er einen kartonierten weißen Umschlag mit einem Knopf-und-Kordel-Verschluss sowie eine Tüte aus dem Geschenkshop am Flughafen bei sich.
»Hier, für … deine Tochter.«
»Sie heißt...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2024 |
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Übersetzer | Peter Hammans |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Autorin Kanada • böse familie • böse familie roman • bücher roman familientragödie • celeste ng ähnliche bücher • Elyse Friedman • familiendrama buch • Familienintrige • Familienroman • frauen rache roman • Frauen üben Rache • Gegenwartsliteratur • Geld regiert die Welt • Gesellschaftsroman Spannung • intelligente romane • intelligente thriller bücher • junge Frau und alter Mann • kanadische Autorin • Krimi wie von Patricia Highsmith • mord in der familie • Nervenkitzel • Pageturner • patricia highsmith ähnliche bücher • Rache der Frauen • Rachefeldzug • Rache Roman • reiche Familie • Reiche Familie Krimi • romane über rache • spannende Bücher • Spannende Bücher für Frauen • spannende familienromane • spannende Romane • Spannungsroman + Familie • The Opportunist • thriller familie • Wohlhabende Familie • zwei Frauen Rache |
ISBN-10 | 3-426-46840-9 / 3426468409 |
ISBN-13 | 978-3-426-46840-1 / 9783426468401 |
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