Griechische Märchen (eBook)
240 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3635-7 (ISBN)
Eine fabelhafte Welt mit gefräßigen Prinzessinnen und Bettlern, die auf Erbsen schlafen.
Im Gegensatz zu den Mythen der griechischen Antike sind die Märchen aus dem Land an der Ägäis weitgehend unbekannt. Diese Sammlung aus dem Jahr 1864 zählt zu den frühesten und bedeutendsten deutschsprachigen Einblicken in die jüngere griechische Fabelwelt. Die Figuren und Wesen sind sowohl unheimlich vertraut als auch völlig fremd. Kaleidoskopartig mischen sich antike Sagen mit christlichen Einflüssen, byzantinische mit osmanischen Traditionen. Schöne Jünglinge stecken in Schlangenhaut und zeigen nur nachts ihr wahres Gesicht, Aschenputtel hat als Hühnerdreckelchen seinen Auftritt und wird zur Herrin eines wandelnden Schlosses, und ein armer Mann gewinnt die Gunst eines Königs, weil er wegen einer Erbse nicht schlafen kann.
Von dem weiberscheuen Prinzen
Guten Abend, Eure Herrlichkeiten!
Es war einmal ein König, der hatte einen einzigen Sohn, und als derselbe herangewachsen war, wollte er ihn verheiraten. Aber der Sohn wollte nichts vom Heiraten wissen, und je mehr ihn der König bat, ihm und dem Reiche einen Erben zu schenken, desto größer wurde sein Widerwille vor dem Ehestande. Da beschloss der König endlich, ihn auf Reisen zu schicken, damit er etwa in der Fremde irgendein Mädchen finde, das ihm gefiele, und sich in sie verliebe. Er ließ ihm daher ein schönes Schiff bauen, und auf diesem besuchte der Prinz viele Länder und Reiche, und wo er hinkam, erwies man ihm als Königssohn große Ehren, und führte ihm nach der Bitte seines Vaters alle schönen Königstöchter auf. Der Prinz aber fand an keiner Gefallen, und sobald man ihm irgendwo vom Heiraten sprach, da machte er sich heimlich aus dem Staube.
Als er eines Tages mit seinem Schiffe auf dem Meere war, erhob sich ein großer Sturm und warf das Schiff mit solcher Heftigkeit auf eine Klippe, dass es in Stücke ging und die ganze Mannschaft samt dem Prinzen in das Meer geschleudert wurde. Der Zufall wollte aber, dass ein alter Fischer in jener Gegend grade seine Netze ausstellte und bei dieser Arbeit von Weitem einen Körper auf dem Meere schwimmen sah. Da ruderte er mit seinem Boote hin, um den Menschen zu retten, und als er ihn herausgezogen hatte, brachte er ihn in seine Hütte, machte Feuer an, um ihn wieder zu erwärmen, und nachdem er sich lange vergebens bemüht hatte, fing der Prinz an, wieder Lebenszeichen von sich zu geben. Da flößte er ihm ein bisschen warmen Wein ein, und nun fing der Prinz an, seine Diener bei Namen zu rufen und ihnen Befehle zu erteilen, aber der alte Fischer suchte ihn nach und nach mit dem Unglück bekannt zu machen, und als dem Prinzen die Erinnerung an den Sturm und den Schiffbruch allmählich zurückkehrte, da fing er an, seine Genossen zu beweinen. Der Alte ließ ihn eine Weile gewähren, endlich aber suchte er ihn zu trösten und sprach: »Weinen und Klagen hilft zu nichts, aber wenn du willst, kannst du bei mir bleiben und mir fischen helfen, und dann wollen wir miteinander leben wie Vater und Sohn. Wenn dir das aber nicht gefällt, so will ich dich mit meinem Boote in die nächste Stadt bringen, vielleicht findest du dort einen von deinen Genossen.«
Darauf dankte ihm der Prinz für seine Gastfreundschaft und bat ihn, ihm seine Kleider zu geben und dafür die seinigen anzunehmen, denn er wolle unerkannt in die Stadt gehen, und was auch immer sein Schicksal sein möge, so werde er ihn niemals vergessen. Als der Prinz nun mit den Fischerkleidern in die Stadt kam, war sein Erstes, sich von dem Gelde, was ihm der Fischer mitgegeben, eine Ochsenblase zu kaufen und sie um den Kopf zu binden, um sein wunderschönes seidenes Kopfhaar darunter zu verstecken und sich das Ansehen eines Grindkopfes zu geben. Nachdem er lange vergebens nach seinen Genossen geforscht hatte, ging er zu dem Stallmeister des Königs und verdingte sich bei ihm zur niederen Stallarbeit nur für die Kost. Die Stallknechte aber waren böse Menschen und behandelten ihn sehr schlecht, doch er ertrug alles, was sie ihm antaten, mit großer Geduld, ohne jemals eine Klage laut werden zu lassen.
Seine Hauptarbeit bestand darin, aus dem Garten des Königs Wasser zu holen und es in den Stall zu tragen, und wenn er glaubte, dass er dort allein war, dann zog er eine Flöte hervor, die er sich gekauft hatte, und spielte darauf so schön, dass selbst die Nachtigallen seinem Spiele lauschten.
Eines Tages aber hörte die Königstochter seine süßen Weisen aus der Ferne und stieg zum Brunnen, um zu sehen, wer dort so schön spiele.
Als sie näher kam, wunderte sie sich, dass das ein Grindkopf sei; dem Prinzen aber war über dem Spiele so warm geworden, dass er seine Blase abnahm, um sich abzukühlen, und da sah die Prinzessin, wie ihm die schönen seidenen Goldlocken über die Schultern herabfielen, und sie verliebte sich sofort in ihn. Damit er ihr aber nicht entwischen könne, lief sie rasch auf ihn zu. Als sie nun der Prinz vor sich sah, wäre er vor Schrecken beinahe gestorben; er kniete vor ihr nieder und bat sie mit süßer Stimme, ihn nicht aufzuhalten, damit er von den Stallknechten nicht misshandelt würde. Die Prinzessin aber erkannte sogleich aus seinen Reden, dass er kein gemeiner Mensch sei, und sprach zu ihm: »Fürchte dich nicht, ich habe hier zu befehlen, denn ich bin des Königs Tochter.« Als das der Prinz hörte, fürchtete er für sein Leben und rief weinend: »O Prinzessin! Verzeihe mir nur diesmal, ich will gewiss nicht mehr hierherkommen.« Darauf beruhigte ihn diese und sprach: »Sage mir, woher du bist, und ich werde dich von den bösen Menschen befreien, unter denen du jetzt lebst.« Da sprach der Prinz: »Ich bin eines Fischers Sohn.« »Das ist nicht wahr«, versetzte die Prinzessin; aber er bestand darauf, dass er nicht lüge, und auf seine wiederholten Bitten gab ihm endlich die Prinzessin die Erlaubnis wegzugehen, doch musste er vorher versprechen, jeden Tag hierher zum Brunnen zu kommen.
Der Prinz kehrte ganz glücklich in den Stall zurück, als er aber dort hinkam, erhielt er neununddreißig Hiebe dafür, dass er so lange ausgeblieben war. Am andern Tage wollte er daher heimlich zum Brunnen schleichen und Wasser holen, aber die Prinzessin war schon dort und lauerte ihm auf, und als sie hörte, wie es ihm gestern ergangen war, ließ sie den Stallmeister rufen und sprach zu ihm: »Du hast in dem Stalle einen Grindkopf, den schicke mir hierher, denn ich will ihn in meine Dienste nehmen.« Der Stallmeister verlor den Burschen sehr ungern, weil er so tüchtig und pünktlich in seiner Arbeit war; doch was konnte er tun? Er musste hingehen und ihn herbeiholen. Unterwegs aber sagte er zu ihm: »Habe ich dir nicht gesagt, dass du dich vor der Königstochter nicht sehen lassen sollst? Nun muss ich dich auf den Richtplatz führen und spießen lassen.« Da verschwor sich der Prinz, dass er die Prinzessin gar nicht kenne, und klagte und weinte, und bat den Stallmeister, ihn leben zu lassen; dieser aber erwiderte: »Das hilft dir alles nichts, du musst gespießt werden.«
Nachdem ihn der Stallmeister der Prinzessin vorgestellt hatte, machte ihn diese zu ihrem Tafeldecker und Aufwärter. Wie er aber gewaschen war und neue Kleider angezogen hatte, da war sein Aussehen so schmuck, dass ihn die Prinzessin zum Kammerdiener machte, und er ihre Zimmer rein zu halten hatte. In einem derselben stand ein Klavier, und als er eines Tages glaubte, dass es niemand hören werde, da fing er an und spielte darauf leise, leise, und summte ein Liedchen dazu. Die Prinzessin aber belauschte ihn, und als sie ihn so schön spielen und singen hörte, da wurde sie nur noch mehr in ihrem Glauben bestärkt, dass hinter ihrem Diener ein großes Geheimnis stecke. Dieser fuhr fort, zu spielen und zu singen, und stellte so seine ganze Geschichte dar, und darüber wurde er endlich so betrübt, dass er in Weinen und Schluchzen ausbrach.
Darauf bat die Prinzessin ihren Vater um die Erlaubnis, von ihrem Kammerdiener Unterricht in der Musik nehmen zu dürfen. Der König aber wollte es gar nicht glauben, dass das ein so großer Musiker sei, bis ihn die Prinzessin in dem Musiksaale versteckte, und nachdem er ihn dort spielen gehört, hatte er daran ein solches Gefallen, dass er seiner Tochter ihre Bitte gewährte. Von da an nahm also die Prinzessin Klavierunterricht bei ihrem Kammerdiener, und der lehrte es ihr so gut, wie es der beste Klaviermeister nicht vermocht hätte. Von Zeit zu Zeit suchte sie ihm sein Geheimnis abzufragen; sobald dies aber der Jüngling merkte, fing er an zu weinen, und war dabei so schön, dass die Prinzessin Mitleid mit ihm hatte und ihn nur immer lieber gewann.
Aber auch der König hatte ihn lieb und nahm ihn daher oft auf seinen Spaziergängen mit. Als er einst mit ihm am Strande lustwandelte, erschienen die Botschafter von drei Königen, welche alle drei bei ihm um die Hand seiner Tochter für ihre Herren anhielten. Da wusste er nicht, wem er den Vorzug geben sollte, und sagte daher zu den Botschaftern, sie sollten ein wenig warten, denn er wolle seine Tochter beschicken und ihr die Wahl anheimstellen. Darauf schrieb er einen Brief an seine Tochter und schickte ihn mit dem Jüngling zur Prinzessin. Als diese den Brief gelesen hatte, nahm sie Feder und Papier und schrieb an ihren Vater: »Wenn du mich verheiraten willst, so weiß...
Erscheint lt. Verlag | 15.10.2024 |
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Reihe/Serie | Die Andere Bibliothek |
Mitarbeit |
Designer: Manja Hellpap |
Übersetzer | Johann Georg von Hahn |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Märchen / Sagen |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Aschenbrödel • Es war einmal • Fabeln • Geschenkbuch • Griechenland • griechische Mythologie • Grimms Märchen • Hans Magnus Enzensberger • Märchen • Märchen für Erwachsene • Monster • Prinz • Prinzessin • Sagen |
ISBN-10 | 3-8412-3635-9 / 3841236359 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3635-7 / 9783841236357 |
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