Herzen ohne Mauer -  Viola Ramsden

Herzen ohne Mauer (eBook)

Wie Christen die DDR, die Friedliche Revolution und die Zeit danach erlebten
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
288 Seiten
SCM Hänssler im SCM-Verlag
978-3-7751-7645-3 (ISBN)
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Christen in Ostdeutschland haben in den letzten Jahrzehnten viele Veränderungen, Schwierigkeiten und Neuanfänge durchlebt: Die kirchenfeindliche DDR-Zeit, die mutigen Tage der Friedlichen Revolution, die Umbrüche der Wende bis hin zu den Herausforderungen im Heute. Persönlich und nah berichtet Viola Ramsden über Einzelschicksale von Christen im Osten, wie sie diese Zeiten erlebt und überlebt haben, wie ihr Glaube sie getragen hat, welche Zweifel und Hoffnungen ihre Herzen erfüllen - Geschichten, die das Herz berühren.

Viola Ramsden (Jg. 1976) wurde in der DDR geboren und studierte Germanistik und Anglistik in Marburg. Sie lebte und arbeitete 13 Jahre in London, bis es sie mit Mann und Kind wieder nach Sachsen zog. Sie liebt das Schreiben, ihre Familie und den Osten.

Viola Ramsden (Jg. 1976) wurde in der DDR geboren und studierte Germanistik und Anglistik in Marburg. Sie lebte und arbeitete 13 Jahre in London, bis es sie mit Mann und Kind wieder nach Sachsen zog. Sie liebt das Schreiben, ihre Familie und den Osten.

Kapitel 2: Cornelia Stieler


DAS LEBEN AKTIV GESTALTEN


Vor ungefähr zehn Jahren begann ich, in einem Blog laut über meine ostdeutsche Identität nachzudenken und davon zu erzählen, welche Erfahrungen, Herausforderungen und Emotionen für mich damit zusammenhingen. Damals wurde das Thema noch nicht so intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert, wie das inzwischen der Fall ist. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – erhielt ich von Anfang an sehr persönliche Rückmeldungen von Lesern. Eine der Ersten, die mich kontaktierten, war Cornelia Stieler. Mein Text hatte bei ihr weit offene Türen eingerannt. Sie war begeistert, dass da jemand so frei über den Osten schrieb, und erzählte mir von ihrer Marke »Ostzigartig«. Wie der Name nahelegt, geht es hier darum, die besonderen Umstände ostdeutscher Lebensgeschichten herauszuarbeiten. Als systemischer Coach berät Cornelia Menschen im ostdeutschen Umfeld und organisiert Biografieworkshops. Die Motivation dafür kam aus ihrer eigenen Lebensgeschichte, nämlich dem, was sie als Ost-Frau selbst erlebt und erlitten hat. Denn: Cornelias Story ist kompliziert, zersplittert und verlustreich – aber auch voller Tatendrang, Lebenshunger und Überwindungskraft.

Schon bei der ersten Kontaktaufnahme bemühte sich Cornelia darum, mich besser kennenzulernen. Ich merkte, diese Frau hat unheimlich viel Energie. Eine Power, der man sich nur schwer entziehen kann. Gerne wollte sie mich treffen und sich gemeinsam über das Ost-Thema austauschen. Doch das war gar nicht so einfach, denn mein Mann und ich lebten zu dem Zeitpunkt noch in London. Praktischerweise landeten wir für unsere Familienbesuche jedoch regelmäßig auf dem Leipziger Flughafen. Da wohnte auch Cornelia in der Nähe. So kam es circa ein Jahr später zu unserer ersten Begegnung. Ich erinnere mich, wie ich damals mit meinem Babybauch in dem Café ankam, wo wir verabredet waren. Ungezwungen begannen wir das Gespräch und vertieften uns ins Thema. Dabei stellen wir beide erfreut fest, dass unser jeweiliges Gegenüber ebenfalls eine engagierte Christin ist. Auch deshalb kommunizieren wir schnell auf einer ähnlichen Wellenlänge. Wir beschlossen, in Kontakt und Austausch zu bleiben. Als ich ein paar Jahre später begann, an meinem Buch über Christen in Ostdeutschland zu arbeiten, stand Cornelia mit ganz oben auf meiner Interview-Wunschliste.

Alles ganz katholisch


Diesmal treffen wir uns auf Zoom. Wir sprechen über Cornelias Leben. Sie geht sehr offen mit ihrer Biografie um. Es ist ihr wichtig, die Erfahrungen als Ostdeutsche transparent und reflektiert weiterzugeben. Sie hat sich selbst immer wieder intensiv damit auseinandergesetzt und sich darum bemüht, ihre Erlebnisse aktiv zu verarbeiten. Sofort beginnt Cornelia zu erzählen: Meine Familie kommt aus Oberschlesien und der thüringischen Rhön. Beide Eltern waren traditionell katholisch geprägt. Da war von Anfang an klar: Wir machen in der DDR nicht alles mit. Das haben wir als Kinder natürlich nicht infrage gestellt. Die ganze Familie war stark christlich sozialisiert. Das war ein riesiger Großfamilienverbund. Allein väterlicherseits habe ich 45 Cousins und Cousinen. Dieser staatskritische katholische Weg hat sich in unserem Großfamilienmilieu nachhaltig manifestiert. Ich war die Älteste von sechs Kindern und wurde natürlich sofort getauft. Unsere Kindheit war sehr traditionell und katholisch. Wir haben alle kirchlichen Feiertage und Rituale ausführlich zelebriert. Meine Mutter arbeitete nicht in ihrem Beruf, sondern war zu Hause bei der Familie. Ich bin nicht in die Krippe und den Kindergarten gegangen. Deshalb wuchsen wir sehr behütet in der Großfamilie und Kirchgemeinde auf. Meinen Eltern war es wichtig, uns Kinder so lange wie möglich von staatlichen Einflüssen abzuschirmen. Mein Vater ging zuerst noch in einen staatseigenen Betrieb. Dort arbeitete er sich dann aber bewusst heraus, um politische Themen am Arbeitsplatz zu vermeiden. Also hat er sich als Handwerker selbstständig gemacht. So konnten wir als Familie relativ unabhängig von sozialistischer Indoktrination auskommen.

Gebannt lausche ich Cornelias Kindheitserinnerungen. Sie beschreibt einen tief verwurzelten Katholizismus im Südwesten der DDR, der sich sehr stark von Staat und Partei abgrenzt. Ihre Großfamilie war gewissermaßen eine kritische katholische Enklave, in der religiöse Werte oberste Priorität hatten. So entstand eine unvermeidbare Opposition zur Ideologie der SED. Daraus resultierte auch eine fröhlich freie Kindheitswelt, ohne den Stress kommunistischer Erziehung. Eine Idylle auf Zeit, die mit dem Schulanfang jäh zu Ende ging.

Außenseiterrolle


Natürlich machten Cornelia und ihre Geschwister auch nicht bei den Pionieren mit. Dadurch standen sie von Anfang an im Abseits. Cornelia erzählt: In der Schule hatte ich immer eine Außenseiterrolle. Es gab zwar noch einige andere, die auch nicht bei den Pionieren waren, aber in unserer Familie wurde das alles am intensivsten abgelehnt. Deshalb stand ich ziemlich allein da. Ich habe als Kind schon früh gespürt, dass es irgendwie komisch war. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, ich empfand viele Ambivalenzen und bin damit nicht immer gut klargekommen. Im Musikunterricht der zweiten Klasse sangen wir das Lied vom NVA-Soldaten, der für uns Kinder den Frieden sichert. Ich dachte mir, das ist doch etwas Schönes, wenn der Vater für den Frieden kämpft. Wenn ich dann zu Hause mit den Liedern aus dem Musikbuch ankam, ist mein eigener Vater immer fast ausgetickt. Das war für mich alles sehr anstrengend. Eine schwierige Situation für ein Kind.

Doch es waren nicht nur die ideologischen Verwerfungen, die Cornelia belasteten. Als streng katholische Christin hatte sie in der DDR kein Anrecht auf eine attraktive Zukunft: Dass ich nicht bei den Pionieren oder in der FDJ war und natürlich nicht an der Jugendweihe teilnahm, hat mein komplettes Leben beeinflusst und meinen Berufsweg immer wieder geprägt und benachteiligt. Es hat mich dreißig Jahre meines Lebens gekostet, das wieder aufzuholen, was mir in der DDR an Bildung verwehrt wurde. Der Anteil an Abiturienten war in der DDR generell gering. Nur zwei, maximal drei Schüler pro Klasse durften auf die EOS. Da kamen natürlich nur die zum Zug, die absolut konform waren und sich durch sozialistisches Engagement hervortaten – zum Beispiel als Gruppenrats- oder Freundschaftsratsvorsitzende. Diese Gremien waren Instrumente der politischen Einflussnahme im Schulalltag. Da konnte ich natürlich nicht mitmachen. Ich engagierte mich deshalb in vielen AGs (Musik, Kunst), um das wettzumachen. Aber mit meiner Geschichte und Herkunft hatte es trotzdem nicht gereicht. Durch die geringe Quote konnten sie ja wunderbar aussieben. Selbst meine Schwester, die ihren Schulabschluss mit Auszeichnung – also einem Notendurchschnitt von 1,0 – bestand, durfte kein Abitur machen. Sie hätte sehr gerne Medizin studiert.

In unserem Gespräch nehme ich Cornelias Trauer und den Frust über dieses Lebensthema wahr. Schon als junges Mädchen spürte sie den Wunsch, sich zu entfalten, und wurde dabei immer wieder enttäuscht. Als Kind träumte ich von verschiedenen Berufen: Lehrerin werden, das wäre schön! Okay, vergiss es in diesem politischen System … Außerdem bin ich sehr sprachbegabt. Ich war gut in Russisch und habe dann später Englisch sowie Französisch parallel gelernt, obwohl man eigentlich nur eine zusätzliche Sprache wählen durfte. Zu Hause eignete ich mir im Selbststudium noch Italienisch an. Am liebsten wäre ich Dolmetscherin geworden. Aber auch da gab es keinen Weg, denn natürlich durften nur absolut linientreue Leute mit ausländischen Delegationen in Kontakt treten. Ich war auch kreativ, doch ein künstlerischer Beruf kam ohne höheren Schulabschluss ebenfalls nicht infrage. Mein Vater entschied dann, dass ich Bauzeichnerin werden sollte. Das sei ein unpolitischer Beruf und ich könne ja dabei auch zeichnen. Eine Frau aus der Gemeinde hat das dann für mich vermittelt. Also lernte ich Bauzeichnen.

Hier gab es dann die Möglichkeit, über einen Quereinstieg einen höheren Abschluss zu erreichen, indem sie sich zur Ingenieurin ausbilden ließ. Das war in der DDR nicht unüblich. Auch in meiner Familie gab es einige Verwandte, die sich ohne Jugendweihe mit Quereinstieg noch einen Studienabschluss erarbeiteten. Doch für Cornelia endete das ebenfalls in einer Sackgasse: Ich versuchte also einen Studienplatz als Hochbauingenieur zu bekommen. Doch auch hier war ich mit meiner Bauzeichnerlehre ohne Blauhemd (FDJ-Uniform) wieder die Außenseiterin. Es wurde wieder nach politischen Kriterien ausgewählt und die wenigen Plätze im beliebten Hochbaustudium den ideologisch Angepassten zugeteilt. Mir teilten sie den Ingenieurstudiengang Heizungs-, Lüftungs-, Sanitärtechnik (HLS) zu. Da musste ich dann mit Männern, die aus dem Handwerk kamen, lernen. Natürlich hat das nicht zu mir gepasst. Ich saß da und sollte Lüftungsrohre projektieren oder Heizungen planen. Das war von meinen eigentlichen Interessen so weit weg, dass ich merkte: »Ich will das nicht!« Und dann habe ich das Studium nach anderthalb Jahren hingeschmissen.

Angst statt Euphorie


Nach so vielen Enttäuschungen in der Ausbildung konzentrierte sich Cornelia auf ihr Privatleben: Jetzt hatte ich als junge Frau nicht mehr viele Möglichkeiten in der DDR. Ich wollte weg aus dem Elternhaus und endlich auf eigenen Füßen stehen, meine eigenen Wege gehen. Aber eine Wohnung bekam man nur durch Familiengründung. Wie die meisten Ostdeutschen meiner Generation habe ich schon sehr jung mit zwanzig Jahren geheiratet. Danach kamen schnell Kinder. Im Alter von 21 und 22...

Erscheint lt. Verlag 2.9.2024
Verlagsort Holzgerlingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 1989 • Biografie • Christen • DDR • Einheit • Erlebnisbericht • Glaube • Jugendweihe • Kinder des Ostens • Leben in der DDR • Lebensgeschichte • Mauer • Mauerfall • Ostdeutschland • Pioniere • Trabi • Versöhnung • Vorurteile • Wende • Westdeutschland • Widerstand • Wiederherstellung • Wiedervereinigung
ISBN-10 3-7751-7645-4 / 3775176454
ISBN-13 978-3-7751-7645-3 / 9783775176453
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