Wohnverwandtschaften (eBook)
272 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31127-3 (ISBN)
Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokio. Sie verfasste zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Jane Gardam, Nick Hornby und Jonathan Safran Foer. 2011 erschien ihr erstes eigenes Buch, »Sachen machen«, bei Rowohlt, außerdem schrieb sie Kurzgeschichten in Anthologien. 2006 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung und 2011 den für Literatur. 2016 erschien ihr Bestsellerroman »Der Pfau« und 2019 »Laufen«. 2024 erscheint ihr neuer Roman »Wohnverwandtschaften«.
Isabel Bogdan, geboren 1968 in Köln, studierte Anglistik und Japanologie in Heidelberg und Tokio. Sie verfasste zahlreiche Übersetzungen, u.a. von Jane Gardam, Nick Hornby und Jonathan Safran Foer. 2011 erschien ihr erstes eigenes Buch, »Sachen machen«, bei Rowohlt, außerdem schrieb sie Kurzgeschichten in Anthologien. 2006 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzung und 2011 den für Literatur. 2016 erschien ihr Bestsellerroman »Der Pfau« und 2019 »Laufen«. 2024 erscheint ihr neuer Roman »Wohnverwandtschaften«.
Murat, Constanze
Samstag, 28. Mai 2022
Oh Mann, ich liebe diesen Garten so sehr! Ich hab den Rasen gemäht und ein paar Sorten Salat ins Hochbeet gepflanzt und Kräuter gesät. Die Radieschen sind prächtig, Kohlrabi steht wie ne Eins, der Lauch sieht auch super aus, Bohnen sind total geil – es macht mich echt dermaßen happy, wenn in meinem Garten alles wächst und gedeiht. Die Kirschen sind fantastisch, die Äpfel wachsen so vor sich hin, alle möglichen Blumen blühen, die Bienen summen, irgendjemand weiter hinten hat ein oder zwei Bienenvölker, und Hummeln sind auch unterwegs. So viel Leben.
Die Kartoffeln wachsen, da freue ich mich auch schon wieder drauf. Schön aus dem Ofen, mit Kräutern. Und ich hoffe, die anderen kriegen nicht irgendwann zu viel vom Mangold, der wächst wie bekloppt. Super Zeug. Erst sieht es geil aus mit den bunten Stielen, und dann kann man so tolle Sachen damit machen. Dass das einfach alles immer so wächst und man es essen kann!
Sommer ist sowieso die geilste Jahreszeit. Endlich Licht und Luft! Okay, St. Pauli hat den Aufstieg nicht geschafft, aber der HSV immerhin auch nicht, das bisschen Schadenfreude muss sein.
Ich mache mir Musik an, nicht zu laut, wegen der Nachbarn. Kruder und Dorfmeister, Kiffermucke, meine ewige Sommermusik, seit wie vielen Jahren jetzt? Zwanzig? Kruder und Dorfmeister zum Chillen, es muss nicht immer Metal sein.
Bin gespannt, wie es wird, wenn Jörg seine große Reise macht. So langsam müsste er mal konkreter werden, wenn er diesen Sommer noch loswill, irgendwie kommt er nicht richtig ausm Quark. Vielleicht bleibt er ja auch hier, ich würde mir schon Sorgen machen, wenn er monatelang allein mit dem Auto unterwegs ist. In Ländern, wo er die Sprache nicht spricht und wo man sowieso nie weiß.
Boah, Murat, wie so’n Papa, ey. Jörg ist selber groß, und es ist auch nicht seine erste lange Reise. Aber ich werde ihn vermissen. Fühlt sich doch längst an wie Familie. Ich hab hier meinen kleinen Garten, der ist nur meins, aber Jörg und Anke sind mein Zuhause, meine Familie. Constanze eigentlich auch schon längst. Sie ist echt in Ordnung, bisschen unlocker manchmal, aber bestimmt auch gut für Anke, nicht mehr so allein unter Männern zu sein. Wobei, hat ihr nie was ausgemacht, glaube ich, und wir haben uns auch echt Mühe gegeben. Trotzdem schön, dass Conny da ist. Ich hoffe so sehr, dass sie bleibt. Wenn Jörg erst mal weg ist, wird es mit den Frauen sicher anders, als es mit Jörg und Anke war. Conny ist manchmal ein bisschen streng, sie wird uns noch alle zu Ordnung und Sauberkeit erziehen. Na ja, oder auch nicht. Sie mag es nicht, wenn ich sie Conny nenne.
Es ist heiß, die Vögel zwitschern, ich schwitze und ziehe meinen Pulli aus. Wer einen Garten hat, braucht kein Gym mehr. Ich knie in einem immer noch verlotterten Blumenbeet und reiße das ganze Unkraut raus, das sich da irgendwie angesammelt hat, es macht Spaß, ich schwitze, ich freue mich, dass um mich herum alles blüht und zwitschert. Wer auch immer den Sommer erfunden hat: geiler Job. Nächstes Jahr will ich neue Blumennamen und Gemüsesorten lernen und ihnen beim Wachsen zugucken. Eigentlich müssen in so einem Garten Kinder sein, ich würde eine Schaukel aufstellen, oder ein Trampolin, hätte ich auch selber Bock drauf, aber wie sieht das denn aus, wenn man keine Kinder hat? Kann man als alleinstehender Mann irgendwie nicht bringen. Stattdessen habe ich die Hollywoodschaukel, die ich von den alten Baumeisters geerbt habe, die Tochter wollte sie wegwerfen, als sie den Garten übernommen hat, ich konnte sie gerade noch retten. Ich liebe das olle Ding, total aus der Zeit gefallen. Die meisten anderen haben jetzt Strandkörbe, die sind natürlich auch schön. Aber meine Hollywoodschaukel ist cooler. Und sie quietscht besser.
Ohne Jörgs Einsatz hätte ich den Garten niemals bekommen, er hat einfach behauptet, wir würden uns schon ewig kennen, und deswegen sollte ich seinen Garten übernehmen, damit er mich hier immer noch besuchen kann – was er praktisch nie macht, weil der Garten anscheinend immer Brigittes Ding war. Er sagt, er hat vor allem auf der Liege gelegen und gelesen. Diesen Sommer muss ich ihn öfter dazu bringen herzukommen, wenn er nicht gerade auf dem Weg nach Georgien oder sonst wo ist. Komisch, er will immer reisen, aber wenn er in Hamburg ist, sitzt er die meiste Zeit zu Hause und macht nicht viel. Oder liest halt auf dem Balkon.
Ich hole mir den Spaten aus dem Schuppen und fange an, das unkrautbefreite Beet umzugraben. Keine Ahnung, ob man das so macht, aber schadet sicher nicht, die Erde ein bisschen aufzulockern und Luft reinzulassen. Mal sehen, was ich dann hier pflanze. Ich schwitze wie ein Schwein.
Eine Fahrradglocke klingelt, und … da kommt Constanze. Oh! Wie schön! Ganz schön sexy, abgeschnittene Jeans, ein Top, leicht verschwitzt vom Radfahren.
»Gibt’s was zu ernten?«, fragt sie. »Am liebsten Kirschen?«
»Nee, Kirschen brauchen noch bisschen«, sage ich. »Aber guck mal hinter der Laube, da geht es schon langsam mit Erdbeeren los! Ich hab auch Eis im Tiefkühlfach.«
Für später habe ich noch jede Menge Salat, Radieschen, Kohlrabi, alles Mögliche – da können wir uns was Schönes draus machen, wenn sie so lange bleibt. Und Bier ist auch noch im Kühlschrank. Quatsch, sie mag kein Bier. Eine Flasche Sekt ist aber auch noch da. So, wie ich aussehe, kann ich aber nicht mit einer schönen Frau Erdbeeren essen und Sekt trinken, erst mal muss ich duschen.
Ich trinke erst mal ein großes Glas Wasser, suche mir in der kleinen Küchenecke eine Schale und gehe damit hinter die Laube. Murat beendet seine Arbeit, kommt ebenfalls nach hinten und zieht sich aus.
»Was wird das denn?«, frage ich und starre in die Erdbeeren.
»Ich bin total verschwitzt«, sagt er und stellt die Außendusche an. »Aaahhh, herrlich!« Er lässt sich das kalte Wasser durch die Haare und am Körper hinunterlaufen, legt genüsslich den Kopf in den Nacken und rubbelt sich durchs Haar. Er sieht aus wie eine griechische Statue. Nice! Ganz anders als Flo. Der sich sowieso nicht so einfach draußen ausgezogen hätte. Vor einer Frau. Ich konzentriere mich auf die Erdbeeren, finde ein paar reife, dann gehe ich zurück in die Laube und setze Kaffeewasser auf. Eigentlich könnte ich auch eine Dusche vertragen.
Als der Kaffee fertig ist, kommt Murat mit einem um die Hüften geschlungenen Handtuch dazu. Immerhin. Ich finde, es spräche auch nichts gegen ein T-Shirt, aber inzwischen kenne ich ihn ja ein bisschen. Und seine Brustbehaarung. »He, haut ab«, sage ich und wedele die Wespen weg, »das sind unsere Erdbeeren.«
»Lass sie doch«, sagt Murat. »Die wollen doch auch nur leben.«
»Schon. Aber sind die für irgendwas gut, außer Leute ärgern?«
»Vogelfutter? Keine Ahnung. Vielleicht muss ja auch nicht jeder für etwas gut sein.«
Manchmal wünsche ich mir Murats Weltsicht. »Wusstest du«, fragt er, »dass die im Frühjahr vor allem auf Fleisch und so was gehen, weil sie Proteine für die Aufzucht der Brut brauchen, und im Herbst mehr auf Süßes, um sich für den Winter rundzufuttern?«
»Nee«, sage ich, »ich dachte, die fressen immer alles.«
»Hat mir der Nachbar links erklärt. Ich lerne hier so viel!«
Wir essen Eis mit Erdbeeren und trinken Kaffee, dann frage ich der Form halber, ob noch irgendetwas zu tun ist. Er sagt Nein, ich kann einfach ein bisschen lustwandeln und dem Gemüse beim Wachsen zugucken, das ist besser als jedes Museum. Oder mich in die Hollywoodschaukel legen. Und ob ich ein Glas Sekt möchte. Lustwandeln!
Natürlich möchte ich ein Glas Sekt. Ich setze mich quer in die Hollywoodschaukel und stoße mich vom Ständer ab. Die Schaukel quietscht rhythmisch.
Ich bin getrocknet und ziehe mir erst mal was an. Dann trage ich ein Tablett mit Sekt und den restlichen Erdbeeren zu Conny. Zu schön, wie sie da quer in der Hollywoodschaukel sitzt.
»Du siehst wahnsinnig schön aus.«
»Ja, klar«, sagt sie. »Verschwitzt, wie ich bin.«
»Du siehst wahnsinnig schön aus. Isso.«
»In abgeschnittenen Jeans, mit diesen Käsebeinen …«
»Wenn du nicht sofort aufhörst, hole ich die Kamera und mache ein Foto, damit du es selbst sehen kannst.«
»Ach, lass mal. Ich bin wohl nicht so gut im Komplimenteannehmen.«
»Beruhigt mich, dass du auch in irgendwas nicht gut bist. Wir können das gern üben!«
»Och, im Klavierspielen bin ich auch nicht gut. Vom Eistanzen ganz zu schweigen.«
Ich werfe in jedes Glas Sekt eine Erdbeere.
»Prost, Conny, alte Nichtskönnerin.«
»Ey! Prost.«
»Rutsch mal.«
Ich setze mich zu ihr auf die Hollywoodschaukel, sie will ihre Beine runternehmen, aber ich lege sie mir einfach auf den Schoß. Wenn man die Beine auf dem Boden hat, schaukelt die Schaukel ja nicht.
Wir stoßen an. Es kribbelt ein bisschen.
Ein Vogel zwitschert. Ich zeige Constanze die Vogelstimmen-App. »Sei mal ganz still«, sage ich. Der Vogel ist auch still. Wir schweigen. Die Hollywoodschaukel quietscht. Der Vogel singt, ich zeichne mit der App ein Stück davon auf und drücke dann auf »Analysieren«.
»Bestimmt ein Rotkehlchen«, sage ich, »die singen so schön. Hier sind immer welche.« Rotkehlchen, sagt die App, sehr sicher.
»Und nicht die Lerche!«, sagt Constanze.
»Lerchen hatte ich hier noch nie, glaube ich.«
»Aber Nachtigallen?«
»Öhm, nee,...
Erscheint lt. Verlag | 10.10.2024 |
---|---|
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Alter • Altern • chosen family • Der Pfau • Freunde als Familie • Geschenk für Frauen • Interkuturell • Lebensträume • Senioren-Wohngemeinschaft • Wahlfamilie • WG • Wohngemeinschaft • Zusammenleben |
ISBN-10 | 3-462-31127-1 / 3462311271 |
ISBN-13 | 978-3-462-31127-3 / 9783462311273 |
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