Die Fürstin der Schatten (eBook)

Roman

(Autor)

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2024
896 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-24329-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Fürstin der Schatten - Peter V. Brett
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Die Menschen glaubten, die Dämonen besiegt zu haben, und hofften, eine neue Zivilisation errichten zu können. Doch kaum eine Generation später sind die Horclinge zurückgekehrt. Einzig die legendäre Festung Alas Speer steht noch zwischen Menschen und Dämonen. Als Tochter des legendären Jardir Ahmann wird von Olive erwartet, die versiegelten Pforten von Alas Speer zu öffnen und die Menschen in den Kampf gegen die Dämonen zu führen. Doch manches Erbe wiegt schwer, und Olive ist nicht bereit, sich in ihr Schicksal zu fügen ...

Peter V. Brett, 1973 geboren, studierte Englische Literatur und Kunstgeschichte in Buffalo und entdeckte Rollenspiele, Comics und das Schreiben für sich. Danach arbeitete er zehn Jahre als Lektor für medizinische Fachliteratur, bevor er sich ganz dem Schreiben von fantastischer Literatur widmete. Mit seinen Romanen und Erzählungen aus der Welt von »Das Lied der Dunkelheit« hat er die internationalen Bestsellerlisten gestürmt. Peter V. Brett lebt in Brooklyn, New York.

1


Tränenfläschchen


349 NR

Ich bin Darin aus Tibbets Bach, und ich suche meine Mam.

Meinen Dad hab ich nie kennengelernt. Er starb vor meiner Geburt. Weil er die Welt gerettet hat, und das ist die volle Wahrheit. Wer mir nicht glaubt, der kann ja andere Leute fragen. In einem Umkreis von hundert Meilen wird jeder erzählen, dass Arlen Strohballen runter in den Horc gestiegen ist und sich selbst geopfert hat. Das Letzte, was man von ihm gesehen hat, waren gigantische, feurige Siegel am Himmel, die die große Wende im Dämonenkrieg brachten und die Horclinge zu Asche verbrannten. Auch die, die damals dabei waren, sagen das. Mein Blutsvater. Meine Mam.

In gewisser Weise war ich auch dabei. Als er starb, war ich zwar immer noch in Mams Bauch, aber sie sagt, bloß wenige Minuten später flutschte ich aus ihr raus und landete auf dem felsigen Boden des Dämonenstocks.

Hab meine einzige Chance, meinen Dad kennenzulernen, um ein paar Minuten verpasst. Könnten genauso gut Jahre sein. Egal ob man nur eine Minute zurückreisen will oder eine Sekunde, es wird dadurch nicht leichter.

Langsam kriege ich das Gefühl, dass die Leute sich irren. Die Welt muss immer noch gerettet werden. Und wenn sie sich in diesem Punkt irren, warum nicht auch in dem anderen? Meine Tante Leesha ist Wahrsagerin. Sie tunkte mal ihre Würfel aus Dämonenknochen in mein Blut, und der Wurf hatte was Magisches, keine Frage. In Gedanken habe ich ihre Worte so oft wiederholt, dass sie Teil von mir geworden sind.

Drunten in der Finsternis wartet der Vater auf die Rückkehr seiner Nachkommenschaft.

Könnte alles Mögliche bedeuten. Ich bin nicht so blöd, dass ich einer Prophezeiung wortwörtlich glaube. Aber ist ja nicht irre, sich zu fragen, ob irgendwo da unten noch was von meinem Dad übrig ist, festgepfropft im Horc wie ein Korken in einem Flaschenhals.

Oder?

Aber während mein Dad vielleicht noch am Leben ist, weiß ich sicher, dass meine Mam noch lebt. Und ich weiß, dass dieses Ding, das sie in seiner Gewalt hat, sie mästen will wie ein Schwein, das man für eine Hochzeitsfeier schlachtet.

Ich bin ohne einen Dad groß geworden. Wenn ich andere Jungs mit ihren Dads gesehen hab, hab ich gemerkt, dass mir was fehlt, aber etwas, das man nie gehabt hat, vermisst man auch nicht wirklich.

Mam war die, die immer für mich da war. Mich fütterte, mir alles beibrachte und mich beschützte. Meine Mam, stark wie die Sonne.

Und jetzt ist sie weg. Sie wurde verschleppt. Ich muss für mich selbst sorgen, so gut ich kann. Zum Glück hab ich Hilfe, weil allein käme ich wohl nicht zurecht. Seit meinem ersten Geburtstag versuchen die Leute, etwas von meiner Mam und meinem Dad in mir wiederzuerkennen. Und ziehen dann ganz enttäuscht wieder ab.

Aber ich darf nicht nur an mich denken. Nachdem meine Mam so viele Jahre lang alles für mich getan hat – was für ein Sohn wäre ich, wenn ich nicht versuche, sie zu retten? Sogar wenn das bedeutet, dass ich in die Höhle einer Kreatur muss, für die die Jongleure ein Dutzend Namen erfunden haben, einer schrecklicher als der andere. Der Dämonenkönig. Der Vater des Bösen.

Alagai Ka. Er heckt irgendwas aus, um eine neue Königin auszubrüten und mit ihr den nächsten Dämonenstock zu gründen. Und wenn ihm das gelingt …

Wozu ist Dad gestorben, wenn ich zulasse, dass Alagai Ka wiederkommt und alles wieder von vorne anfängt? Wenn ich zulasse, dass er meine Mam an eine junge Königin verfüttert und den Stock mit einer neuen Generation Horclinge auffüllt, gerade als die Leute auf den Geschmack gekommen sind, wie schön das Leben ohne Dämonen sein kann?

Natürlich kann ich ihn nicht daran hindern. Dieser Aufgabe bin ich einfach nicht gewachsen. Ich bin fünfzehn Sommer alt, und der Dämonenkönig ist älter als ein Gebirge. Hab ein bisschen Magie, die ich einsetzen kann – eher instinktiv, wenn ich Angst habe, als bewusst gesteuert –, aber der Vater des Bösen setzt seine Macht mit derselben Leichtigkeit ein, mit der ich auf meiner Panflöte spiele. Alagai Ka braucht sich vor nichts zu fürchten, und ich habe dauernd Angst. Wenn ich die Sache allein in Angriff nehme, werde ich dabei wohl eher sterben, als ihm auch nur einen einzigen Stein in den Weg zu legen.

Aber ich bin ja nicht allein. Ich habe viele Freunde, von denen jeder einzige irgendetwas besser kann als ich.

Olive Papiermacher verfügt über ihre eigene Magie – sie steckt in ihren Muskeln und in ihren Knochen. Sie könnte locker eine Milchkuh hochheben und durch eine Scheunenwand schmeißen. Der Dämon hat auch ihre Mam entführt, und das gefällt ihr überhaupt nicht.

Selen Holzfäller ist nicht so stark wie Olive, aber viel größer und kräftiger als ich. Und schlauer. Ich weiß nicht, ob ich mich getraut hätte, auf der Suche nach Olive Hunderte von Meilen durch eine Wüste zu marschieren, wenn sie nicht dabei gewesen wäre, um mich zu beschützen.

Arick und Rojvah, die in allem, was zählt, mein Cousin und meine Cousine sind, auch wenn wir nicht dasselbe Blut haben, strahlen eine Selbstsicherheit und eine Zuversicht aus, von der ich nur träumen kann. Arick ist gebaut wie ein Preisbulle und ist der beste Kämpfer, den ich kenne, mit Ausnahme von Olive. Rojvahs musikalisches Talent ist meinem haushoch überlegen, mit ihrem Gesang kann sie Dämonen – und Menschen – anlocken und sie in ihren Bann ziehen.

Allein kann ich unsere Eltern nicht retten, aber zusammen schaffen wir es vielleicht.

Ich will endlich loslegen. Aufbrechen und mit voller Geschwindigkeit auf das zulaufen, vor dem ich mich so schrecklich fürchte, in der Hoffnung, dass der Schwung und der Wunsch, meine Freunde nicht zu enttäuschen, mich weiter anschieben, selbst wenn mir die Angst zu viel wird.

Aber erst gibt es noch was anderes zu erledigen.

Die Beisetzung ist im Grunde wie Fürsorger Harrals Siebenttagsandachten bei uns daheim in Tibbets Bach. Jede Menge lange, laute, langweilige Gebete mit halb gesungenen Texten. Und dazwischen immer wieder ein öder Sermon. Bloß dass hier die Gebete und Predigten auf Krasianisch sind, und statt in der kleinen Kapelle auf der Kuppe von Torfhügel bin ich im legendären Sharik Hora.

Ich war schon davor mal in großen Heiligen Häusern. In der Kathedrale des Erlösers im Tal. In der riesigen Bibliothek und der Kathedrale von Miln. Aber selbst der neue Sharik Hora – der mir beim ersten Mal sehen die Sprache verschlagen hat – ist nichts im Vergleich mit dem echten Sharik Hora, dem Tempel der Gebeine der Helden in Fort Krasia, oder dem Wüstenspeer, wie die Einheimischen diese Stadt nennen.

Hier wohnt Magie. Uralte Magie … sie schlummert, aber ich kann sie spüren, auch wenn die meisten Menschen nichts davon merken.

Sie ist anders als die, die ich kenne. Sie ist nicht wie die Magie in den Dämonenknochen, die Tante Leesha benutzt, und auch nicht wie die rohe Magie des Horc, von der meine Mam ihre Kräfte hat. Oder die Magie, die in mir drinsteckt, weil ich in der Finsternis geboren wurde, und es ist nicht wie bei den Dämonen, die mit der Magie aus dem Dunkel der Tiefe durchtränkt sind.

Es ist kurz nach der Morgendämmerung, die Sonne scheint durch die Buntglasfenster und füllt den Raum mit Farbe und Licht. Sonnenlicht verbrennt Magie eigentlich, aber an diesem Ort verliert es seine Wirkung.

Nur bei mir nicht. Mein Körper ist bedeckt, soweit es die Sitte erlaubt, nur mein Gesicht und meine Hände sind frei. Trotzdem tut mir das Licht weh, und nicht nur in den Augen. Mir ist schwindelig, meine Haut juckt und brennt. Die Magie kommt nachts raus und haftet an mir wie ein übler Geruch, bis die Sonne sie abschmirgelt und verbrüht, als würde sie mich mit Sandpapier und kochendem Wasser bearbeiten.

Bei Nacht erwacht der Tempel der Gebeine der Helden zum Leben, als hätte er einen eigenen Willen. Den hat er wohl auch – geformt von den Emotionen der sterbenden Krieger, die ihr Leben geopfert haben, um die Menschheit vor den Horclingen zu beschützen.

Dieser … Wille strömt förmlich aus jedem der gebleichten und lackierten Knochen, die alle Oberflächen des Tempels zieren. Ein goldenes Licht, das nur die sehen können, die selbst ihre eigene Magie besitzen.

Kronleuchter aus Hunderten Schädeln starren auf uns herab. Ich kann jeden einzelnen Körperknochen nach Gefühl erkennen, auch wenn ich sie nicht alle benennen könnte. Der Altar hat ein bisschen was von allem, die Knochen sind wie ein Puzzle zusammengesteckt und reichen vom Boden bis zur Decke. Sogar die Kelche und Schalen mit dem geweihten Wasser sind aus menschlichen Schädeln.

Um den Raum herum verteilte Alkoven beherbergen vollständige Skelette von großen kai, Hauptmänner, die sich im Dämonenkrieg verdient gemacht haben. Noch im Tod halten sie ihren Speer und ihren Schild. Die Sitzbänke sind aus Oberschenkelknochen und Wadenbeinen, die von Schnüren und Leim zusammengehalten werden. Selbst durch die drei Lagen Stoff zwischen meinem Hintern und dem Sitz spüre ich die Struktur der Knochen. Besonders unbequem sind die Stellen, wo die Gelenke aufeinandertreffen.

Es ist verstörend. Sogar ein bisschen gruselig. Aber trotzdem fühle ich mich hier sicher. Das ist der eine Ort, wo Dämonen nicht hinkommen.

Alles stinkt nach Weihrauch und den Chemikalien, mit denen man die Toten präpariert hat. Ausnahmsweise macht mir das nichts aus. Es überdeckt ein bisschen die Gerüche der Tausenden Gläubigen im Raum, den Schweiß, die Duftwässer und...

Erscheint lt. Verlag 13.11.2024
Reihe/Serie Dämonenzyklus
Übersetzer Ingrid Herrmann-Nytko
Sprache deutsch
Original-Titel The Hidden Queen
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 2024 • Arlen • Dämonen • Das Lied der Dunkelheit • eBooks • epische Fantasy • Fantasy • Fantasy-Epos • Heroische Fantasy • High Fantasy • Jardir • Magie • Neuerscheinung • progressive fantasy • Queere Fantasy • SPIEGEL-Bestsellerautor • the hidden queen
ISBN-10 3-641-24329-7 / 3641243297
ISBN-13 978-3-641-24329-6 / 9783641243296
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