Minus 22 Grad (eBook)
368 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-30095-1 (ISBN)
Ein Tag im Winter, kurz vor Mitternacht. Laura Gehler ist mit ihrem Trekkingrad im tief verschneiten Wald unterwegs. Wie aus dem Nichts taucht hinter ihr ein SUV auf. Der Fahrer drängt sie vom Weg ab und überwältigt sie. Stunden später erwacht sie in einem Käfig aus Plexiglas. Zwischen Laura und ihrem Entführer beginnt ein tödliches Spiel: Sie muss das Rätsel des Käfigs lösen - sonst wird sie sterben.
Lauras Mutter bekommt zeitgleich eine unheimliche Botschaft: eine Barbiepuppe mit Sterbedatum. Kommissar Lukas Johannsen erkennt darin die Handschrift eines nie gefassten Mörders. Soll Laura sein nächstes Opfer werden? Lukas macht sich bereit, in der Winterkälte ein Phantom zu jagen ...
»Spannend. Originell. Ein Thriller wie ein reißender Strudel - bis einen die schockierende Wendung unausweichlich erwischt. Unverzichtbar für Crime-Fans.«
Paulina Krasa, Mordlust - Der Podcast
Quentin Peck, geboren in Berlin, studierte Dokumentarfilmregie, Germanistik und Publizistik in Deutschland, Madrid und New York. Seit über dreißig Jahren arbeitet er als Fernsehjournalist und -produzent. Für seine Psychothriller experimentiert und prüft er an realen Orten seine Szenen, was seinen Büchern enorme filmische Dichte und Detailverliebtheit verleiht - Kopfkino beim Lesen!
Kapitel 1
Sie liebte den Schmerz. Die Muskelfasern in ihren Oberschenkeln überdehnten sich, standen kurz vor dem Reißen. Ihre Waden pochten. In den Fingerspitzen begann ein Kribbeln, das die Arme emporkroch wie eine warme Welle. So fühlte sich das Lebendige an, nur so und niemals anders.
Laura trat in die Pedale, die Reifen ihres Trekkingrads knirschten im frisch gefallenen Schnee. Die Frontlampe warf ihr Licht auf die Straße, nur an einigen Stellen schimmerte noch der Asphalt durch die weiße Decke.
Die Digitalziffern ihrer Smartwatch blinkten am Handgelenk. Lauras Puls lag bei einhundertneunzig. Steigend. Schneller. Noch schneller. Sie verlagerte ihre Kraft in die Beine, und ihr Herz hörte mit, als wollte es sich den schnelleren Trittfolgen anpassen. Einhundertdreiundneunzig. Weiter. Komm.
Die Talsperre mit ihrer Mauer aus Beton lag wie ein schlafendes graues Ungetüm in der Dunkelheit, bestrahlt nur vom halben Mond. Atem entstieg Lauras Mund, die Schwaden zerfächerten in der Luft. Ihre Lippen waren aufgesprungen. Die fingerlosen Handschuhe ließen die Eiseskälte des Novembers zu, an den Händen, auf der Haut.
Dreimal die Woche schwang sie sich aufs Rad und hörte auf ihre schreienden Muskeln. Die Zeit kurz vor Mitternacht war ihre. Laura schwitzte, und sie fror. Sie nahm bewusst wahr, wie ihre Gedanken leichter wurden, sich ihre Sorgen und Probleme mit jeder rotierenden Bewegung der Pedale auflösten.
Hier draußen in der Kälte gab es keinen Professor, der sie mit väterlicher Fürsorge umwarb und sie doch nur in sein vorgewärmtes Bett locken wollte. Zwischen Fichten und Schnee gab es keinen Platz für ihre Freundin Marie, die Lauras Studium der zeitgenössischen Fotokunst als Fantasterei einer ewig Pubertierenden abtat. Fotos kann doch heute jedes Kleinkind mit dem Handy machen. Dafür brauchst du kein Studium. Harmlose Sticheleien unter Freundinnen. Doch obwohl Marie über zweihundert Kilometer entfernt in einem modernisierten Bauernhaus lebte, hatten sich ihre Worte in Lauras Kopf eingenistet. Von dort streuten sie ihre Zweifel mit Heimtücke immer dann, wenn eine Prüfung anstand.
Hier draußen gab es nichts von alldem – keinen Professor, keine Marie, keine geflüsterten Worte. Nur sie und ihr Rad inmitten der befreienden Kälte.
Die mächtigen Steilufer zogen an Laura vorüber. Die sechzig Meter hohen Fichten neigten sich im Wind, Schnee rieselte von den Kronen und berührte Lauras Stirn. Die Landschaft erinnerte sie an norwegische Fjorde, die sie als kleines Mädchen mit ihren Eltern so oft besucht hatte.
Da trug der Wind ein tiefes Grollen an ihre Ohren. Ein Auto, sein Motor tönte in der Ferne. Laura blickte über die Schulter. Die Bänder ihrer Kapuze flatterten vor ihrem Gesicht, mit einer Hand bändigte sie die Strippen.
Ein dunkler SUV fuhr über die verschneite Straße. Die Strahlen seiner Scheinwerfer folgten dem geschlängelten Verlauf der Fahrbahn. Vielleicht fünfzig Meter – mehr Distanz lag nicht zwischen Laura und dem Auto. Um diese Uhrzeit und vor allem bei diesem Wetter mieden die Menschen aus Saalburg die Straße mit ihren gefährlichen Windungen. Wer auch immer hinter dem Lenkrad saß, ganz sicher verfluchte er die Nacht mit ihrem Schneetreiben.
Laura konzentrierte sich wieder auf die Straße. Die Pedale knackten, die Kette surrte. Schneeflocken schmolzen auf ihren Lippen. Der Nacken war müde, die Hände taub. Noch fünfundzwanzig Minuten, dann würde sie den Kopf in ihre Kissen pressen, den Docht ihrer Duftkerze entflammen und bei den Gerüchen von Leder und Vanille langsam wegdämmern. In einer Viertelstunde begann der Sonnabend, sie würde ihn mit zehn Stunden Schlaf feiern. Mindestens. Das hatte sie sich nach dieser harten Woche an der Uni verdient.
Laura tippte den Kippschalter am Lenker mit dem Daumen an, die Kette reagierte sofort mit einer höheren Übersetzung. In zweihundert Metern wurde die Fahrbahn abschüssig, bis dahin wollte sie ordentlich Geschwindigkeit aufbauen.
Sie beugte den Oberkörper tiefer nach unten, umklammerte mit beiden Händen die Griffe des Lenkers, bis ihre Knöchel schmerzten. Ihre Muskeln wussten, was Laura von ihnen erwartete, und sie gaben es ihr. Da blitzten die Reflektoren an ihrem Vorderrad wie rote Kristalle auf. Im Scheinwerferlicht des SUV wirkte der fallende Schnee vor ihr wie eine weiße Wand. Das Brummen des Motors war nun ganz nah. Viel zu nah.
Wieder warf Laura einen Blick über die Schulter. Nur zwei Meter trennten sie von der Haube des Wagens. Was soll das, formte sie stumm die Worte und deutete mit der flachen Hand einen Schlag gegen die Stirn an. Als Antwort heulte nur der Motor des SUV auf.
Hinter der Frontscheibe zeichneten sich die Konturen des Fahrers ab. Seine tief in die Stirn gezogene Basecap und der aufrechte Stehkragen seiner Jacke verrieten nichts über die Gesichtszüge – keine zusammengekniffenen Lippen, kein Stirnrunzeln –, in den schwarzen Umrissen suchte sie vergeblich nach einer Regung. Schnee verdeckte das Kennzeichen. Nicht einmal ein verräterisches Duftbäumchen baumelte am Rückspiegel. Der Mensch hinter den surrenden Scheibenwischern blieb ein charakterloser Schatten.
»Idiot«, flüsterte Laura und wedelte mit der Hand. Vorbeifahren, er sollte einfach nur an ihr vorbeifahren und verschwinden. »Hau endlich ab!«
Der Lenker schlackerte in ihrer Hand, das Rad verlor seine Stabilität. Laura wandte sich ab. Der Schnee verwandelte sich in ein Gestöber. Flocken wirbelten durch die Luft und verfingen sich in ihren Wimpern. Sie blinzelte nicht, schaute stur nach vorn und rechnete jede Sekunde mit dem an ihr vorbeirauschenden SUV. Vergeblich. Der Wagen hing weiter an ihrem Hinterreifen und überholte nicht.
Laura hob und senkte die Fersen und legte noch mehr Kraft in die Beine. Sie erhöhte ihr Tempo, der SUV folgte ihr, passte sich ihrer Geschwindigkeit an und ließ den Motor aufheulen. Der Mensch am Steuer schien sie vor sich hertreiben zu wollen.
Womöglich war es einer der Typen, den sie tags zuvor am Nachbartisch im Café abserviert hatte. Oder ein Betrunkener, der sich nur einen Spaß machen wollte. Beides womöglich oder nichts davon. Sie könnte einfach bremsen und vom Fahrrad absteigen, das Spiel beenden – wenn es denn überhaupt eines war.
Der Schnee knirschte, metallische Schleifgeräusche hallten über die Straße. Der Lichtschein des SUV verharrte auf der Stelle, wirkte wie eingefroren. Der Wagen stand, sein Motor lief weiter. Laura floh aus dem Kegel der gleißenden Scheinwerfer. Womöglich hatte der Fahrer die Lust an seinem schwachsinnigen Spiel verloren. Oder er hatte in einem lichten Moment begriffen, dass er einen Menschen in Gefahr gebracht hatte. Wie auch immer. Nur weg von hier.
Laura trat in die Pedale und reckte den Mittelfinger nach hinten. Ein einziges Fingerglied als höchster Ausdruck ihres Zorns sollte reichen. »Was für ein Mega-Idiot!«
Eisige Luft drang in ihren Mund, sie presste die Lippen aufeinander. Geschafft. Jetzt geht es richtig los. Die Straße fiel um mindestens dreißig Grad ab, der verschneite Asphalt lag vor ihr. Der Wind trieb die Zweige der Fichten hin und her, der Wald wuchs wie ein Dach über die Straße. Die Abfahrt konnte beginnen.
Laura verkrallte die Finger um den Lenker und folgte dem Sog der Tiefe. Schnee spritzte am Vorderreifen empor. Ein Loch tat sich in ihrem Magen auf. Sie berauschte sich an dem flauen Gefühl und der Geschwindigkeit. Wie sehr sie diesen Moment herbeigesehnt hatte!
Wind kann nicht schneiden. Er lässt sich nicht säen, um einen Sturm zu ernten. Er kann einem Menschen auch nicht wirklich ins Gesicht schlagen. Aber er war da und trieb Laura die Tränen in die Augen. Das hier war ihr persönlicher Ersatzwahnsinn, und sie genoss jede Sekunde davon.
In der Ferne heulte der Motor des SUV auf, Reifen drehten durch und fingen sich. Laura beugte sich tief nach unten, krümmte den Rücken. Ihr Kinn berührte den Lenker. Sie wagte einen schnellen Blick zurück.
Der Wagen rollte wieder, dicke Flocken tanzten vor seinen Scheinwerfern auf und ab. Er folgte dem Verlauf der Straße, er folgte Laura. Der Motor brummte, als wollte er die Luft zum Schwingen bringen.
Dieses verdammte Geräusch! Es erinnerte Laura an etwas längst Vergessenes. An das tiefe Grollen des Rottweilers, der ihr so oft nach der Schule vor dem Haus ihrer Eltern aufgelauert hatte. Pascha, der Hund hatte Pascha geheißen, und er hatte sie nachmittags zwischen den parkenden Autos die Straße hinab gehetzt. Lauras ganze Kindheit war von ihrer Angst vor dem Tier überschattet worden, vor seinen zitternden Lefzen und den kleinen schwarzen Augen. Aber das hier war das Heute. Sie war kein verängstigtes Kind mehr, und erst recht fürchtete sie sich nicht vor einem Unbekannten, der sich in einem Haufen Blech verschanzt hatte. Das zumindest redete sie sich ein.
Der Wagen schoss hinter ihr die Straße hinab, das Brummen unter der Haube wurde lauter. Dreißig Meter noch, und er hatte sie eingeholt.
Laura riss den Kopf nach rechts und links. Die Seitenplanken aus Stahl ließen ihr keine Ausweichmöglichkeit. Mit den Fingerspitzen berührte sie die Bremshebel am Lenker, das kalte Aluminium. Nein. Bei der Geschwindigkeit konnte sie das Rad nicht einfach stoppen, die Reifen griffen kaum im frisch gefallenen Schnee. Besser, sie folgte der Straße.
Weiter unten, vielleicht achtzig Meter entfernt, gab es einen Zugang zum Fluss. Im Sommer hatte sie sich dort häufig ein schattiges Plätzchen zwischen...
Erscheint lt. Verlag | 1.12.2024 |
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Reihe/Serie | Die Johannsen-Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2024 • Adler-Olsen • Andreas Gruber • Andreas Winkelmann • Arno Strobel • Bleilochtalsperre • Bruder • Cold Case • Deutscher Thriller • eBooks • Entführung • Ermittlung • Gefangenschaft • Heimatkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Neuerscheinung • Psychoduell • Psychothriller • Rache • Sebastian Fitzek • Studentin • Thriller • Unfall • Weihnachtsgeschenk |
ISBN-10 | 3-641-30095-9 / 3641300959 |
ISBN-13 | 978-3-641-30095-1 / 9783641300951 |
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