Die Glückslieferanten (eBook)
208 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-01807-3 (ISBN)
Sanaka Hiiragi (????) wurde 1974 in der Präfektur Kagawa geboren und lebt heute in Tokio. Sie studierte in K?be Literaturwissenschaften und Japanisch als Fremdsprache. Sieben Jahre lang hat sie im Ausland Japanisch unterrichtet, bevor sie sich mehr und mehr dem Schreiben widmete. Ihr Debütroman The Marriage-Hunting Dream Team gewann den Konomy Hidden Gem Award. 2015 landete sie mit The Mystery of Yanaka's Retro Camera Shop einen großen Bestseller. Hiiragi liebt Kimonos, alte Fotoapparate und natürlich das Fotografieren selbst. Zuletzt erschien von ihr bei Hoffmann und Campe der Roman Die Erinnerungsfotografen (2023).
Sanaka Hiiragi (柊サナカ) wurde 1974 in der Präfektur Kagawa geboren und lebt heute in Tokio. Sie studierte in Kōbe Literaturwissenschaften und Japanisch als Fremdsprache. Sieben Jahre lang hat sie im Ausland Japanisch unterrichtet, bevor sie sich mehr und mehr dem Schreiben widmete. Ihr Debütroman The Marriage-Hunting Dream Team gewann den Konomy Hidden Gem Award. 2015 landete sie mit The Mystery of Yanaka's Retro Camera Shop einen großen Bestseller. Hiiragi liebt Kimonos, alte Fotoapparate und natürlich das Fotografieren selbst. Zuletzt erschien von ihr bei Hoffmann und Campe der Roman Die Erinnerungsfotografen (2023).
Cover
Titelseite
Unser kleines Haus
Die Othello-Königin
Versteckspiel um drei Uhr nachmittags
Der letzte Extra-Unterricht
Epilog
Fußnoten
Über Sanaka Hiiragi
Impressum
Die Othello-Königin
Im Geschichtsunterricht schrieb Fumika Sumii fleißig mit. Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. So lautete Artikel 1 der Erklärung der Menschenrechte, 1748 verkündet von der französischen Nationalversammlung. Fumika wollte die Jahreszahl farbig markieren, um sie sich besser einprägen zu können, aber dann schweifte sie mit den Gedanken ab.
Frei und gleich geboren – schön wär’s!
Mit dem Fahrrad dauerte Fumikas Weg zur sogenannten Paukschule eine Stunde. Es gab jedoch kein physisches Lehrpersonal. Sie nahm lediglich an einem Fernkurs teil, per Video übertragen aus einer städtischen Schule. Eingepfercht zwischen den Trennwänden einer Kabine, blickte sie dann auf einen flachen Monitor, wo ein flacher Lehrer eine flache Klasse unterrichtete.
Wegen des Radaus, den vorbeilaufende Schüler draußen auf dem Flur veranstalteten, war die Akustik gestört, aber sie wollte nicht andauernd aufstehen und um Ruhe bitten, also drehte sie stattdessen lieber die Lautstärke auf.
Wäre sie doch nur in der Innenstadt aufgewachsen. Wie oft hatte sich Fumika das ausgemalt.
Fumikas Elternhaus lag auf dem Land. Es war geräumig, Luft und Wasser waren sauber, Reis und Gemüse aus der Region schmackhaft. Die Umgebung war zweifellos reizvoll, und Fumika liebte es, dort zu sein. Sie fühlte sich wohl, wenn sie an wogenden Reisfeldern entlangradelte, und genoss es, im Bach gekühltes und mit Salz bestreutes Gemüse zu knabbern, während sie eine Rast einlegte. Schwärme roter Libellen vor dem Hintergrund des blauen Himmels hatten ebenfalls ihren Reiz. Und trotzdem …
Tief in Gedanken an ihre Heimat versunken, meldete sich plötzlich eine innere Stimme: »Probier’s halt aus!«
Das war ihre Großmutter Yae, die so zu ihr sprach. Kein ermunternder Zuruf wie »Los, du schaffst das, Fumika! Ich unterstütze dich«, sondern eher etwas im Sinne von »Wenn du sonst schon nichts zustande bringst, dann probier’s halt aus«. Das war ihr Standardspruch. Wenn Fumiko ihr behilflich sein wollte oder etwas wagte, von dem sie nicht wusste, ob es ihr gelingen würde, sagte Yae jedes Mal: »Probier’s halt aus!« Wenn es dann aber tatsächlich schiefging, rümpfte sie die Nase und schnaubte verächtlich, als wollte sie ihrer Enkelin zu verstehen geben: »Siehst du, Hochmut kommt vor dem Fall.«
Reiß dich zusammen, spornte sich Fumika selber an, indem sie die Stimme aus ihrem Kopf verbannte und zum Farbstift griff. Bald darauf war der Fernunterricht auf dem Monitor vorbei.
Fumika spielte mit den Karteikarten ihres selbst angelegten Katalogs historischer Daten. Ihr Wahlfach war zwar Weltgeschichte, aber ein Grundwissen in Landeskunde brauchte sie auch.
Während ihr Blick über die Jahreszahlen glitt, schweifte ihr Bewusstsein erneut von den Prüfungsvorbereitungen ab und landete unwillkürlich wieder mal bei Akane.
Akane Ishimitsu – so hieß die junge Braut, die drei Jahre zuvor, als Fumika die zweite Klasse auf der Mittelschule besucht hatte, aus Tokio in ihr Dorf gekommen war. Fumikas Großeltern, Eltern und Nachbarn waren zum Hochzeitsbankett in der Stadthalle eingeladen, sie selbst durfte jedoch – als Jugendliche – nicht mit, weshalb Akane für sie bis dahin eine Unbekannte blieb.
Umso überraschter war Fumika, als sie der jungen Frau einmal zufällig auf der Straße begegnete. Ihre Aufmachung erschien ihr für diese Gegend ziemlich gewagt: eine blütenweiße Bluse mit Plissee-Ärmeln, dazu eine Hose mit scharfen Bügelfalten und Pumps. Fumika war regelrecht schockiert über deren auffälliges Gelb. Normalerweise trugen die Leute hier nur braune oder schwarze Schuhe, selbst wenn sie sich für besondere Anlässe herausputzten. Diese waren jedoch ein Designermodell in schrillem Zitronengelb mit Pfennigabsatz. Und nicht nur das, denn im grellen Kontrast dazu leuchteten die Sohlen auch noch purpurrot und blitzten bei jedem Schritt auf, was Fumiko erneut den Atem verschlug. Obwohl sie wusste, dass es sich nicht gehörte, gaffte sie die junge Frau ungeniert an, voller Bewunderung für ihre extravagante Erscheinung. Erst als Akane Fumikas Blick erwiderte, schloss sie erschrocken den Mund.
»Oh, entschuldigen Sie vielmals!«, stammelte sie beschämt. »Äh … ich heiße übrigens Fumika Sumii. Ihre Pumps … ich finde sie wahnsinnig schick! Und überhaupt alles an Ihnen … Es hat mich gerade eben einfach umgehauen. Verzeihen Sie bitte!«
Fumika verbeugte sich mehrmals.
Als sie wieder aufblickte, stachen ihr auch die blütenförmigen Ohrclips aus Edelsteinen ins Auge sowie die quadratische Designertasche einer ihr unbekannten Marke, von der sie allerdings annahm, dass sie sündhaft teuer sein musste. Die Fremde sah wie ein Filmstar aus.
Akane lächelte amüsiert.
»Hallo, ich bin Akane Ishimitsu. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Das war ihre erste Begegnung.
Der älteste Spross der Ishimitsus hatte nach der Highschool eine Stelle in Tokio gefunden, dann aber beschlossen, in seine Heimat zurückzukehren. Es hieß, dass er sich zuvor noch verlobt habe, um hier gemeinsam mit seiner Braut ein neues Leben anzufangen. Akane hatte Kunst studiert und war auch in dieser Branche tätig, für die sie überwiegend online von zu Hause aus arbeiten konnte. Sie schrieb Artikel für Art-Magazine.
Homeoffice! Kunstakademie! Während sich bei uns Klatsch und Tratsch wie »Soundso ist am Dienstag beim Friseur gewesen« sonst in einem Tempo von etwa fünfzehn Stundenkilometern verbreitete, pflanzten sich die Gerüchte über die Braut aus Tokio quasi in Lichtgeschwindigkeit fort. Sämtliche Gespräche, die den Austausch von Gemüsesorten begleiteten, drehten sich nur noch um die Schwiegertochter der Ishimitsus.
Zerstreut blätterte Fumika in den Karteikarten zur japanischen Geschichte. Sie war mit den Gedanken ganz woanders.
Commodore Perry landete erstmals 1853 mit seinem Ostindien-Geschwader von vier Dampfschiffen, der sogenannten ›Schwarzen Flotte‹, im Hafen Uraga.
Ja, genauso heftig war die Ankunft der Braut hier im Dorf.
Akane schien hier in jeder Hinsicht fehl am Platz zu sein. Sie schwebte über den Dingen. In ihrer Extravaganz tanzte sie jedoch zu weit aus der Reihe, sodass das Befremdliche bei den Leuten in Ehrfurcht umschlug.
Sieben- bis achtmal pro Jahr hatte sie im Ausland zu tun. Damit stellte sie all diejenigen in den Schatten, die bei jeder Gelegenheit damit prahlten, zweimal im Leben Übersee-Reisen gemacht zu haben. Ebenso wagte es keine Frau mehr, sich mit irgendeiner Soundso-Markentasche als Trendsetterin aufzuspielen.
Als es darum ging, dem abgelegenen Haus der Shimitsus eine Nachricht ihrer Großmutter Yae, die das wöchentliche Hausfrauentreffen organisierte, zu überbringen, bot sich Fumika sogleich begeistert an: »Au ja, lass mich das machen. Ich gehe hin!«
Fumika war äußerst gespannt darauf, in welchem modischen Outfit Akane zu Hause herumlief und womit sie ihre Freizeit verbrachte. Sie konnte ihre Neugier kaum noch im Zaum halten. Zuerst wollte sie dorthin radeln, aber dann entschied sie sich für einen Fußmarsch.
Als sie ihren Blick über die ausgedehnten, frisch bepflanzten Reisfelder schweifen ließ, entdeckte sie einen Schwarm Fische in einem der Bewässerungskanäle. Wie hübsch das aussah! Weiße Wolken spiegelten sich auf der Oberfläche des klaren, durchscheinenden Wassers, sodass man meinen konnte, die Fische flögen im Himmel.
Nach einer geraumen Weile kam dann endlich das Haus der Ishimitsus in Sicht.
Das war tatsächlich ein stattliches Anwesen. Wie sollte es auch anders sein? Seit Generationen galten sie hier als angesehene Familie. Sie besaßen ein weitläufiges Grundstück, und es hieß, man habe für den heimkehrenden Sohn zusätzlich ein neues Haus gebaut, in dem er mit seiner Familie separat wohnen konnte.
Bei ihnen im Dorf war es üblich, einfach die Haustür aufzuschieben und nach den Bewohnern zu rufen. Falls niemand da war, durfte man eintreten und im Eingangsbereich auf der Stufe Platz nehmen, um zu warten. Meistens standen dort für spontane Besucher eine Kanne Tee und Becher bereit. Aber hier im Neubau der Ishimitsus gab es eine Gegensprechanlage mit einem Hinweisschild, auf dem in Schönschrift stand: ›Bitte benutzen Sie die Klingel, da wir eventuell gerade beschäftigt sind‹.
Aufgeregt drückte Fumika auf den Klingelknopf.
»Ja?«, ertönte eine Stimme.
»Hallo, entschuldigen Sie bitte die Störung. Hier ist Sumii. Ich habe Ihnen etwas auszurichten … wegen einer Zusammenkunft.«
»Komme gleich!«, erwiderte Akane und erschien kurz darauf am Eingang.
»Guten Tag«, begrüßte sie Fumika.
Normalerweise trägt man doch zu Hause eher legere Freizeitklamotten wie Jogginghosen und Sweatshirts, aber Akane kleidet sich auch privat äußerst stilvoll, stellte Fumika beeindruckt fest. Sie trug einen flauschigen Morgenmantel, der wie ein Plüschtier-Kostüm aussah, und das Haar hatte sie zu einem lockeren Dutt drapiert, was ihr eine aparte Note verlieh.
»Ich möchte Ihnen nur wegen der wöchentlichen Zusammenkunft Bescheid geben.«
»Zusammenkunft? Sie meinen das Treffen der Nachbarschaftsvereinigung?«
Fumika erläuterte ihr kurz, was es mit dieser Veranstaltung auf sich hatte. Es war ein Frauenzirkel, der einmal pro Woche abends stattfand. Beim Teetrinken konnte man sich plaudernd näher kennenlernen. Ein bestimmtes Gesprächsthema gab es dabei nicht.
»Ach, das tut mir leid. Aber genau zu dieser...
Erscheint lt. Verlag | 5.9.2024 |
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Übersetzer | Yukiko Luginbühl, Sabine Mangold |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Abschied • Achtsamkeit • Begegnungen • Bibliophil • Botschaften • Buch • Buch des Monats • Buch des Monats Buchwert • Buchwert • DES • Erinnern • Familie • Familienkonflikt • Geschenk • Geschenkbuch • Geschenke • Glück • Glücksbotin • Hoffnung • Japan • Lebensfragen • Lebenshilfe • Lebenskunst • Lebensroman • Lebensträume • Liebe • monats • Tod • Trostspender • Versöhnung • Wärme • Zuversicht |
ISBN-10 | 3-455-01807-6 / 3455018076 |
ISBN-13 | 978-3-455-01807-3 / 9783455018073 |
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