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Kein Grund, gleich so rumzuschreien (eBook)

Spiegel-Bestseller
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
320 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61541-8 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
22,99 inkl. MwSt
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Nahe Familienmitglieder sterben, der Welt geht es auch nicht so gut, das letzte Glas Alkohol wird getrunken und die letzte Zigarette geraucht. Und doch färbt Martin Suter sich noch immer nicht die Haare. Wer auch in schwierigen Situationen und Kippmomenten des Lebens noch lacht, meint es wirklich ernst mit dem Humor.

Benjamin von Stuckrad-Barre, geboren 1975 in Bremen, hat ein großes Publikum u. a. mit ?Soloalbum?, ?Panikherz? und ?Noch wach?? erobert.

SUTER:

Wart schnell, ich muss gerade den Tulpen noch etwas Wasser geben.

STUCKRAD-BARRE:

Schnittblumengießen – so frühmorgens schon der Vanitas-Gedanke, du liebes bisschen.

SUTER:

Tulpen sind ja richtige Säufer. Die wachsen auch noch, wenn sie tot im Wasser stehen.

STUCKRAD-BARRE:

Tulpen sind ja zunächst immer ein Versprechen. Aber wie so oft ist die Verwirklichung von etwas bei Weitem nicht so schön wie unsere Vorstellung davon. Und kaum blühen die Tulpen auf, war’s das ja auch schon wieder für sie.

SUTER:

Nicht gleich.

STUCKRAD-BARRE:

Aber sehr bald. Mit dem Aufblühen werfen sie doch schon die Hände gen Himmel. Weißt du, wie dieses Shrug-Emoji: »Da kann man wohl nichts machen«, oder auch ein bisschen patziger: »Whatever«. Ich glaube, das ist die Botschaft dieses Emojis. Und schon fällt Staub aus den Tulpenblütenstempeln.

SUTER:

Dieses Emoji bedeutet doch auch »Ich kann nichts dafür«, oder?

STUCKRAD-BARRE:

Eher so ein passiv-aggressives »Tja«.

SUTER:

Das also sagen deine Tulpen dir. Und was sagst du dann deinen Tulpen?

STUCKRAD-BARRE:

»Ihr Süßen, ihr habt euch leider komplett in der Tür geirrt.« Also für mich bitte gar keine Blumen. Ich wohne einfach nie so, dass Blumen das gut bekäme. Mit plötzlichen Blumen in meinen Hotelzimmern verfahre ich ähnlich wie mit Bierflaschenirrtümern oder so in der Minibar, wenn da mal jemand nachfüllt, der mich noch nicht kennt – oder dem ich schon sehr lange nicht mehr begegnet bin. Alkohol und alles Florale wird von mir umgehend entsorgt, beinahe vorwurfsvoll knalle ich das vor die Tür. Das Schlimmste sind natürlich Trockensträuße.

SUTER:

Das ist das Schlimmste, das ist wahr. Habe ich dir mal von meiner Begegnung mit Ingrid Noll in Nürnberg erzählt?

STUCKRAD-BARRE:

Der Schriftstellerin? Die Apothekerin?

SUTER:

Ja, die schreibt lustige Krimis und ist überhaupt eine sehr lustige Frau. Wir trafen uns zufällig am Bahnhof und hatten dasselbe Reiseziel. Sie hat mich gefragt: »Ja, in welchem Hotel sind Sie denn untergebracht?« Und ich: »Im Romantikhotel sowieso.« Dann hat sie gesagt: »Oh, immer diese Romantikhotels, das sind die mit den Trockengestecken.«

STUCKRAD-BARRE:

Da muss ich Ingrid Noll wirklich zustimmen: Romantikhotels sind die Pest. Also überhaupt alles, was Romantik heißt. Das ist ja nie Romantik. Das ist immer bloß schrecklich.

SUTER:

Ja, gut, mich nennen sie ja auch romantisch.

STUCKRAD-BARRE:

Wer nennt dich romantisch?

SUTER:

Viele. Die Leserschaft manchmal. Und auch die Kritikergemeinde im Grunde genommen.

STUCKRAD-BARRE:

Das erfindest du alles jetzt gerade!

SUTER:

Nein! Außerberuf‌lich erfinde ich nie.

STUCKRAD-BARRE:

Na ja, ich empfinde dich schon auch als romantisch, aber ob du tatsächlich als Romantic Force giltst in der deutschen … Achtung, wie findest du das: in der deutschen Literaturlandschaft? Die Literaturlandschaft ist natürlich ein Untergebiet der Kulturlandschaft, möglicherweise ein Sumpfgebiet. Ich glaube, in der Kulturlandschaft stehen jede Menge Romantikhotels.

SUTER:

Buchhandlungen bringen uns Autoren bei Lesereisen gerne dort unter.

STUCKRAD-BARRE:

Und da ist immer Herbst. Also in der Kulturlandschaft stand ein Romantikhotel, und da trafst du Ingrid Noll, und die aber sprach: »Vorsicht vor Romantikhotels, da dräut der Trockenblumenstrauß«?

SUTER:

Ja, Trockengestecke hat sie das höf‌lich genannt.

STUCKRAD-BARRE:

Und schon riecht es in dieser Anekdote nach Tod. Da ist die Noll natürlich Profi.

SUTER:

Uns hast du aber schon manchmal Blumen mitgebracht.

STUCKRAD-BARRE:

Blumen verschenken, das mache ich sehr gerne. Ich bin vielleicht ein ganz guter Blumenkäufer, weil ohne Expertise oder floristischen Ehrgeiz, einfach nur mit der Maßgabe: Kein Grünzeug, bitte! Ich entscheide mich für den Blumentypus, der in dem Moment gerade am frischesten aussieht. Und ich mag es, wenn sie bunt sind. Konzentration also auf eine Sorte, davon aber gerne viele, sehr viele. Und dann sofort verschenken.

SUTER:

Man muss sie ausgepackt überreichen. Das erspart einem auch das Klingeln. Drinnen das Ehepaar, und sie sagt: »Oh, der kommt schon.« Und der Mann sagt: »Es hat gar nicht geklingelt.« – »Aber du hörst doch draußen schon das Papier rascheln.« Eine ungerade Anzahl Blumen muss es natürlich sein, aber das weißt du ja.

STUCKRAD-BARRE:

Eher so passiv, befolgt habe ich das nie. Warum auch, was ist die Idee dieser Regel?

SUTER:

Das weiß ich auch nicht. Manchmal habe ich den Stilbruch gemacht, eine gerade Zahl zu nehmen, um zu sehen, ob es jemand merkt. Aber bis jetzt nicht.

STUCKRAD-BARRE:

Aber ein interessanter Weg, herauszufinden, ob nicht doch noch ein paar mehr Bekanntschaften verzichtbar sind. Wer Blumen nachzählt, fliegt raus.

SUTER:

»Danke für die sechzehn Rosen« – und tschüß.

STUCKRAD-BARRE:

Wenn man sie zählen kann, sind es sowieso zu wenige.

SUTER:

Ich kenne eine Frau, die hasst Schnittblumen, die sagt: »Die tötelet«, das heißt auf Hochdeutsch: Die riechen nach Tod.

STUCKRAD-BARRE:

Also die riechen nicht nur modrig, sondern nach Verwesung?

SUTER:

Ja, nach Tod. Sie hat auch gesagt, das riecht wie in einem Leichenschauhaus.

STUCKRAD-BARRE:

War das etwa auch Ingrid Noll, diese dunkle Krimiseele?

SUTER:

Nein, das war eine Frau, die ihren Mann …

STUCKRAD-BARRE:

Umgebracht hat?

SUTER: …

verloren hat.

STUCKRAD-BARRE:

Oh. Verloren hat? Aber du hast mir doch vor Kurzem beigebracht, dass diese Formulierung ungut ist: »jemanden verloren haben«. Warum noch mal?

SUTER:

Man bedauert damit den Überlebenden statt den Gestorbenen. Deswegen stört mich diese Formulierung.

STUCKRAD-BARRE:

Hast du eigentlich für dich mal ergründet den Unterschied zwischen »Mitleid« und »Beileid«? Beileid ist einfach Mitleid, das sich sonntagsfein gemacht hat, oder?

SUTER:

Beileid hat immer mit dem Tod von jemandem zu tun. Mitleid nicht, oder? Wenn jemand sich den Knöchel verstaucht hat, sagt man nicht: »Herzliches Beileid.«

STUCKRAD-BARRE:

Im Beileidszusammenhang wird auch nicht »gestorben«, sondern »verstorben«. Das ist ja das so besonders Anstrengende und oft auch Komik-Produzierende sozusagen am Tod: die allgemeine Sprachlosigkeit, die dann in Worte gekleidet zu den komischsten Ergebnissen führt. Wörter wie »Beileid« oder »Hinterbliebene«, das sind ja Sprachprothesen aus dem Lost & Found der fehlenden Worte, weißt du, so ein nebliger Totensonntagsjargon: »Bestattung«, »Grabgesteck«, »Angehörige«. Das ist ein ganz bestimmter Ton, bei dem ich immer versucht bin, zwischendurch einmal schnell in die Hände zu klatschen, um wenigstens momentweise das Flüsterkorsett zu lockern: So, Entschuldigung, ganz kurz mal, was genau ist jetzt gemeint? Das kann helfen, wenn es allzu formelhaft wird. Wie hast du diese allgemeine Beklommenheit um dich herum in den Wochen und Monaten nach Margriths Tod empfunden?

SUTER:

Natürlich ist man sprachlos. Ich habe viele solcher Beileidsbekundungen erhalten, und manche haben zu diesen Formeln gegriffen. Das finde ich aber auch akzeptabel. Es gab aber auch viele, die etwas gemacht haben, was mich sehr berührt hat: Sie haben ihre Erinnerungen an Margrith aufgeschrieben und mir geschickt. Also ich kann allen, die je schriftlich kondolieren müssen, empfehlen, das zu machen. Erinnerungen festhalten. Das ist eigentlich das Beste, weiß ich jetzt als Konsument dieser Literaturform.

STUCKRAD-BARRE:

Ja, es ist konkreter, ist auch sinnvoller als dieses protokollstotternde Gestolper im Nebel: »Es ist noch gar nicht zu begreifen.« Das ist lieb gemeint, aber es ist trauerweidenverhangene Anteilnahmeprosa, die ja nichts anderes bedeutet als: Mir fehlen die Worte, deshalb habe ich mir diese hier geliehen aus den rhetorischen Standardtänzen. Mit solchen Schreiben wurden Ana und dir ja bestimmt auch sehr viele Blumen geschickt, nicht?

SUTER:

Ja, es kamen schon welche. Aber dass dann viel zu viele ins Haus kamen, daran waren wir selber schuld. Die Kirche wurde natürlich mit Blumen dekoriert, und die schmeißt man ja nicht einfach weg, oder? Dann hat man plötzlich eine halbe Kirche Blumen im Haus.

STUCKRAD-BARRE:

Das ist eine schöne Größeneinheit, finde ich: »eine halbe Kirche Blumen«. Im Großmarktbereich, wo ich ja tätig bin, sagt man: »ein halber Lastwagen«. Die halbe Kirche hingegen verwandelt die Handelsware Blume natürlich in einen...

Erscheint lt. Verlag 27.11.2024
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abstinent • Beschwerde • Camping • Drogen • Ernst des Lebens • Freundschaft • Gespräche • humorvoll • Schreiben • Schriftsteller • Sisyphos • Tod • Trinken
ISBN-10 3-257-61541-8 / 3257615418
ISBN-13 978-3-257-61541-8 / 9783257615418
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