Letzter Vorhang für den großen Stefanozzi (eBook)
352 Seiten
between pages by Piper (Verlag)
978-3-377-90091-3 (ISBN)
Hauke Herffs wurde 1972 in Bremerhaven geboren, seit den 2000er Jahren arbeitet er als Journalist bei verschieden Magazinen. Im Oktober 2020 Jahren wechselte der Autor als Stellvertretender Ressortleiter im Ressort Show/Unterhaltung zur BILD in Berlin. Das Schreiben ist auch eine seiner Leidenschaften, der er sich in seiner Freizeit widmet. 2014 erschien der Roman »Querbeat«. Ansonsten ist Hauke Herffs als Gitarrist und Sänger in der Indie-Rock-Band Asteroid Kane tätig.
Hauke Herffs wurde 1972 in Bremerhaven geboren, seit den 2000er Jahren arbeitet er als Journalist bei verschieden Magazinen. Im Oktober 2020 Jahren wechselte der Autor als Stellvertretender Ressortleiter im Ressort Show/Unterhaltung zur BILD in Berlin. Das Schreiben ist auch eine seiner Leidenschaften, der er sich in seiner Freizeit widmet. 2014 erschien der Roman »Querbeat«. Ansonsten ist Hauke Herffs als Gitarrist und Sänger in der Indie-Rock-Band Asteroid Kane tätig.
Ich wache auf meinem Ledersofa im Wohnzimmer auf, und das ist kein gutes Zeichen, denn ich kann eigentlich nur in meinem schwarz gestrichenen, mit Jalousien hermetisch abgeriegelten Schlafzimmer zur Ruhe kommen. Was um alles in der Welt mache ich also nackt auf meinem Sofa?
Langsam richte ich mich auf, und mit einem »Ratsch« löst sich erst meine linke Gesichtshälfte dann der Rest von meinem Körper von der Sitzfläche. Meine Augen sind verklebt, die Sonne scheint hell und blendend durch die Fenster. Ein paar Weinflaschen stehen inmitten eines Durcheinanders aus undefinierbarem Kleinkram auf dem Glastisch. Meine Brille ist nirgendwo auszumachen, aber ansonsten wirkt alles in Ordnung, und doch stimmt etwas nicht. Meine Arme, meine Beine und mein Rücken schmerzen, als hätte ich ein Wrestling-Turnier absolviert. Aua!
Ich stehe auf, streife meinen seidenen Morgenmantel über, der bitter zerknautscht neben mir liegt, humple in die Küche, mache mir einen fünffachen Espresso und humple zurück aufs Sofa. Mein Gott, ich muss die Sitzung mit Catsuit im Chez Monique doch falsch eingeschätzt haben.
Mit den ersten Schlucken Espresso kommt die Erinnerung an den gestrigen Abend zurück. Goldenes Kreuz, Bertl Lüftner, die Zwillinge, der Stefanozzi auf dem Tisch, schließlich Arie Waldstätten, die mich gar nicht mehr loslassen wollte. Diese alte Krähe! Aber nicht mit mir.
Der Stefanozzi, der Stefanozzi …
Ich schlurfe zu meiner Plattenwand. Wenn man früher im Kulturbetrieb irgendwas mit Musik machen wollte, musste man seine Kröten in eine umfassende LP-Sammlung verballern, die Wände mit Vinyl und später mit CDs zupflastern und den letzten freien Platz mit Bergen von US-Ausgaben des Rolling Stone, des NME und Jazz Thing zustapeln. Früher musste man emsig lesen, sammeln und aufbewahren, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Heute steht alles gratis im Internet. Heute streamt man von jetzt auf gleich Bob Dylans gesamtes Oeuvre aus fünfzig Jahren aufs Telefon, früher musste man es in seinen eigenen vier Wänden horten. Mit den modernen Zeiten haben die meisten ihre Sachen weggeworfen. Ich nicht.
Charly, da bist du ja. Guten Morgen, wie geht es dir? Ich versuche gerade, langsam wach zu werden – mit ein bisschen Musik. Ja, natürlich ist deine Pinker lies low-Scheibe ideal für einen Morgen wie diesen, doch ich fummle – verzeih! – in der Peripherie des Regals jetzt mal ein Stefanozzi-Album hervor.
Kleine Dreckkristalle bröseln auf den Boden, als ich die Platte aus dem Fach ziehe. Ich glaube, es ist die dritte LP, die er in den Siebzigerjahren in Deutschland rausbrachte: Juke Box pieno d’amore – Jukebox voller Liebe. Der Titel prangt in Italienisch und Deutsch auf dem Cover, die dicken Schriftzüge in Grün, Weiß und Rot nehmen viel Platz weg. Doch mittendrin steht der Stefanozzi in voller Pracht. Hinten sieht man die Umrisse einer Musikbox, das Ganze in einer Kulisse, die ein italienisches Café sein soll, aber mehr was von Hafenspelunke hat.
Es ist noch nicht die verrückte Rambazamba Rimini-Phase, doch alles ist beim Stefanozzi schon da, wo es hingehört. Hakennase. Gewaltiger tiefschwarzer Schnauzer, darunter die weißen Reißzähne (noch die echten). Tiefer Ausschnitt, Brusthaar-Nest mit Goldkettchen drin. Statt des kleinen Hütchens trägt der Stefanozzi eine Art Humphrey-Bogart-Hut. Die Piloten-Sonnenbrille hat er in der Faust, das Ende des einen Bügels in kecker Papagallo-Manier zwischen die Schneidezähne geklemmt. Ein stämmiger, ehrlich-unehrlicher Mann, dessen Kleinwüchsigkeit man erahnt, aber nicht sieht. Ein Mann am Anfang seiner Karriere – voller Saft und Kraft. Rücken gerade, Brust raus, Bauch rein, die Eier prall gefüllt.
Es ist das einzige Cover, auf dem man die Augen – oder besser ein Auge – des Stefanozzi sieht. Den schiefen Blick, der die ganze Virilität des Fotos ins Wirre verzerrt hätte, wird mit der heruntergebogenen Hutkrempe kaschiert, die das schielende Auge verdeckt. Das Glasauge schaut starr gerade nach vorn, aber es sieht korrekt aus.
Sein rechtes Augenlicht soll der Stefanozzi bei einer Schlägerei verloren haben, als er 1968 in Rimini als Rausschmeißer in den Clubs arbeitete. Seitdem schaut der Stefanozzi »ins Glas«. Achtung Witz! Die Gag-Zeile gehörte später in jede Stefanozzi-Absturz-Story.
Den Trick mit dem Hut konnte man natürlich nicht ein zweites Mal machen, und sowieso nimmt niemand irgendjemanden irgendwie ernst, der dreinblickt wie ein durchgeknallter Frosch. Und so verschwanden die Augen des Stefanozzi hinter dem Spiegelglas einer Sonnenbrille.
Doch Rimini hatte trotzdem sehr viel Gutes für den Stefanozzi, dort fing seine Karriere als Sänger an. Aufgewachsen ist er unter dem bürgerlichen Namen Stefano Begarozzy in Verucchio, das achtzehn Kilometer vom Sündenpfuhl Rimini entfernt liegt. Ein altes Kaff mit Burg, der sogenannten Malatesta-Festung, einem Franziskaner-Kloster und sagenhaftem Blick ins Tal des Marecchia-Flusses. Der heilige Franz von Assisi soll da sogar im 13. Jahrhundert kurz gelebt haben. Ich bin später – wie zig andere Journalisten – zur Recherche dort gewesen.
Die Mutter des Stefanozzi war als Landarbeiterin aus Sizilien gekommen, wurde schwanger. Wer der Vater war, ist unbekannt. Von seiner Mutter soll der Stefanozzi die Stimme geerbt haben. Sie starb erschlagen auf dem Feld … von einem Blitz. Die Behörden wussten sich keinen anderen Rat, als Stefanozzi zum Waisen zu erklären und in Verucchio ins Kloster zu stecken. Die Mönche wollten ihn zu einem Mann Gottes machen. Was sie nicht davon abhielt, ihn zu missbrauchen. So wird es 1988 in der ersten Auflage der ersten und heute vergriffenen Stefanozzi-Biografie Si! angedeutet. Die Passage fehlt in den nachfolgenden Fassungen, aber es ist wohl so gewesen.
Aus dem Mönchsleben wurde nichts. Einer der Dorfburschen arbeitete in Rimini als Kellner, nahm den Stefanozzi (damals siebzehn) eines Tages mit, und als der Stefanozzi den Strand, die Clubs, den Reichtum und die Bikini-Mädels gesehen hatte, hieß es: »Arrivederci Verucchio. Ciao, ihr Mönche!«
»Das war meine Erweckungsmoment«, so der Stefanozzi 1985 in der TV-Dokumentation Nachgefragt – bei der goldenen Stimme des Südens. »Ich wolle kein Heiliger, sondern ein Verführer sein. Aber … ist das nicht dasselbe?«
Ich lege die Scheibe auf, schalte den Plattenspieler ein. Das erste Stück ist gleich das titelgebende Juke Box pieno d’Amore. Flotter Umta-Umta-Rhythmus, Orchester-Gehupe, Mandoline.
Einige kritisierten, dass die Musik dreist bei Adriano Celentano geklaut sei. Gut, Celentanos erster Film hieß Juke Box – Urli d’amore. Aber sein Gesang klingt im Vergleich zum Stefanozzi wie die Nöselei eines Olivenbauers aus Apulien. Der Stefanozzi hatte in seiner Hochphase nun mal einen wunderbar warmen Tenor, zart schmelzend wie ein gutes Vanilleeis, in dem aber auch das Augenzwinkern eines verruchten Liebhabers mitschwang, der den Frauen erst den Rücken und dann noch mehr eincremt.
In Rimini traf Stefanozzi den Boxer Enzian Rodriguo.
Der war dort eine Legende. Nur 1,60 Meter groß, Fliegengewicht, aber mehrfach italienischer Meister, sogar Olympiateilnehmer. Rodriguo betrieb damals in Rimini offiziell zwar nur einen Kiosk, aber seiner Clique gehörten alle Clubs der Stadt. Ein Liebhaber der Fäuste und der Musik – und Stammkunde im Restaurant, wo der Stefanozzi als Kellner bumste und buckelte. Dann kam das Schicksal ins Spiel! Rodriguo speiste an seinem fünfzigsten Geburtstag in dem Laden, zur Überraschung sollte ein Sänger ihm ein Ständchen bringen, doch der Typ fiel kurzfristig aus. Katastrophe! Der Stefanozzi sprang ein, sang Torero von Teddy Reno, dem großen Vertreter der Canzona napulitana.
Rodriguo liebte diese bieder-melancholischen Volkslieder und war schwer angetan. Sah in Stefanozzi eine Art Alter Ego und schließlich so etwas wie einen Sohn. Er nahm ihn unter seine Fittiche, brachte ihn zum Boxen und ließ ihn in seinen Läden auftreten. Der kleine Stefanozzi in Nachgefragt: »Enzian liebte meine Stimme. Ich sang oft für ihn. Er sagte zu mir: Deine beste Faust ist deine Stimme. Cavallo di Battaglia, wie Schlachtross.«
Enzian starb überraschend, weil er eine Treppe herunterstürzte. Nur knapp ein Jahr ...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Berlin • familienkatastrophen • Höllentrip • influencer • Italien • Italo Disco • Klatsch Krimi • Krimi-Komödie • Kriminalroman • lustige Krimis • Mafia • Mord • Promis • Rache • Rimini • Roadtrip • Romane für den Urlaub • Schicksalsgemeinschaft • Schlager • Schwarzer Humor • skurille Bücher • spannende Bücher zum Lachen • Spannung • Verfolgung |
ISBN-10 | 3-377-90091-8 / 3377900918 |
ISBN-13 | 978-3-377-90091-3 / 9783377900913 |
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