Gaslight (eBook)
448 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-25603-6 (ISBN)
Der forensische Psychologe Dr. Philip Taiwo ermittelt wieder in seiner Heimat: Bischof Jeremiah Dawodu ist das wohlhabende Oberhaupt einer nigerianischen Megachurch. Als seine junge Ehefrau verschwindet, wird Dawodu des Mordes an ihr verdächtigt und verhaftet. Die Festnahme findet sensationsheischend in aller Öffentlichkeit statt und bedeutet die maximale Bloßstellung für den mächtigen Kirchenmann. In ganz Lagos verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer - doch Bischof Dawodu beharrt auf seiner Unschuld.
Philip Taiwos Schwester ist Mitglied der Gemeinde und bittet ihren Bruder, den Namen des Bischofs reinzuwaschen. Taiwo hält zwar wenig von dieser Art streng hierarchischer Massenkirche, aber seiner Schwester zuliebe beginnt er zu recherchieren. Doch weder Behörden noch das Kirchenumfeld sind hilfreich bei den Ermittlungen. Hier wird mehr verschleiert als aufgedeckt. Wer will wem die Schuld in die Schuhe schieben? Als auch Taiwos eigene Familie bedroht wird, ist klar, dass die Drahtzieher vor nichts zurückschrecken.
Femi Kayode wuchs in Nigeria auf. Nach dem Studium der Klinischen Psychologie an der University of Ibadan in Lagos arbeitete er viele Jahre in der Werbebranche. Er war Stipendiat an der University of Southern California und der University of Washington, Seattle. Seine Arbeiten fürs Fernsehen wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. 2017 schloss er das renommierte Creative Writing Programm der University of East Anglia mit Auszeichnung ab. Kayode lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Windhoek, Namibia.
Brüder und Schwestern
Ich kann den Blick nicht von der Gegenfahrbahn wenden. Von dem Stau, in dem wir nachher selbst feststecken werden. Mir graut jetzt schon davor.
»Kannst du wenigstens ein bisschen Interesse heucheln?«, sagt Kenny gereizt.
Ich wende mich vom Anblick des stehenden Verkehrs in Richtung Lagos ab. »Sehe ich etwa gelangweilt aus?«
Kenny beäugt mich von der Seite und zischt: »Wir sitzen jetzt schon fast anderthalb Stunden im Auto, und …«
»Zweiundachtzig Minuten, um genau zu sein. Aber ich kann mich nicht beklagen, da du ja Folake benutzt hast, um…«
»Ich habe niemanden benutzt!«
Ich bin immer noch beleidigt, weil sie sich an meine Frau gewandt hat, um meine Hilfe zu erbitten. »Und warum bist du dann nicht gleich zu mir gekommen?«
»Weil du mir jedes Mal, wenn es um die Kirche geht, das Gefühl gibst…«
»… eine verschrobene Eskapistin zu sein?« Ich hebe eine Augenbraue.
»Siehst du?« Sie funkelt mich an. »Deswegen habe ich mich zuerst an Folake gewandt.«
»Nein, Kenny Girl.« Sie hasst Dads Spitznamen für sie, sogar noch mehr, als ich es hasse, wenn er mich »Kenny Boy« nennt. »Du bist zu Folake gegangen, weil du weißt, dass ein Mord mir eine Steilvorlage liefert, um sagen zu können: ›Ich hab’s doch gleich gesagt‹.«
»Er hat seine Frau nicht ermordet«, flüstert Kenny und deutet mit einem Nicken auf den kahl geschorenen Kopf ihres Fahrers.
Ich schnaube verächtlich, senke aber dennoch die Stimme. »Das weiß doch jeder.«
»Aber nicht von mir.«
Ich atme ein – einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig – und wieder aus. »Er ist in diesem Moment so was wie der berühmteste Mordverdächtige der Welt.«
»Wobei die Betonung auf verdächtig liegt«, kontert Kenny.
»Dass du es nicht verstörend findest, wenn ein Pastor des Mordes verdächtigt wird, gibt mir schwer zu denken.«
»Da ist der Teufel am Werk. Warum sollte Bishop seine Frau umbringen? Nichts, aber auch gar nichts deutet darauf hin, dass sie tot ist. Es ist eine Verschwörung.« Sie schnalzt vernehmlich mit den Lippen. »Es gibt so viele Hater da draußen.«
Ich blinzle verwirrt. Es fällt mir schwer, diese kultivierte Karrierefrau von Ende vierzig mit einer Ausdrucksweise zusammenzubringen, wie ich sie von meiner fünfzehnjährigen Tochter erwarten würde. Der religiöse Eifer meiner jüngeren Schwester irritiert mich zutiefst. Wie konnte es so weit kommen?
»Du kennst die Welt nicht, Philip«, fährt Kenny fort in dem mitleidigen Ton, in dem man mit besonders naiven Zeitgenossen spricht. »Sie ist fest in der Hand des Teufels.«
»Und diese Welt hat die Frau eures Pastors irgendwo versteckt?«
»Er ist Bischof«, korrigiert sie mich. Mein Sarkasmus stört sie weniger als der falsche Titel.
»Wie auch immer. Seine Frau wird vermisst, und auch wenn er Gottes persönlicher Assistent ist – der Hauptverdächtige ist immer der Ehegatte.«
»Deswegen brauchen wir ja deine…« Kennys Handy klingelt. »Wir stecken immer noch im Verkehr fest, Sir«, sagt sie mit ehrerbietiger Stimme ins Telefon. »Es ist nicht allzu schlimm, aber wir kommen trotzdem nur langsam voran.«
Es ist schlimm. Auf der Straße, der ich den Spitznamen »Highway der Evangelikalen Kirchen Nigerias« verpasst habe, herrscht das reinste Chaos. Der Verkehr stockt schon kurz vor dem Schild »Auf Wiedersehen in Lagos« und kommt fast völlig zum Stillstand, als eine weitere Plakatwand uns im Bundesstaat Ogun willkommen heißt.
»Es geht schon wieder weiter«, fährt Kenny fort. »Der Verkehr lichtet sich ein wenig. Wir dürften in etwa einer halben Stunde da sein …«
Ich pruste sarkastisch, während ich mich resigniert umsehe. Wenn wir nicht von einem Hubschrauber abgeholt werden, dürfte ihr Optimismus verfehlt sein. Die Megachurches, die die Straße zu beiden Seiten säumen, sind das Einzige, was einen Eindruck von Ordnung vermittelt. Ein Stadtplaner würde einen Anfall bekommen angesichts des wilden Wirrwarrs von Tankstellen, Läden, Marktständen und Bushaltestellen, die ein Kirchengrundstück mit dem nächsten verbinden. Es liegt keine Methode in dem Wahnsinn, der bis auf die Straße überschwappt und ihre auf drei Autos ausgelegte Breite auf bestenfalls zwei verengt.
»Ah, er fühlt sich geehrt, oo. Es macht überhaupt keine Umstände.«
Mein Seitenblick sagt mehr als tausend Worte. Kenny ignoriert mich, und ich wende meine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu. Neben den Anwesen der Megachurches zeichnet sich die Straße auch durch eine außergewöhnliche Dichte von Bildungseinrichtungen aus. Von Kindergärten über Highschools mit angeschlossenen Internaten bis hin zu Universitäten – hier ist alles versammelt. Die Schul- und Studiengebühren prangen auf großen, knallig bunten Schildern, und riesige Plakatwände listen die jeweiligen Einrichtungen und Angebote auf. Die beeindruckenden Eingangstore der Schulen sollen den angehenden Schülern anscheinend den Eindruck vermitteln, dass sie vor dem Tohuwabohu auf der Straße geschützt sein werden. Ob mit Erfolg, das wage ich zu bezweifeln.
Kenny beendet das Gespräch. »Die Ältesten warten schon.«
»Sie können die Zeit nutzen, indem sie für ein Wunder beten.«
»Lass das.«
Ich halte den Blick auf die Straße gerichtet, damit sie mein Grinsen nicht sehen kann.
Zwei Stunden und dreiundzwanzig Minuten später, in einem luxuriösen Besprechungsraum, der besser zu einem Großkonzern als zu einer Kirche passt, starren uns neun Männer und vier Frauen an, als ob wir gerade eine hitzige Debatte über fallende Aktienkurse unterbrochen hätten. Die Anspannung im Raum ist höher als im Situation Room des Weißen Hauses während der Tötung von Osama bin Laden.
»Guten Tag, Sir«, sagt Kenny, während sie knicksend um den breiten, langen Konferenztisch herumgeht. Ich versuche den Rang der Ältesten daran abzulesen, wie tief sie vor jedem in die Knie geht.
Die Begrüßungen setzen sich fort, bis Kenny den Mann erreicht, der am nächsten zu dem leeren Ledersessel am Kopfende des Tischs sitzt. Anfang bis Mitte fünfzig. Man könnte ihn gutaussehend nennen, wenn er nicht so finster dreinschauen würde. Dunkelhäutig, glatt rasiert. Sein graumeliertes Haar und die Art, wie er die Hände verschränkt, verleihen ihm die Aura eines strengen Schuldirektors. Kennys Knie berühren den Boden. Der Vize-Jesus, jede Wette.
»Ist er das?« Das dröhnende Organ eines Mannes, der es gewohnt ist, zu großen Menschenmengen zu sprechen. »Der Psychologe?«
»Ja, Sir.« Kenny sieht mich an, und die tiefe Zuneigung, die von ihr ausstrahlt, wärmt mir das Herz. »Das ist mein Bruder, Dr. Philip Kehinde Taiwo. Er ist investigativer Psychologe«, erklärt sie.
Ich hebe die Hand zum Gruß, unangenehm berührt vom Stolz in ihrer Stimme wie auch von der Nennung meines vollen Namens und meines Berufs. Kenny geht weiter zu der Frau neben dem Vize-Jesus. Sie macht Anstalten, niederzuknien, doch die ältere Frau hält sie zurück und schließt sie stattdessen in die Arme.
»Ich habe den anderen gerade gesagt, sie hätten dich nicht behelligen sollen«, sagt die Frau, den Blick auf mich gerichtet.
»Ach, Auntie, mich nicht behelligen, ke? Wie kann ich ruhig sein, wenn der Teufel keine Ruhe gibt?« Kenny sieht mich an, während sie der Frau die Arme um die Schultern legt. »Phil, das ist Bishops Schwiegermutter, Mrs Kikelomo Bucknor.«
Ich versuche meine Überraschung zu verbergen. Dass die Mutter des potenziellen Opfers anwesend ist, bringt mich aus dem Konzept. Ich werde mit größerer Behutsamkeit vorgehen müssen und nicht wie geplant mit uneingeschränkter Offenheit.
Mrs Bucknor mustert mich kritisch. Außer dass sie erschöpft wirkt, kann ich aus ihrer Miene nichts lesen. Ihr Gesicht ist frei von erkennbarem Make-up, und abgesehen von der Abgespanntheit um die Augen glänzt ihre helle Haut vor Gesundheit. Ihr traditionelles Kostüm aus Iro und Buba würde protzig wirken, wäre da nicht der schlichte Knoten des dazu passenden Gele auf ihrem Kopf. Kein Schmuck. Kein Ehering. Der Wohlstand, den sie aus jeder Pore ausströmt, scheint die einzige Zierde zu sein, die sie braucht.
»Dann sind Sie also auch ein Zwilling«, bemerkt eine der Ältesten, als ob sie Kennys Behauptung anzweifeln würde.
»Ja, Ma«, erwidere ich steif. Es ist nicht leicht, die Regeln der Höflichkeit zu wahren, wenn dreizehn Augenpaare auf einen gerichtet sind.
Mrs Bucknor wendet sich Kenny zu. »Zwei Zwillingspaare in einer Familie. Was für ein Segen!«
Während ich bezweifle, dass meine Mutter dem beipflichten würde, finde ich die Art, wie Mrs Bucknor gesprochen hat, bemerkenswert. Ihr Tonfall war ausdruckslos, ohne das Erstaunen, das ich fast schon erwarte, wenn mein Stammbaum zur Sprache kommt. Aber schließlich wird der Schwiegersohn dieser Frau beschuldigt, ihre Tochter ermordet zu haben. Nicht gerade ein Hurra-Moment.
»Bitte, nehmen Sie doch Platz«, fordert der Vize-Jesus mich auf.
Ich komme der Bitte nach und finde mich ihm gegenüber.
»Mein Name ist Pastor Abayomi George. Ich bin der stellvertretende Superintendent der Grace Church.«
Ich habe richtiggelegen. Die Nummer zwei in der Hierarchie.
»Darf ich Ihnen die Ältesten vorstellen?« Er deutet auf Mrs Bucknor. »Das ist Mrs Bucknor, wie Sister Kenny bereits...
Erscheint lt. Verlag | 13.11.2024 |
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Reihe/Serie | Psychologe Dr. Philip Taiwo ermittelt |
Übersetzer | Andreas Jäger |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Gaslight |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2024 • Afrika • eBooks • Ermittlerkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Lightseekers • Neuerscheinung • Nigeria • philip taiwo • Psychologe • Thriller |
ISBN-10 | 3-641-25603-8 / 3641256038 |
ISBN-13 | 978-3-641-25603-6 / 9783641256036 |
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