Noch besser als Schokolade (eBook)
208 Seiten
Gerth Medien (Verlag)
978-3-96122-639-9 (ISBN)
Thomas Franke ist Sozialpädagoge und bei einem Träger für Menschen mit Behinderung tätig. Als leidenschaftlicher Geschichtenschreiber ist er nebenberuflich Autor von Büchern. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. www.thomasfranke.net Foto: © Studioline Erlangen
Thomas Franke ist Sozialpädagoge und bei einem Träger für Menschen mit Behinderung tätig. Als leidenschaftlicher Geschichtenschreiber ist er nebenberuflich Autor von Büchern. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. www.thomasfranke.net Foto: © Studioline Erlangen
1
Johann zog die Kapuze über den Kopf. Ein eisiger Wind schüttelte die nackten Äste der Bäume. Es war der vorletzte Tag im November; einige Schneeflocken trieben in der Luft. Kies knirschte unter seinen Sohlen, als er die wenigen Schritte den Pfad entlanglief. Schließlich blieb er stehen.
»Hallo, Schatz, da bin ich wieder.« Er lächelte und nickte Linda zu.
Sein Handy klingelte. Er nahm es aus der Tasche, warf einen kurzen Blick darauf und wies den Anrufer ab. »Die Bank«, sagte er entschuldigend. »Wahrscheinlich geht es um die ausstehende Kreditrate.« Er setzte ein Lächeln auf. »Aber das krieg ich schon hin. Bestimmt können wir die Rate abstottern.« Er grinste schief. »Hilfreich wäre natürlich, wenn auch etwas zum Stottern da wäre. Erfahrungsgemäß kommt die Jahresabrechnung erst Mitte Februar und einen zweiten Vorschuss werde ich dem Verlag nicht aus den Rippen leiern können. Nach allem, was ich bislang gehört habe, läuft der Einverkauf meines letzten Buches ziemlich schleppend. Aber das betrifft laut Juliane im Grunde alle Titel, nicht nur meinen. Die ganze Buchbranche leidet. Ich gehe davon aus, dass sie die Intention hatte, mich zu trösten, als sie mir diese Information weitergab. Allerdings habe ich die Vermutung, dass es die Bank nicht gnädiger stimmen wird, wenn ich ihnen erkläre, dass andere Autoren auch Probleme haben, ihre Kredite zu bedienen.«
Er lauschte. Manchmal sprach Linda sehr leise.
»Wie es den Kindern geht? Sie machen das toll. Wirklich! Die Zwillinge sind richtig groß geworden. Luisa hat gestern für uns gekocht. In solchen Momenten kommt sie mir fast wie eine Erwachsene vor. Ich weiß noch nicht, wie gut ich das finde. Manchmal ist sie mir etwas zu still und ernst für eine 13-jährige. Aber ich glaube, die Schule fordert sie gerade sehr. Jakob hat gestern einen Job angenommen. Er trägt jetzt neben der Schule Werbeblättchen aus. Bevor du allerdings vorschnell stolz auf ihn bist: Er macht das nur, damit er sich den mittlerweile dritten Streamingdienst leisten kann – was übrigens, laut seinen eigenen Worten, absolut alternativlos sei, da er nur durch die Kombination aller drei Dienste in der Lage wäre, alle Spiele der Bundesliga, Champions League und Premier League zu sehen. Schade, dass er selber nicht mehr spielt. Aber was soll ich dazu sagen?« Johann seufzte. »Solange Fußballgucken sein einziges Laster ist, können wir dankbar sein, denke ich. Jungen in seinem Alter stellen weit Schlimmeres an. Till hat in der Schule ziemlich zu kämpfen, aber das wussten wir ja, als wir uns für die Inklusionsklasse entschieden haben. Ich finde, seine Aussprache ist wirklich super geworden und mit dem Lesen klappt es auch recht gut. Nur Mathe ist bedauerlicherweise eine absolute Vollkatastrophe. Sobald er ein Rechenzeichen sieht, tut er so, als müsse er altägyptische Hieroglyphen in Mandarin übersetzen. Möglicherweise muss er seinen Berufswunsch Berühmtester-Astronaut-der-Welt-der-als-Erster-zum-Mars-fliegt-aber-auch-wieder-zurück noch mal überdenken.«
Johann konnte vor sich sehen, wie Linda schmunzelte, und auch seine Mundwinkel zuckten etwas. Till hatte sie vom ersten Tag an zum Lächeln gebracht. Letztlich hatten sie gar keine andere Wahl gehabt, als ihn zu adoptieren.
Und Carlotta?
Die Jüngste der vier war von Anfang an ein Überraschungspaket gewesen. Nach den Zwillingen wurde Linda wieder schwanger, erlitt jedoch eine komplizierte Fehlgeburt. Ein Arzt informierte sie kurz darauf – mit dem Einfühlungsvermögen einer Kettensäge –, dass Linda nie wieder schwanger werden könne. Das war einer der Gründe, warum sie überhaupt mit dem Gedanken gespielt hatten, ein Kind zu adoptieren. Nach Till war die Familienplanung abgeschlossen gewesen – eigentlich. Doch dann war ein Wunder passiert. Ein Wunder namens Carlotta. Sie hatte ihr Leben ziemlich durcheinandergewirbelt und seit ihrer Geburt im Grunde genommen nicht mehr damit aufgehört. »Carlotta hat wieder irgendein Projekt. Was genau, kann ich dir nicht sagen, sie geht dann in ihr Zimmer und hängt das BETRÄTEN VABOTEN-Schild an die Türklinke. Ich respektiere das und hoffe, dass ich damit nicht einen Punkt auf meiner Liste pädagogischer Fehltritte hinzufüge. Carlottas Trainer meint übrigens, sie gehöre in die erste F-Jugend, und zwar bei den Jungs. Heute hat sie ihr erstes Training.« Johann sah auf die Uhr. »Ich muss sie gleich abholen.«
Er verharrte einen Augenblick. Er kannte Linda gut genug, um zu wissen, was ihre nächste Frage wäre. »Ich komme zurecht. Oma Sofa und Opa Holger sind Gold wert. Sie helfen, wo sie können, und lieben die Kinder über alles. … Meine Eltern? Na ja, du weißt ja, wie sie sind. Es hat sich nichts geändert. Ihnen geht es gut in den USA. Wir telefonieren alle ein bis zwei Monate.« Seine Augen glitten hinauf in den grauen Himmel. »Du fehlst mir«, flüsterte er.
Er nahm den kleinen runden Kieselstein aus der Tasche und legte ihn behutsam auf den Stapel, der sich auf dem marmornen Grabstein türmte. »Bis bald.«
Der alte T4 gab ungute Geräusche von sich, und die Anzeigen der Armatur flackerten, als Johann den Motor startete. Es sah so aus, als würde die Batterie bald schlappmachen. Johann seufzte und hoffte, dass die alte Karre noch mal durch den TÜV kommen würde.
Er verließ den Parkplatz und fuhr den ungeteerten Zugang entlang zur Straße. Als er sich in den Verkehr einfädelte, wurde der Schneefall stärker. Dennoch drehte er die Heizung runter, um die Batterie zu schonen. Sein Handy klingelte. Es war die Grundschule. Mit der linken Hand fingerte er das Smartphone aus der Jackentasche und stellte auf Lautsprecher. »Ja?«
»Hallo, Herr Weißborn?«
»Ja.«
»Hier ist Frau Schmidt.«
Johann stöhnte innerlich auf. Wenn sich die Klassenlehrerin seines jüngeren Sohns meldete, bedeutete das selten etwas Gutes. »Gerade eben hat sich Tills Inklusionsbegleiterin Frau Weber krankgemeldet. Es tut mir sehr leid, Till hat morgen Homeschooling.«
»Was? Nicht schon wieder. Das kann doch nicht sein!«
»Herr Weißborn, ich habe Frau Weber nicht infiziert«, bemerkte sie spitz.
»Aber es muss doch eine andere Lösung geben …«
»Ich habe mit 28 Kindern ohnehin schon eine übervolle vierte Klasse. Da bleibt keine Kapazität, mich auch noch um Till zu kümmern.«
»Kann nicht die FSJ-lerin …?«
»Sie hat eine Seminarwoche«, unterbrach ihn Frau Schmidt.
»Aber Sie sind doch eine Inklusionsschule. Wie soll das funktionieren, wenn Till ständig zu Hause bleiben muss?«
»Leider hilft der Begriff Inklusionsschule weder gegen Viren noch Bakterien. Ich habe niemanden, der sich um Till kümmern kann. So einfach ist das. Und ehrlich gesagt verstehe ich auch gar nicht, wo das Problem ist. Sie sind doch den ganzen Tag zu Hause.«
»Ich muss arbeiten!«
»Es tut mir leid. Ich schicke Ihnen die Übungen für Till wie üblich per Mail zu.«
»Frau Schmidt, so geht das nicht …«
»Herr Weißborn, ich muss jetzt zurück in den Unterricht. Auf Wiederhören.« Sie legte auf.
Johann seufzte. Es hatte keinen Zweck, sich aufzuregen. Es gab nur eine Inklusionsbegleiterin in der Klasse. Ein Ersatz war nicht vorgesehen. Ungünstigerweise war Frau Webers Immunsystem sehr empfindsam, insbesondere montags, nach den Ferien und bei schönem Wetter. Nach Johannes’ Eindruck teilte sich Frau Weber das Jahr sorgfältig je zur Hälfte in Arbeitstage und Krankheitstage ein. Manchmal sprang die FSJ-lerin ein. Sie war sehr nett, Till mochte sie. Aber das war natürlich keine Dauerlösung.
Er parkte den Wagen beim Sportplatz und gesellte sich zu den anderen Eltern. Offenbar machte die Mannschaft gerade ein Abschlussspiel, wie er den lautstarken Anfeuerungsrufen einiger Väter entnehmen konnte.
Ein rothaariger Junge dribbelte über das Spielfeld und ließ zwei verdutzte Gegner hinter sich. Carlotta stellte sich ihm entgegen, doch auch an ihr zog er vorbei. Der Torwart stand unsicher zwischen den Pfosten und kaute an seinen übergroßen Handschuhen.
»Komm raus!«, brüllte einer der Väter.
»Schieß!«, brüllte ein anderer.
Der Torwart machte einen zögerlichen Schritt nach vorne und der Rothaarige setzte zum Schuss an. In diesem Moment kam Carlotta wie aus dem Nichts angeschossen, sie schlitterte über den Rasen, und grätschte den Ball weg. Der Junge stürzte.
»Foul!«, empörte sich jemand. Doch der Trainer schüttelte den Kopf. »Ball gespielt!«
Carlotta war wieder auf den Beinen und trieb das Leder vorwärts. Sie ließ einen heranstürmenden Gegner aussteigen und spielte den Ball quer über den Platz zu einem Mitspieler. Der schoss, und mit gnädiger Hilfe des abgelenkten generischen Torwarts, der gerade verträumt ein paar Krähen beobachtet hatte, die auf dem Schutzzaun hockten, landete der Ball im Netz. »TOOOR!«
Die Mannschaft beglückwünschte den Torschützen. Auch Carlotta klatschte ihn ab.
»Das war ein glattes Foul«, beschwerte sich ein Vater, den Johann anhand seines spärlichen roten Haarkranzes als den Vater des gegnerischen Stürmers identifizierte. »Typisch Mädchen, treffen den Ball nicht und metzeln alles nieder, was ihnen in die Quere kommt.«
Ehe Johann ein passender Kommentar einfiel, hatte Carlotta ihn entdeckt und stürmte auf ihn zu. »Papa!«
Sie warf sich in...
Erscheint lt. Verlag | 20.9.2024 |
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Verlagsort | Asslar |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Adventskalender • Familiengeschichte • humorvoll • Kurzgeschichten • Weihnachten |
ISBN-10 | 3-96122-639-3 / 3961226393 |
ISBN-13 | 978-3-96122-639-9 / 9783961226399 |
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