Rheintreue (eBook)
536 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-4089-2 (ISBN)
Jörg Marenski veröffentlicht seit 2009 Bücher. Das Hauptwerk besteht aus der 10-teiligen Buchreihe »Düssel-Krimis«, die als Romane mit starkem regionalen Bezug reale Ereignisse aufgreifen und fiktional weiter entwickeln. Des Weiteren stammen von ihm zwei Anthologien: »Der Spieler« nach Liedern des Musikers Achim Reichel und »Playlist meines Lebens 2.0«. Außerdem stammen von Jörg Marenski zwei Kinderbücher: »Wartet mal ab, bis ich groß bin - Geschichten von Lieschen Pellworm Band 1« und »Groß werden ist manchmal schwer - Geschichten von Lieschen Pellworm Band 2«.
Kapitel 1
„Nun mach doch endlich hin, Annike, du weißt doch, wie viel die Gauner hier für die Liegezeiten verlangen. Wo ist eigentlich Jeroen, der faule „Klootzak?“ Knut Achternbusch blickte wütend aufs Vorschiff seines Frachters und versuchte, seinen Bootsmann zu entdecken. Die Nachricht, die er über die Außenlautsprecher seines Schiffes gebrüllt hatte und die weit durch die Hafenanlage schallte, hatte lediglich dazu geführt, dass seine Frau Annike ihm, von der Schiffsmitte aus, einen Vogel zeigte und unberührt weiter die schweren Metallhauben zur Abdeckung des Laderaums öffnete. Hilfe hatte sie dabei durch den Bootsjungen Anas, der vor einem halben Jahr mit einer Ausbildung zum Matrosen angefangen hatte. Fröhlich pfeifend erledigte er die körperlich anstrengende Arbeit und bemühte sich dabei, seiner Chefin alles recht zu machen.
Anas Azaam war fünf Jahre zuvor mit seiner Mutter und zwei kleinen Schwestern auf abenteuerlichen Wegen aus Syrien geflohen und dann in einem Auffanglager im Raum Düsseldorf hängengeblieben. Während die Mutter an der Situation schier verzweifelte, fanden sich die Kinder deutlich besser in das für sie so fremde Leben in Deutschland ein. Frau Azaam hatte schließlich durch den Krieg ihren Mann und Vater ihrer Kinder verloren und, mit nichts als den Kleidern auf dem Leib, ihr nacktes Leben retten können. Anas, dessen Vorname Freundlichkeit oder Wohlwollen bedeutete, wurde seinem Namen wirklich gerecht. Er nutzte jede sich ihm bietende Gelegenheit, die fremde Sprache zu lernen und sich mit den Gepflogenheiten seines Gastlandes zu beschäftigen. Seine kleinen Schwestern Samira, ‚die Prinzessin‘, und Habiba, ‚die Geliebte‘, nahmen sich an ihrem großen Bruder ein Beispiel und hatten schnell einen größeren Freundeskreis um sich geschart. Nur selten trafen sie auf Ablehnung, was ihnen in diesen Fällen dann schwer zu schaffen machte und sie Trost bei ihrem Bruder suchten. Mit seinen 20 Jahren war Anas nach dem Verständnis seines Heimatlandes zwar ein Mann, aber er selbst fühlte sich oft genug in der Rolle des Mannes in der Familie überfordert. Immer wieder führte es zu Konflikten, wenn er versuchte, seiner Mutter klarzumachen, dass auch sie die deutsche Sprache lernen sollte. Anas machte sich nicht übermäßig Hoffnungen, dass er Syrien so schnell wiedersehen würde.
Durch Schulbesuche, Weiterbildungsangebote in den Abendstunden und enormem Fleiß konnte Anas nach zwei Jahren nahezu akzentfrei Deutsch und flocht bevorzugt lateinische Begriffe in seine Diktion ein, da er bemerkt hatte, dass dieses viele Menschen beeindruckte. Was ihm völlig gegen den Strich ging, war diese Art von Ghetto-Deutsch, welches, zu oft berechtigt, jungen Menschen aus dem Nahen Osten anhing. Möglicherweise die Summe aus seinen Eigenschaften und seinem freundlichen, zuvorkommenden Wesen sorgte dafür, dass er, nach einem längeren Gespräch mit der Familie Achternbusch, einen Ausbildungsplatz angeboten bekam. Natürlich, er würde viel unterwegs sein und seiner Mutter und den Schwestern nicht mehr so viel helfen können, aber seine Lust zu reisen und die Welt kennenzulernen, war einfach übergroß. Diese Sehnsucht hatte auch einer seiner Lehrer bemerkt und ihn massiv gefördert. Auch bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz war ihm der Lehrer behilflich gewesen und so heuerte der junge Mann bei den Partikulieren (selbstständige Binnenschiffer) an.
Annike und Knut Achternbusch waren ein Ehepaar von fast 40 Jahren, die zusammen durch dick und dünn gegangen waren. Knut entstammte einer alten Binnenschifferdynastie und war Kapitän in der fünften Generation. Als der Vater seines Urgroßvaters mit dem Geschäft begonnen hatte, mussten die Frachtschiffe noch rheinauf getreidelt werden, das heißt: durch Menschenkraft oder durch Ochs und Pferd, bewegt werden. Seitdem hatte sich zum Glück viel geändert und auch die Familie Achternbusch war nicht stehen geblieben. Aber so ein Binnenschiff brachte nicht nur erhebliche laufende Kosten mit sich; die Finanzierung einer Modernisierung oder gar eine Neuanschaffung würden beim Normalbürger für Schnappatmung sorgen. Angesichts dessen hatte sich Knut auch damit schwergetan, einen neuen Frachter als Ersatz für den mittlerweile maroden „67er“ (Standardlänge 67 Meter) anzuschaffen. Den letztendlichen Ausschlag für die Investition hatte die Entscheidung von Annikes Familie gegeben. Die Sloots waren ebenfalls eine traditionsreiche Schifferfamilie aus den Niederlanden und Knut hatte Annike bei einem der vielen Aufenthalte in Rotterdam kennengelernt, als ihre Schiffe voreinander am Kai lagen. Annikes Vater war immer ein sparsamer Mann gewesen, der sein Geld zwar konservativ, aber klug investiert hatte. Er stellte eine Bankbürgschaft für die fehlende halbe Million, die von Knuts Bank nicht abgedeckt wurde. Also wurde ein neues Schiff gebaut, die „MS Rheintreue“. Diesen Namen hatte Knut bewusst gewählt, denn so hatte das erste Schiff seines Vorfahren geheißen, welches den Grundstock für das heutige Familienunternehmen bildete. Der alte Kahn mit Namen „MS Monika“ wurde tatsächlich noch zu einem anständigen Preis an einen bulgarischen Kleinunternehmer verkauft. Die neue „MS Rheintreue“ war ein Frachter mit 135 Metern Länge und einem Frachtvolumen von 2.800 Tonnen. Ausgestattet mit modernster Navigations- und Kommunikationstechnik, konnte die Familie Achternbusch auch bei schwierigsten Gewässer- und Wetterlagen ihre Fahrt sicher fortsetzen. Untiefen, Nebel, dichter Verkehr … all das waren keine Probleme mehr. Radar, Echolot, GPS-Navigation, Bugstrahlruder - alles vom Feinsten. Auf Betreiben von Vater Sloot und Vater Achternbusch wurde das Schiff so gebaut, dass es problemlos als Koppelverband genutzt werden konnte, was die Ladekapazität mindestens verdoppelte. Knut hatte eigentlich von einer leistungsstarken Schubeinheit geträumt, was ihm ermöglicht hätte, bis zu sechs „Leichter“ (antriebslose Ladungsbehälter, die einzeln oder aneinander gekoppelt von einer Schubeinheit bewegt werden) zu bewegen. In Knut klimperte es bei diesem Gedanken wie in einem Geldspielautomaten. Jedoch hatten ihn Vater, Schwiegervater und nicht zuletzt seine Frau überzeugt, dieses Wagnis nicht einzugehen. „Du machst dich wieder abhängig von den Bedürfnissen anderer. Mit einem kompletten Frachter bist du vollkommen dein eigener Herr“, so lautete das Credo der erfahrenen Schiffer.
Dass Annike auch noch andere, nicht in der gesamten Familie bekannte, Gründe für ihre Gegenwehr hatte, ließ Knut gerne bei seinen Überlegungen außer Acht. Ihr Mann war ein herzensguter Kerl, liebevoll zu ihr und den beiden Kindern, ein erfahrener Schiffsführer … aber eben auch nur ein Mensch mit Schwächen. Knuts Schwächen waren der Alkohol und … das Glücksspiel. Hatte er den Konsum hochgeistiger Getränke mittlerweile deutlich einschränken können, war es ihm kaum möglich, einer Partie Poker oder einem Spielcasino auszuweichen. Er konnte in keine Pommesbude gehen, ohne nicht beim Warten auf sein Gyros den Spielautomaten zu füttern. So konnte es passieren, dass er zwei Stunden nach dem Verlassen des Schiffes zum Essen holen, mit kalten Fritten, zähem, griechischen Fleisch und um 100 Euro ärmer wieder an Bord kam. Annike befürchtete einfach, dass so ein „Pott“ eine Nummer zu groß für sie wäre.
Der Vierte im Bunde war der Bootsmann Jeroen Hoorn. Jeroen fuhr als Bootsmann seit fünf Jahren bei den Achternbuschs mit. In den Jahren zuvor hatte er mehrere kurze Beschäftigungen in der Binnenschifffahrt gehabt, es aber nirgends lange ausgehalten. Annike und Knut hatten ihm so etwas wie sozialen Halt oder eine Art Familie geboten, was dem ehemaligen Heimkind völlig unbekannt war. Jeroen war zuverlässig und fleißig, so auch jetzt, als Knut ihn erfolglos an Deck suchte. Er hatte völlig vergessen, dass er Jeroen angewiesen hatte, den Ölstand des Schiffsdiesels zu überprüfen und ggf. zu ergänzen.
In diesem Augenblick steckte der Bootsmann seinen Kopf durch die Tür des Maschinenraums. „Alles in Ordnung, Käpt’n. Ölstand ist in Ordnung. Aber ich hab‘ mir auch in dem Zusammenhang die Bilge angesehen. Wir müssen dringend einen Entöler zum Absaugen kommen lassen, das Zeug schwappt fast schon raus.“ Knut knurrte: „Das lass mal meine Sorge sein. ICH bin der Schiffsführer, nicht du. Sieh lieber zu, dass du Annike und Anas am Laderaum hilfst.“ Jeroen zuckte nur mit den Schultern und machte sich auf den Weg zu den Ladeabdeckungen.
Der gebürtige Amsterdamer war enorm kräftig, was man bei seinem schmächtigen Aussehen kaum vermutet hätte. Aber jahrelange Erfahrung und seine Fitness sorgten dafür, dass die schwere Arbeit zu dritt schnell erledigt war.
Annike gab ihrem Mann ein Zeichen, dass die Arbeit erledigt sei, und zog sich dann in die Privaträume der Eheleute im Schiffsheck zurück. Nach zehn Minuten kehrte sie mit einem Tablett in beiden Händen an das Steuerpult zurück, wo ihr Mann brütend über den Ladepapieren saß....
Erscheint lt. Verlag | 19.7.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7597-4089-8 / 3759740898 |
ISBN-13 | 978-3-7597-4089-2 / 9783759740892 |
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