Das Lied des Propheten -  Paul Lynch

Das Lied des Propheten (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
320 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12327-2 (ISBN)
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»Wenn es so etwas wie ein zentrales Buch für unsere Zeit gibt, dann ist es dieses. Brillant und Eindringlich« The Observer An einem regennassen Abend in Dublin öffnet die Wissenschaftlerin und vierfache Mutter Eilish Stack ihre Haustür und steht zwei Beamten der neu gegründeten irischen Geheimpolizei gegenüber. Sie sind gekommen, um ihren Mann Larry, einen bekannten Gewerkschafter, zu verhören. Kurz nach dieser Begegnung verschwindet Larry, und sehr schnell beginnen die Dinge in Eilishs Welt aus dem Ruder zu laufen. Irland befindet sich in der Gewalt einer Regierung, die auf dem Weg in die Tyrannei ist. Eilish findet sich in der alptraumhaften Logik einer kollabierenden Gesellschaft wieder, angegriffen von unsichtbaren Kräften, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Sie ist gezwungen, alles zu tun, um ihre Familie zu schützen und alle zusammenzuhalten. Wie soll sie ihren Kindern erklären, was passiert ist, wenn sie nach dem Vater fragen? Wie wird ihr eigener zunehmend dementer Vater auf die gravierenden Veränderungen seines Alltags reagieren? Und wie weit wird Eilish selbst gehen, um sich und ihre Familie zu retten? »Das Lied des Propheten« ist ein atemloses Porträt einer Familie am Rande der Katastrophe, das stilistisch und emotional seinesgleichen sucht. Paul Lynchs meisterhafter Roman ist das Buch der Stunde - und ein Appell, die entstehenden autoritären Regime der Gegenwart zu bekämpfen. »Einen Triumph des emotionalen Erzählens, mutig und anregend« Booker Prize Jury »Ein wichtiges und unvergessliches Leseerlebnis.« The Guardian »Einer der erschütterndsten und provokativsten Romane, die ich seit langem gelesen habe.« Scotsman »Paul Lynch ist einer der meistgefeierten irischen Schriftsteller seiner Generation und ?Das Lied des Propheten? ist Irlands ?1984?.« Telegraph »Ein Meisterwerk« Big Issue »Erschreckend plausibel« Irish Times

Paul Lynch, geb. 1977 in Limerick, wuchs in Donegal auf und lebt in Dublin. Von 2007 bis 2011 war er Chef-Filmkritiker der irischen Zeitung »Sunday Tribune« und schrieb regelmäßig für die »Sunday Times«. Seitdem ist er hauptberuflich Autor. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen in Irland und UK ausgezeichnet. Für seinen aktuellen Roman »Das Lied des Propheten« erhielt er den Booker Prize 2023.

2


Zum Wagen, das Baby auf dem Arm, treibt Eilish die Kinder weiter, treibt sich selbst voran in stummem Wunsch. Sie schaut zurück und sieht Molly, wie sie stumm zwei Taschen schleppt und Bailey mit dem Einkaufswagen spielt, bis sie ihn herruft. Sie klickt Bens Kindersitz fest, er lächelt sie verschlafen an, während Molly die Taschen in den Kofferraum stellt, auf den Beifahrersitz rutscht und sich Kopfhörer aufsetzt. Eilish will sie anfassen, will sprechen, Bailey kommt mit aufgeworfenen Armen zum Auto gerannt. Er klettert hinten rein und knallt die Tür zu, beugt sich dann zwischen den zwei Sitzen vor und betrachtet seine Mutter im Rückspiegel. Mam, sagt er, wann kommt Dad nach Hause? Der lange Sturz ihres Herzens durch den Körper, und es fällt weiter. Sie sucht nach Worten, die nicht kommen wollen, sie wendet den Blick von ihrem Sohn, spürt, dass auch Molly sie ansieht. Einen Moment lang schaut sie auf die dunkelnde Straße, ein Trupp Teenager läuft vorbei, sie kennt sie in ihrer Achtlosigkeit, wie sie miteinander kabbeln und tollen, sieht die künftige Molly, die sie verliert, vielleicht ist sie ja schon weg. Sie wendet sich zu Bailey, der langsam atmet, sucht seinen Blick im Spiegel, hält ihn aus. Ich hab’s dir doch gesagt, Schatz, er musste wegen der Arbeit weg, er kommt, sobald er kann. Sie sieht zu, wie ihr die Lüge aus dem Mund wächst, wie die Lüge unsichtbar ihr Werk tut, wie Bailey mit einem Hmm auf den Sitz zurückfällt, wie er alles, was sie sagt, als Tatsache nimmt. Bailey packt Mollys Gurt und zieht, sperrt sie ein, bis sie sich umdreht und nach seiner Hand schlägt. Sie wirft ihrer Mutter einen giftigen Blick zu, und Eilish sieht weg, denkt, Molly muss gewusst haben, dass was nicht stimmt, als niemand sie vom Hockey abgeholt hat, sie konnte ihre Eltern telefonisch nicht erreichen, als sie vor dem Vereinshaus stand und zusah, wie ihre Mitspielerinnen eine nach der anderen in der Dämmerung verschwanden, bis Miss Dunne sie schließlich nach Hause begleitete. Ihr Gesicht, als sie hereinkam, puterrot vor Wut, und wie sie später verstummte, was Mark und Molly am Abend gesagt werden musste, dass die ganze Gewerkschaftsleitung verhaftet wurde, dass wir in schwierigen Zeiten leben, sie werden ihn bald wieder freilassen müssen, ihr müsst euch immer sagen, dass euer Vater nichts Unrechtes getan hat, dass er von der Regierung eingeschüchtert wird, aber ihr müsst jetzt beide vorsichtig sein, ihr dürft außerhalb des Hauses nicht darüber sprechen, in der Schule kein Wort, zu niemandem. Sie sieht das Entsetzen in Mollys Gesicht, fleht sie an, es vor Bailey geheim zu halten, er ist zu klein, um es zu verstehen. Die Wut des Mädchens flaut zu Schweigen ab, das Zimmer abgeschlossen, Eilish steht davor und traut sich nicht zu klopfen. Mark nimmt die Nachricht mit eigenartiger Zurückhaltung auf, er hat nur eine Frage gestellt, warum erlauben sie ihm keinen Zugang zu einem Anwalt? Sie dreht den Zündschlüssel, voller Angst jetzt, welche Lügen noch folgen müssen, die Lügen wachsen ihr weiter aus dem Mund, sie sieht, dass es ein Frevel ist, ein Kind auch nur einmal anzulügen, dass er sich nicht mehr zurücknehmen lässt, und ist die Lüge erst erkannt, bleibt sie aus dem Mund gewachsen wie eine tot züngelnde Giftblume. Sie fährt durch anstrengenden Verkehr, die Kinder stumm im Wagen, sie sind fast zu Hause, als das Handy in ihrer Tasche zu Mollys Füßen klingelt. Sie bittet um das Handy, dann noch einmal, und plötzlich schreit sie Molly an, setzt den Wagen an den Straßenrand, langt nach ihrer Tasche und zieht Molly den Kopfhörer von den Ohren, das Mädchen starrt seine Mutter entgeistert an. Der verpasste Anruf ist von einer unbekannten Nummer, sie starrt darauf und beschließt zurückzurufen. Hallo, ja, hier ist Eilish Stack. Ich habe einen Anruf von dieser Nummer verpasst. Es ist Carole Sexton, sie will reden. Pass auf, Carole, ich kann gerade nicht, ich bin im Auto, kann ich dich heute Abend zurückrufen? Bailey schaut muffig in den Spiegel. Warum kann ich ihn nicht anrufen, Mam, lasst ihr euch scheiden, ist es das? Als sie in der Einfahrt geparkt hat, öffnet sie die Tür und setzt einen Fuß hinaus, zögert aber, als hätte sich auf dem Kies vor ihr ein Abgrund aufgetan. Ahnender Schritt auf ahnenden Schritt, sie ahnt die bevorstehende lange Nacht.

Michael Given macht lieber Hausbesuche, es ist nicht sicher, das am Telefon zu besprechen, man muss immer annehmen, dass sie mithören. Sie sieht zu, wie er gebeugt in die Küche geht, in seiner Art fast entschuldigend, wie er sich setzt und die gelben Finger faltet, sieht zu, wie er sein Handy aufmacht, den Akku herausholt und auf den Tisch legt. Sie legt Ben in die Wippe und mustert Michael Given weiter, sieht, wie er sich vom Husten bis zum Schmerz raucht. Du siehst müde aus, Michael, kann ich dir was zu essen machen? Er fegt die Frage mit langer Hand weg, dennoch stellt sie ihm einen Teller Kekse hin, er nimmt einen, dreht ihn in der Hand, isst ihn aber nicht. Hör zu, Eilish, es heißt, sie wollen sie verlegen. Sich selbst fremd, sieht sie das Wasser in die Kocheröffnung strömen, hält den Atem an, stellt das Wasser ab und setzt den Kocher auf. Wohin verlegen? Es heißt, in Internierungslager im Curragh, ist bloß ein Gerücht, aber trotzdem, man muss sich vorstellen, dass sie sie nicht alle in der Stadt festhalten können, wo doch so viele verhaftet worden sind, die hatten sie schon dort während des Krieges, im Curragh, damals diejenigen, die vom Staat als Sicherheitsrisiko betrachtet wurden. Was sagst du denn da, Michael, ist Larry jetzt ein Sicherheitsrisiko? Sie betrachtet Michael Given, wie er die Hände in die Luft wirft. Gott, nein, Eilish, das sagt man halt so, das ist deren Ausdruck. Larry wird aus politischen Gründen festgehalten, Michael, ich will in diesem Haus nicht solche Begriffe hören. Michael Given presst die Lippen zusammen, er macht große Augen wie ein überraschtes Kind, nickt zur Spüle hin. Das Ding soll sicher nicht da drin stehen, sagt er. Sie dreht sich um und sieht den elektrischen Wasserkocher in der Spüle. Was bin ich doch blöd, sagt sie kopfschüttelnd. Sie wischt den Kocher trocken und stellt ihn auf den Sockel, schaut, den Ursprung ihres Zorns suchend, wieder zu Michael Given hin, sieht ihn als Beute, ein feiges Insekt vor dem Tisch. Die holen jetzt überall Leute ab, sagt er, hast du gehört, sie haben den Journalisten Philip Brophy eingesackt, einen Journalisten, verflucht, die NAP hat vielleicht Nerven, das war überall in den ausländischen Nachrichten, aber hier kein Wort davon, die kontrollieren jetzt die Redaktionen, aber die sozialen Medien sind voll davon. Sie beobachtet Michael Given beim Sprechen, denkt, der schwankt ja ganz leicht auf dem Stuhl, dem steckt eine weidenartige Müdigkeit im Körper, als wäre er unter Wasser. Ehemänner und -frauen, Mütter und Väter sinken unter Wasser. Söhne und Töchter, Schwestern und Brüder verschwinden nach unten, unten ins Unten. Sie ring nach Luft, will nach oben, Atem holen, sie geht ins Wohnzimmer, sucht etwas in ihrem Denken, nimmt die Fernbedienung, klickt auf einen Nachrichtenkanal und stellt ihn stumm. Das Gefühl jetzt, dass sie in einem anderen Land lebt, das Gefühl, dass sich ein Chaos auftut, das sie alle in sein Maul ruft. Sie tritt in die Küche, spürt ihren Zorn, packt dann die Luft mit den Händen, als hätte sie das Problem an der Gurgel gepackt. Michael, sagt sie, dass du ihn nicht sehen darfst, das verstehe ich nicht, ich habe selbst im Gesetz nachgeschaut, in den Verträgen, das ist ein eklatanter Bruch internationalen Rechts, also sag mir, warum dürfen die machen, was sie wollen, warum hat niemand Stopp geschrien? Ihre Worte schlagen auf Michael Givens Schweigen, und sie sucht in dem Gesicht, das traurig und verwirrt zugleich ist, ein verstörter Hund, der auf eine fremdartige Anordnung stößt, er hebt die Hände und will etwas sagen, doch sie redet weiter auf ihn ein. Der Staat soll einen doch in Ruhe lassen, Michael, nicht wie ein Ungeheuer ins Haus eindringen, den Vater in die Faust nehmen und verschlingen, wie kann ich das nur ansatzweise den Kindern erklären, dass der Staat, in dem sie leben, zum Monster geworden ist? Das geht alles vorbei, Eilish, früher oder später wird die NAP nachgeben müssen, in ganz Europa herrscht Empörung — Warum verhaftet das GNSB dann tagtäglich immer mehr Leute, Michael, nennt es eine Zeit des nationalen Notstands, die Zivilbeamten, die am Dienstag bei uns im Büro waren und einen jungen Burschen vom Schreibtisch weg mitgenommen haben, Eamon Doyle, ein Statistiker, der letzte Mensch, der Ärger macht, und weißt du, was er gesagt hat, als er seinen Mantel holte, er hat gebeten, dass jemand seine Mutter anruft, und das zwei Wochen vor Weihnachten. Sie setzt sich hin und schenkt sich mit einem aggressiven Schwung aus der French Press Kaffee ein. Sie ist außerhalb ihres Körpers und der Körper muss folgen, steht wieder vorm Fernseher und tut, als sähe sie die Nachrichten, versucht, ein Schluchzen zu unterdrücken. Michael Given erzählt von Gerüchten, in Cork und Galway habe es Proteste gegeben, die sofort unterdrückt wurden, aber sie hört nicht zu, sie denkt an die Kinder oben im Bett, sie denkt an Mark, der jeden Moment den Schlüssel in die Tür steckt und sein Rad durchs Haus nach hinten auf die Terrasse schiebt, und es gibt nichts, was sie ihm sagen kann. Michael Given richtet die Stimme ins Wohnzimmer, damit sie ihn hören kann. Die sind jetzt zu weit gegangen, Eilish, es riecht immer mehr nach Unruhen, aber das wirst du in den Nachrichten nicht hören, die NAP will aus dem Land einen Sicherheitsstaat machen, und sie haben gesagt, sie werden den Wehrdienst einführen, kannst du dir das in diesem Land vorstellen, überall auf den Straßen...

Erscheint lt. Verlag 13.7.2024
Übersetzer Eike Schönfeld
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-608-12327-X / 360812327X
ISBN-13 978-3-608-12327-2 / 9783608123272
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