Schatten über Salzburg -  Peter Blaikner

Schatten über Salzburg (eBook)

Roman nach einer wahren Begebenheit
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
288 Seiten
Gmeiner-Verlag
978-3-7349-3050-8 (ISBN)
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Salzburg, 1993. Neonazis besetzen einen leerstehenden Gutshof. Harald Schauer, Lehrer an einem Gymnasium, lebt mit seiner Familie in der Nähe. Er ist beunruhigt und versucht vehement, diesem rechtsradikalen Treiben in seiner Nachbarschaft entgegenzuwirken. Dabei wird er immer weiter in den Strudel dubioser Machenschaften gezogen und verfängt sich im verhängnisvollen Netz eines gefährlichen Spiels. Die Verstrickungen reichen vom Krieg in Jugoslawien über die deutsche Neonazi-Szene bis in einflussreiche Kreise von Politik und Gesellschaft.

Peter Blaikner wurde 1954 in Zell am See geboren. Er studierte Germanistik sowie Romanistik und war Lehrer an einem Gymnasium. Heute lebt er als Musiker, Kabarettist und Autor von Geschichten, Romanen, Musicals und Theaterstücken in Salzburg. Seine Kindermusicals wie 'Ritter Kamenbert' oder 'Das Hausgeisterhaus' erreichten bisher über eine Million Besucher im deutschsprachigen Raum. Erfolgreich sind auch seine Komödien, zuletzt 'Mitterbachkirchen' am Kleinen Theater in Salzburg. Für einen Roman über den ersten Bauernaufstand im Land Salzburg wurde er mit dem Rauriser Förderungspreis für Literatur ausgezeichnet. Im Gmeiner-Verlag erschien kürzlich sein Roman 'Virginia Hill', die faszinierende Geschichte einer Gangsterbraut. www.blaikner.at

3


»Papa, die Lehrerin sagt, dass ich zu viele Rechtschreibfehler mache.«

Schon wieder Schule! Diese Schule, dachte Schauer, schleicht sich derart in die Familien, dass für nichts anderes mehr Platz ist. Ehen sollen daran zerbrochen sein, sagt man, weil die Eltern diese dauernde Präsenz der Schule in ihrem Familienalltag nicht mehr ausgehalten haben. So weit ist es also schon gekommen. Das Thema Schule sollte sich eigentlich am Ort Schule abspielen und nicht in den Kinderzimmern, an den Frühstückstischen der Familien und in den Stuben von Nachhilfelehrern. In Schauers Wohnung jedoch war Schule eine feste Größe. Nicht nur wegen ihm, nicht nur wegen seiner schulpflichtigen Tochter, sondern auch wegen seiner Frau. Sie war Lehrerin.

Er hängte seine Jacke im Vorzimmer auf und zog die Schuhe aus. »Schreibt man Höhle wirklich mit einem stummen Ha?«, hörte er seine Tochter aus dem Wohnzimmer. Er blickte durch die Tür zu ihr hinein und sagte beruhigend: »Höhle schreibt man mit einem stummen Ha. Das ist richtig. Larissa, bitte, jetzt nicht. Ich denke nach.« Er hatte sich angewöhnt, seiner Tochter zu sagen, dass er nachdenke, wenn er seine Ruhe haben wollte, auch dann, wenn er nicht nachdachte. Das funktionierte fast immer, Larissa war an sich sehr folgsam. Er freute sich über ihre Nähe, auch wenn er gerade nach einem anstrengenden Schultag froh gewesen wäre, nicht gestört zu werden. Larissa besuchte die erste Klasse Gymnasium, nicht an seiner Schule, sondern an einer anderen in der Umgebung.

»Der Teufel sitzt in der Höhle mit einem stummen Ha. Stimmt das?«

Er ging zu seiner Tochter ins Wohnzimmer. Sie saß am Tisch und nuckelte am Kugelschreiber. Er fuhr mit der Hand über ihren Kopf. Das mochte sie. Kurz sah sie zu ihm hinauf und lächelte. Was für ein Lächeln! Er und seine Frau wollten noch mindestens ein weiteres Kind haben, doch dazu kam es nicht mehr, Larissa blieb ihr einziges. Sie blickte angestrengt auf das Heft vor ihr auf dem Tisch. Er sah schön geschriebene Zeilen. So schön hat meine Frau nie geschrieben, und ich schon gar nicht, dachte er. Und er wusste, wie seine Frau in diesem Alter geschrieben hatte, denn sie war mit ihm in derselben Klasse. Die beiden kannten sich schon seit ihrer Kindheit, seit der Volksschule, sie wuchsen in einer kleinen Gemeinde im oberösterreichischen Hausruckviertel auf. Heute gingen sie in dieselbe Wohnung, in dasselbe Bett und teilten sich denselben Alltag.

»Nein, Larissa, der Teufel sitzt in der Hölle. Das schreibt man mit einem Doppel El und nicht mit einem stummen Ha. Schön kannst du schreiben. Weiter so!«

Er ging in die Küche und machte den Kühlschrank auf. Das Gefrierfach war gut gefüllt. Pizza Diavolo! Her damit! »Ofenfrisch«, stand da drauf. Was bitte heißt ofenfrisch? Gefrierfachfrisch müsste das heißen.

»Larissa!« Mit seiner Stimme von durchschnittlicher Lautstärke kam er bei offenen Türen problemlos von der Küche durch das Vorzimmer bis ins Wohnzimmer. Er hatte eine laute, feste Stimme, eine gute Voraussetzung, um sich als Lehrer durchzusetzen.

»Ja?«, hörte er Larissa leise.

»Hast du schon gegessen?« Sie sagte etwas, was er nicht verstand.

»Was?«

Sie schrie: »Die Mama hat mir Fischstäbchen gemacht.«

Er schob eine Pizza in das Backrohr und schaltete es ein. Er ging zu Larissa ins Wohnzimmer. Sie sah ihn mit großen Augen an. »Der Teufel sitzt in einer Hölle und schaut ängstlich heraus.«

»Aber Larissa. Ein Teufel schaut erstens nicht aus einer Hölle heraus, sondern aus der Hölle. Denn es heißt die Hölle. Meines Wissens gibt es nämlich nur eine. Also kann er nicht aus einer Hölle herausschauen, sondern aus der. Wenn man nämlich aus einer sagt, dann bedeutet das, dass es auch noch eine zweite und vielleicht sogar eine dritte gibt. Verstehst du?« Sie nickte kurz und stumm. Das konnte bedeuten, dass sie verstanden hatte, aber auch, dass sie nicht verstanden hatte.

»Und zweitens«, fuhr er mit der scheinbar unerschütterlichen Geduld des erfahrenen Pädagogen fort, »zweitens ist ein Teufel nicht ängstlich.«

»Der Teufel in meiner Geschichte ist schon ängstlich«, meinte sie trotzig. »Den haben sie nämlich aus der Hölle hinausgeworfen. Und nun sitzt er in einer Höhle unter der Erde und wartet darauf, dass er wieder zurück darf.«

Aha! So war das also. Er hatte zwar nicht ganz verstanden, was sie damit meinte, fragte aber nicht weiter nach. Es würde schon seine Richtigkeit haben.

»Ist schon gut, Larissa.« Sie zog ihre rechte Hand unter dem Tisch hervor und legte sie neben das Heft, in das sie mit der anderen Hand über diesen Teufel in seiner höllischen Höhle schrieb. Sie war Linkshänderin. Schauer hörte ein metallisches Geräusch. Irgendetwas war auf den Boden gefallen. »Was war das?«, fragte er.

»Nichts«, sagte Larissa und schrieb. Er bückte sich, sah nach, fand unter dem Tisch ein Ding aus kupferfarbenem Metall und hob es auf. Das sah aus wie eine Hülse, es war eine Hülse aus Metall, die Patronenhülse eines Geschosses von einem Gewehr. Etwas kleiner vielleicht, also nicht von einem Gewehr, sondern von einer Pistole. Wie kam so ein Ding in die Hände seiner Tochter? Er war beunruhigt.

»Wo kommt das her?«, fragte er und war überrascht von seiner Stimme, die vorhin noch laut und fest geklungen hatte und nun fast belegt und schallgedämpft war.

Larissa sagte, ohne von ihrem Schulheft aufzuschauen: »Das habe ich auf dem Heimweg gefunden.« Dann sah sie ihren Vater fragend an: »Gibt es eigentlich in der Hölle auch Höhlen?«

»Lass mich jetzt mit deinen Höllenhöhlen in Ruhe! Wo auf dem Heimweg hast du das gefunden?«

»Vor dem Petersbrunnhof. Vielleicht ist es das Horn von einem Teufel?«

»Gut möglich«, sagte er und verstand nichts mehr. Seine Tochter fand auf ihrem Weg von der Schule nach Hause eine Patronenhülse. Das machte ihn nachdenklich. Aber warum sollte vor dem Petersbrunnhof eigentlich keine Patronenhülse liegen? Dort lag so viel Gerümpel herum, da konnte doch auch so etwas dabei sein, von einem Jäger verloren oder von irgendjemandem einfach weggeworfen. Und nun fand ein Kind dieses Ding im Müll, weil es glaubte, ein besonderes Spielzeug entdeckt zu haben. Es glitzerte sogar ein wenig, und wenn man es in die Sonne drehte, glitzerte es sogar sehr. Glitzernde Gegenstände hatten Kinder schon immer angelockt, nicht nur zu Weihnachten, auch jetzt, Anfang Mai. Aber trotzdem ging ihm die Frage nicht aus dem Kopf, warum in seiner unmittelbaren Nachbarschaft Patronenhülsen herumlagen.

Es klingelte an der Wohnungstür. »Ich geh aufmachen«, rief Larissa und lief hinaus. »Papa, für dich!« Larissa setzte sich wieder an den Tisch und vertiefte sich in ihr Schulheft mit Hölle und Höhle.

»Hallo, Harald! Störe ich?«, fragte die Nachbarin vom ersten Stock, eine freundlich distanzierte Dame mit vier Kindern, deren Mann bei einer Versicherung arbeitete und fast nie zu Hause war. Wenn er da war, ließ er sich nur selten bei den Nachbarn blicken. Harald und seine Frau hatten den üblichen Kontakt mit ihnen, von Nachbarn zu Nachbarn, wie die anderen auch. Man sprach über Familiengeschichten, über Dinge, Gemeinsamkeiten, die ihre Wohnsiedlung betrafen. Hin und wieder, wenn er auf der Terrasse saß, um Deutschaufsätze zu verbessern, sah er dieser Nachbarin zu, wie sie auf der kleinen Wiese hinter dem Haus die Wäsche an die Leine hängte. Dann dachte er daran, dass sie eigentlich eine ganz gute Figur mit wohlproportionierten Rundungen hatte, und fragte sich gleichzeitig, wie es nur möglich sei, so oft Wäsche aufhängen zu müssen. Aber bei vier Kindern und einem Mann, der bei einer Versicherung arbeitete und jeden Tag ein frisch gebügeltes Hemd brauchte, war das wohl ganz natürlich.

»Nein, nein, du störst nicht.« Er bat sie in die Wohnung, bemerkte aber sofort, dass sie nicht hereinkommen wollte. Sie baute sich vor der Tür bedeutungsvoll auf.

»Du kennst ja die Leute da drüben im Petersbrunnhof ganz gut?«, sagte sie mit gehöriger Distanz.

»Das wäre etwas übertrieben«, antwortete er, »ich kenne sie halt.«

Ihr Gesicht verhärtete sich, ihre schmalen Lippen wurden noch schmäler. So schmal sind sie beim Aufhängen der Wäsche nie, dachte er. Dann hat sie stets einen sanften Gesichtsausdruck, irgendwie weichgespült.

»Das eine muss ich dir sagen«, sagte sie streng, ohne ihre Lippen merklich auseinanderzuziehen. »So geht das also wirklich nicht!« Dann ließ sie einen Schwall Wörter auf ihn los. Er konnte gar nicht glauben, dass in dieser Frau so viele Wörter Platz hatten. Ihre 16-jährige Tochter Helene sei gestern Abend von Bewohnern des Petersbrunnhofs belästigt worden, als sie dort vorbeiging. »Bürgerschwein« habe einer zu ihr gesagt. »Warte nur, bald bist du dran«, soll ein anderer gesagt haben, meinte sie aufgebracht und nun mit wild aufeinanderklappenden Lippen. Einer soll ihr sogar gedroht haben, sie zu verfolgen und zu kriegen. So ähnlich soll er sich ausgedrückt haben, hatte ihre Tochter gesagt. »Du kennst ja diese Leute dort, red einmal mit ihnen. Was zu weit geht, geht zu weit. Denn so geht das wirklich nicht.« Sie schnaubte wie eine Stute. Ihre Nasenlöcher schienen zu vibrieren.

»Nein, so geht das wirklich nicht. Ich werde einmal nachschauen gehen.« Er war sehr ernst. Und als sie die Stirn runzelte wie ein Leguan von den Galapagos-Inseln, setzte er, um seriös und vertrauensvoll zu wirken, noch hinzu: »Wirklich. Du kannst dich auf mich verlassen.«

Sie bedankte sich, klappte ihre...

Erscheint lt. Verlag 10.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7349-3050-2 / 3734930502
ISBN-13 978-3-7349-3050-8 / 9783734930508
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