Die Chinesin (eBook) -  Jochen Brunow

Die Chinesin (eBook) (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
296 Seiten
ars vivendi (Verlag)
978-3-7472-0632-4 (ISBN)
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Die Konflikte der globalisierten Welt in einem hochatmosphärischen und spannenden Kriminalroman zwischen Sardinien und Berlin Die Chinesin Xia ist nur eine unter den vielen migrantischen Personen, die in der Bucht von Porto Taverna auf Sardinien versuchen zu überleben, in dem sie Hüte, Sonnenbrillen und anderen Tand verkaufen. Sie ist das Mädchen mit den goldenen Händen, das am Strand Einheimische und Touristen massiert. Xia weist den frühpensionierten Polizisten Gerhard Beckmann, der auf der Insel lebt, früh auf ein Melanom auf seinem Rücken hin und rettet ihm damit das Leben. Beckmann geht die Frau daraufhin nicht mehr aus dem Kopf, und er begibt sich auf die Suche nach ihr. Bei dem Versuch, ihr in einer Bedrohungssituation zu helfen, wird er mit den Aktivitäten offizieller, aber auch krimineller Chinesen auf der Insel Sardinien konfrontiert, und mit einem Mal geht es um Leben und Tod. Kann er Xias Leben schützen? Und wird er das große Enigma der Chinesin lösen können?

Jochen Brunow, 1950 geboren, studierte in Berlin Germanistik und Publizistik und arbeitete zunächst als Filmkritiker. Er schrieb Drehbücher, u. a. für die Kinofilme Berlin Chamissoplatz (1980) und System ohne Schatten (1983). Fürs Fernsehen entstanden u. a. Episoden für die eigene ZDF-Krimireihe Beckmann und Markowski sowie für Bella Block und Kommissarin Lucas. Brunow gehört zu den Gründern des Berufsverbandes der Drehbuchautoren und leitete die Drehbuchakademie der dffb Berlin.

1

Der Schirokko rüttelte übellaunig an der Karosserie des klapprigen Range Rovers. In der feuchten Glut des Fahrtwinds schwitzte Gerhard Beckmann. Der Wagen hatte keine Klimaanlage. Die türkisfarbene Mineralwasserflasche auf dem Beifahrersitz rollte hin und her. Sie war schon lange leer. Die Hitze in den Bergen von Sardinien kann Bilder erzeugen. Sie lässt die Luft flirren, sodass sie einem Wanderer wie eine Substanz erscheint, ein Äther, in dem sich wie auf einer Leinwand Trugbilder manifestieren. Von diesen Phantasien erzählen die janas der Sarden, Geschichten und Märchen von zierlichen Feen, bösen Hexen und den Geistern Verstorbener, die in Höhlen hausen. Auf seinen Touren durch das Inselinnere hatte Beckmann schon einige mysteriöse Erdlöcher entdeckt, die in unterirdische Welten mit Wänden voller magischer roter Symbole führten. Domus de janas nannten die Sarden diese Höhlen, die Archäologen als unterirdische Grabstätten einer vornuraghischen Zivilisation aus der Zeit um dreitausend vor Christus identifiziert hatten.

Außer einigen Lastwagen gab es kaum Verkehr auf der SS 131. Kurz hinter der Ausfahrt nach Paulilatino senkte sich die vierspurige Autostrada leicht, und die ersten Hinweisschilder auf das Heiligtum von Santa Cristina tauchten auf. Auf dem Weg von seinem Refugium an die Westküste der Insel war Beckmann die Strecke schon oft gefahren, aber nie hatte ihn diese Kultstätte bisher zu einem Besuch verleiten können. Auch ohne die Werbetafeln wusste er, dass es sich um eins der größten und bedeutendsten Heiligtümer Sardiniens handelte. Doch ihn – und auch seine verstorbene Frau Anja – hatte immer das nicht Offensichtliche, Abgelegene, das Versteckte angezogen. Das schien Beckmann besser zum Wesen der Insel zu passen, wie er es verstand.

Die Abzweigung führte ihn eine kurze Strecke parallel zur Autostrada und querte sie dann in einer Unterführung, deren Wände über und über mit Graffiti besprüht waren. Sardegna no est Italia war die auffälligste Parole, daneben und darüber die verwaschenen, kryptischen Zeichen miteinander konkurrierender Unabhängigkeitsbestrebungen. Beckmann hatte gelesen, ein Autohändler und ein Zahnarzt aus Cagliari wollten Sardinien in die Unabhängigkeit führen, indem sie die Insel zum siebenundzwanzigsten Kanton der Schweiz erklärten.

Die Zufahrt zum Heiligtum führte in anderer Richtung wieder direkt neben der Autobahn nach Santa Cristina. Die Sonne brach sich irisierend im Glas der mit den Überresten von Insekten verschmierten Windschutzscheibe. Auf dem großen, mit basolato gepflasterten Parkplatz verloren sich ein paar Pkw, weiter hinten in dem von einer alten Natursteinmauer eingefassten Areal standen drei Autobusse. Beckmann hatte sich spontan, aus einer Laune heraus, zu diesem Besuch entschlossen. Die Busse ließen ihn einen Moment zögern, aber er wusste, die Anlage war groß, und er hoffte, Massenansammlungen meiden zu können. Neben einem ländlichen Restaurant lag ein Gebäude mit einer Bar und dem Kiosk, an dem auch die Tickets verkauft wurden. Beckmann trat in das schattige Dunkel der Bar. Innerhalb der dicken Mauern war es angenehm kühl. Im Dämmerlicht des Raumes leuchteten gläserne Kühlschränke mit bunten Softdrinks und Mineralwasser wie eine Reihe von Aquarien. An einer Wand waren vier große Flachbildschirme nebeneinander montiert, wie Beckmann es aus Neuköllner Wettbüros kannte. Hier waren sie allerdings ausgeschaltet, glänzten dunkel, spiegelten den Raum. Ein Durchgang führte zum Kioskbereich, voll mit sardischem Nippes; unter der Glasplatte des Tresens eine sehr schöne Kollektion der unverzichtbaren Hirtenmesser.

Die Frau an der Kasse fragte, ob er eine Führung wolle. Beckmann lag daran, den Ort selbst zu erkunden. Er kaufte neben dem Billett und einer Flasche Wasser auch ein kleines Heft mit Erläuterungen über die Ausgrabungen.

Wenig später streunte er über die weitläufige Anlage, wanderte auf den Sandwegen zwischen den Ruinen und wunderte sich über die modernen Laternen und großen Kandelaber inmitten der steinernen Reste uralter Kulturen. Er kam an einer kleinen Kirche und einigen Steinhäusern vorbei. Der erworbene Leitfaden verriet ihm, dass es sich um cumbessias handelte, Wallfahrtshäuser der Kamaldulenser Mönche, die im Mittelalter Pilger aus ganz Europa aufgenommen hatten. Die heiligen Stätten der Urbevölkerung zu okkupieren war ein oft genutzter Schachzug, um Akzeptanz für den christlichen Glauben zu erreichen. Wie an manch anderen Stellen auf der Insel überlagerten sich auch hier die Zeugnisse unterschiedlicher Zivilisationen aus Vieltausenden von Jahren. Mehr als an anderen antiken Orten, die er besucht hatte, erschienen Beckmann auf Sardinien die übereinanderliegenden Schichten der Zeit sichtbar zu werden.

Die Luft über dem Grabungsbereich flimmerte. Es war, als bewegte sie sich in kleinen Wellen. Auf seinem Weg an dem gut erhaltenen Nuraghen und den Resten des frühzeitlichen villagios vorbei versuchte Beckmann, sich im Schatten zu halten. Nahe einer der ringförmigen Anlagen fand er einen alten, ihm erhaben erscheinenden Olivenbaum. Die Erosion vieler Jahrzehnte hatte sein oberes Wurzelwerk freigelegt. Das Geflecht erinnerte an Laokoons verzweifelten Kampf mit den von Athene gesandten Schlangen. Im Gewirr der mehr als armdicken Wurzeln lagen, mit bunt schillernden Flechten überzogen, einige größere Steine. Das Spiel der Farben ließ Beckmann verharren.

Das farbliche Aufflammen der Flechten war ihm immer als ein Blühen erschienen, auch wenn Anja ihm mehrmals gesagt hatte, Flechten blühten nicht. Sie vermehrten sich wie Farne und Moose durch Sporen, eigentlich seien sie Pilze und keine Pflanzen. Die Erinnerung an Anja verstärkte seine Mattigkeit, und er setzte sich auf einen der größeren Steinbrocken. Immer wieder ragten Trümmer der Vergangenheit aus dem Nebel des Ungefähren in seine konkrete Gegenwart hinein. Er wollte die stets wiederkehrende dumpfe Empfindung der Trauer sich nicht ausbreiten lassen, er musste aufhören, Erinnerungen an seine verstorbene Ehefrau wie eine endlose Plage zu empfinden. Vielleicht könnte er irgendwann Anjas nicht hinterfragbare Abwesenheit akzeptieren, seine Gedanken an sie als ein fernes Echo verstehen und einfach damit leben.

Auf dem Weg zum Brunnen erschrak Beckmann heftig, als eine dünne, dunkelhäutige, mehr als einen Meter lange Schlange über den Sand huschte. Er sprang ängstlich zur Seite. Sein Herz holperte, und der Schreck zuckte ihm wie ein Blitz durch alle Glieder. Da sah er, dass nur ein gekrümmter Ast auf dem Weg lag. Er wusste, es gab keine Giftschlangen auf der Insel. Eine dieser harmlosen Nattern wohnte sogar unter der Treppe zu seinem Studio. Sie ließ sich selten blicken, aber mindestens dreimal im Jahr fand er ihre silbrig schimmernden Häute, abgestreift an den rauen Feldsteinen der Stützmauer.

Wieso war er so erschrocken? Er glaubte, die schwarze gespaltene Zunge der Schlange gesehen zu haben, den Glanz in ihren kleinen schwarzen, lidlosen Augen. Wie konnte er sich so täuschen? In einem Beitrag über die menschliche Wahrnehmung hatte er gelesen, dass das Auge die Realität nicht einfach spiegele, sondern das Sehen ein geistiger Akt sei. Weshalb es auch zwei Arten von Blindheit gäbe, retinale Blindheit, bei der das Auge erkrankt ist, und kortikale Blindheit, die auf einer Schädigung des Gehirns beruht. Beckmann beruhigte sich mit dem Gedanken, dass zumindest seine Reflexe noch ganz in Ordnung waren.

Leicht benommen trat er durch eine Lücke in der Umrandung aus roh behauenen Feldsteinen auf die trapezförmige Öffnung des Tempels zu. Glatte, ebenmäßige Treppen führten hinunter zum Grund des Brunnens. Silbern schimmerte das Wasser. Die Fugen in den fein geschliffenen Basaltquadern waren perfekt gearbeitet, in die Ritzen passte kein Blatt Papier. Die Stufen der Treppe wurden zur Quelle hin kontinuierlich schmaler. Beckmann stieg vorsichtig hinunter. Über ihm hingen spiegelbildliche Architrave, die den Eindruck einer umgedrehten, verkehrten Treppe erzeugten.

Der in den Felsen gehauene Brunnen wurde von Grundwasser gespeist, und sein Spiegel, seit Jahrtausenden verbunden mit unterirdischen Strömen, schwankte anscheinend nie. Sechs oder sieben Meter über dem Wasser wölbte sich ein Tholos, eine flache Kuppel aus Granitsteinen mit einem Loch in der Mitte, durch das streifig Licht fiel, welches auf der Wasseroberfläche spielte und ständig wechselnde Bilder auf den glatten Wänden erzeugte. Der Raum verlor seine akkuraten Begrenzungen, weitete sich ins Universum. Seit Ewigkeiten wurde hier Leben spendendes Wasser geschöpft. Beckmann schwankte, suchte Halt und Orientierung an der kühlen Wand.

Er war irritiert. Der Brunnentempel war von so durchdachter Architektur, in seiner geometrischen Bauweise so präzise, dass Beckmann kaum glauben mochte, er sei bereits vor mehr als dreitausend Jahren errichtet worden. Technologisch kunstvoll, architektonisch aufwendig und von außergewöhnlicher Akkuratesse, hatte das Gebäude nur wenig gemeinsam mit den archaischen Bauten der Nuraghenkultur, die er bisher kannte. Der Leitfaden informierte ihn, dass während der Tagundnachtgleichen im März und September der Strahl der Sonne genau durch den Kreis in der Mitte des Brunnens falle und der...

Erscheint lt. Verlag 5.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7472-0632-8 / 3747206328
ISBN-13 978-3-7472-0632-4 / 9783747206324
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