Der dunkle Himmel -  Dean Koontz

Der dunkle Himmel (eBook)

Thriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
480 Seiten
Festa Verlag
978-3-98676-147-9 (ISBN)
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Joanna Chase wuchs auf einer Ranch in Montana auf, bis eine Tragödie ihr Leben auf den Kopf stellte. Jetzt ist sie 34, lebt in Santa Fe und hat nur noch undeutliche Erinnerungen an die Vergangenheit ... Bis sie per Telefon, über ihren Fernseher und in ihren Träumen seltsame Bitten erhält: Ich bin an einem dunklen Ort, Jojo. Bitte komm und hilf mir. Joanna muss nach Montana zurückkehren. Doch sie ist nicht die Einzige, die gerufen wird. Menschen aus allen Gesellschaftsschichten finden sich auf der abgelegenen Ranch ein. Ihre Leben sind miteinander verwoben durch den herannahenden Schrecken, dem Joanna bereits als Kind begegnet ist. Währenddessen lauert in der Nähe der Ranch ein Verrückter mit einer Vision zur Rettung der Zukunft ... Kirkus Reviews: »Nonstop-Action mit kosmischen Untertönen.«

Dean Ray Koontz wurde im Juli 1945 in Pennsylvania geboren. Er verkaufte weit über 500 Millionen Bücher, die in 38 Sprachen übersetzt wurden. Dean Koontz ist einer der erfolgreichsten Autoren der Welt. Er lebt mit seiner Frau Gerda in Südkalifornien. The Times: »Dean Koontz ist nicht nur der Experte für unsere dunkelsten Träume, sondern auch ein literarischer Künstler.«

4

Harley Spondollar hätte einen gewaltsamen Tod erlitten, wäre er nicht am Donnerstag nachts um 1:10 Uhr nach draußen gegangen, um über den Gartenzaun zu klettern und auf die preisgekrönten Rosen seiner Nachbarin zu urinieren. Er hatte die Rosen schon seit fünf Wochen jede Nacht mit seinem Blasenwasser versorgt, und endlich zeigte all die Harnsäure ihre erwünschte Wirkung: Die Blätter wurden fleckig, die Zahl der Rosen schrumpfte und die Blumen warfen ihre Blüten ab, noch bevor die Knospen sich so richtig geöffnet hatten.

Spondollar hatte nichts gegen Rosen. Sein Hass galt einzig und allein Viola Redfern, die nebenan wohnte. Sie war 70 Jahre alt, vielleicht auch 90 – wer zum Teufel wusste das schon? Spondollar war sich sicher, dass das alte Miststück niemals sterben würde. Unermüdlich versorgte sie ihre Nachbarn mit selbst gebackenen Keksen und Kuchen, mit Rosen aus ihrem Garten und mit Pullovern, die sie strickte. Als Spondollar krank war, brachte sie ihm einen Topf mit hausgemachter Suppe. Sie beschwerte sich nie, wenn er seine Musik in voller Lautstärke hörte oder draußen auf seiner Veranda hockte und alles – von Eichhörnchen bis zu vorübergehenden Kindern – aus Leibeskräften beschimpfte. Sie hatte scharenweise Enkel und Urenkel, die sie ständig besuchten und so höflich und leise und artig waren, dass Spondollar sich am liebsten übergeben hätte.

Am Mittwochabend und früh in der Nacht zum Donnerstag hatte sich Spondollar besonders viel Mühe gegeben, so viel Bier zu trinken, dass er imstande sein würde, den kostbaren Rosen seiner Nachbarin den Todesstoß zu versetzen. Viola war so langweilig und berechenbar wie jede andere alte Schachtel. Jeden Abend ging sie um Punkt neun Uhr ins Bett und sank unter der Last ihrer Falten und Hautlappen in den Schlaf, während sie in einem Buch las. Heute jedoch blieb sie über Nacht bei einer Enkelin, um den zehnten Geburtstag einer Urenkelin zu feiern.

Eine von Harley Spondollars größten Freuden im Leben war es, andere Leute zur Weißglut zu bringen und dann so lange psychologische Spielchen mit ihnen zu spielen, bis sie ihre Ungeduld und Empörung dermaßen bedauerten, dass sie sich schließlich dafür entschuldigten, sich gegen seine Rüpelhaftigkeit aufgelehnt zu haben. Viola ließ sich nicht zur Weißglut bringen. Sie schien Beleidigungen gar nicht wahrzunehmen und verfügte über einen schier unendlichen Vorrat an Geduld. Neben jemandem wie ihr zu wohnen war kein Spaß.

Und so stand er in der zweiten Stunde dieses Donnerstags in ihrem Garten, das Gesicht auf sein eigenes Haus gerichtet, und bedachte ihre Rosen in dieser milden Sommernacht an der Küste Oregons mit dem kräftigsten Strahl, den er aufbringen konnte, als sich die Luft plötzlich mit einem elektronischen Brummen füllte, das sich wie die Rückkopplung eines riesigen Verstärkers anhörte. Zuerst war das Geräusch ohne erkennbare Quelle das einzige Vorkommnis. Ein knisterndes Rauschen erhob sich, als würde man ein 100 Meter langes Stück Zellophanfolie zu einem Ball zusammenknautschen, und wurde lauter als das Brummen. Die Lichter erloschen. Dann implodierte sein Haus. Die Veranda und die Mauern und das Dach fielen wie eine nasse Sandburg am Strand in sich zusammen und stürzten mit einer Wucht ein, als befände sich in der Mitte des Gebäudes ein schwarzes Loch, das das Haus wie ein Staubsauger in ein anderes Universum beförderte. Zuerst hörte das Rauschen auf, dann das Brummen. Vielleicht 15 Sekunden nachdem die ganze Sache angefangen hatte, war sie schon wieder zu einem Ende gekommen. Dort, wo sein Haus gestanden hatte, lag nur noch ein Hügel aus Trümmern, der in seiner Form, wenn auch nicht in seiner Größe, einem riesigen Ameisenhaufen ähnelte.

Harley Spondollars Reaktion auf jeden Rückschlag in seinem Leben – und auch auf jede positive Entwicklung – war es, bis zur Erschöpfung zu fluchen, doch in diesem Fall ließen ihn alle Obszönitäten und Gotteslästerungen im Stich. Wie vor den Kopf geschlagen hörte er auf, die Rosen zu bewässern, packte sein bestes Stück ein und fand sich, ohne auch nur einen einzigen bewussten Schritt gemacht zu haben, durch die Ruine seines Hauses watend wieder.

Zuerst verdrängte die Fassungslosigkeit jeden Anflug von Angst. Er sank auf die Knie und hob eine Handvoll von dem auf, was von seinem Haus übrig geblieben war. Perlen. Perlen in verschiedenen Größen. Einige waren so klein wie Luftgewehrkugeln, andere so groß wie Erbsen, ein paar wie Trauben. Die meisten waren glatt. Im Licht des Mondes konnte er sie nicht allzu gut sehen. Ein paar fühlten sich wie Holz an, andere zerbröselten wie Gips und noch wieder andere waren hart wie Metall. Er bemerkte, dass in den Trümmern keine Hitze war, wie man es vielleicht vermuten würde, ja nicht einmal Staub. Wie gebannt von der Seltsamkeit der ganzen Situation grub er sich mit beiden Händen in den gewaltigen Haufen, um nach einem Nagel oder einer Schraube oder vielleicht nach einer Türangel zu suchen, nach irgendetwas, das er als einen Teil des Hauses wiedererkennen würde. Er grub schneller, mit noch mehr Nachdruck, und suchte nach einem Gegenstand, ganz gleich was es sein mochte, der früher einmal in dem Haus gewesen war: eine Schüssel, ein Löffel, eine DVD aus seiner Pornosammlung.

Plötzlich schlug ihm ein neues, erschreckendes Geräusch entgegen, und er sprang auf die Füße, drehte sich um und ließ seinen Blick über die Straße schweifen. Doch dann bemerkte er, dass das, was er hörte, nur sein eigener, verzweifelt stockender Atem war. Die Fassungslosigkeit machte der Angst und dem Unverständnis Platz. Er war völlig entsetzt, sein Bezug zur Realität bröckelte. Er stand dem Unbekannten gegenüber, etwas Geheimnisvollem, etwas Finsterem. Er hatte kein Interesse an dem Unbekannten, keinerlei Neugier, die ihn antrieb. Zur Hölle mit dem Unbekannten. Er wollte sein Haus zurück. Er wollte alles so haben, wie es den ganzen Abend lang gewesen war: Slasherfilme gucken, Bier trinken, auf Rosen pissen.

Als er dabei gewesen war, Violas Rosengarten zu vernichten, hatten in einigen der Häuser entlang der Straße noch die Lichter gebrannt. Jetzt schienen doppelt so viele Nachbarn wach zu sein. Vielleicht hatten das laute Brummen und das Rascheln sie aus den Betten getrieben. Er sah Gesichter an den Fenstern. Leute sahen zu ihm herüber und wunderten sich. Auch im Dunkeln würden sie erkennen können, dass sein Haus verschwunden war, und sie würden ihn bestimmt allein im Mondlicht stehen sehen. Und doch kam keiner von ihnen nach draußen, um nachzusehen, was geschehen war. Wäre er jemand anderes als Harley Spondollar gewesen, dann wären sie vielleicht mit Erste-Hilfe-Kästen und Mitgefühl herübergekommen, hätten Tische auf seinem Rasen aufgestellt und Schmorgerichte und Gebäck für ein zeitiges Zusammen-schaffen-wir-das-Frühstück bereitgestellt. Aber er war, wer er eben war, und so blieben sie in ihren Häusern. Das war Spondollar nur recht. Er konnte sie nicht ausstehen, alle miteinander. Unter ihnen war keiner, den er zu sich nach Hause einladen würde, wenn er noch ein Zuhause gehabt hätte.

Mit dem schneidenden Geheul der herannahenden Sirenen kehrte ein dringend benötigtes Gefühl der Realität in die Nacht zurück. Ein Feuerwehrwagen bog um die Kurve, obwohl gar kein Feuer wütete, das bekämpft werden musste. Ihm folgte ein Krankenwagen mit blinkenden Blaulichtern, obwohl niemand verletzt worden war. Den Rettungssanitätern dicht auf den Fersen waren drei Polizeiautos. Spondollar konnte Cops nicht ausstehen. Für ihn waren sie nicht mehr als die Vollstrecker eines tyrannischen Systems.

Keiner dieser Ersthelfer hatte je zuvor ein Haus gesehen, das zu einem Haufen aus kleinen Perlen zusammengeschrumpft war. Auch wenn sie vor einem Rätsel standen, fragten sie sich schnell, ob Spondollar sein Haus selbst zerstört hatte. Doch augenscheinlich war er das Opfer hier, nicht der Bösewicht, wenigstens nicht in diesem Fall, aber die Cops begannen schnell, seine Aussage anzuzweifeln, als er berichtete, dass er nach draußen gegangen war, um den Anblick der Sterne zu genießen, kurz bevor das mit dem Haus geschehen war. Er konnte ihnen doch schlecht erzählen, dass er auf Violas Rosen gepisst hatte. Anscheinend nahm ihm niemand ab, dass er ein Sternengucker war, denn es war diese Aussage, die ihn verdächtig machte. Im Angesicht des Unbekannten gaben sie sich jede Mühe zu leugnen, dass etwas Unerklärliches vorgefallen sein konnte, und versuchten, das Fantastische zu etwas Banalem zurechtzustutzen. Die Tatsache, dass er Chemiker von Beruf war, ließ sie hellhörig werden, auch wenn er seit Jahren nicht mehr in diesem – oder irgendeinem anderen – Feld tätig gewesen war. Noch nie war ein illegales Methamphetamin-Labor ohne Getöse und Feuer in die Luft geflogen, aber sie waren nicht bereit, von dieser lachhaften Theorie abzulassen.

Er hatte ihnen gar nicht erzählt, dass er Chemiker war. Das hatten sie selbst herausgefunden, was bedeutete, dass sie Nachforschungen über ihn angestellt haben mussten und deshalb von der Unterschlagungsklage wussten, die vor neun Jahren gegen ihn erhoben worden war. Er war schuldig gewesen, doch er hatte schlimmere Dinge über seinen Arbeitgeber gewusst, als der über ihn gewusst hatte, deshalb hatte der Mistkerl einen Waffenstillstand ausgerufen.

Als hätten sie noch nie von Grundrechten gehört, schafften ihn die Cops von einem Einsatzwagen zum nächsten, wahrscheinlich um ihn zu verwirren. Zuerst befragten sie ihn höflich, dann immer aggressiver. Als er sie beschuldigte, faschistoides Gesindel zu sein, drohten sie, ihn aufs Revier zu bringen und weiter zu verhören, was sie schon längst getan hätten, wenn sie nicht fürchteten, dass er nach einem...

Erscheint lt. Verlag 4.7.2024
Übersetzer Heiner Eden
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-98676-147-0 / 3986761470
ISBN-13 978-3-98676-147-9 / 9783986761479
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