Absender*in Anonym (eBook)
339 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7565-8288-4 (ISBN)
Daniel Fuchs, geboren 1984, führt ein Doppelleben: Tagsüber findet man ihn in den Gängen des Büros als gewieften Personaler, während er nachts in die fesselnde Welt des Schreibens eintaucht. Erst im Jahr 2021 entdeckte er seine Leidenschaft für das Verfassen packender Geschichten. Sein Lebensmittelpunkt ist Heidelberg, die Stadt, in der auch sein Debüt-Thriller spielt, und mit dem er seine Leser*innen in die Tiefen seiner neu entdeckten Schreibkunst eintauchen lassen möchte.
Doro
Der Konferenzraum ist so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Auch ich bin sprachlos und weiß nicht, wo ich dieses Drohschreiben einordnen soll – irgendwo zwischen Größenwahn und Wahnsinn, nehme ich an.
»Noch zwei Tage, drei Stunden und fünf Minuten«, errechne ich schnell die Deadline. »Ist das jetzt genug Zeit, um die Bombe zu finden, oder zu wenig?«
Ich drehe mich zu Emin herum und bemerke, dass auch er nach Augenkontakt sucht und genauso aufgewühlt zu sein scheint wie ich selbst.
»Wie ich sehe, haben die meisten von Ihnen es durchgelesen«, sagt Herr Claus und gibt uns somit keine Zeit zum Durchschnaufen. »Lassen Sie uns fortfahren, damit wir keine Zeit verlieren. Sie haben ja mit Sicherheit unsere Galgenfrist bereits selbst errechnet. Wie Herr Ebner bereits erwähnte, werden Fragen später beantwortet werden. Wir haben hier zwei Seiten voller Rätsel und Drohungen. Auffällig ist zuallererst die Ausführung. Wie in alten Kriminalfilmen wurde jeder einzelne Buchstabe fein säuberlich aus Zeitungen ausgeschnitten und zu Worten zusammengesetzt. Wenn wir die Art und Weise betrachten, wie die Buchstaben gestaltet sind, scheint es, als ob sie aus der Boulevardpresse stammen. Dies wird im Moment ebenfalls analysiert. Wie Sie sich denken können, haben wir auch hier weder DNA noch Fingerabdrücke gefunden.«
Ich bemerke, dass Herr Claus enttäuscht wirkt und ständig an seinem linken Manschettenknopf spielt.
Ob ich bei Präsentationen auch einen Tick habe?
Ich nehme mir vor, dies bei meinem nächsten Vortrag zu analysieren.
»Wir haben bereits Spezialisten des Bundesnachrichtendienstes, Profiler und Mitarbeiter des BKA Wiesbaden auf Rätsel und Täter angesetzt«, führt er weiter aus. »Also das ganze Paket. Bisher gibt es jedoch noch keinerlei Durchbrüche … die Damen und Herren sind allerdings auch erst seit gestern Abend tätig«, entschuldigt er sich in ihrem Namen. »Obwohl das Drohschreiben in der Ich-Form verfasst ist, wissen wir nicht, ob mehrere Täter involviert sind. Die einzigen zwei Dinge, die wir bisher sicher wissen, ist, dass INVENIRE ALTERUM Latein ist und so viel wie Findet den Anderen bedeutet. Und, dass das Rätsel wie Geocaching aufgebaut ist.«
Blitzmerker! Es ist nicht wie eine Art Geocaching aufgebaut … es ist Geocaching! Das ist mir schon beim Lesen des Drohbriefes aufgefallen.
»Sind alle mit dieser Art von Schnitzeljagd vertraut?«, fragt ausgerechnet mein Ex in die Runde, der sich wohl profilieren möchte.
Es gibt allgemeines Getuschel. Hier und da höre ich ein »Ja«, aber ich sehe auch Fragezeichen über den Köpfen meiner Kolleg*innen.
»Für Erklärungen haben wir jetzt keine Zeit, Herr Hofmann«, unterbricht Claus meinen Ex. »Ich möchte hier so schnell wie möglich durchkommen. Meine Damen und Herren, bitte lassen Sie sich später von Ihren Kollegen erklären, was Geocaching ist.«
Ich kann nicht anders und schaue Lukas zum ersten Mal und für mehrere Augenblicke direkt in die Augen. Es scheint, als ob es in ihm brodelt.
Haha. Da hast du wohl gerade einen Einlauf von deinem Chef bekommen. So gefällt mir das. Und wieder klettert Claus einen Punkt auf meiner Sympathieskala nach oben.
Voller Schadenfreude beginne ich unweigerlich zu grinsen und ärgere mich, dass ich meine Maske aufhabe und Lukas es nicht sehen kann.
»Ich werde Ihnen nun die weitere Vorgehensweise für die nächsten zwei Tage erklären«, unterbricht Claus das kurze und für meinen Ex sehr peinliche Schweigen, das mir so gut gefallen hat und mich zufrieden zurücklehnen lässt. »Erstens werden wir hier in Heidelberg eine Sonderkommission gründen. Es ist uns wichtig, diese mit Personen aus Ihrem Dezernat zu besetzen, da Sie Ihre Stadt am besten kennen. Die Namen der Mitglieder werden wir gleich verlesen.«
Obwohl ich nicht viel mit ihm zu tun habe, schicke ich sofort diverse Stoßgebete gen Himmel.
Das ist meine Chance. Oh Gott, ich will unbedingt in dieser SOKO dabei sein. Bitte, bitte, bitte.
»Zweitens werden Feuerwehren, Kliniken und die Streifenpolizei in höchste Alarmstufe versetzt. Wir werden keine Gründe nennen, denn der Drohbrief war dahingehend eindeutig. Es war jedoch keine Rede von einer Alarmbereitschaft«, hält er kurz inne und grinst verschmitzt. »Diejenigen von Ihnen, die abkömmlich und keine Mitglieder der SOKO sind, werden die Streifenpolizei bei Verkehrs- und Personenkontrollen unterstützen, die wir vermehrt durchführen werden. Wir werden uns hier auf die Kontrolle der Ausgangs- und Kontaktsperre berufen – der Lockdown und die nächtliche Ausgangssperre spielen uns hier immerhin in die Karten. Vielleicht haben wir Glück und der oder die Terroristen machen bis zur Deadline einen Fehler.«
»Eine hoffnungsvolle Miene würde anders aussehen, aber es ist zumindest einen Versuch wert«, denke ich mir und lausche mit Spannung weiter.
»Drittens: Nur ein kleiner Kreis wird weiterhin Zugriff auf den Drohbrief haben. Da wir die Drohung einer frühzeitigen Explosion sehr ernst nehmen, möchten wir keinerlei Risiken eingehen. Deshalb, und das möchte ich betonen, ist es ALLEN Anwesenden hier im Raum strikt untersagt, Informationen an die Presse, Familie oder andere Personen herauszugeben. Selbst wenn der Herrgott höchstpersönlich einem von Ihnen heute Nacht erscheinen sollte und nach Informationen fragt, um seine Engel als Schutz hinabzuschicken …«
Claus unterbricht sich und zeigt drohend mit der linken Faust in Richtung Himmel.
»… werden Sie ihm kein Sterbenswörtchen mitteilen. Ich hoffe, wir haben uns hier alle verstanden!«
Es kommt mir vor, als würde er jedem nacheinander tief in die Augen blicken wollen und es traut sich niemand auch nur einen Mucks von sich zu geben – mich eingeschlossen.
»Sehr gut!«, sagt er sichtlich begeistert und nickt selbstzufrieden. »Bevor wir nun die Namen verlesen, noch eine Bitte an diejenigen, die nicht in der SOKO dabei sind: Halten Sie Augen und Ohren offen! Kontaktieren Sie uns unverzüglich, falls Ihnen etwas auf- oder einfällt! Vielen Dank. Wir werden diese Mistkerle schnappen!«
Ich sehe, wie er seine Hände zu Fäusten ballt und gleichzeitig seine Lippen angestrengt zusammenpresst.
»Herr Hofmann, bitte verlesen Sie die Namen der Mitglieder der SOKO Brief.«
Der Name Brief ist aber nicht sehr einfallsreich. Egal … bitte ich. Bitte ich.
»Gerne, Herr Claus«, antwortet Lukas übereifrig und endlich in der Position, seinen Beitrag zu leisten.
Doppelwürg.
Schon nach den ersten Namen, die verlesen werden, schwindet meine Hoffnung dazuzugehören, wie die Aussicht auf Rettung während eines Flugzeugabsturzes. Da Lukas ein Teil der SOKO ist, hätte ich mir keine Hoffnungen machen sollen. Und als Emins Name aufgerufen wird, kann ich mich nicht einmal mehr für ihn freuen. Ich bin enttäuscht. Maßlos enttäuscht. Insbesondere von meinem Chef Rudolf, der mich eigentlich immer unterstützte und honigtopfte.
»Ich sehe in dir meine beste Ermittlerin!«, höre ich ihn sagen. »Eines Tages wirst du meine Nachfolgerin sein!«
Was für ein Schwachsinn! Wieso hat er sich nicht für mich eingesetzt? Jeder ist sich doch, wie immer, selbst der Nächste.
Aus purem Trotz fotografiere ich unauffällig mit meinem Smartphone das projizierte Bild des Drohbriefs, während es weiterhin unheilvoll an die Wand geworfen wird.
Jetzt habe ich es ihnen aber gezeigt.
Ich fühle mich deshalb noch schlechter und möchte mich am liebsten unter einer Decke verkriechen.
Das wäre die Chance meines Lebens gewesen. Emin kann sich glücklich schätzen. In der Personalakte ist die Teilnahme an einer SOKO Gold wert. Gerade im beschaulichen Heidelberg, wo sonst der Höhepunkt für eine Ermittlerin – bitte nicht falsch verstehen – ein Mord ist.
Umgehend schreibe ich Leni eine weitere Nachricht auf meinem Smartphone: »Brauche heute Abend zwei Flaschen Wein. Scheiß Tag! *Kotz-Emoji*.« Dabei hoffe ich, dass der Emoji später nicht zur Realität wird.
Plötzlich macht sich ein Kribbeln in meinem ganzen Körper breit, weil ich doch meinen Namen höre. Als ich aufschaue, sehe ich Lukas direkt vor mir stehen.
Was will der denn jetzt von mir? Bin ich doch bei der SOKO dabei? Oh Gott, hoffentlich hat er nicht bemerkt, dass ich ein Foto gemacht habe.
»Hallo Doro, kommst du bitte mit?«, fragt er und zeigt mit dem Finger auf den Ausgang.
»Verdammt, er hat mich erwischt. Wie peinlich«, schäme ich mich in Grund und Boden.
Emin schaut mich verwundert an, als ich unmotiviert und wortlos mit Lukas mitgehe. Wäre die Enttäuschung nicht so groß, würde ich mich gegen ein Tête-à-Tête mit meinem Ex wehren. Da sich mein Kopf aber schwer wie eine Wassermelone anfühlt, lasse ich es einfach über mich ergehen.
Heyyy … was soll denn heute noch Schlimmeres passieren, als meine Karriere auf der Müllkippe vorzufinden?
Lukas biegt rechts vor mir ab und versucht vergeblich, die abgeschlossene Tür neben dem Konferenzraum zu öffnen. Ich krame klimpernd meinen Schlüsselbund aus meiner Jeans und öffne die Glastür zum verwaisten Büro nebenan.
Vielleicht sollte ich eine Umschulung zur Schließerin in Erwägung ziehen. Zu mehr bin ich sowieso nicht mehr zu gebrauchen.
»Sorry, Lukas. Ich werde es nie wieder tun. Werdet ihr mich jetzt verhaften?«, frage ich ihn genervt und voller Sarkasmus, als wir allein in dem...
Erscheint lt. Verlag | 26.6.2024 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7565-8288-4 / 3756582884 |
ISBN-13 | 978-3-7565-8288-4 / 9783756582884 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
![EPUB](/img/icon_epub_big.jpg)
Größe: 489 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich