VIEWS -  Marc-Uwe Kling

VIEWS (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman
eBook Download: EPUB
2024
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3228-4 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
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Der neue Thriller vom Autor des Bestsellers »QualityLand«
Ein schockierendes Verbrechen - und alle werden es sehen Die 16-jährige Lena Palmer verschwindet spurlos. Drei Tage später taucht sie in einem verstörend brutalen Video wieder auf, welches in atemberaubendem Tempo viral geht. BKA-Kommissarin Yasira Saad soll Lena finden und die Täter identifizieren. Ihr bleibt wenig Zeit, denn schon gibt es erste gewalttätige Demonstrationen in deutschen Städten. Eine rechtsradikale Gruppierung namens »Aktiver Heimatschutz« gewinnt rasant an Zulauf. Kann Yasira die Täter verhaften, bevor der Lynchmob zuschlägt und der Rechtsstaat zu wanken beginnt?

Marc-Uwe Kling singt Lieder und erzählt Geschichten. Seine Känguru-Geschichten wurden 2010 mit dem Deutschen Radiopreis und 2013 mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet. Im Kino waren das Känguru und der Kleinkünstler bereits mit zwei Blockbustern vertreten ('Die Känguru-Chroniken, 2020 & Die Känguru-Verschwörung 2022). Die satirischen Dystopien QUALITYLAND (2017) und QUALITYLAND 2.0 (2020) eroberten die SPIEGEL-Bestsellerliste und werden derzeit verfilmt. Das Vorlesebuch DAS NEINHORN verkaufte sich fast eine Million mal.

Das Date


Es ist ein Stefan. Mal wieder. Yasira sitzt an einem verregneten Herbstabend im Hard Rock Café am Ku’damm, und ihr gegenüber hockt ein Stefan. Ihr Date. Tinder natürlich.

Ein Rendezvous am Mittwoch. Warum auch nicht? Warum bitte soll sie ihr gesamtes Privatleben aufs Wochenende legen? Nur um dann aufs Neue feststellen zu dürfen, dass sie doch samstags arbeiten muss.

Als Stefan am Telefon das Hard Rock Café vorschlug, musste sich Yasira sehr beherrschen, nicht loszulachen. Stattdessen hatte sie ihn nur ein wenig veralbert. »Warte mal! Ich hab da ein Gespräch auf der anderen Leitung. Ich glaube, es sind die Achtziger.«

»Die Burger sind echt der Hammer!«, verteidigte sich Stefan.

Darum sitzen sie jetzt also im Hard Rock Café, und die Burger sind wirklich der Hammer. Es gibt sogar Livemusik, und natürlich ist sie selbst Stefan zu laut. Die bevorzugte Lautstärke scheint übers Leben betrachtet eine U-Kurve zu machen, und mit Anfang vierzig ist man sehr nah am Scheitelpunkt. Solch seltsame Gedankengänge verdankt Yasira wohl ihrem Vater. Ein Matheprofessor, der hierzulande auf dem Bau schuften durfte. Stefan arbeitet für die Online-Ausgabe irgendeiner Berliner Zeitung. Yasira ist kurz unkonzentriert und verpasst, für welche. Sie mustert ihn, während er spricht. Braune Locken, eine schicke Brille und ein berlintypischer Siebentagebart, der schon zum Grau tendiert. Steht ihm aber nicht schlecht. Generell ist er ein bisschen hübscher als der letzte Stefan.

Yasira hat ihm noch nicht gesagt, dass sie fürs Bundeskriminalamt arbeitet. Das ist immer ein Risiko. Manche Männer werden sofort notgeil beim Gedanken daran, mit einer Polizistin ins Bett zu steigen. Andere kriegen vor lauter Ohnmachtsgefühlen Erektionsstörungen. Beides unangenehm.

»Ich finde ja, so richtig weit sind wir mit der Gleichberechtigung leider nicht gekommen«, sagt Stefan. »Hast du zum Beispiel gewusst, dass es in Großbritannien weniger Hedgefonds gibt, die von Frauen geleitet werden als von Typen, die David heißen?«

»Oh, wirklich?«, fragt Yasira und beißt in ihren Veggieburger.

Stefans Gesprächsanteil an diesem Abend schätzt sie auf starke achtzig Prozent. Vielleicht, denkt sie, gibt es auch in ihrer Behörde mehr Abteilungen, die von Stefans geleitet werden als von Frauen. Ihr Chef jedenfalls heißt ebenfalls Stefan. Bei den Kriminalbeamten im BKA, das hat sie letztens gelesen, ist das Verhältnis zwei zu eins. Oder anders gesagt, auf zwei Stefans kommt eine Katja.

»Also keine Angst, ich bin kein Antisemit oder so«, sagt Stefan. Yasira ist etwas irritiert, sie versteht den Zusammenhang nicht sofort.

»Ich meine nur, David ist ja ein jüdischer Name«, erklärt Stefan, »aber es sind ja nicht nur Juden, die David heißen. Ich hab nichts gegen Juden oder gegen Israel, wobei ich auch nicht alles gutheißen will, was im Nahen Osten passiert. Ihr habt da bestimmt einen ganz anderen Blick drauf. Ich meine …« Stefan bricht ab. »Ich sollte nicht ›ihr‹ sagen, was?«

Yasira schüttelt belustigt den Kopf.

»Ich plappere mich hier um Kopf und Kragen«, bemerkt Stefan. »Das mache ich immer, wenn ich aufgeregt bin. Darf ich fragen, wo du herkommst?«

»Aus Wilmersdorf«, erwidert Yasira. Stefan macht ein ziemlich doofes Gesicht. Der alte Scherz ist immer wieder lustig. »Mit der U-Bahn«, fügt sie noch hinzu.

Stefan wird rot. Irgendwie niedlich.

»Entschuldigung! Ich wollte nicht …«

»Du wolltest hören, wo meine Eltern mal hergekommen sind? Aus dem Libanon. Beirut. Beziehungsweise, wenn du es ganz genau wissen möchtest, dann kann ich dir noch sagen, dass mein Vater in Houla geboren wurde, einem kleinen Ort ganz im Süden. Beide sind Anfang der Achtziger vor dem Bürgerkrieg geflohen. Da war meine Mutter schon schwanger.«

Stefan guckt nur. Er scheint ein wenig erschlagen von den Informationen, die er doch hatte haben wollen, oder nicht? Yasira lächelt. »Wo kamen denn deine Eltern mal her?«

»Meine Eltern? Also, aus Franken …«

Der arme Stefan ist ganz verunsichert.

»Cheer up«, sagt Yasira. »Ich weiß, dass du es nicht böse gemeint hast.«

Stefans Gesichtszüge entspannen sich etwas.

»Meine Urgroßeltern kamen aus Ostpreußen«, erzählt er, nur um sich sofort wieder zu korrigieren. »Also, ich meine aus Polen.«

»Soso.«

»Und ich komme aus Friedrichshain.« Stefan atmet leicht gestresst aus. »Mit der S-Bahn.«

Yasira lacht. Vielleicht wird das ja doch noch was werden, wenn er seine Unsicherheit mal überwunden hat.

Stefan deutet auf ihren Wein. »Aber du bist nicht gläubig?«

Oh, wie geschickt und scheinbar beiläufig er die Frage platziert hat, die ihm wohl seit Beginn des Dates, vielleicht schon, seit er ihr Bild nach rechts gewischt hat, unter den Nägeln brennt.

»Nein«, sagt Yasira.

Sie kann Stefans Erleichterung beinahe körperlich spüren. Das erregt in ihr eine Art Trotz, weswegen sie hinzufügt: »Aber meine Eltern sind strenggläubig.«

»Ach ja?«

»Allerdings gehören sie einer Sekte an, die stetig Anhänger verliert. Dabei beherrschte sie einst die halbe Welt.«

Stefan guckt nur.

»Sie sind Kommunisten«, erklärt Yasira.

Erst weiß Stefan nicht, wie er reagieren soll, dann lächelt er unsicher. Steht ihm nicht schlecht.

»Aber du nicht?«

»Ich?«, fragt Yasira. »Nein. Ich bin … also, wenn du meine Tochter fragen würdest …« Oh, wie geschickt und scheinbar beiläufig sie diese Info platziert hat, die man während eines Dates bloß nicht zu früh, aber auch nicht zu spät fallen lassen durfte. »… die würde wahrscheinlich sagen, dass ich Zynikerin bin.«

»Du hast eine Tochter?«, fragt Stefan überrascht. »Wie schön.«

Die letzten beiden Worte hat er noch schnell angehängt. Seine Stimme war dabei einen Halbton höher.

»Ja, sie ist zu Hause bei meinem Mann. Aber keine Sorge. Wir haben eine offene Beziehung.« Yasira lässt eine Pause. »Also jedenfalls von meiner Seite.« Sie trinkt einen Schluck Wein. »Mehmet ist schon recht eifersüchtig. Einmal hat er mich bei einem Date erwischt und den anderen krankenhausreif geprügelt. Du weißt, wie die Araber sind. Viel Temperament, wenig Selbstkontrolle. Später tat es ihm leid.«

Stefans Gesicht ist zu köstlich. Die Pommes, die er sich ge-
rade in den Mund geschoben hat, fallen fast wieder heraus.

Yasira grinst. »Das war ein Scherz. Patrick und ich sind seit zehn Jahren geschieden. Unsere Tochter Zara ist schon sechzehn.«

Stefan lacht erleichtert auf.

»Der war gut«, sagt er. »Den muss ich meiner Frau erzählen, wenn ich nach Hause komme.«

Yasira zieht eine Augenbraue hoch.

»Seit sechs Jahren geschieden«, berichtet Stefan. »Zwei Kinder.«

Kein Problem, denkt Yasira. In ihrem Alter kommen alle mit Gepäck.

Die beiden Musiker machen eine Pause, und sofort ist der Laden bedeutend angenehmer. Auch Stefan atmet auf.

»Vielleicht treffen wir uns das nächste Mal lieber im Soft-Rock-Café«, sagt er.

»Oder im Kuschelrock-Café«, erwidert Yasira. Ups! Hat sie das gerade wirklich gesagt? Stefan guckt sofort ganz kuschelig. Sie lacht. »Wenn du so was Anzügliches gesagt hättest, wäre ich wahrscheinlich sofort aufgestanden und gegangen.«

Sie schiebt sich den letzten Happs ihres Moving Mountains-Burgers in den Mund. Seit sie von Zara unter vorgehaltenem moralischem Zeigefinger gezwungen worden ist, Vegetarierin zu werden, gestaltet sich die Auswahl im Restaurant deutlich einfacher. Yasira sieht das wirklich als Vorteil an. Sie hat sich früher oft schwer entscheiden können. Jetzt gibt es einfach immer den Veggieburger. Manchmal, wenn sie ohne ihre Tochter auswärts isst, bestellt sie sich heimlich etwas mit Fisch. Omega 3 und so. Aber solange sie noch nicht weiß, ob dieser Stefan einer sein könnte, den sie ihrer Tochter vorstellt, geht sie lieber kein Risiko ein. Sie will ja nicht, dass er sie mit oder ohne Absicht zu Hause bloßstellt. Da wäre was los, würde er berichten, dass Yasira, wie Zara es nennt, »ihre Zähne in eine Tierleiche gehackt hat«. Auf die Diskussion kann sie dankend verzichten.

Nach dem Essen verschwindet Yasira kurz auf die Toilette. Sie ist zufrieden. Sicher kein Typ für die Ewigkeit. Aber auch kein Totalausfall wie die letzten beiden. Der eine hatte die ganze Zeit von seiner Ex erzählt. Der andere wohnte ernsthaft noch bei seiner Mutter. Aber mit diesem Stefan könnte sie vielleicht eine Zeit lang die Einsamkeit vertreiben. Sie betrachtet sich im Spiegel. Ihre schwarzen Haare trägt sie ausnahmsweise offen, nicht wie sonst immer in einem straffen Pferdeschwanz. Nicht schlecht für Anfang vierzig. Anfang vierzig! Verdammt! Vor ein paar Jahren hatte Zara für einen Geschichtsvortrag übers Mittelalter recherchiert, irgendwann vom Buch aufgeschaut und völlig...

Erscheint lt. Verlag 27.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-8437-3228-0 / 3843732280
ISBN-13 978-3-8437-3228-4 / 9783843732284
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