Die Narren sind auf unserer Seite -  Ross Thomas

Die Narren sind auf unserer Seite (eBook)

(The Fools in Town are on Our Side)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
585 Seiten
Alexander Verlag Berlin
978-3-89581-627-7 (ISBN)
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Als Lucifer Dye aus einem Hongkonger Gefängnis entlassen wird, erfährt er, dass seine Karriere als Agent der ­US-Spio­nageabteilung Sektion Zwei endgültig beendet ist. Gleich nach seiner Ankunft in San Francisco tritt der Trouble­shooter Victor Orcutt mit einem Angebot an ihn heran: Dye soll die texanische Stadt Swankerton korrumpieren. An seiner Seite die ehemalige Prostituierte Carol Thackerty und der Ex-Polizeichef Homer Necessary. Während Orcutt die Regie führt, erschleicht sich Dye das Vertrauen des inoffiziellen, von der Mafia unterstützten Oberhaupts von Swankerton. Und bald fragen sich beide Parteien im Kampf um die Kontrolle der Stadt, auf welcher Seite der Ex-Spion eigentlich steht. Aus dem Amerikanischen von ­Gisbert und Julian Haefs Eine um mehr als die Hälfte gekürzte deutsche Ausgabe erschien 1972 unter dem Titel »Unsere Stadt muss sauber« werden.

Ross Thomas, geboren 1926 in Oklahoma, verarbeitete seine vielfältigen beruflichen Erfahrungen in seinen Politthrillern, in denen er vor allem die Hintergründe des (amerikanischen) Politikbetriebs entlarvt und bloßstellt. Ihm wurde zweimal der Edgar Allan Poe Award und mehrmals der Deutsche Krimipreis verliehen. Bis zu seinem Tod 1995 entstanden 25 Romane.

1


Das Debriefing dauerte zehn Tage in einer abgeriegelten Suite in der alten Sektion des Letterman General Hospital der Army auf dem Presidio in San Francisco, und als es beendet war, galt das auch für meine Karriere – falls man sie so nennen konnte.

Sie waren die ganze Zeit durchaus höflich, vielleicht sogar ein bisschen verlegen, falls sie überhaupt etwas empfanden, was ich bezweifelte, und die Verlegenheit hatte möglicherweise ihre ungewöhnliche Großzügigkeit bewirkt, als es um die Abfindung ging. Diese betrug 20.000 Dollar, und wie Carmingler mehrmals sagte, war alles steuerfrei, so dass sie also im Grunde 28.000 oder sogar 30.000 entsprach.

Carmingler höchstpersönlich händigte mir den neuen Pass aus, zusammen mit dem beglaubigten Scheck, ausgestellt von etwas namens Brookhaven Corporation. Er tat dies schnell, ohne Kommentar, ganz so, wie er wohl einen verkrüppelten Gaul erschossen hätte – vielleicht sein Lieblingspferd – und als dieser letzte amtliche Akt erledigt war, ging er sogar so weit, zum Telefon zu greifen und ein Taxi zu bestellen. Ich war fast sicher, dass dies das erste Mal war, dass er für einen anderen als sich selbst ein Taxi bestellt hatte.

»Es müsste gleich kommen«, sagte er.

»Ich warte draußen.«

»Das ist nicht nötig.«

»Ich glaube schon.«

Carmingler setzte seine skeptische Miene auf. Das gelang ihm, indem er die Unterlippe vorschob und gleichzeitig die Stirn runzelte. Diesen Gesichtsausdruck würde er auch verwenden, wenn ihm jemand sagte, es hätte aufgehört zu regnen. »Es gibt wirklich keinen Grund, jetzt …«

Ich unterbrach ihn. »Wir sind doch fertig, oder? Die losen Fäden sind sauber abgebunden. Alle Krümel sind weggewischt. Es ist vorbei.« Carmingler gegenüber benutzte ich gerne schräge Wendungen. Das störte ihn.

Er nickte langsam, nahm seine Pfeife heraus und begann sie mit seiner Spezialmischung zu stopfen, die er von irgendeinem Tabakladen in New York bezog. Dessen Namen konnte ich mir nie merken, wenn er ihn auch oft genug erwähnt hatte. Er nickte immer weiter, während er die Pfeife füllte. »Also, ich würde das nicht so sagen.«

»Nein«, sagte ich, »würden Sie nicht. Ich aber wohl, und deshalb werde ich draußen warten.«

Carmingler, der Pferde liebte, falls er überhaupt etwas liebte, was abermals zweifelhaft war, stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum, bis dorthin, wo ich stand. Er muss damals vierzig oder sogar zweiundvierzig gewesen sein und bestand nur aus Ellbogen und Knien und was ich seit langem für eine sorgsam eingeübte fohlenhafte Unbeholfenheit hielt. Das feuerrote Haar, dem nur wenig zu einem lodernden Scharlachrot fehlte, bildete einen halben Rahmen um sein langes schmales Gesicht, von dem er, wie ich annahm, insgeheim wünschte, es ähnelte einem Pferd. Tatsächlich sah es eher nach einem Maultier aus. Einem störrischen. Er reichte mir die Hand.

»Dann viel Glück.«

Lieber Himmel, dachte ich, der feste Händedruck eines traurigen Abschieds. »Also, das weiß ich bei Gott zu schätzen, Carmingler«, sagte ich mit einem kurzen harten Händedruck. »Sie wissen ja gar nicht, wie sehr ich das zu schätzen weiß.«

»Kein Grund für Sarkasmus«, sagte er steif. »Überhaupt nicht.«

»Dafür nicht und auch sonst für nichts«, sagte ich.

»Ich meine es ernst«, sagte er. »Viel Glück.«

»Ja, klar«, sagte ich und nahm den neuen Plastikkoffer in die Hand, dem es absolut nicht gelingen wollte, wie Korduanleder auszusehen. Ich drehte mich um, ging durch eine Tür und eine Halle entlang, hinaus auf den Halbkreis der Auffahrt, wo ein Paar angekettete Mörser, 1859 hergestellt von einer Firma namens C. A. & Co. in Boston, den Eingang zum Letterman General Hospital hüteten, das 1898 pünktlich zum Krieg gegen Spanien gegründet worden war. In der Ferne war der Russian Hill zu sehen.

Nach zehn Minuten kam das Taxi und ich stellte den Koffer auf den Beifahrersitz. Der Fahrer drehte sich nach mir um.

»Wohin, Kumpel?«

»Zu einem Hotel.«

»Welches?«

»Hab ich noch nicht drüber nachgedacht. Was würden Sie empfehlen?«

Er musterte mich noch ein bisschen mit Augen, die zu alt waren für sein Messdienergesicht. »Hätten Sie’s gern teuer, mittelteuer oder billig?«

»Mittel.«

»Wie wär’s mit dem Sir Francis Drake?«

»In Ordnung.«

Er ließ mich am Eingang Sutter Street aussteigen, und der Mann am Empfang gab mir ein Zimmer in der sechzehnten Etage mit Blick auf die Bay Bridge. Ich packte den neuen Plastikkoffer aus, den sie mir gegeben hatten, und hängte die beiden Anzüge und den Mantel in den Kleiderschrank. Ich trug einen der drei neuen Anzüge, den grauen mit den kleinen matten Fischgrätenstreifen. Zu ihm gehörte eine Weste, wie zu den beiden anderen, und ich vermutete, dass Carmingler sie persönlich ausgesucht hatte. Er trug immer eine Weste. Und rauchte Pfeife. Und fummelte an seinem Phi-Beta-Kappa-Schlüssel herum.

Ich war ein wenig überrascht gewesen, dass mir alles so gut passte, bis mir einfiel, dass sie ja meine genauen Maße in ihren Unterlagen hatten, seit elf Jahren schon, und sie sogar alljährlich, immer zum 15. Januar, neu abfragten, für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich eine Vorliebe für saucengetränkte Nudeln entwickelt und zwölf oder dreizehn Kilo zugelegt hätte oder aber dem Alkohol verfallen wäre, das Essen aufgegeben hätte und ungesund unter meine gewohnten 75 Kilo abgesackt wäre. Sie wollten immer alles ganz genau haben. Größe 1,90 m. Kragenweite 39 cm. Brustumfang 105 cm. Taillenumfang 83 cm. Armlänge rechts 87 cm. Armlänge links 86,3 cm. Schuhgröße 43 mit extraschmalem Absatz. Hutgröße 58. Einen Hut hatten sie mir aber nicht gekauft, nur die drei Anzüge als Ersatz für die pyjamaartige Gefängnisuniform aus grauer Wolle, in der ich angekommen war, plus einen Überzieher und sechs Oxford-Hemden (alle weiß, mit Button-Down-Kragen – wieder Carmingler); sechs Paar wadenlange Socken (alle schwarz); ein Paar Schuhe: schwarz, glatte Spitze, Kieselleder und teuer; sechs Jockey-Boxershorts; einen Gürtel (schwarz, Alligator) und vier Krawatten (scheußlich).

Schätzungsweise hatte ich sie um die sieben- oder achthundert Dollar gekostet. Jedenfalls unter tausend. Wenn ich wichtiger gewesen wäre, hätten sie vielleicht an die fünfzehnhundert ausgegeben, aber was sie gezahlt hatten, entsprach genau meinem bisherigen Platz in der Hierarchie. Es entsprach auch ihrer pingeligen Überzeugung, dass kein ehemaliger Mitarbeiter, wie erbärmlich oder schändlich er auch sei, ohne angemessene (wenn auch nicht kostspielige) Garderobe in die reale Welt abgeschoben werden sollte.

Schrank und Kommode enthielten meinen ganzen Besitz, abgesehen von meinem neuen Pass und dem Scheck über 20.000 $. Ferner besaß ich eine erneuerte Aversion, oder vielleicht nur Antipathie, gegenüber dem Wort Debriefing, die aber keinen Wert in bar hatte.

Als die Kleidung verstaut war, rief ich den Empfang an, um herauszufinden, wie spät es war, wo sich die nächste Bank befand und ob sie noch geöffnet hatte. Eine Uhr besaß ich nicht. Die hatte man mir im Gefängnis abgenommen, diesem feuchten, verschwitzten, grauen Steingebäude, fast ein Jahrhundert zuvor von den Briten errichtet. Als ich nach drei Monaten entlassen wurde, wusste niemand etwas von der Uhr. Ich hatte nicht wirklich erwartet, sie zurückzubekommen, hatte aber trotzdem gefragt.

Der Mann am Empfang sagte, die nächste Bank sei nur ein Stückchen die Straße hinauf, es sei jetzt 12:36 Uhr, die Bank sei offen, und wenn ich keine Uhr hätte, könnte ich aus dem Fenster zu dem Gebäude einer Versicherungsgesellschaft schauen, dessen Leuchtzeichen mir nicht nur die Zeit, sondern auch die Temperatur angäben. Ich bat den Mann vom Empfang, mir eine Flasche Scotch heraufzuschicken.

Als der Hotelboy mit dem traurigen Gesicht mir die Rechnung für den Whisky überreichte, überraschte mich der Preis.

»Ist teurer geworden«, sagte ich.

»Was denn nicht?«

»Gerede«, sagte ich. »Das ist noch immer billig.«

Ich unterschrieb die Rechnung und addierte zwanzig Prozent Trinkgeld, was den Hotelboy fröhlich oder jedenfalls etwas weniger vergrämt dreinblicken ließ. Als er gegangen war, mixte ich mir einen Drink, stellte mich ans Fenster und blickte hinaus über die Stadt mit der Brücke im Hintergrund. Es war einer dieser spektakulär schönen Tage, die San Francisco manchmal Anfang September zustande bringt: ein paar ruhige Wolken, eine...

Erscheint lt. Verlag 21.6.2024
Übersetzer Gisbert Haefs, Julian Haefs
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-89581-627-2 / 3895816272
ISBN-13 978-3-89581-627-7 / 9783895816277
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