Nach 58 Jahren -  Gerhard Roos

Nach 58 Jahren (eBook)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
204 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-1664-4 (ISBN)
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Sieben miteinander verwandte oder verschwägerte Männer, im Kriegsjahr 1943 geboren, erzählen einander von ihrem Leben. Kindheit, Jugend, Existenz- und Familiengründung sowie das Erreichte stehen im Blick. Es entsteht ein bunter Fächer von Eindrücken über die vergangenen 58 Jahre. So unterschiedlich die Lebensentwürfe und -abläufe, so überraschend ähnlich sind manche Umstände und Ereignisse. Alle sieben eint ihre Dankbarkeit für ein erfülltes Leben.

Gerhard Roos lebt als Pfarrer im Ruhestand in Nordseenähe. Unzählige Gespräche mit Menschen aller Generationen, besonders mit jungen Menschen sowie Kolleginnen und Kollegen in seiner langen Zeit als Berufschulpfarrer, haben ihn zu den Erzählungen seiner Bücher veranlasst. Natürlich sind alle beschriebenen Personen ersonnen.

Umbruchzeiten


Nach einem behaglichen Mittagessen und einem kurzen Spaziergang als Verdauungshilfe sitzen die sieben Männer nun wieder zusammen. Jetzt ist die zweite Lebensetappe an der Reihe, und wie geplant ist Achim Günzel erneut der erste Erzähler: „Der Übergang ins Gymnasium war doch ein deutlicher Einschnitt. Wenn auch einige aus meiner Grundschulklasse mitgekommen waren, erwies es sich für uns alle zuerst als schwierig, fast in jedem Unterrichtsfach eine andere Lehrkraft zu haben. Aber zumindest ich kam doch erfreulich schnell zurecht und konnte ordentliche Leistungen abliefern. Hilfreich war, dass Gundi mit in diese Klasse gekommen war und wir nachmittags unter Großmutters Aufsicht gemeinsam unsere Hausaufgaben erledigten. Wir hatten einen unausgesprochenen Wettbewerb begonnen, wer schneller sorgfältig arbeiten könne, und wer die besseren Noten beibrächte. Das half uns Beiden, recht gute Leistungen zu erbringen.

Mit Gundis dreizehntem Geburtstag veränderte sich das dann recht schnell. Ihre Mutter und die Bäckersleute hatten ihr ein kleines Fest mit etwa zehn Kindern organisiert. Da waren auch einige etwas ältere dabei. Bei dieser Gelegenheit hat sich dann der siebzehnjährige Sohn Hartmut unseres benachbarten Gastwirts heftig in das frühreife Geburtstagskind verknallt. Dass sie bereits zum attraktiven Fräulein erblüht war, hatte ich mit meinen gerade mal zwölf Jahren natürlich gar nicht mitbekommen. Nun waren die Zeiten mit mir nicht mehr angesagt, Gundi verbrachte viel Zeit mit ihrem Verehrer - und ließ in den Schulleistungen merklich nach. Später, als wir als Erwachsene unsere alte Freundschaft wiederbelebt haben, hat sie stolz berichtet, sie hätte damals zwar reichlich Zärtlichkeiten mit ihrem Hartmut ausgetauscht, sich aber weitere zudringliche Versuche des jungen Mannes erfolgreich vom Leib gehalten. Immerhin ging das länger als ein Jahr.

Ich habe dann eher die Nähe des einen oder anderen Jungen in der Klasse gesucht. So entstand eine gute Bubenfreundschaft mit zwei etwas Älteren aus dem Arbeiterviertel, die auch bis heute Bestand hat. Heute treffen wir uns regelmäßig zu Viert zu einem allwöchentlichen Spieleabend, Gundis Ehemann Uli ist nämlich noch dazu gestoßen. Als Gundi mit Hartmut Schluss gemacht hatte, wurden ihre Leistungen nicht nur wieder besser, sie war sogar bald Klassenbeste. Mir reichte inzwischen ein sicherer Platz im guten Mittelfeld. Wir gingen freundlich miteinander um, aber so eng wie früher wurde das natürlich nicht mehr.

Die Blütezeit der Pubertät war – rückschauend gesehen – reichlich anstrengend. Da war so recht keiner, mit dem man reden konnte. Die Erwachsenen unserer Familie waren, wie viele Leute damals noch, reichlich prüde und sprachen nicht über sexuelle Dinge. Aber da gab es ja den Reichtum unseres Bücherlagers. Mit regelrecht wissenschaftlicher Sorgfalt habe ich mich durch die notwendigen Bände aller einschlägigen Lexika dieser Zeit gefressen. Da diese Bücher noch verkauft werden sollten, musste ich sehr behutsam damit umgehen. Um alles in den richtigen Zusammenhang zu bringen, habe ich ein DIN A5 großes Doppelheft hergenommen, in das ich alle Infos als Notizen, oft ganze Abschriften und Zeichnungen, gesammelt habe. Das wurde mein verschwiegenes Sexualkunde-Lexikon und hat mir sehr geholfen, mich vernünftig zu informieren.

Ich dürfte so sechzehn Jahre alt gewesen sein, als ich mit dem Stimmbruch und diesem Thema durch war. Und, bautz, habe ich mich zum ersten Mal heftig verliebt. Ich war mit einer Jugendfreizeit des Stadtjugendpflegers in Scharbeutz an der Ostsee. Wir waren achtunddreißig Jugendliche zwischen vierzehn und siebzehn. Wir hatten uns dort mit einer kleinen Jugendgruppe aus Westberlin getroffen – Begegnung war Programm –, und wir alle schliefen, Männlein und Weiblein getrennt, in zwei riesigen Zelten. Es waren herrliche vierzehn Tage. Ich verknallte mich am zweiten Tag in eine Berliner Göre von vierzehn Jahren. Und sie erwiderte diese Zuneigung sofort. Jedenfalls hatten die Betreuer immer ein Auge auf die insgesamt sieben Pärchen, die sich spontan gebildet hatten; es durfte ja nichts passieren. Ist es aber doch. Zwar nicht bei Gabi und mir, aber bei unserem ältesten Berliner Klaus und unserer zweitjüngsten Mannheimerin, der hübschen Liesel. Ausgerechnet die Tochter des Stadtbaurats wurde mit vierzehn schwanger.

Noch heute habe ich Hochachtung davor, wie souverän die Bauratsfamilie Hauer und die Berliner Familie des Erzeugers Klaus Kipper das Ganze bewältigt haben. Liesel ist nun schon ewig mit Klaus verheiratet, sie haben insgesamt drei Kinder und leben in Mannheim. Klaus hat sogar noch ein gutes Ingenieurstudium hingekriegt und arbeitet als Wartungschef beim City-Airport, Liesel führt kompetent ein eigenes kleines Schuhgeschäft.

Meine kurze Gabi-Geschichte hat immerhin Maßstäbe gesetzt, ihr Erscheinungsbild war ab da mein Beuteschema. Sie hatte lange wellige pechschwarze Haare, ganz dunkle Augen und war insgesamt recht wohlgeformt. Ich sah sie ja mehr im Badeanzug als in vollständiger Bekleidung. Nach tränenreichem Abschied haben wir uns noch einige Zeit Liebesbriefe geschrieben, bis sie mir lapidar mitteilte, sie habe sich in einen andern Knaben verliebt. Da war sie immer noch vierzehn. Dass aber dieser Mädchentyp mein Frauentyp geblieben ist, wisst ihr alle. Meine Heide ist der beste Beweis. Bis zum Abitur gab es noch zwei Freundinnen. Die eine aus Ludwigshafen hatte ich im Schwimmbad kennen gelernt. Die andere bei einem Rennen auf der Zuschauertribüne am Hockenheimring. Beide Geschichten dauerten nicht lange, ist auch sicher besser so.

Immerhin hatte ich bis zum Abitur wieder meine Leistungen soweit gesteigert, dass ich als zweitbester Junge bestand. Gundi war die beste Schülerin geblieben. Die konnte gleich zum Studium nach Mainz ziehen, ich musste zum Bund. Weil damals für die Bundeswehr kein echter Einsatz zu erwarten war und ich schnell mit der Sache fertig werden wollte, habe ich einfach der Wehrpflicht entsprochen. Ich war dazu in Schleswig-Holstein im Bodenpersonal bei der Luftwaffe eingesetzt. Wir am Boden waren die einzigen Wehrpflichtigen, die Mechaniker und das gesamte Flugpersonal bestanden natürlich aus Zeit- und Berufssoldaten. Wir vier waren vorwiegend als Reinigungskräfte und Einwinker eingesetzt. Gar nicht so schlecht. Jedenfalls gab´s kaum Gammelzeiten, wir hatten immer was zu tun. Heute weiß ich, das hat die Mädels der umliegenden Ortschaften davor bewahrt, von uns angebaggert zu werden. Dafür umso mehr von unseren Berufs- und Zeitsoldaten, einige durchaus lebenslänglich.

Dann ging es nach kurzer Wartezeit mit dem beruflichen Einstieg los. Ich hatte eine Ausbildungsstelle in einer größeren Buchhandlung in Kaiserslautern gefunden, deren Inhaber vor Jahren seine Ausbildung bei unserem Großvater gemacht hatte. Mein erster Arbeitstag war der zweite Mai 1963. Das war ein für Anfang Mai ungewöhnlich kalter Mittwoch. Ich war froh, dass ich in Kaiserslautern eine hübsche kleine Wohnung im separaten Hinterhäuschen einer Gärtnerei hatte anmieten können, nur zwei Straßen von der Buchhandlung entfernt und mit eigener Zufahrt von einem stillen schmalen Nebensträßchen her, das in leichtem Anstieg in den Pfälzer Wald führt. Hinter dem Gärtnereigelände gibt es, auch heute, keine Anlieger mehr. Dort hatte bis zu seinem Tod wenige Wochen zuvor der schon lange verwitwete Vater des Gärtners Günter Stabel gewohnt.“

Kurt , der als Zweiter jetzt wieder an der Reihe ist, berichtet nun von seiner Gymnasialzeit: „Das heutige Mons-Tabor-Gymnasium in Montabaur hat seit damals eine bewegte Geschichte und einige Namenswechsel hinter sich. Als wir in der Sexta aufgenommen wurden, mussten damals zwei Parallelklassen mit je etwa vierzig Kindern gebildet werden. Gegenwärtig sind es pro Jahr vier, oft sogar fünf Klassen in der heute in Rheinland-Pfalz zulässigen Größe von – soweit mir bekannt – maximal fünfundzwanzig Kindern. Der große Kinderhaufen war aber sehr diszipliniert. Unser Klassenlehrer, ein älterer erfahrener Deutschlehrer, bei dem wir später auch Geschichte und Erdkunde hatten, duldete einerseits keine Mätzchen, war aber auf der anderen Seite mit dem Unterrichtsstil so interessant, dass es uns ganz leicht fiel, aufmerksam mitzumachen.

Der Wechsel von der überheblichen Baronesse zu ihm war für alle aus meiner Grundschulklasse eine Wohltat, und auch die neuen Kameradinnen und Kameraden aus den Umlanddorfschulen fühlten sich gleich erstaunlich wohl. Trotz ordentlicher Hausaufgabenmenge waren zumindest die beiden ersten Jahre in dieser Schule ähnlich entspannt wie die vier in der Grundschule. Anstrengender wurde es dann ab der Quarta. Die zweite Fremdsprache kam dazu, auch Physik und einiges Andere, was mehr Aufwand erforderte. Zum Glück habe ich unseren Vater niemals als meinen Lehrer erleben müssen. Bereits im Mathematikunterricht in der Klasse meines ältesten Bruders Hans hat er begriffen, dass er die Schulleitung bitten müsse, ihn von seinen Kindern fern zu halten. Das war für die Stundenplan-Fertiger zunehmend eine...

Erscheint lt. Verlag 7.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
ISBN-10 3-7597-1664-4 / 3759716644
ISBN-13 978-3-7597-1664-4 / 9783759716644
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