Kollegen im Abgrund -  Christiane Jansen

Kollegen im Abgrund (eBook)

Die Betriebsrätin - Band 1
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
300 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-6385-3 (ISBN)
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Als Sascha Zurawski plötzlich von der Galerie in der Montagehalle in den Tod stürzt, ist die Betriebsratsvorsitzende Kassandra (Kassi) Hübner eine der Ersten am Unfallort. Eine anonyme Todesdrohung wirft viele Fragen auf. Kassi gerät bei ihren Nachforschungen in ungeahnte gesellschaftliche und soziale Abgründe. Sie stellt fest, dass sie langjährige Kollegen kaum kennt. Viele Hätten ein Motiv Sascha Zurawski lieber tot als lebendig zu sehen. Sie ist schockiert, je tiefer sie in deren Vergangenheit stöbert. Ihre Neugierde bringt sie nicht nur mit extrem gewalttätigen Snuff-Pornos und Erpressung in Kontakt, sondern sie selbst auch in ernste Gefahr.

In Hamburg geboren, hat Christiane Jansen Klavierbauerin gelernt und als Betriebsrätin früh den Weg in die Interessenvertretung eingeschlagen. Nach dem Studium zur Juristin für Arbeits- und Wirtschaftsrecht sowie späterer Promotion zog sie nach Bayern und arbeitete hauptberuflich für die IG Metall. Seit gut zehn Jahren ist sie freiberuflich als Trainerin und Beraterin für Betriebsratsgremien tätig. Darüber hinaus veröffentlicht sie Beiträge zu arbeitsrechtlichen Fachthemen. Die vielen unglaublichen Geschichten aus den Betrieben und der Betriebsratsarbeit sind die Inspiration für ihren Ausflug ins Krimigenre.

SASCHA


Keine Sau hatte ihn gestern angerufen und ihm zu seinem vierundvierzigsten Geburtstag gratuliert. Und selbst seine Kumpel aus der Kneipe hatten es vergessen oder vermutlich gar nicht gewusst. Dabei hätte der Geburtstag mit einer Schnapszahl genug Anlass gegeben, ausgiebig gefeiert zu werden. Andere bekamen wenigstens in den sozialen Netzwerken Glückwünsche. Er hatte nicht einen einzigen bekommen. Was für ein Scheiß-Geburtstag!

Montags war Sascha Zurawskis Laune immer schlecht. Aber heute war sie so mies, dass sie schon fast wieder bei gut herauskommen musste. Beim Rasieren hatte er sich so bescheuert geschnitten, dass es nicht aufhören wollte zu bluten. Dabei hatte er sein letztes sauberes Hemd versaut und musste nun heute ein ziemlich durchgeschwitztes aus der Schmutzwäsche reaktivieren. Erst im Betrieb merkte er, dass es zusätzlich Kaffeeflecken auf seinem vorstehenden Wanst hatte. Alle würden ihn für einen fetten, schlampigen Versager halten. Nicht, dass ihn besonders interessierte, was andere von ihm dachten. Aber er blieb lieber unauffällig. Er war heute einfach besonders genervt, von den Kollegen, dem trostlosen Job, seiner eigenen schlechten Laune, dem Leben.

Zurawski sah auf seine schwarze Uhr und konnte nicht anders, als mit dem Ärmel seines Hemdes die Fingerabdrücke vom Uhrglas zu wischen. Ihm gefielen das unauffällige, aber edle schwarz beschichtete Edelstahlgehäuse und das strukturierte Lederarmband. 9:10 Uhr, las er schließlich die Zeit ab und erhob sich unschlüssig. Er war erst vor zwanzig Minuten zum Kaffeeautomaten gegangen und hatte sich fast eine Viertelstunde nutzlos in der Kaffeeküche herumgedrückt. Als er den Weg durch die Montagehalle und über die Galerie zurück in sein Büro gekommen war, hatte ihn Viktor die ganze Zeit aus seinem unbeleuchteten Büro heraus beobachtet. Für einen kurzen Moment hatte Sascha überlegt, ob er ihm zuwinken und den Stinkefinger zeigen sollte, sich dann aber dagegen entschieden. So etwas wurde in der Firma nicht gern gesehen. Viktor Basler war so ein Idiot, so ein Loser. Normalerweise nicht würdig, dass man ihn überhaupt beachtete. Aber er hatte ihm, Zurawski, viele gute Dienste erwiesen, wie er sich fast amüsiert eingestand.

Er würde nur noch ein paar Minuten warten und dann heruntergehen, um eine Zigarette zu rauchen. 9:15 Uhr war immer seine Zeit. Da war für die Montage die Frühstückspause vorbei und das Glashaus vor der Halle, in dem die Lahn Technology Solution gnädig das Rauchen gestattete, nicht mehr so voll. Zurawski konnte es nicht leiden, wenn andere Menschen ihm so dicht auf die Pelle rückten. Wegen seiner enormen Körperfülle, die er nur mühsam mit seinen immer weißen Hemden, viel zu engen schwarzen Hosen und einem breiten Gürtel um die Hüften einigermaßen in Schach hielt, kam er nicht nur schnell aus der Puste, sondern auch leicht ins Schwitzen. Da konnte er es nicht haben, wenn ihm die Arbeitskollegen zu nahe kamen. Eine Jacke würde er nicht brauchen. Es war Mitte September und das Wetter endlich angenehm. Der Sommer 2022 galt als der heißeste und trockenste seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen.

Nachdem er den Bildschirm heruntergefahren und Zigaretten und Feuerzeug eingesteckt hatte, trat er durch die Tür zurück auf die hoch über der Montagehalle liegende Galerie, die zu den oben liegenden Büroräumen führte. Ein kurzer Blick nach links auf Viktor Baslers Fenster ließ ihn einen kleinen blau leuchtenden Punkt erkennen, der sich langsam bewegte. Basler war also wieder mit einem Headset am Telefonieren, während er am Fenster stand und die Leute beobachtete.

In Zurawskis Hosentasche gab das Smartphone ein ersticktes PING von sich, als Zeichen, dass eine Nachricht eingegangen war. Er hätte es wegen des ständigen Maschinenlärms in der Montage gar nicht gehört, wenn das Handy nicht gleichzeitig vibriert hätte. Es war verboten, während der Arbeitszeit privat zu telefonieren oder Nachrichten zu schreiben. Trotzdem zog er das Handy aus der Tasche und las: LETZTE WARNUNG! LASS DAS SEIN ODER DU BIST EIN TOTER MANN!

Während er im Gehen seine Antwort eintippte, sich vertippte, neu formulierte, sich wieder vertippte und langsam ungehalten wurde, kam ihm nun auch noch dieser Kameltreiber aus der Halle entgegen. Die LTS stellte aber wirklich auch jeden ein, dachte Zurawski verächtlich und machte keine Anstalten, den Leiharbeitskollegen durch-zulassen. Was musste der jetzt auch mit seiner Kiste, voll-gepackt mit Metallteilen, auf dieser schmalen Galerie laufen! Sollte er doch die Treppe wieder heruntergehen und unten warten, bis Platz auf der Galerie war. Zurawski hatte den Typ immer mal wieder hier oben gehen sehen, wenn er die Teile als Muster in den Einkauf zu Viktor Basler brachte. Aber diese Araber sahen für ihn eh alle gleich aus. Und sich mit so einem zu unterhalten oder sich gar einen Namen zu merken, fiel ihm erst recht nicht ein. Überhaupt hasste er dieses Gesocks, das sich seit 2015 überall in Deutschland breitmachte. Ach, die armen Flüchtlinge, hieß es ständig. Er fand es zum Kotzen. Die schmarotzten sich überall durch und wurden von allen hofiert. Aber ehrlich arbeitende Menschen, Deutsche wie er, mussten schuften und kamen trotzdem auf keinen grünen Zweig. Jedenfalls nicht auf ehrliche Art, wie er sich mit einem Blick auf sein teures Handy eingestehen musste. Die verfluchten Tasten auf diesem Handy waren einfach zu klein für seine dicken Finger.

Ja, war es zu fassen, dieser Penner blieb doch einfach mit seiner Kiste auf dem Gang stehen und drückte sich mit dem Rücken zur Wand, um ihm Platz zu machen. Hatte der keine Augen im Kopf, dass sie da nie aneinander vorbeikommen würden, schon gar nicht mit der Teilekiste auf dem Arm und dem Feuerlöscher an der Wand? Er würde sich das nicht gefallen lassen und dem Schmarotzer schon zeigen, wie die Dinge hier in Deutschland liefen. Zurawski machte sich kein bisschen schmal, was bei seinem Umfang auch ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen wäre. Aufrecht, mit breiten Schultern, den massigen Kopf mit dem schwabbeligen Doppelkinn hochgereckt und mit einem fast majestätischen Blick hinunter in die Halle, ging er auf Konfrontation. Auf der einen Seite drückte sich die Kiste stramm in seinen Arm. Auf der anderen Seite schnürte der metallene Handlauf sich wie ein starrer Keilriemen in seine Hüfte. Sascha presste und ruckte mit voller Kraft und ohne jede Rücksicht auf den Kollegen, der nirgendwohin ausweichen konnte.

Und ganz plötzlich war da Platz, Raum, Luft. Der Handlauf hatte sich aus der Halterung in der Säule gelöst und war unter Zurawskis massivem Druck nach außen in die Halle aufgesprungen. Für einen kurzen Moment genoss der massige Koloss die physische Erleichterung, den größer werdenden Abstand zu dem abstoßenden Kanaken. Dieser stand nur reglos und umklammerte seine Kiste mit verkrampften Händen und weißen Knöcheln wie ein Schutzschild vor seinem Körper. Als wäre er zu einem Standbild erstarrt. Zurawski blickte auf, und ihn traf ein Blick des Kollegen, den er nicht deuten konnte. Es war irritierend, denn der Araber wich seinem Blick nicht aus, starrte ihn geradewegs mit ausdrucksstarken Augen und einem – ja, konnte das sein? – fast höhnischem Ausdruck an.

Wie in Zeitlupe löste sich die Distanz zwischen den beiden Männern weiter und weiter auf, bis Zurawski bemerkte, dass er drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Er fing an mit den Armen zu rudern, als versuchte er, durch die Luft zu schwimmen. Sein Handy flog hoch durch die Luft. Vergeblich versuchte er, mit einer Hand das verbleibende Geländer zu greifen. Warum ließ dieser Scheißkerl nicht seine idiotische Kiste fallen und reichte ihm eine rettende Hand? Immer weiter in die Halle und den lärmenden Abgrund hinein zog ihn die Schwerkraft, bis Zurawski zwar wahrnahm, dass seine Füße keinen Untergrund mehr hatten, doch begreifen konnte er diese Situation nicht. Mit weit aufgerissenen Augen und schlingernden Armen und Beinen drängte sich der Gedanke in sein träges Hirn, dass dies vielleicht kein gutes Ende nehmen würde. Er erinnerte sich an seine Kindheit, und Bilder seiner Eltern, von Kameraden an der Uni und gesichtslosen Frauen schossen ihm wie Stromschläge in die hoch angespannten Nervenbahnen.

Das Bild eines schmächtigen jungen Mannes erschien, als Zurawski in die Palette mit den aufragenden Rohlingen der Bohrköpfe krachte. Wie mit einem Schlaghammer wurde alle Luft aus seinen Lungen gepresst und explodierte mit einem verzweifelten Schrei in den alles übertönenden Arbeitslärm. Er konnte fühlen, wie sich die Bohrspitzen durch den Fettpanzer am Rücken, vorbei an der Wirbelsäule, tief in den massigen Körper bohrten, die Rippen erst zur Seite gebogen wurden und dann unter der Wucht des Aufschlags zerbarsten. Zwischen seinen Beinen erschien auf seinem rechten Schenkel die Spitze eines Bohrkopfes, der den gesamten Weg durch sein Fleisch und an dem stabilen Knochen vorbei in die neu gewonnene Freiheit auf der Oberseite gefunden hatte. Es kam ihm unendlich lange vor, bis die weit über einhundertzwanzig Kilogramm seines Körpers von der Schwerkraft nicht tiefer in die Bohrstangen...

Erscheint lt. Verlag 3.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7597-6385-5 / 3759763855
ISBN-13 978-3-7597-6385-3 / 9783759763853
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