Banditen in London -  Paul Schaffrath

Banditen in London (eBook)

Abenteuerroman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
360 Seiten
CMZ (Verlag)
978-3-87062-370-8 (ISBN)
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Fünf Jugendliche aus Hamburg beginnen die Ferien 2019 voller Vorfreude auf sechs Wochen Sommer. Matthias, Lennart und Niklas, dazu Alexandra und Leonie, alle zwischen dreizehn und fünfzehn Jahren alt, ahnen noch nicht, dass tief unter dem Waisenhaus, in dem sie wohnen, ein Tunnel liegt, durch den sie mit einem per Druckluft betriebenen Zug zu einem unglaublichen Abenteuer nach London gelangen - jedoch nicht in die heutige englische Hauptstadt, sondern in die von Königin Victoria, genauer: ins London der ersten Weltausstellung von 1851. Im Zeitalter der Industriellen Revolution treffen sie auf Lord Rosse, den Präsidenten der Royal Society, Mary Schlesinger, eine amerikanische Angestellte der Detektei Pinkerton, und William Robinson, einen Banditen, wie er im Buche steht: gerissen, mit allen Wassern gewaschen und gefährlich. In der Tradition der Abenteuerromane des neunzehnten Jahrhunderts beschreibt Paul Schaffrath mit Ironie und Spaß für alle Leser von 9 bis 90 die aberwitzige Jagd der fünf Jugendlichen zwischen London und Manchester nach dem Werkzeug, das ihnen die Rückkehr in die eigene Zeit ermöglichen soll.

Winrich C.-W. Clasen, Jahrgang 1955, Studium der Romanistik, Evangelischen Theologie und Kunstgeschichte in Bonn; Verleger in Rheinbach. Seit 2011 schreibt er unter dem Pseudonym Paul Schaffrath Kriminalromane. 'Banditen in London' ist nach sieben Kriminalromanen sein erster Abenteuerroman.

Ohne Eltern


Waisenhäuser liegen immer am Ende der Straße, die einen kleinen Hügel hinaufführt. Sie sind immer mindestens hundert Jahre alt, bestehen aus dunkelbraunem Backstein und besitzen manchmal sogar zwei Säulen rechts und links vom ehrfurchtgebietenden Eingang. An der schweren Holztür ist stets ein Türklopfer befestigt, in der Regel in Form eines messingnen Löwen. Ein Blechschild mit dem Namen der jeweiligen Institution hat schief darüber zu hängen. Oder ein kupfernes ist auf Augenhöhe neben den Eingang genagelt. Und im ersten Stock muss hinter einem halb zurückgezogenen Vorhang an einem Fenster ein verhungert aussehendes Mädchen mit grauem Gesicht und leeren Augen stehen und nach unten schauen.

So war das bisher bei allen Waisenhäusern gewesen, die ich gesehen hatte. Zwischen zwei Buchdeckeln. Also auf Buchseiten. Beispielsweise bei der Lowood Institution, in der einer gewissen Jane Eyre von einer Mrs. Reed übel mitgespielt wurde. Und einem Waisenjungen namens Oliver Twist war es in einem anderen Roman genauso ergangen.

Wir dagegen hatten es viel besser getroffen.

Unser Waisenhaus war anders. Es hieß schon anders. Außerdem handelte es sich um ein Reihenhaus in Ottensen, einem von Hamburgs »besseren« Stadtteilen, das wenigstens aus dem neunzehnten Jahrhundert stammte, so dass es durchaus etwas Geheimnisvolles an sich hatte.

Schon von außen sah es heimelig aus: Rote Backsteine, Sprossenfenster mit weißen Rahmen und weißen Simsen, kleine Verzierungen zwischen den Stockwerken, symmetrisch: Eingang in der Mitte, rechts und links jeweils zwei Zimmer nach vorne, drei Stockwerke, das Parterre erreichte man nach fünf Stufen, der obere Teil des Kellers lugte also auf den Gehweg vor dem Haus, ein kleiner Vorgarten, ein schmiedeeiserner Zaun, der fast so hoch wie ich war, und ein letztes, niedrigeres Stockwerk direkt unter dem Dach, wo man allen möglichen Krempel aufbewahren konnte.

Die anderen Häuser in der Straße besaßen alle ein ähnliches Aussehen – kein Wunder, schienen sie doch aus der gleichen Zeit zu stammen, etwa 1880, als für die sich rasant vergrößernde Hamburger Bevölkerung Häuser benötigt und gebaut wurden. Die Farben der Fassaden unterschieden sich; die Verzierungen waren nie dieselben; mal war die Haustür links zu sehen, mal rechts. Aber immer war das Erdgeschoss nur über ein paar Stufen zu erreichen. Häuser ohne Parterre also. Um den Eindruck einer stehengebliebenen Zeit zu verstärken, spendeten in regelmäßigen Abständen große Bäume Schatten, deren Namen ich nicht wusste. In Biologie war ich immer schlecht gewesen.

Die Idylle wurde allerdings erheblich durch eine Baustelle des Senats gestört: Die Verwaltung hatte sich anscheinend für eine neue Bushaltestelle entschieden und zu diesem Zweck zuerst einmal die Straße aufgerissen. Das entstandene Loch, das von einem Baustellenzaun gesichert wurde, harrte mindestens schon die drei Wochen, seit ich in der Villa wohnte, der Fertigstellung.

Ich hoffte nur, dass die Bauarbeiter nicht so tief gebuddelt hatten, dass sie auf »meine« geheime U-Bahnhaltestelle gestoßen waren …

Innerhalb der Absperrung lagen auf einem Haufen die herausgenommenen Pflastersteine. Ja, unsere Straße besaß tatsächlich noch Kopfsteinpflaster, das noch nicht mit Asphalt übertüncht worden war. Irgendwie sah alles hier nach 1920 aus; es fehlten nur die Damen in langen Kleidern und Pferdedroschken.

Wir hatten übrigens tatsächlich einen Türklopfer in Form eines Löwen! Also nicht wir, die Haustür des Kinderheims …

Wir, das waren außer mir noch zwei Mädchen und zwei Jungs, alles Teenager und in der Regel ziemlich nervig, sowohl untereinander, als auch dem Lehrpersonal gegenüber, von dem wir mit bedeutungsschweren Blicken als dem Leer personal sprachen, was wir ziemlich lustig fanden. Meistens handelte es sich nämlich bei den Anweisungen an uns und den gleichzeitig angekündigten Konsequenzen, sollten wir nicht gehorchen, um leere Drohungen. Die anderen lachten, wenn der Spitzname fiel. Ich fand ihn spätestens beim zweiten Mal nur noch albern. Lehrpersonal stimmte ohnehin nicht: Es gab den Hausmeister, Simon Klein, der nur in blauer Arbeitshose und Sicherheitsschuhen anzutreffen war und den ich allein schon aufgrund seines merkwürdigen Backenbartes etwas seltsam fand – die buschigen Koteletten gingen ansatzlos in einen ebenso buschigen Schnurrbart über, walrossgroß, der beide Lippen verdeckte, während das Kinn frei blieb –, die »Vorsteherin« mit grauem Rock und rotem Pullover, deren Anweisungen alle zu folgen hatten, und eine Köchin, die extrem dünn war. Dabei kochte sie gut; uns schmeckte es jedenfalls immer. Wahrscheinlich hatte sie nur die Anzahl an Salattagen in ihrer Diät falsch berechnet.

Unterricht gab es keinen im Haus. Den hatten wir nämlich woanders, draußen, je nach Neigung und intellektuellen Fähigkeiten. Alexandra und ich waren auf dem Altonaer Gymnasium in der Nähe. Leonie besuchte die Max-Brauer-Gesamtschule, zu der sie ebenfalls zu Fuß gehen konnte, was der Reduzierung ihres Umfangs nur gut tun konnte. Keine Sahnetorte war schnell genug, um ihr auszuweichen, wenn sie vorbeikam, was ihr den Spitznamen Cream eingetragen hatte. Wie man sieht, waren wir anglophil.

Lennart ging aufs altsprachliche Christianeum in Othmarschen, was sein verstorbener Onkel noch in die Wege geleitet hatte, der Lehrer für Latein und Griechisch gewesen war.

Niklas war auf dem Jenisch-Gymnasium gelandet, das in der Nähe der Pflegefamilie lag, bei der er zuerst untergebracht worden war. Außerdem kam die Schule mit ihrem individuellen Förderungskonzept, wie Niklas uns an einem verregneten Nachmittag auseinandergesetzt hatte, seinen Fähigkeiten sehr entgegen. Aus meiner Sicht lag seine besondere Begabung einzig in der Tatsache begründet, dass er keine Aufgabe vernünftig zu Ende führte, weil er in Gedanken längst bei der nächsten Unternehmung, sprich: dem nächsten Streich, angelangt war.

Den Namen unseres Hauses sollte man übrigens dringend ändern, fand ich: Jugendheim Tut-mir-gut klang einfach uncool und nach einem Förderkonzept des Senats. Um unserem Domizil ein wenig das Flair eines Hauses, in dem wenigstens in der Phantasie wunderbare Schul- und Internatsgeschichten passieren konnten, zu verleihen, hatte ich es in Villa Tunichtgut umgetauft, was sofort von den anderen begeistert übernommen worden war.

Im zweiten Stock stellte ich die Apfelsaftkiste in der Vorratskammer neben der Küche ab und sah nachdenklich aus dem kleinen Fenster. Wie war ich überhaupt hierhin geraten?

Eine einfache Frage, aber eine schwierige Antwort. Wie ging man damit um, dass beide Eltern nicht mehr da waren? Meine Mutter war vor zwei Jahren gestorben, einfach so, ohne dass ich etwas mitbekommen hatte. Mein Vater hatte etwas von einer »unheilbaren Krankheit« gemurmelt und dann das Thema gewechselt. Er war – wie ich – am Boden zerstört. Eleanor Darling war seine große Liebe gewesen; sie stammte aus London, wo mein Vater als Angestellter der deutschen Botschaft gearbeitet hatte. Sie ging dann mit ihm zurück nach Deutschland, und irgendwann kam ich dazu. Ich wuchs also zweisprachig auf und hatte die Liebe zur englischen Literatur von meiner Mutter geerbt.

Mein Vater, Philipp Lüders, stammte aus Bremen; seine Vorfahren waren allesamt Kaufleute gewesen, was ihm auch mehr zu liegen schien als der diplomatische Dienst, so dass er – zurück in Deutschland – bei einem der vielen Unternehmen in der Hamburger Speicherstadt eine Anstellung gesucht und gefunden hatte.

Und vor etwas weniger als einem Vierteljahr war er plötzlich verschwunden.

Da wir keine weitere Verwandtschaft besaßen, auch nicht in Großbritannien, geriet ich, wie ich es nannte, »in die Fänge der Fürsorge«, was mir aus unseren Büchern ja nur zu bekannt war.

Unsere Möbel wurden eingelagert, ich musste unser Haus in Othmarschen verlassen und kam ins »Waisenhaus«. Den Begriff musste ich mich aber hüten zu verwenden; denn dann gab es direkt Ärger mit dem zuständigen Amt. Immerhin hatte ich meinen Teddy und meine Bücher mitnehmen können.

»Wo kommst du denn her?«

Ich schrak zusammen.

Der Hausmeister war wie üblich auf viel zu leisen Sohlen unterwegs und ging seinen undurchsichtigen Geschäften nach. In der Hand hielt er einen Schraubenzieher und musterte mich. Seine Nase sah schief aus; bestimmt hatte er mal Prügel bezogen, mit einer so schiefen Nase kam man nicht auf die Welt.

»Warst du im Keller?«

Ich nickte, aber warum interessierte ihn das?

»Dann hättest du mir auch ein Bier mitbringen können«, sagte er.

Puh, und ich hatte schon gedacht, er wüsste etwas von meiner Entdeckung.

»Sorry«, sagte ich...

Erscheint lt. Verlag 3.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-87062-370-5 / 3870623705
ISBN-13 978-3-87062-370-8 / 9783870623708
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