In Zeiten der Freundschaft -  Cathy Gohlke

In Zeiten der Freundschaft (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
SCM Hänssler im SCM-Verlag
978-3-7751-7646-0 (ISBN)
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Adelaide hätte nie gedacht, drei Freundinnen in ihrer neuen Heimat in Kanada zu finden, die wie Schwestern für sie sind. Sie versprechen sich, für immer zusammenzuhalten - doch dann hebt der Erste Weltkrieg ihre Welt aus den Angeln und der deutsch-amerikanische Mann, den Adelaide und Dorothy lieben, wird unbegründet verdächtigt. Eine schreckliche Explosion reißt die Schwesternschaft schließlich unwiderruflich auseinander. Jahre später erhält Rosaline einen Anruf von Dorothy, der Erinnerungen wachruft, die sie vergessen wollte. Erinnerungen an einen Mann, den sie einst liebte, an eine Schwesternschaft, die sie im Stich ließ, und an den Tag, an dem sie aufhörte Adelaide zu sein. Ein Roman über den Wert von echten Freundschaften - und wie Vergebung und Ehrlichkeit diese retten können.

Cathy Gohlke schreibt Romane voller inspirierender Botschaften. Viele von ihnen haben Preise gewonnen. Wenn sie nicht auf Reisen ist, um für ihre Bücher zu recherchieren, verbringt sie gerne Zeit mit ihrer Familie. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren erwachsenen Kindern, Enkelkindern und ihrem Hund Reilly in den USA. www.cathygohlke.com

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Kapitel zwei


SEPTEMBER 1905

Am nächsten Tag, meinem zwölften Geburtstag, bestiegen wir die Fähre nach Halifax. Lemuel erwähnte meinen Ehrentag nicht einmal. Ich fragte mich, ob er nicht wusste, wann ich Geburtstag hatte, oder ob er ihm einfach egal war. Gedankenverloren sah ich zur Küste hinüber, bis die roten Felsen in der Ferne verschwanden und der rot-weiße Leuchtturm in einem Meer von Tränen verschwamm. Auch anderen trieb der Wind an diesem Tag salzige Tränen in die Augen, weshalb ich mir keine Sorgen machte, was Lemuel von mir denken mochte.

In Halifax zerrte ich meinen Koffer an Land, zum Tragen war er zu schwer. Ich hatte meine wenigen in Leder gebundenen Schätze so dicht wie möglich gepackt – Die gesammelten Gedichte von Robert Burns und Romane aus der Feder lieb gewordener Freunde, die ich natürlich nie persönlich kennengelernt hatte: Charles Dickens, Louisa May Alcott, Robert Louis Stevenson. Daneben die Tagebücher, die mir mein Vater über die Jahre geschenkt hatte, und ein paar Kleidungsstücke. So vieles hatte ich zurücklassen müssen.

Ich fragte mich, ob ein neues Mädchen dort leben und in dem weichen Steppbett in meinem vertrauten alten Zimmer schlafen würde. Ob sie wohl meine Kiefernzapfen und Steine, meine Federsammlung von Haubentauchern, Nachtschwalben und Eichelhähern entdecken würde? Ob sie das alles zu schätzen wüsste? Oder würde ihre Mutter es gleich in den Abfall werfen?

Gemeinsam schleppten wir meinen Koffer vom Fähranleger zum Schifffahrtsbüro – Lemuel fasste an einem, ich am anderen Ende an. Er lief so schnell, dass ich kaum mit ihm Schritt halten konnte.

Während mein Bruder hineinging, um die Formalitäten zu erledigen, wartete ich draußen. Ich hielt mein Gesicht mit geschlossenen Augen zur Sonne gewandt, in der Hoffnung, dass ihre warmen Strahlen meine Erstarrung lösen und die letzten Tränen im Keim ersticken würden.

Nach einer halben Stunde stürmte ein äußerst übellauniger Lemuel heraus, packte meinen Koffer am Henkel, hievte ihn sich auf die Schulter und rief mir im Laufen nach: »Komm, Adelaide. Zur vollen Stunde läuft ein Schiff aus. Wenn wir uns beeilen, kriegst du es noch.«

Ein Schiff? Jetzt schon? Ich hatte meine Schwägerin oder meinen Neffen noch gar nicht zu Gesicht bekommen. Eigentlich hätte ich mindestens über Nacht bei ihnen bleiben sollen. Ich hechtete Lemuel hinterher. Schnelles Laufen war ich gewohnt, er aber flog förmlich.

Wir erreichten den Landungssteg, kurz bevor er hochgezogen wurde. Lemuel trug meinen Koffer an Deck, zeigte dem Beamten meine Fahrkarte, ließ meinen Koffer fallen und drehte sich zu mir um, ohne mir in die Augen zu sehen. »Das klappt schon. Von Boston aus nimmst du einen Zug nach Hartford. Dort wird jemand von der Schule auf dich warten. Dein Zugticket brauchst du am Bahnhof nur abzuholen. Ich schicke ein Telegramm und lasse es auf meinen Namen ausstellen.«

Mir schwirrte der Kopf. Es ging alles so schnell. »Wie komme ich denn vom Schiff zum Bahnhof?«

»Nimm einfach eine Droschke, meine Güte!«

Als sei ich schon mein ganzes Leben lang gereist – als hätte ich eine blasse Ahnung, wovon er sprach. Er muss meine Panik gespürt haben, denn er griff in seine Brusttasche und zog einen Umschlag heraus. »Damit solltest du auskommen, bis ich ein Taschengeldkonto für dich eingerichtet habe.« Noch immer mied er meinen Blick. Der Schiffsbedienstete räusperte sich laut.

»Jetzt geh schon. Du hältst ja alle Welt auf.«

»Lemuel!« Bei all seiner Unfreundlichkeit war er auf der Welt alles, was mir von meiner Familie geblieben war.

»Adelaide.« Endlich sah er mich an. »Das wird schon. Ich … ich schreibe dir.« Er brachte den Satz kaum heraus. Ich fragte mich, ob er tatsächlich Wort halten oder mich sofort vergessen würde, sobald er mich los war. Und dann war er weg.

»Hier lang, Miss.« Ein übertrieben fröhlicher Schiffsjunge schleppte meinen Koffer. Ein Seil wurde über die Gangway gehängt. Ich weiß nicht, was draußen passierte, ob Lemuel wartete, um mir zum Abschied zu winken, um zu sehen, wie das Schiff den Hafen verließ – und ich Nova Scotia, vielleicht für immer. Ich folgte dem Schiffsjungen hinunter in einen finsteren Gang und musste blinzeln, um meine Augen an die plötzliche Dunkelheit zu gewöhnen.

Der Schiffsjunge öffnete die Tür zur Kabine, verstaute meinen Koffer am Fußende einer der schmalen Kojen und wartete einen Moment mit aufgehaltener Hand. Ich verstand nicht, warum. Nachdem ich ihn einige Augenblicke angestarrt hatte, zog er ein Gesicht, als hätte ich auch ihn irgendwie enttäuscht. Dann schloss er die Tür und ließ mich allein.

Lemuel hatte mir ein Ticket in der zweiten Klasse gebucht. Die Kajüte hatte zwei Kojen, eine davon war anscheinend schon belegt.

Ich setzte mich auf die Bettkante und meine Kehle war trocken, ich sehnte mich nach einem Schluck Wasser oder Tee. Vielleicht steckten mir auch einfach meine zurückgehaltenen Tränen wie ein Kloß im Hals.

Wie gerne hätte ich die vertrauten Arme um mich gespürt, die jetzt auf der Insel, auf dem kleinen Friedhof vor der hölzernen Kirche ruhten. Irgendwann legte ich mich hin, zog die Knie an und wickelte meinen Mantel fest um mich.

Als ich die Augen aufschlug, sah eine ältere Frau mit streng hochgestecktem Dutt, aus dem einige graue Strähnen heraushingen, stirnrunzelnd auf mich herab.

Ich schreckte hoch und wusste nicht genau, ob ich träumte.

»Oh!«, keuchte sie. »Ich wollte dich nicht erschrecken, Liebes. Ich bin Mrs Simmons, Mildred Simmons. Offenbar teilen wir uns diese Kajüte. Und wer bist du?«

Ich rappelte mich hoch und befeuchtete meine Lippen. »Adelaide. Adelaide MacNeill.«

»Was für ein hübscher Name für ein reizendes Mädchen!« Sie sah so aus, als würde sie es wirklich so meinen. »Gerade war der letzte Aufruf zum Abendessen für die zweite Klasse. Ich mache mich gleich auf den Weg in den Speisesaal. Möchtest du mitkommen? Ich war mir nicht sicher, ob du nicht lieber schlafen willst, aber bis zum Frühstück gibt es dann nichts mehr.«

Ich hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen. Und auch da hatte ich nur mühsam eine Tasse Tee und eine halbe Scheibe trockenen Toast hinuntergebracht. Mein knurrender Magen sagte mir, dass ich vielleicht doch etwas essen könnte. »Ja, danke.« Verschlafen hob ich die Füße aus der Koje und schob mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Bestimmt sah ich schlimm aus, ganz zerknittert und zerzaust. »Muss ich mich zum Essen umziehen? Ist das ein großes Schiff? Mutter hatte mir einmal gesagt, dass sich die Leute auf großen Schiffen zum Abendessen umziehen.«

Mrs Simmons lächelte. »Umziehen müssen wir uns nicht, aber eine Bürste könnte nicht schaden.«

Ich blinzelte die Tränen weg, mit denen ich seit dem Tag des Sturms andauernd kämpfte, und kramte in meinem Koffer. Dann zog ich die Haarbänder aus meinen Zöpfen und versuchte, mein Haar zu entwirren.

»Darf ich?«, bot Mrs Simmons mir an und hielt die Hand nach meiner Bürste auf. Ich schniefte, reichte sie ihr und drehte ihr den Rücken zu, damit sie besser bürsten konnte. Es war bestimmt gar nicht so leicht, denn ich war fast so groß wie sie.

»Deine Eltern müssen dich für eine sehr verantwortungsvolle junge Dame halten, wenn sie dich allein auf die Reise schicken.« Sie bürstete ganz vorsichtig.

Mich schauderte und ich versuchte, mich zusammenzunehmen. Wenn sie doch nur nicht so etwas sagen würde!

»Aber Kind, du zitterst ja. Geht es dir gut?«

»Ja. Schon.«

Als sie fertig war, flocht sie mir hinten in der Mitte einen Zopf. »So. Jetzt ist es schon besser. Wollen wir?« Sie ging voraus. Noch nie war ich so dankbar gewesen, dass jemand die Dinge in die Hand nahm. Mrs Simmons führte mich durch ein Labyrinth von Gängen, hinauf auf eines der Decks und durch weitere Türen in einen Speisesaal. Ich hatte noch nie einen so großen Raum mit so vielen gedeckten Tischen gesehen. »Hier ist der Tisch für unsere Kajüte. Schau, da sind noch zwei Plätze nebeneinander frei. Wie schön.«

Ich achtete auf Anzeichen von Sarkasmus oder Verachtung in ihrer Stimme, wie ich sie bei Lemuel herausgehört hatte, aber ich hörte nichts dergleichen. Zum Glück stellte sie mir während der Mahlzeit nur belanglose Fragen wie Spürst du, wie das Schiff schaukelt? Schmeckt dir die Suppe? War die Pastete nicht lecker? Die anderen Leute an unserem Tisch interessierten sich nicht für uns, was mir ganz recht war.

Nach dem Abendessen schlenderten wir in der wohltuenden Kühle der Nacht über das Deck und ließen uns die Seeluft um die Ohren blasen. Ein willkommenes Geschenk. Mrs Simmons drängte mich nicht, auch wenn ihr sicher kalt war.

Wir machten uns zum Schlafengehen fertig, darauf bedacht, einander genügend Privatsphäre zu lassen. Als wir das Licht gelöscht hatten, flüsterte sie nach einer Weile aus ihrer Koje auf der anderen Seite: »Würdest du gerne reden, Liebes?«

Ihre mitfühlende Stimme öffnete bei mir alle Schleusen. Unter ersticktem Schluchzen erzählte ich ihr von dem heftigen Sturm, von meinen Eltern, die in den aufgewühlten Wellen über Bord gespült worden waren, von der Bergung ihrer Leichen, von Mutters einsamem rotem Schuh, von ihrem Begräbnis, vom Kommen Lemuels und dem Verkauf unseres Hauses. Ich erzählte ihr von unserem übereilten Aufbruch nach Halifax, der mir nicht einmal die Zeit gelassen hatte, mich von meinen Freunden zu verabschieden oder noch einmal zum Grab meiner Eltern oder einem meiner Lieblingsorte zu gehen: zum Wäldchen in der Schlucht oder zur Klippe, die wachend über...

Erscheint lt. Verlag 3.6.2024
Übersetzer Heide Müller
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7751-7646-2 / 3775176462
ISBN-13 978-3-7751-7646-0 / 9783775176460
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