Blutige Spätlese (eBook)
492 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-2091-4 (ISBN)
Matthias Melich studierte Englische Philologie und Mathematik an den Universitäten Rochester, New York und Köln, wo er zum computergestützten Fremdspachenlernen promovierte. Nach über 25 Jahren erfolgreicher Tätigkeit in unterschiedlichen Funktionen bei SAP liegt sein Hauptaugenmerk heute auf kreativen und karitativen Aktivitäten.
Matthias Melich studierte Englische Philologie und Mathematik an den Universitäten Rochester, New York und Köln, wo er zum computergestützten Fremdspachenlernen promovierte. Nach über 25 Jahren erfolgreicher Tätigkeit in unterschiedlichen Funktionen bei SAP liegt sein Hauptaugenmerk heute auf kreativen und karitativen Aktivitäten.
2
Spectre
Heute Morgen sah das Wetter ungemütlich aus. Kein Sonnenschein, nur Nieselregen und kühle Temperaturen. Hatte das Wetter auf Herbst umgeschaltet? Es sah ganz danach aus. Heute würde also der Tag sein, an dem Tobias vom Fahrrad auf das Auto umstieg. Bis zum Frühling keine frische Luft mehr auf dem Weg zur Arbeit, keine Fasane oder Rehe, die er morgens in den Feldern aufschrecken konnte, keine freie Fahrt zur Arbeit ohne Stau. Schade!
„Kinder! Heute Morgen fahren wir mit meinem Wagen. Ich setze euch an der Haltestelle ab und fahre dann direkt weiter zu SO Soft!“
„Oh, wir nehmen also den kleinen Wagen. Warum?“
„Mir ist es zu kalt und zu nass fürs Fahrrad.“
„Okay! Wir kommen gleich.“
Hoffentlich sprang sein Wagen an. Da das Wetter in diesem Jahr lange mild gewesen war, hatte Tobias sein Auto wochenlang nicht benutzt.
„Alle da?“
„Ja, auf geht’s, Papa!“
„Dann drückt mal die Daumen, dass der Motor anspringt.“
„Machen wir!“
Bitte, liebes Auto, lass mich nicht im Stich! Ich weiß, ich habe dich vernachlässigt, aber tue mir den Gefallen und spring an.
„Das Auto klingt aber ziemlich müde!“
„Tja, der Wagen wurde halt lange nicht benutzt:“
Ah, geklappt. Gott sei Dank! Ein bisschen mühsam, aber die alte Batterie hatte es geschafft. Der Motor lief.
„Leute! Der Tag ist gerettet. Der Wagen läuft!“
„Gut, Papa! Zu Fuß würden wir es nicht mehr bis zur Haltestelle schaffen.“
„Und ich würde nicht zur Arbeit kommen, wenn das Auto streikt!“
Stimmt! Sie waren spät dran. Nur noch drei Minuten bis zur Abfahrt des Busses an der Kirche. Tobias musste sich sputen.
„Sieht so aus, als ob der Bus noch kommt. Wir haben es rechtzeitig geschafft. Schönen Tag!“
„Der Bus kommt fast immer zu spät, Papa! Bis heute Abend.“
Rumms! Offensichtlich strotzten die Kinder heute Morgen vor Energie. Die Beifahrer- und die Hintertür waren zu. Fest zu sogar! Gut, dass sie einen stabilen Wagen hatten.
Jetzt aber los in Richtung Arbeit. Sieben Uhr dreißig. Die Straßen müssten noch leer sein. Der große Stau zu SO Soft bildete sich nämlich erst kurz vor acht. Tobias konnte also in aller Ruhe durch Malsch fahren, ohne fürchten zu müssen, im Industriegebiet in Rot im Verkehr stecken zu bleiben.
Die Ampel an der B3 zeigte grün. Sehr gut! Tobias konnte die viel befahrene Bundesstraße ohne anzuhalten überqueren. Über die Eisenbahnbrücke, dann links ab ins Industriegebiet und am großen Reifenhandel sofort wieder rechts. Befand er sich jetzt auf der Lanzstraße? Hmmh. Kein Straßenschild zu sehen. Aber ja! Wenn sich Tobias richtig erinnerte, dann war dies die Lanzstraße. Da vorn befand sich nämlich der Caracho Autozubehörhandel, bei dem Tobias vor vielen Jahren einen Fahrradhalter für sein Auto gekauft hatte. Und Caracho lag an der Lanzstraße.
Das war doch auch die Adresse von InterService. Lanzstraße 12. Das hatte auf der Visitenkarte gestanden. Aber wo war die Zwölf? Wenn Tobias langsam fuhr, dann würde er die Hausnummern lesen können. Gut, dass er früh dran war. Der Blick in den Rückspiegel zeigte, dass ihm kein ungeduldiger Kollege auf der Stoßstange hing.
Befanden sich die geraden Hausnummern auf der rechten oder der linken Straßenseite? Moment! Das Gebäude vor ihm auf der Beifahrerseite trug die zehn. Die geraden Hausnummern waren also auf der rechten Seite. Da vorn. Die heruntergekommene Halle. Das musste es sein. Das Gebäude, das die zwölf trug. Die Geschäftsadresse von InterService. Wirkte auf den ersten Blick nicht repräsentativ. Unglaublich. Seit Jahren nahm er den gleichen Weg zur Arbeit und kam jeden Tag an InterService vorbei, ohne es zu ahnen. Wie klein die Welt doch war. Der Parkplatz vor der Halle war leer. InterService öffnete vermutlich später.
Ja, doch! Wer hupte da so blöd? Ah! Hinter ihm. Sicher ein Kollege, der es eilig hatte. Ich fahr' ja schon. Nur die Ruhe! Es ist noch früh am Morgen!
Schluss für heute. Tobias hatte lange genug in Telefonkonferenzen gehangen und E-Mails bearbeitet. Jetzt war es Zeit, nach Hause zu gehen. Morgen war schließlich auch noch ein Tag.
Gleich würde er nach links in die Lanzstraße abbiegen. Oh! Da stand ja ein Auto auf dem Parkplatz der Nr. 12. Hatte InterService geöffnet? War Luganowitsch im Büro? Sollte Tobias auf den Parkplatz fahren und nachschauen? Die Gelegenheit war günstig. Zu Hause wartete niemand auf ihn, und das Büro von InterService schien besetzt. Aber war das in Ordnung? Tobias hatte versprochen, seine Vermutung bezüglich der toten Frau nicht weiterzuverfolgen. Wenn er jetzt auf den Parkplatz fuhr, dann tat er genau das. Dann ermittelte er auf eigene Faust. Und eine Ausrede hatte er auch nicht. Bei dem Stopp in der Wohnwagensiedlung konnte er geltend machen, dass er eine Verschnaufpause von der anstrengenden Radelei brauchte. Dies war jetzt nicht der Fall, denn er saß bequem im Wagen. Wenn Tobias auf den Parkplatz bog, dann brach er sein Versprechen.
Er musste sich entscheiden. Abbiegen oder weiterfahren? Was soll's! Abbiegen! Wer konnte sagen, wann er wieder hier vorbeikam und das Büro besetzt war? Luganowitsch war sicher viel unterwegs, musste Verträge mit Winzern unterschreiben, seine Arbeiter kontrollieren, neue Leute in Bulgarien anheuern, die Fahrt nach Deutschland organisieren, die notwendigen Papiere besorgen. Dass er jetzt an seinem Schreibtisch saß, war ein Glücksfall, den man nicht verstreichen lassen durfte.
Und wenn es gefährlich würde? Was würde Tobias dann tun? Keine Ahnung. Er würde vorsichtig sein. Die Situation ausloten. Seinen Gesprächspartner genau beobachten. Nur dann das Thema auf die tote Frau lenken, wenn Tobias ein gutes Gefühl hatte. Und für den Fall der Fälle den Wagen so hinstellen, dass er schnell verschwinden konnte. Also erst das Auto wenden und dann rückwärts einparken. Sicher ist sicher!
Mein lieber Mann. Das Auto neben ihm war ein Mercedes-AMG Sport Coupé. Mit weißen Ledersitzen. Und vermutlich allen Schmakazien, die auf der Preisliste standen. Ein schwerer Schlitten. Herrn Luganowitschs Geschäfte schienen blendend zu laufen. Vermutlich war die Vermittlung von Saisonarbeitskräften ein einträgliches Geschäft. Das Kennzeichen passte auch. HD-LU 996. HD für Heidelberg, LU für Luganowitsch. Oder für Lubomir. Nur die Zahl war komisch. 996. Was hatte das wohl zu bedeuten? Vielleicht ein Geburtsdatum. Wie dem auch sei, es bestand kein Zweifel. Die Luxuskarosse gehörte Lubomir Luganowitsch. Der Mann war also im Büro.
Und nun? Nachdem klar war, dass der Chefvermittler von Saisonarbeitskräften in seinem Büro saß, was würde Tobias machen? Was war der nächste Schritt? Bevor er die Höhle des Löwen betrat, sollte er sich umschauen. Die Umgebung sondieren. Ein Gefühl für die Situation bekommen.
Das Auto stand im krassen Gegensatz zur Halle. Während der Wagen in Topzustand war, machte das Gebäude eher einen schäbigen Eindruck. Überall blätterte der Putz, und die verbliebene Farbe war verblichen. An den Wänden verliefen viele senkrechte Dreckspuren. Vermutlich waren die Regenrinnen undicht, sodass das Wasser an den Mauern hinunterlief. An der linken Gebäudevorderseite klammerte sich ein altersschwacher Kamin verzweifelt an die Wand. Ein kräftiger Herbststurm würde vermutlich genügen, um die Rohre aus der Verankerung zu reißen. Auf der rechten Gebäudeseite prangte eine verwaschene Aufschrift, die Lampen, Geschenke und Bergbau anpries. Bergbauartikel? Für wen waren die gedacht? Vermutlich für niemanden, sodass der Niedergang des Vorbesitzers unvermeidlich gewesen war. Wer kaufte Bergbauartikel im Gewerbegebiet St. Leon-Rot?
Luganowitsch hatte die Halle übernommen und keinen Cent in die Renovierung gesteckt. Brauchte er kein einladendes Business-Ambiente für seine Firma? Vermutlich nicht. Ein dicker Schlitten, mit dem er bei seinen Kunden und seiner Arbeiterschaft vorfuhr, schien wichtiger für sein Geschäft zu sein als ein schickes Büro.
Wo war eigentlich der Eingang zu Lulus Reich? Auf der Gebäudevorderseite gab es keinen Eingang. Vielleicht an der Seite. Sollte Tobias aussteigen und den Eingang suchen oder den Wagen wieder starten und nach Hause fahren? Klüger war vermutlich letzteres. Aber wollte er das? Nein! Eigentlich wollte er aussteigen, hineingehen und Luganowitsch kennenlernen. Heimfahren konnte er auch noch in zwanzig Minuten. Nach seinem Besuch bei InterService!
Er hätte seinen Schirm aus dem Kofferraum holen sollen. Der sanfte Nieselregen war stärker geworden, seit er bei SO Soft losgefahren war. Da vorn an der Gebäudeseite war eine Tür. War dies der Eingang zu InterService? Vermutlich, denn eine andere Tür war weit und breit nicht zu sehen. Noch ein paar Schritte, und er hatte den Eingang erreicht. Mist! Kein Dach zum Unterstellen. Wo waren die Klingel und das Türschild? Ah, da! Der Schriftzug war kaum erkennbar. InterService. Den Eingang hatte Tobias also gefunden.
Letzte Möglichkeit, seinen Besuch bei InterService abzubrechen und nach Hause zu fahren. Noch einmal tief durchatmen. War es klug hineinzugehen? Nein! Würde er damit das Versprechen brechen, das er seiner Frau und seinem Tennisfreund gegeben hatte? Ja, das würde er! War es unter Umständen sogar gefährlich, mit Luganowitsch zu sprechen? Ja, das war es. Würde er es...
Erscheint lt. Verlag | 29.5.2024 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Benefiz-Thriller • Ein Kiwi gegen Krebs • Kinderhirntumor • Kraichgau • Malsch • SAP • TSG 1899 Hoffenheim |
ISBN-10 | 3-7598-2091-3 / 3759820913 |
ISBN-13 | 978-3-7598-2091-4 / 9783759820914 |
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Größe: 675 KB
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