Symbolum und Archetypus -  Marion Tschmelak

Symbolum und Archetypus (eBook)

Seelenmärchen für Erwachsene
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
314 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-4601-6 (ISBN)
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Märchen erscheinen uns oftmals suspekt, dunkel und wild. Sie können aber auch leuchtend, erhebend und befreiend sein. Was unterscheidet mithilfe des Unterbewusstseins kreierte Märchen von informativen, narrativen Texten? Es ist intensives Empfinden! Gehen Sie mit auf die Reise, in die Welt sensibler Kinderseelen. Erlauben Sie sich, in Resonanz zu diesen magischen Geschichten zu gehen und die verborgenen Wahrheiten in ihnen zu erkennen. Die Autorin lädt ein, in diesen Seelenmärchen für Erwachsene umher zu gehen, auf der Suche nach Heilung.

Marion Tschmelak, geboren 1960, ist freiberuflich als Taijiquan und Qigong-Lehrerin tätig. Die Autorin hat großes Interesse an allen Themen, die mit Bewusstseinserweiterung und systemischem Denken zu tun haben. Schwerpunkt in ihren Büchern ist die Verbindung und das Wechselspiel der polaren Kräfte des Femininen und Maskulinen. Aber auch auf soziale Missstände aufmerksam zu machen, ist ihr ein wichtiges Anliegen.

Die Geheimnisvolle Alte


Einst lebte in einem kleinen Dorf eine arme Bauernfamilie. Der Vater und die Mutter waren so arm, dass sie heute nicht wussten, wie sie morgen sich und ihre Kinder ernähren konnten. So arm sie waren, so reich waren sie an der Anzahl ihrer Kinder. Ihre Kinder waren ihre Hoffnung und trugen sie in die Zukunft, aber erst einmal mussten sie diese satt bekommen, und das Tag um Tag und Jahr um Jahr. Die Armut, der Vater und Mutter tagtäglich ausgesetzt waren, hatte sie mürbe gemacht, sodass ihre Kraft nicht mehr ausreichte, all ihre Kinder mit Liebe zu umfangen. Die ersten zwei Kinder hatten noch ihre ganze Aufmerksamkeit, die danach Folgenden mussten sich in ihrem Verhalten aber bemerkbar machen, um nicht von ihren Eltern übersehen zu werden. Ana, das letzte Kind – ein kluges, aber leises Mädchen von 9 Jahren – existierte für sie schon nicht mehr, und es musste selbst immer wieder gut aufpassen, nicht verloren zu gehen.

Nun begab es sich, dass weit außerhalb des Dorfes eine sehr alte Frau lebte. Niemand wusste genau, wie alt sie wirklich war. In den Erzählungen vergangener Generationen kam sie schon vor und auch in den Erzählungen der jüngsten Generation hatte sie ihren Platz gefunden. Niemand machte sich ernsthaft die Mühe, über diese Tatsache nachzudenken. So war es gewesen, so war es noch immer und so würde es weiterhin sein. Es gab niemanden im Dorf, der nicht schon einmal von ihr gehört hatte, und kein Durchreisender verließ das Dorf, ohne von ihr erfahren zu haben. Für die Dorfbewohner war sie eine magische Frau, für manche von ihnen sogar eine Hexe. Einige behaupteten, sie schon gesehen zu haben. Aber sie verstrickten sich in ihren Erzählungen immer wieder in Widersprüche, sodass keiner der Zuhörenden wusste, was der Wahrheit entsprach und was nicht. Was jedoch als sicher galt, war die Tatsache, dass die sehr alte Frau von einer unendlichen Sammlung unterschiedlichster Kleider umgeben war. Man erzählte sich, dass sie im Besitz von Kleidern aller erdenklichen Zeitalter war. Angeblich besaß sie Kleider aus den unterschiedlichsten Stoffen und Farben, und sie machte keinen Unterschied zwischen schäbigen, zerschlissenen und ansehnlichen, edlen Kleidern. Alle Kleider, die zu ihr fanden oder bei ihr neu entstanden, nahm sie in ihre Sammlung auf. So hörte man es zumindest.

Eines Tages machte sich die ganze Familie auf, um in den Wald zu gehen. Die Beeren hingen ausgereift an ihren Sträuchern. Eine Zeit im Jahr, die die Familie nicht ungenutzt lassen wollte, um die hungrigen Mäuler im Winter mit Marmelade und eingemachten Beeren füttern zu können. Während sie Beere für Beere in ihre Körbe legten, kamen sie immer tiefer in den Wald hinein. Mutter und Vater und auch die Ältesten der Geschwister waren bemüht, die Körbe zu füllen, doch den Kleineren von ihnen wurde schnell langweilig. Sie sprangen spielend herum und machten sich über die Körbe her. Da half auch das Ermahnen der Älteren nur wenig. So schnell konnten die Körbe gar nicht gefüllt werden, wie sie von den kleinen Mäulern wieder geleert wurden.

Am späten Nachmittag war es der Familie schließlich doch noch gelungen, all ihre mitgebrachten Körbe zu füllen. Die ersten der Kinder waren schon zurückgeblieben, um dann umzukehren. Nun machten sich weitere auf den Heimweg. Nachdem sich Vater und Mutter und zwei ihrer Kinder noch etwas ausgeruht hatten, traten auch sie den Heimweg an.

Nur Ana, das Jüngste, hatte die Umkehr der Familienmitglieder nicht bemerkt und war gedankenverloren weiter getrottet. Ganz in ihre Traumwelt versunken, war sie einfach immer weitergelaufen und so kam, was eines Tages kommen musste: sie ging verloren. Als sie endlich aus ihrer Traumwelt erwachte, bemerkte sie, dass sie vollkommen allein im tiefen Wald stand. Darüber war sie so erschrocken, dass es ihr gar nicht einfiel zu weinen. Keine einzige Träne rann über ihre Wangen. Sie stand einfach nur starr vor Schreck auf ihrem Platz. Ana wusste sich nicht zu helfen, und lange blieb sie so stehen, im festen Glauben, dass gleich eines ihrer Geschwister vor ihr auftauchen, sie an die Hand nehmen und sie schimpfend hinter sich herziehen würde. Doch nichts geschah. Sie wartete. Aber es geschah noch immer nichts. Sie konnte nicht ewig hier stehen und warten. Endlich entschied sie sich, einfach weiterzulaufen, in der Hoffnung, doch noch nach Hause zu finden. Sie lief und lief, bis ihre Erschöpfung sie anflehte, endlich innezuhalten. Aber ihre Angst bat sie inständig, weiterzulaufen. Ana wusste nicht, welcher der beiden Stimmen sie gehorchen sollte.

Leuchtete da nicht durch die drohende Dämmerung ein Licht vor ihr auf? Mit einem Funken Hoffnung ging Ana darauf zu, bis sie auf einer Lichtung inmitten des dunklen Waldes stand. Vor ihr türmte sich eine große, alte Scheune auf. Anas kleine Füße stolperten zur Eingangstür, die nur angelehnt war. Leise schob sie die Tür weiter auf, um ihren Kopf hindurchstrecken zu können.

„Hallo? Ist da jemand?“ fragte sie schüchtern und spähte vorsichtig in den Raum.

Zuerst konnte sie nichts erkennen. Nur ein kleines Feuer brannte in einem weiter entfernten Kamin. Doch dann gewöhnte sie sich etwas an die Dunkelheit. Obwohl sie nur schattige Umrisse wahrnahm, sagte ihr eine innere Stimme, dass es nicht gefährlich war einzutreten. Auf diese Stimme hörte sie. Was hätte sie auch anderes tun können? Ihr Blick haftete an einem großen Sessel in der Nähe des Feuers und nichts in ihrem Inneren wehrte sich dagegen, als ihre Beine wie von selbst darauf zugingen. Ohne sich weiter umzusehen, kuschelte sich Ana völlig erschöpft in den Sessel und schlief sofort ein.

Als sie erwachte, fühlte sie sich wohlig geborgen, denn eine dicke Wolldecke umhüllte und wärmte sie. Sie richtete sich auf, rieb sich die Augen und schaute sich um. Es war früh am Morgen. Das Gezwitscher der Waldvögel hatte sie geweckt. Obwohl die Sonne schon aufgegangen war, drangen die Sonnenstrahlen kaum durch die zwei kleinen Fenster ins Haus, das nur aus einem einzigen sehr großen Raum bestand. Es blieb alles schemenhaft. Ana sah an der Wand vor ihr ein großes, mit zwei schweren Holztüren verschlossenes Tor, das nach oben hin abgerundet war. Daneben das einzige große Fenster. Es hätte den Raum erhellen können, doch es blieb von zwei schweren Fensterläden verdunkelt.

Was duftete denn da so gut? Ana entdeckte neben sich auf einem kleinen Tisch eine Holzschüssel, gefüllt mit warmem Haferbrei und Apfelmus und darübergestreutem Zimt. Verstohlen blickte sie einen Moment um sich.

Ob sie wohl einen Bissen davon kosten durfte?

Natürlich blieb es nicht bei dem einen. Erst als sie die Schüssel bis auf den letzten Rest geleert hatte, kam es ihr in den Sinn, dass sie hätte warten müssen, bis man es ihr erlaubt hätte. Schuldbewusst schärfte sie ihren Blick und schaute durch den Raum, ob nicht doch jemand in der Nähe war, und dann sah Ana sie zum ersten Mal.

Mitten im Raum stand ein großer majestätischer Sessel und eine alte Frau saß darauf und nähte. Sie fügte sich so selbstverständlich in den großen Raum ein, dass Ana sie vorher nicht bemerkt hatte. Ana lief ein Schauer über ihren kleinen Rücken. Auch sie hatte oft genug den Geschichten über die geheimnisvolle Alte gelauscht. Keinen Moment zweifelte ihre junge Seele daran, dass diese geheimnisvolle Alte jetzt vor ihr saß. Ana betrachtete sie scheu und neugierig zugleich. Die Frau vor ihr war alt, sehr alt. Ihr Gesicht war so voller Falten und Furchen, dass ihre fast geschlossenen Augen und ihr schmaler Mund kaum noch zu erkennen waren. Doch anders als in den Geschichten erzählt wurde, wirkte sie nicht beängstigend oder sogar bedrohlich. Ganz im Gegenteil. Ana spürte trotz ihrer wenigen Jahre, welch innere Festigkeit und tiefe Würde diese alte Frau ausstrahlte. Wie sie so, in einem dunkel karmesinroten Kleid, in ihrem Sessel saß und nähte. Ihre wenigen Körperbewegungen waren andächtig und jeder Stich, den sie vor sich hinmurmelnd ausführte, schien symbolisch geladen zu sein, so als legte sie eine Botschaft oder ein Gebet hinein.

Ana erinnerte sich verschwommen an ihre Großmutter, als diese noch lebte. Sie selbst war damals noch sehr klein gewesen, und so machtvoll und unantastbar hatte sie ihre Großmutter nicht in Erinnerung.

Ana beobachtete fasziniert die geheimnisvolle Alte. Sie begann sich langsam mit dem rhythmischen, tranceartigen Gemurmel, das sie vernahm, hin und her zu bewegen und hatte Mühe, ihre Augen offen zu halten. Doch das wollte sie. Sie hatte Fragen und wollte Antworten, und sie wollte nach Hause zu ihrer Familie. Heftig schüttelte sie ihren Kopf, um sich von der Wirkung zu befreien, und trat vorsichtig an die Alte heran. Sie sah, dass das Kleid der merkwürdigen Alten mit den unterschiedlichsten Symbolen bestickt war.

Ana war sich nicht sicher, ob die Alte sie überhaupt bemerkt hatte. Nun ja, daran war sie gewöhnt. Sie zupfte sie an ihrem langen Wollkleid, um sich bemerkbar zu machen. Die alte Frau beachtete das Mädchen...

Erscheint lt. Verlag 28.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Lyrik / Gedichte
ISBN-10 3-7597-4601-2 / 3759746012
ISBN-13 978-3-7597-4601-6 / 9783759746016
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