Ich bin der Scheiterhaufen -  Lukas Kellner

Ich bin der Scheiterhaufen (eBook)

Ein Thriller von Lukas Kellner
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
345 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-2005-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
7,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Es passiert in ganz Europa. Einflussreiche Männer und Frauen verschwinden - ohne Lösegeldforderung, ohne Bekennerschreiben, ohne ersichtliches Motiv. Die einzige Spur: abgelegte Sonnenblumen, eine an jedem Tatort. Als dann der langjährige Partner des Europol-Agent Rusty Dones tot aufgefunden wird, entwickelt sich eine erbitterte Jagd nach dem Mann, der sich Scheiterhaufen nennt. Eine Jagd durch die Welt der Macht, der reuelosen Gewalt und der versagenden Justiz.

Lukas Kellner ist ein junger Regisseur und Autor aus dem Allgäu. Seine Werbe- und Kurzfilme durften dank ihrer Einzigartigkeit und der besonders spannenden Erzählweise mehrere nationale und internationale Filmpreise gewinnen. Sein Debüt als Buchautor gab Kellner im November 2020 mit dem Thriller 'Augenreisser'.

Ich glaube, die ganze Welt verhüllt sich in einem Schein aus Unschuld, Glanz und Mitgefühl. Dabei kann doch in Wahrheit nichts davon ablenken, dass sie wenig Besseres verdient hat als mich. Sie hat mich produziert, mich erschaffen und in Form gepresst, den Weg bestimmt, den ich jetzt beschreite.

Ich bin ganz allein in der schäbigen Toilette. Die Kacheln sind weiß, das Licht gedimmt und dreckig grün wie an einer verwahrlosten Tankstelle; eine von der Sorte, die man am liebsten gar nicht erst betritt. Gelbe Spritzer zieren die Keramik, der Boden ist nass, es riecht schwefelig nach Urin und Exkrementen.

Ich wasche mir die Hände und blicke dabei kein einziges Mal in den mit Stickern beklebten Spiegel. Dann trete ich hinaus in den kleinen Gang, gehe nach rechts durch eine Tür und finde mich in einer Bar wieder. Die Deckenleuchten sind bereits erloschen, aber das einfallende Licht der Straße durch die beiden halbrunden Fenster reicht aus, um das meiste erkennen zu können. Links von mir ist der Zuschauerraum. Die Tische und Stühle gönnen sich keinen Schnickschnack, sind aus dunkelbraunem Holz gefertigt und nicht einmal mit Sitzkissen bedacht. Einzig die zerfledderten Cocktailkarten und alten Einmachgläser mit erstickten Teelichtern darin, dienen dem kahlen Mobiliar zur Zierde. Ganz hinten links befindet sich die kleine Bühne, auf der fast jeden Abend Männer und Frauen an einem Mikrophon stehen, Geschichten erzählen und das Gelächter der Zuschauer genießen. Aber auch das grelle Spotlicht, das sonst einen hellen, runden Kegel darauf wirft, ist mittlerweile erloschen.

Rechts steht ein langer Tresen. Ein Mann sitzt dahinter. Er ist klein, trägt eine viel zu große Brille und bunte Hosenträger. Neben der Kasse steht eine Schreibtischlampe, die einen gelben Lichtkegel auf das aufgeschlagene Buch vor ihm wirft.

»Nochmal vier Bier, bitte.«

»Ist aber die letzte Runde. Ich bin hiermit gleich durch. Es wird Zeit.« Er tippt auf das Buch, in dem er mit Bleistift die übriggebliebenen Bestände einträgt und Kalkulationen für die nächste Woche aufstellt.

»Verstehe.«

Mit einem Nicken reicht er mir die gekühlten Flaschen über die Theke. Ich klemme sie zwischen meine Finger und spüre die kondensierten Wasserperlen über meine Hand tropfen.

Vielleicht sollte ich mit dem Bier einfach kehrt machen und gehen. Weg von allem, was mich quält und sticht und piesackt, einfach nach Hause. Dort könnte ich mich dann allein betrinken, irgendwann in einen komatösen Schlaf verfallen und hoffen, dass ich vielleicht ganz woanders wieder aufwache oder vielleicht ohne Erinnerungen oder vielleicht auch einfach gar nicht mehr.

Rechts von der Bar führt ein schmaler Gang zu einer dunkelgrünen Feuerschutztür. Die Wände sind auch dort zu zwei Dritteln mit Holz verkleidet. Darüber werden die kahlen Mauern von einer hellbraunen Tapete mit gelbem Blümchenmuster verdeckt. Ich greife nach der schwarzen Klinke, atme ein letztes Mal tief ein und drücke zu.

Gelächter, schallt mir entgegen, so laut und brunftig, dass es eher Schreien gleicht: »Joooooooo, der Clown bringt Bieeeeeer!«

Ich bleibe stehen und starre den jungen Mann an, der mich anbrüllt. Er ist groß und hat breite Schultern, die er in eine schwarze Pilotenjacke zwängt. Seine Haare sind braun, die Wangenknochen ausgesprochen kantig und die Nase etwas zu groß geraten. Neben ihm stehen zwei weitere Kerle um einen der beiden Billardtische herum. Links hängen mehrere Dartscheiben am Holz, in denen spitze Pfeile stecken.

»Was stehst du da so dumm rum?«

Die Tür fällt ins Schloss und mir dabei in den Rücken. Ich spüre den kalten Stahl sogar durch den Stoff meines T-Shirts hindurch.

»Sorry, war in Gedanken.«

»In Gedanken, wieso in Gedanken, willst du ´ne Doktorarbeit schreiben?« Der Mann mit den braunen Haaren und der Pilotenjacke beginnt schallend zu lachen, die beiden Typen neben ihm steigen bereitwillig mit ein. Auch sie sind groß, auch sie werfen mir im dunstigen Licht feindselige Blicke zu. Der linke ist leicht übergewichtig und seine buschigen Augenbrauen werden nur durch einen sehr dünnen Spalt voneinander getrennt.

Dem auf der rechten Seite sind die Ohren zu groß geraten und zu allem Überfluss, haben sich darauf auch noch dicke Schwellungen gebildet. Blumenkohlohren nennt man die Krankheit, die viele notorische Ringer befällt und entsteht, wenn man zu viele Schläge auf die Schädelseite kassiert.

Ich trete an den Tisch heran und reiche ihnen das Bier. Mit lautem Zischen öffnen sie ihre Flaschen und halten sie tropfend direkt über den Stoff des Billardtisches. Dort, wo die Flüssigkeit den Filz berührt, verfärbt sich das Grün dunkel.

»Aber du zahlst ja. Deswegen, auf dich … Clown!«

»Auf den Clown!«, steigen die anderen beiden mit ein und auch ich lasse den dünnen Flaschenhals meines Bieres mit denen der anderen kollidieren. Es klirrt und klimpert, ich zwinge mich zu einem Lächeln und sehe zu, wie der Kerl in der Mitte das Bier hinunterkippt. Ich selbst nehme einen verhaltenen Schluck. Es schmeckt bitter und trocken. Ich mag kein Bier, mochte es nie, werde es nie mögen. Während ich zuschauen muss, wie die andern beiden – der eine mit der Monobraue, der andere mit den Blumenkohlohren – an ihren Flaschen herum nuckeln, kommt es mir fast hoch.

Nach einem beherzten Rülpser stellt der Mann mit Pilotenjacke sein Bier an den Tischrand und greift nach einem Queue. Er lehnt sich vor, formt die Augen zu Schlitzen und zielt auf die blaue Zehn.

»Wir müssen gleich gehen. Der Barkeeper hat gemeint, das ist die letzte Runde«, sage ich.

Seine Augen lassen von der Kugel ab und zucken in meine Richtung. Er runzelt die Stirn und beißt sich so fest auf die Zähne, dass seine Wangenknochen dunkle Schatten werfen. Als müsste er sich zur Ruhe besinnen, atmet er lang und demonstrativ aus.

Sein Blick bleibt an mir haften, während er sich aufrichtet, den Queue ablegt und langsam um den Tisch herum läuft. Eine Handbreit von mir entfernt bleibt er stehen. Ich kann seinen Atem riechen. Bitteres Bier vermischt sich mit dem Geruch von Hefe und fauligem Zigarettenrauch. Ich zwinge mich dazu, ihm in die Augen zu sehen. Sie sind pechschwarz und beben in ihren Höhlen.

»Was hast du gesagt?«, fragt er mich.

Das Leder seiner Pilotenjacke quietscht, weil er seine Schultern zurückbewegt und die Nähte dadurch bis zum Zerreißen gespannt sind. Ob ich es jetzt riskieren sollte? Nein, ich kann nicht, noch nicht. Plötzlich wirkt der Plan, sich nach Hause zu verpissen und dort allein zu betrinken, noch verlockender als vorhin schon.

»Ich glaube, es wird Zeit, dass du etwas über mich verstehst«, höre ich ihn sagen. Die anderen beiden beginnen zu grinsen und werfen sich verstohlene Blicke zu.

»Ich gehe, wohin ich möchte, mit wem ich möchte und wann ich es möchte.« Er wird immer leiser, haucht bald seine Worte nur noch und mit jedem Hauchen erreicht mich ein weiterer Schwall dieser widerlich stinkenden Luft.

»Das heißt … Es gibt für mich kein, ‚wir haben geschlossen‘, es gibt für mich auch kein, ‚ich will nicht‘ oder ‚das funktioniert leider nicht‘, es gibt für mich nur ein ‚Ja‘ oder ‚Ja, auf jeden Fall‘.« Seine Augen betasten einige Sekunden lang jeden Millimeter meines Gesichts, bis sie schließlich wieder bei den meinen hängen bleiben.

»Jetzt, wo du das über mich weißt – willst du da deine Wortwahl noch einmal etwas … Überdenken?«

Ich beginne zu schwitzen und mein ganzer Körper ist in Alarmbereitschaft.

»A … Also …«, beginne ich zu stottern, »… Ich hab nur das gesagt, was mir der Barkeeper …« Weiter komme ich nicht. Mein Gegenüber weicht ruckartig einen Schritt zurück, holt aus und klatscht mit der flachen Hand auf meine Schulter. Er brüllt vor Lachen und auch die zwei hinter mir steigen in das johlende Gelächter ein.

»War nur Spaß, du Clown!«, hechelt er, nachdem er sich einigermaßen beruhigt hat.

»Ich hab sowieso keinen Bock mehr auf den Scheiß.« Er zuckt mit dem Kopf in Richtung Billardtisch.

»Wird Zeit, dass wir zur Sache kommen.« Er legt seinen Arm um meine Schultern und geleitet mich auf die andere Seite des Tisches.

»Während du weg warst, haben meine Bros und ich nachgedacht und wir wollen uns bei dir bedanken, dafür dass du heute den Abend geschmissen hast.« Er blickt erwartungsvoll in Richtung der beiden anderen, die ihm eifrig zunicken.

»Wir haben eine kleine Tradition. Vor allem in Nächten wie diesen.«

»Jake, ich möchte nicht, dass …«

Die Stimme ist neu. Sie gehört nicht zu dem Mann namens Jake, der seinen Arm um mich geschlungen hat, nicht zu dem Kerl mit der Monobraue und auch nicht zu Blumenkohlohr. Sie ist schwach, zerbrechlich und erstirbt, bevor sie den Satz überhaupt zu Ende gebracht hat.

»Halt gefälligst dein Maul, wenn ich rede!«, keift Jake hinter sich, lässt mich los und geht zu der Frau hinüber, die den ganzen Abend schon stillschweigend auf einem Stuhl in der Ecke des Raumes verbracht hat. Obwohl sie nur ein paar Worte zustande bringt, weiß ich nun alles.

Weil ich es spüre.

Weil sie mich an sie erinnert.

Weil ich mich wieder so fühle wie damals, als sie mich angesehen und mir davon erzählt hat, mit Tränen in den Augen, zerbrochen wie ein Spiegel, der nie wieder ganz sein wird. Es war früher Morgen gewesen und das Schlafzimmer hatte nur ein Dachfenster. Mit einem Mal erlöste der Tag die Nacht, die ersten Strahlen fielen herein und benetzten die weiße Tapete mit einem Geflecht aus...

Erscheint lt. Verlag 26.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7598-2005-0 / 3759820050
ISBN-13 978-3-7598-2005-1 / 9783759820051
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)
Größe: 1,1 MB

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Anne Freytag

eBook Download (2023)
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
14,99
Roman. Aus den Memoiren der Herbjörg María Björnsson

von Hallgrímur Helgason

eBook Download (2011)
Tropen (Verlag)
9,99
Band 1: Lebe den Moment

von Elenay Christine van Lind

eBook Download (2023)
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
9,49