John Milton: Das Paradies verloren (eBook)
336 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-4489-0 (ISBN)
BUCH I
Wie erstmals sündigte der Mensch und aß
Von des verbotnen Baums fataler Frucht,
Die brachte Tod der Welt, all unser Leid,
Mit Bann aus Eden, bis ein größrer Mensch
Uns heilte und neu gewann den sel’gen Sitz, 5
Sing, Himmels Muse, die auf stiller Höh
Des Horeb oder Sinai den Hirten du
Zuerst beseeltest, das erwählte Volk
Zu lehren, wie am Anfang Himmel und Erd
Vom Chaos schieden. Oder falls der Berg 10
Zion dich mehr freut und Siloahs Bach,
Der nah beim Tempel Gottes floss, ruf ich
Von dort um Hilf’ dich für mein kühnes Lied,
Das in nicht mäß’gem Flug sich höher als
Der Helikon will heben; denn Dinge hat 15
Es vor, noch nie gewagt in Prosa und Vers.
Und sonders du, Geist, der vor allen Tempeln
Du vorziehst das gerade, reine Herz,
Belehr mich, denn du weißt; du warst seit je,
Und, mächt’ge Fittiche gebreitet, gleich 20
Der Taube saßt du brütend auf der Tiefe
Und zeugtest Frucht: was dunkel ist in mir,
Erleuchte, und heb und halte, was niedrig ist,
Dass ich der Höhe wert des großen Stoffs
Die ew’ge Vorsehung bezeugen mag 25
Und Gottes Wege zu den Menschen künd.
Sag – denn nichts birgt der Himmel deinem Blick
Und nicht der Hölle Tiefe – sag zuerst den Grund,
Der unsre Ureltern in jenem Glück,
So hoch in Himmels Gunst, sich wenden ließ 30
Von ihrem Schöpfer und verschmähn sein Wort
Um ein Verbot, sonst Herren doch der Welt?
Wer stiftete sie an zum falschen Abfall?
Der höll’sche Drache; er war’s, dessen List,
Von Neid und Rachgier aufgewühlt, betrog 35
Der Menschheit Mutter, da Vermessenheit
Vom Himmel ihn gestürzt mit allem Heer
Aufsäss’ger Engel, mit deren Hilfe er,
Sich glorreich hebend über seinen Rang,
Sich schmeichelte, dem Höchsten gleich zu sein, 40
Wenn er ihm trotzte; und voll Ehrgeiz rührt’
Er gegen Gottes Thron und Herrscherreich
Ruchlosen Krieg im Himmel und stolzen Kampf:
Ein eitler Schlag! Kopfüber stieß ihn der
Allmächt’ge flammend von des Äthers Höhen 45
In fürchterlichem Sturz und Brand hinab
In bodenloses Unheil, zu hausen dort
In Ketten von Demant und Feuers Zucht,
Ihn, der gefordert den Allmächtigen.
Neunmal die Zeit, die Tag und Nacht durchmisst 50
Den Sterblichen, lag er samt wilder Schar
Besiegt, sich windend in dem Feuerschlund,
Zuschanden - doch unsterblich; doch sein Fluch
Schont’ nur zu größrer Wut ihn: denn nun quält
Ihn beides, Wissen ums verlorene Glück 55
Und dauernd Schmerz; rings schweift sein Schreckensblick,
Der von gewalt’gem Leiden zeugt und Gram,
Vermischt mit trotzigem Stolz und stetem Hass:
Auf eins - so weit sehn Engel - schaut er da
Die jammervolle Stätte, wüst und wild; 60
Ein schreckliches Gefängnis, ringsum wie
Ein großer, flammender Ofen, doch kein Licht
Von diesen Flammen, sondern Finsternis,
Die sehn lässt, jedoch Blicke nur auf Leid,
Ein Land von Gram, elende Schatten, wo 65
Nie Ruh noch Frieden wohnt, nie Hoffnung kommt,
Die sonst zu allen kommt; nur endlos Qual
Drängt an und eine Feuerflut, genährt
Von Schwefel, immer brennend, nie verzehrt;
So war der Ort vom Ewigen Recht bestellt 70
Für jene Meutrer, hier lag ihr Verlies
In völligem Dunkel, war ihr Los erteilt
So fern von Gott und Himmels Licht, wie von
Der Mitte dreimal bis zum fernsten Pol.
Oh, wie ungleich dem Platz, von dem sie fielen! 75
Dort nimmt er die Genossen seines Falls,
Von Fluten und Feuerstürmen überschwemmt,
Bald wahr, und neben ihm sich wälzend Einen,
An Macht zunächst ihm und zunächst an Schuld,
Hernach bekannt in Palästina einst 80
Als Beelzebub. Zu ihm begann der Erzfeind,
Genannt im Himmel Satan, kühnen Worts
Das fürchterliche Schweigen brechend, so:
“Wenn du es bist - doch wie gestürzt! wie sehr
Verändert, der im seligen Reich des Lichts 85
Du in vollkommner Helle überschienst
Myriaden noch so hell! - bist du’s, den Bund,
Vereintes Sinnen, Planen, gleicher Wunsch
Und Wagnis bei dem ruhmesreichen Werk
Mir einst verband, jetzt elend zugesellt 90
In gleichem Fall: in welchen Schlund du blickst,
Aus welcher Höh gestürzt, so viel zeigt’ E r
Mit seinem Donner stärker sich: wer kannte
Schon dieser grausigen Waffen Kraft? Doch nicht
Um sie, noch was der mächt’ge Sieger sonst 95
Kann tun im Zorn, bereu ich oder beug,
Gebeugt an Glanz nur, meinen festen Sinn
Und stolzen Groll gekränkten Ehrgefühls,
Der mit den Mächtigsten mich zu kämpfen trieb
Und mir zum wilden Kampf zur Seite gab 100
Zahllose Macht bewehrter Geister, die
Sein Regiment verwarfen und für mich
Die höchste Macht bekriegten mit Gegenmacht,
In ungewisser Schlacht im Himmelsfeld,
Und rüttelten seinen Thron. Verlor’ne Schlacht? 105
Verloren nicht alles: der Wille unbesiegt,
Nach Rache Trachten, unsterblicher Hass
Und Mut, der nie sich beugt noch unterwirft,
Und was sonst heißt es, nicht besiegt zu sein?
De n Ruhm soll nie mir seine Wut noch Macht 110
Entwinden. Mich beugen und um Gnade flehn
Auf Knien und vergöttern seine Kraft,
Der vor dem Schrecken dieses Arms noch jüngst
In Furcht war um sein Reich, das wär doch feig,
Das wäre Schmach und Schande, niedriger 115
Als dieser Sturz. Nun kann uns kraft Geschicks
Nicht Götter Kraft und Himmels Stoff vergehn,
Nun durch Erfahrung dieses großen Falls
In Waffen schlechter nicht, an Vorsicht besser,
Da können hoffnungsvoller wir bestehn 120
Gewaltsam oder listig ewigen Krieg,
Nie je versöhnt, mit unserm großen Feind,
Der triumphiert jetzt und im Übermut
Allein die Himmelsherrschaft innehat.”
So sprach der Abgefallene, trotz Schmerz 125
Laut prahlend, doch in tief gedrückter Qual.
Und ihm gab Antwort so sein kühner Gesell.
“O Fürst, Anführer vieler Mächtiger,
Die kampfbereite Seraphim zum Krieg
Dir brachten und mit Schrecknissen ohne Furcht 130
Des Himmels König brachten in Gefahr,
Und prüften seine hohe Obermacht,
Ob Kraft sie trage, ob Zufall, ob Geschick:
Zu gut seh ich, beklag den bittren Fall,
Der uns mit traurigem Sturz und bösem Schlag 135
Den Himmel raubte und dies mächt’ge Heer
In grässlicher Verwüstung niederwarf –
Soweit denn Götter und Geister nur zugrund
Gehn können: denn doch unbesiegbar ist
Der Sinn und Mut, und Kraft kehrt bald zurück, 140
Ist all unser Ruhm auch hin und unser Glück
Verschlungen hier in Trübsal ohne End.
Doch was, wenn er, der Sieger (den ich jetzt
An Kraft allmächtig glaub, da kein Geringrer
Als solcher unsre Macht bezwingen konnt), 145
Uns Mut und Stärke ganz gelassen hat,
Zu leiden stark und tragen unsre Qualen,
Um so ihm grimmige Rache zu befriedigen,
Sei’s bessren Dienst als Knechte ihm zu tun
Kraft Kriegsrecht, was er so im Herzen hier 150
Der Hölle hat im Feuer zu versehn,
Sei’s Boten in der Düsternis zu sein;
Was kann es wert sein, fühlen wir die Kraft
Doch ungeschwächt und ewig unser Sein,
Wenn wir uns ewiger Strafe unterziehn?” 155
Worauf geschwind der Erzfeind Antwort gab.
“Gefallener Cherub, schwach zu sein, ist Schmach
Im Tun und Leiden: aber sei gewiss,
Das Gute tun wird unsre Sache nie,
Nur Böses stets tun unsre einz’ge Lust, 160
Das Gegenteil zu seinem hohen Willen,
Des, dem wir trotzen. Wenn sein Plan denn sucht,
Aus unserm Bösen Gutes zu erzielen,
So müssen wir verkehren diesen Zweck
Und noch aus Gut für Böses Wege erspähn; 165
Was oftmals wohl gelingt und ihn vielleicht
Verdrießen wird und, irr ich nicht, durchkreuzt
Die innersten Pläne vom bestimmten Ziel.
Doch sieh, der zornige Sieger hat zurück
Geholt die Diener seiner Rachejagd 170
Zum Himmelstor: der Schwefelhagel, im Sturm
Nach uns geschossen, hat verweht gelegt
Die glühende Flut, die von den Klippen her
Des Himmels uns...
Erscheint lt. Verlag | 16.4.2024 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Lyrik / Gedichte |
ISBN-10 | 3-7597-4489-3 / 3759744893 |
ISBN-13 | 978-3-7597-4489-0 / 9783759744890 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
![EPUB](/img/icon_epub_big.jpg)
Größe: 1,0 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich