One-Shot Harry -  Gary Phillips

One-Shot Harry (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
296 Seiten
Polar Verlag
978-3-945133-99-6 (ISBN)
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Mit ONE-SHOT HARRY begibt sich Garry Phillips auf eine Zeitreise ins Frühjahr 1963, in die letzten Tagen des Goldenen Zeitalters von LA und Hollywood. Doch Rassismus und der Kampf um Bürgerrechte prägen die Schattenseiten der Stadt. Koreakriegsveteran Harry Ingram verdient seinen Lebensunterhalt als Nachrichtenfotograf und Prozessbevollmächtigter. Seine Figur ist Harry Adams nachempfunden, einem damals bekannten schwarzen Fotografen, der den Spitznamen 'One-Shot Harry' trug. Da die rassistischen Spannungen am Vorabend der Freedom Rally und der Rede von Martin Luther King zunehmen, läuft er Gefahr, an jedem Tatort, den er fotografiert, zum Opfer zu werden. Als er über Polizeifunk von einem tödlichen Autounfall erfährt, erkennt er, dass das beschriebene Fahrzeug einem alten Armeekameraden gehört, einem White-Jazz-Trompeter, dessen Mercury in eine Leitplanke am Mulholland Drive gekracht ist. Das LAPD erklärt den Zusammenstoß zum Unfall. Als Ingram seine Fotos entwickelt, bemerkt er jedoch Anzeichen eines Verbrechens. Er fühlt sich gezwungen, Detektiv zu spielen, auch wenn er dabei sein eigenes Leben aufs Spiel setzt. Schon bald sieht er sich angeheuerten Killern ausgesetzt, die für eine Gruppe weißer Rassisten arbeiten. Für Leser von Walter Mosley, Chester Himes, Raymond Chandler und James M. Cain.

Gary Phillips war Gemeindeaktivist, Gewerkschaftsorganisator und hat Hundekäfige ausgeliefert. Er hat Romane, Comics und Kurzgeschichten veröffentlicht und mehrere Anthologien herausgegeben, darunter Orange County Noir und das preisgekrönte The Obama Inheritance: Fünfzehn Geschichten aus dem Bereich Verschwörungstheorie. Violent Spring, erstmals 1994 veröffentlicht, wurde 2020 zu einem der wichtigsten Kriminalromane von Los Angeles erklärt. Er war Senior Story Editor bei FX's Snowfall, einer Serie über Crack und die CIA im South Central der 1980er Jahre, wo er aufgewachsen ist.

Kapitel 1


»Fünfzehn.« Josh Nakano legte seinen Dominostein zu den anderen auf den Tisch.

Von der LP, die sich auf dem Plattenspieler drehte, war die Reibeisenstimme von Comedian Redd Foxx zu hören, der für seine nicht ganz jugendfreien Gags bekannt war. »Ja, Ladies and Gentlemen, da sind wir wieder bei der Frage: Welche Salami macht das Rennen?« Im Hintergrund der Liveaufnahme kicherte das Publikum. Das Album trug den Titel The New Race Track.

»Schreib ruhig weiter.« Peter »Strummer« Edwards knallte grinsend einen Stein auf den Tisch. »Zehn.« Er war ein stattlicher dunkelhäutiger Mann mit großen Händen, mehrere seiner Fingerknöchel waren deformiert wie die eines langjährigen Boxers.

James »Shoals« Pettigrew notierte die Punkte auf einem linierten gelben Notizblock, dann legte er seinen eigenen Stein. Der Besitzer eines Eisenwarengeschäfts machte keinen Punkt.

Mit einer Hand nahm Harry Ingram seine umgedreht liegenden Steine auf, drehte sie zu sich herum, studierte sie. Zwischen zwei Fingern seiner anderen Hand glomm eine billige Zigarre.

»Und wenn du noch so lang hinstarrst, die werden nicht besser«, scherzte Pettigrew.

»Schon klar, Captain Hook.« Ingram legte seinen ausgewählten Stein und hoffte, dass Nakano dieses Mal nicht wieder Punkte machte.

»Na, herzlichen Dank auch«, sagte Nakano, der nach Ingram dran war. Er war ein durchschnittlich gebauter Mann mit dichten, an den Schläfen ergrauenden Haaren. Er trug eine Brille und ein buntes Hawaiihemd über einer zwanglosen Stoffhose. Wenn er nicht in Anzug und Krawatte erscheinen musste, wie es sich für einen Bestatter gehörte, wählte er gern grelle Sporthemden.

»Stets zu Diensten, der Herr.«

Als die LP endete, stand Ingram vom Kartentisch auf und ging zu seinem Plattenspieler unter mehreren Bücherregalen hinüber. Zwischen den Büchern standen zwei Polizeifunkscanner und ein Transistorradio. Ingram schob die Platte wieder in ihre Hülle, auf der die Aufnahme einer lächelnden jungen Frau auf einem Spielzeugpferd zu sehen war, deren Jockey-Kleidung aus einem Bikinioberteil und einer Netzstrumpfhose bestand.

»Schalt das Radio an, ja, Harry?« Edwards streckte sich gähnend. »Ich darf mich von Redd nicht zu scharf machen lassen, bevor ich dann doch wieder allein ins Bett geh.«

Pettigrew drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. »Allein, sagst du?«

Alle glucksten.

Ingram schob das Foxx-Album in alphabetischer Reihenfolge zwischen andere Comedy-, Jazz- und Blues-Alben, die er in einer Ecke in gestapelten hölzernen Obstkisten aufbewahrte. Er schaltete das Radio ein, richtete die Antenne aus und drehte das Rad, um den Sender klarer reinzubekommen.

»… und die Jagd nach dem Bankräuber, den man den Morning Bandit nennt, geht weiter. Aber jetzt, meine lieben Zuhörer«, fuhr der DJ fort, »rufen wir von KGFJ alle vernünftig denkenden Angelenos auf, sich zu zeigen und sich anzuhören, was Martin Luther King zu sagen hat, wenn er in nicht ganz drei Wochen in die Stadt kommt. Wie viele von uns wissen, gilt seine Botschaft nicht nur dem Süden, sondern auch dem, was hier im angeblich so aufgeklärten Norden vor sich geht.«

»Du hast über den Reverend berichtet, als er schon mal in der Stadt war, nicht?«, sagte Nakano zu Ingram, als der sich wieder setzte. King war zwei Jahre zuvor das letzte Mal in Los Angeles gewesen, um in der Sports Arena zu sprechen. Das Stadion war zum Bersten voll gewesen und Tausende hatten draußen gestanden, um ihn über Lautsprecher zu hören.

»Ja, ich hatte auch diesmal wieder eine Anfrage über den Sentinel, Bilder zu machen, wenn er seine Rede hält. Aber inzwischen haben sie einen Reporter beauftragt, der seine Fotos selbst macht.« Ingram verdiente sich seinen Lebensunterhalt zum Teil als Fotograf für die Schwarze Presse.

»Und was ist mit dem Marsch im August?«, fragte Edwards. In den Fünfzigern hatte er die Interessen des Gangsters Jack Dragna im Schwarzen Teil von Los Angeles vertreten. Dieser Tage musste er sich um seine eigenen Interessen kümmern – einige legale und andere, für die er keine Steuererklärung abgab.

»Gehst du hin?«, fragte Ingram.

»Ich denk drüber nach.« Edwards sah von seinen Dominos hoch, als die anderen drei ihn anstarrten. »Was denn? Alle möglichen Leute gehen hin, inklusive Moses.« Er meinte Charlton Heston, der beim Marsch auf Washington im August die Hollywood-Fraktion anführen würde.

»Ihr wisst, dass das schon der zweite Versuch wird, oder?«, fragte Nakano.

»Hm?« Edwards zündete sich eine Zigarette an und öffnete eine weitere Dose Hamm’s, die er sich aus Ingrams Kühlschrank geholt hatte.

»Damals in den Vierzigern hat Asa Philip Randolph einen Protestmarsch angedroht, wenn Roosevelt nicht die Rassentrennung bei den Streitkräften aufhöbe und Schwarzen, die in der Kriegsindustrie arbeiteten, denselben Lohn zahlte. Die Rassentrennung hob Franklin Delano nicht auf, aber er unterzeichnete ein Gesetz zur fairen Bezahlung. Und Randolph blies den Protestmarsch ab, auch wenn manche sagen, er hätte von vornherein nur geblufft.«

»King blufft nicht«, sagte Pettigrew.

»Verdammt, wieso weißt du eigentlich immer mehr über Schwarze Geschichte als ich, Josh?«, fragte Edwards.

»Vielleicht ist er einfach ein besserer Bruder als du«, lachte Ingram.

»Das stimmt wahrscheinlich.« Edwards trank noch einen Schluck von seinem Bier.

Nakano sagte: »Die Japanese American Citizens League schickt auch eine Abordnung. Ein Cousin von mir ist dabei.«

»Überlegst du hinzugehen?«, fragte Ingram ihn.

»Yep. Ich bin auf jeden Fall bei der Versammlung in der Stadt dabei.« Nakano sah mit einem ironischen Lächeln von seinen Dominosteinen hoch. »Gleiche Rechte sind gleiche Rechte, oder?«

»Unbedingt«, pflichtete ihm Pettigrew bei.

Die Freunde spielten bis kurz nach zehn Uhr abends. Als sie gegangen waren, faltete Ingram den Kartentisch zusammen, auf dem sie gespielt hatten, legte die Dominos in ihren Karton zurück und machte die Küche sauber, in der sie sich Sandwiches gemacht hatten. Eine Tür trennte die Küche von einer kleinen Loggia nach hinten hinaus. Dort gab es ein Spülbecken, in dem man auf einem Waschbrett Kleidung waschen konnte. Ingram hatte diesen Bereich mit Wäscheleinen, an denen er Abzüge aufhängen konnte, zu einer Dunkelkammer umfunktioniert. Im Wohnzimmer seines Apartments dachte er darüber nach, einen der Polizeifunkscanner einzuschalten, beschloss aber, sich etwas Härteres als Bier einzuschenken und sich in seinen bequemen Sessel zu setzen. Das Fenster, durch das man auf die Straße hinunterschauen konnte, stand einen Spalt offen, und die Geräusche einer ruhiger werdenden Stadt wehten herein, während er dasaß und trank. Das Radio lief immer noch, aber er hatte die Lautstärke heruntergedreht.

Ingram hatte einen seiner Ordner von einem Regal genommen, auf seinem Schoß aufgeschlagen und sah seine Fotos durch. Er runzelte die Stirn, als wäre es das erste Mal, dass er seine Arbeit von einem kritischen Standpunkt betrachtete. Auf den Schwarz-Weiß-Fotos waren alle Arten von Katastrophen abgebildet: von einem Mann in gutem Anzug und mit zweifarbigen Schuhen, der mit einem Messer im Kopf auf einem Gehweg lag, bis zu einer Frau mit Baskenmütze, die in Handschellen von einem Cop abgeführt wurde. In der Hand eines weiteren Cops sah man eine blutige Axt und einen Blutfleck unten an ihrem Rock.

»Kein Wunder, dass der Look mich nicht einstellen will«, murmelte er und trank genüsslich noch einen Schluck Bourbon. Er klappte den Ordner zu und legte ihn weg. Während er langsam wegdämmerte, beschloss Ingram, fröhlichere Bilder zu machen, zum Beispiel von Menschen beim Picknick im Park und lachenden Kindern, die Drachen steigen ließen.

Irgendwann wachte er auf, und auf KGFJ, einem Sender, der rund um die Uhr spielte, lief klassische Musik. Zu den Klängen von Debussys Nocturnes für Orchester stand er auf und ging zu Bett.

Nach tiefem Schlaf und einem Ausflug aufs Örtchen zog Ingram am nächsten Morgen seinen fadenscheinigen Baumwollmorgenmantel über seine Boxershorts und ein Sporthemd. Er schaltete einen seiner Scanner ein.

»… Verdächtiger, männlich, weiß, Anfang bis Ende zwanzig, rötlich blonde Haare, zu Fuß auf der Bronson von Venice nach Norden …«

Mit dieser Hintergrunduntermalung machte sich Ingram ein Frühstück aus Würstchen von dem kleinen Lebensmittelgeschäft unten im Haus namens Whitehead’s Market. Hinterher nahm er seine zweite Tasse Kaffee mit ins Bad, duschte und rasierte sich. Der Scanner lief immer noch. Die montagmorgendlichen...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2024
Übersetzer Karen Gerwig
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-945133-99-8 / 3945133998
ISBN-13 978-3-945133-99-6 / 9783945133996
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