Der einsame Nepomuk (eBook)
173 Seiten
EDITION digital (Verlag)
978-3-68912-017-7 (ISBN)
Jurij Koch geboren 15.9.1936 in Horka (Oberlausitz) Sohn einer sorbischen Steinarbeiterfamilie, Schulbesuch in Crostwitz, Tschechoslowakei, Bautzen und Cottbus, Studium der Journalistik und der Theaterwissenschaften in Leipzig, Redakteur und Reporter beim Rundfunk, freischaffend seit 1976. Schreibt sowohl sorbisch als auch deutsch. Auszeichnungen: Staatspreis 'Jakub Bart-?i?inski' (1979) Carl-Blechen-Preis der Stadt Cottbus (1983) Literaturpreis Umwelt des Landes NRW (1992) Bibliografie (Auswahl) Der einsame Nepomuk, Erzählungen 1975 Landung der Träume, Roman 1980 Pintlaschk und das goldene Schaf, Kinderbuch 1983 Die größte Ohrfeige der Welt, Kinderbuch 1984 Rosinen im Kopf, Kinderbuch 1984 Der Kirschbaum, Novelle 1984 Bagola. Die Geschichte eines Wilddiebs, 1988 Augenoperation, Roman 1988 (mit dem Titel "Schattenrisse" 1989 bei Spectrum Verlag Stuttgart und 1993 bei dtv München) Die rasende Luftratte, Kinderbuch 1989 Das Sanddorf, Kinderbuch 1991 Jubel und Schmerz der Mandelkrähe - Ein Report aus der sorbischen Lausitz, 1992 (Literaturpreis Umwelt des Landes NRW) Golo und Logo, Krimi für Kinder 1993 (Alibaba Verlag Fr./M., 1996 bei Fischer) Jakub und das Katzensilber, heiterer Abenteuerroman für junge Leser, 2001 Am Ende des Tages, Erzählung, 2009 Das Feuer im Spiegel, 2012 sowie mehrer Bücher in sorbischer Sprache. Übersetzungen seiner Arbeiten ins Polnische, Slowakische, Tschechische, Russische, Ukrainische, Slowenische, Bulgarische, Spanische, Litauische. Jurij Koch hat auch Szenarien für Dokumentarfilme, Theaterstücke und Hörspiele geschrieben. Sein Stück "Landvermesser" ("Rublak -Die Legende vom vermessenen Land", Filmhochschule Potsdam 1980) und die Novelle "Der Kirschbaum" ("Sehnsucht", DEFA 1990) wurden verfilmt. Nach dem Roman "Augenoperation" ist der Film "Tanz auf der Kippe" (DEFA 1991) entstanden. Seine essayistischen Arbeiten beschäftigen sich vor allem mit ökologischen Fragen. ("Da sah ich sie liegen, schön unsere Dörfer";"Gehversuche einer Landschaft";"Die Schmerzen der endenden Art", "Auf Kohle sitzen"; "Der schwarze und der grüne Tag von Lakoma"; "Nachdenken über Mittelpunkte")
Beklemmend, diese Finsternis. Dann kroch der Mond aus einer Wolke, ein Taler aus der Börse. Ich trat aufs Gas. Das Auto sang, als hätte es schon längst auf diese schnelle Fahrt gewartet. Dann kam der Wald, ein Dorf dahinter, wieder Wald, die Stadt, die Ebene mit ihrem Totenlicht des Mondes, und am Straßenrand stand jemand. Am Straßenrand stand jemand winkend, und ich drosselte die Fahrt: Mal sehn, wer's ist. In der Nacht, wer weiß ... Hat keine langen Haare. Und im Graben liegt kein Kumpel ... Ich hielt und öffnete die Tür. Im Schein der kleinen Lampe sah ich das Gesicht, ein Mädchen, eine Frau, sehr blass und aufgeregt und fragend. Würden Sie mich bitte ...? Wohin? Wir werden sehen. Wir werden sehen? Ich konnte nicht zu Ende fragen. Das Mädchen saß im Auto. Die Tür geschlossen. Auf ihrem Schoß stand eine große Tasche. Ich sah das kurze Haar, den Stoppelschnitt, und mir gefiel der Zutritt ohne Umstand. In der Nacht da ist der Mensch nicht gern ... So allein und in der Nacht? Ich habe keine Angst. Was soll ich machen? Der letzte Bus ist über alle Berge. Freilich ... Freilich, dachte ich. Und: Ist der letzte wirklich über alle Berge? Hier, mitten in der Heide, in der die Essen mit den Bäumen um die Wette wachsen, fahren sie vom Morgen bis zum Morgen. Was geht's mich an! Ich fahre bis nach C. Ja, ja, bis C. Sie sagte es sehr nebenbei und stellte sich die Tasche vor die Beine, als sollte damit ihre dünne Auskunft angereichert werden. Bis nach C. Wo wohnen Sie? Sehr weit. Na gut, sehr weit. Ich wollte nicht mehr fragen. Was ging mich ihre Heimat an, ihr Fleckchen Erde, ihre Ofenbank, die Mutter und der Vater, Mann und Kinder? Fettglänzend war die Landschaft. Die kleinen Hügel wiegten uns. Nur einmal sagte ich noch: Mir ist, als säßen wir in einem Tiegel. Da war mir, als holte sie tief Luft und weinte. Ja, wie in einem Tiegel, sagte sie gequält. Nun war die Straße eben. An den Seiten Birken auf ihren scheckig weißen Beinen. Sie liefen uns entgegen. Am Himmel fuhr der Mond zurück in seine Börse. Es erlosch das Licht der Heide. Ich nahm den Fuß vom Gas. Da sagte sie: Ich heiße Helena. Das ist ein schöner Name. Was nützt der schöne Name? Ach, wissen Sie, ein schöner Name kann sehr praktisch sein ... In dieser Weise wollte ich noch weiter schwadronieren. Ich hielt den Faden noch, als Helena den Kopf zur Seite legte, als wollte sie von meinen Strickereien dieser Art nichts wissen. Sie schaute in den matten Glanz der Heide. Die Wirklichkeit um uns herum war aufgelöst in Schnüre. Ich sagte: Ich heiße ... Und ich stockte. War es nicht besser, den eigenen Namen zu verschweigen? Heißt sie denn wirklich Helena? Na, wie denn? Ich heiße Ilja. Wie? Ilja? Das ist kein schöner Name, sagte sie und drehte sich erneut zur Tür. Auf der Scheibe sprangen Lichter. Wir fuhren durch ein Dorf. Ich beruhigte mich damit, dass ich anders heiße. Aber konnte es nicht sein, ich hieße Ilja? Ein Mädchen, von der Straße aufgehoben im Akt der Nächstenliebe, sagt dir offen ins Gesicht, dass ihr dein Name nicht gefalle. Ist das nicht reichlich ...? Ach, Ilja, ärgern Sie sich nicht, versuchte sie den heimlichen Protest in mir zu stören. Ich kenne einige mit schönen Namen, zu denen Hunde- oder Affennamen besser passten. Ein Name sagt nicht viel. Er trügt. Namen sind erfunden worden, damit die Eltern ihre Kinder auseinanderhalten können. Später, ist das Kind erwachsen, ist der Name nur noch eine Nummer. Dann ist es einerlei, ob man dich Ilja oder Siegfried ruft, ob erster, zweiter oder nullter Mann ... Sie gefallen mir.
Erscheint lt. Verlag | 6.5.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
ISBN-10 | 3-68912-017-9 / 3689120179 |
ISBN-13 | 978-3-68912-017-7 / 9783689120177 |
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