Der Gaukler -  Wolf Hector

Der Gaukler (eBook)

Historischer Roman

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3213-0 (ISBN)
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Kurpfalz, 1622. Schon seit Kindertagen sind die protestantische Schneiderstochter Susanna und der Bauernsohn Hannes ineinander verliebt. Doch Susannas Eltern sind gegen die Verbindung, da Hannes katholisch erzogen wurde. Als der Krieg ihre Heimat erreicht, werden die beiden getrennt. Susanna flieht ins nahe Heidelberg, wo sie bald die Nachricht von Hannes' Tod erreicht. Als entfesselte Soldaten in der Stadt wüten, rettet der Gaukler David ihr das Leben. Fasziniert von der Welt der Schausteller schließt sie sich David an und heiratet ihn sogar. Doch dann erfährt sie, dass Hannes noch lebt ...

Wolf Hector ist das Pseudonym eines mehrfach preisgekrönten Autors von Krimis, Fantasy- und historischen Romanen. Zuletzt wurde er mit dem goldenen HOMER für den besten historischen Roman des Jahres 2019 ausgezeichnet. Wolf Hector lebt mal in der Karlsruher, mal in der Wismarer Gegend. Wenn er gerade einmal nicht schreibt, läuft er durch die badische Hügellandschaft oder schwimmt in einem Mecklenburger See.

PROLOG


Die Sonne flimmerte im Zenit. Vom See her fielen heiße Winde den Bergrücken herab. Talwärts stand Rauch über den Wipfeln des Sommerwaldes; zu viel für ein Köhlerfeuer, zu wenig für einen Waldbrand.

Lag nicht ein Weiler dort unten in den Hängen über dem Drautal? Stephan erinnerte sich dunkel an Gehöfte und Hütten zwischen Wiesenmatten und Bachlauf, erinnerte sich auch an Ziegen, Rinder und Bienenstöcke. Auf der Beizjagd war er dort unten vorbeigekommen … Richtig, mit dem Stiefvater; dessen Adler hatte ein Lamm gerissen damals. Hundert Jahre her.

Die Bärin hinter ihm brummte, blieb stehen und hob schnüffelnd den Schädel. »Nur ein Feuerchen, Cura, nur ein bisschen Rauch.« Stephan drehte sich nach dem Tier um und pfiff dreimal leise. »Weiter geht’s.« Er sprach kroatisch mit der Bärin. »Vor Sonnenuntergang sind wir zurück bei der Landgräfin, keine Sorge.« Er nahm den Spieß auf die andere Schulter und folgte dem Wildpfad. Bei jedem Schritt klirrte die Kette an seiner Hüfte. Die Bärin trottete hinter ihm her.

Sechs Tage hatten sie in der Wildnis zugebracht; der Bärenführer in einer Baumhütte, seine pelzige Tänzerin unter den Pranken eines liebestollen Wildbären.

Der Pfad führte aus dem Laubwald und an einen kleinen Wasserfall. Über einen Steg ging es hinter dem Vorhang aus stürzendem Wasser zu einer Viehweide. An deren Mauer entlang konnte der Bärenmann bis hinunter zum Fluss blicken – und auf den Weiler. Eine Hütte brannte dort unten, eine einzige. Männer standen zwischen Backofen und Misthaufen, doch niemand löschte.

Niemand löschte?

»Jesses, Maria und Josef!« Stephan schwante Böses. »Komm her, Cura, komm schnell!«

Er beugte sich zur Bärin hinunter, streifte ihr ein Geflecht aus runzligem Leder über die Schnauze, band die Kette von der Hüfte und schloss sie dem Tier ans Halsband. Vermutlich waren es die gräflichen Totschläger, die untätig um das brennende Haus herumstanden.

Stephan rannte über die Weide – schnell wieder in den Schutz des Waldes eintauchen, schnell weg hier, nichts sehen, nichts hören! Neben ihm sprang die Bärin durchs Gras. Sage niemand, es habe keinen Verstand, so ein Tier – es roch das Feuer, es roch die Furcht seines Herrn und es roch die dumpfe Wut des Mobs.

Es musste der Landeshauptmann sein, der dort unten Lutherische jagte. Warum sonst löschte niemand? Und kehren sie nicht in den Schoß der Kirche zurück, dann fahren sie eben zur Hölle – so pflegte die gräfliche Sau den wahren Glauben zu erklären.

Gehörnte Schädel hoben sich aus dem Gras, die Leitkuh blinzelte zur braunen Bärin herauf, warf den schweren Leib herum, blökte – und dann blökte die ganze Herde. Angst erfasste die Rinder, Hufschlag wurde laut, die Tiere galoppierten zur unteren Einfriedung, drückten sich gegen die Mauer; einige richteten sich gar auf den Hinterläufen auf und setzten die Vorderhufe auf die Mauerkrone.

Im Schutz der Eichen auf der anderen Seite der Weide lauschte Stephan, der Bärenmann. Die Rinder beruhigten sich nach und nach, äugten bald nur noch blöde zu ihm herauf. Schritte raschelten im Unterholz. Er streckte die Rechte nach der Bärin aus, pfiff einen leisen, abschwellenden Ton. Cura ließ sich auf den Hinterläufen nieder. »Brave Tänzerin.« Flüsternd ging er neben einer Eiche in die Hocke und stützte sich auf seinen Spieß.

Schwarz und weiß leuchtete es im Unterholz. Schwarzer Schopf, weißes Gesicht. Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen.

Nein – zwei Gesichter: eine junge Frau mit einem Kind auf dem Arm. Sie wankte den Hang herauf, stolperte und stürzte in die Blaubeeren, dann rappelte sie sich wieder auf und setzte ihren Weg fort. Jetzt entdeckte sie ihn. Sie lehnte sich an eine Buche, drückte das Kind an ihren Körper und äugte. Nichts als Angst und Schrecken sprach aus den bleichen Zügen, und der Atem der Frau ging wie in Luftnot, rasselte, keuchte.

»Armes Weib«, murmelte Stephan. »Gönnen sie dir deine lutherische Messe nicht, diese groben Säue? Will der Graf, der verfluchte Hundsfott, euch mit Feuer zwingen zu beten, wie der Kaiser betet?«

Die Frau richtete sich auf, machte große Augen, ließ den Baum hinter sich und kam näher. Erst langsam, dann schneller.

Stephan nahm den Tornister vom Rücken, kramte den Kanten Brot heraus, der von seiner Wegzehrung noch übrig war, und streckte ihn ihr entgegen. Unsinnig im Grunde, denn der Wald nährte jeden, der zuzugreifen wusste. Doch er kannte Hunger und Angst, man hatte ihn selbst oft genug ohne einen Heller in der Tasche aus einer Stadt gejagt.

Vor allem aber sah er die angstvollen Frauenaugen, sah das bleiche Kind, dachte an das brennende Haus und die schlimmen Reden, die in den Tälern und auf den Almen gingen; Reden über das, was man den Lutherischen antat, seit mit dem neuen Jahrhundert der Graf und seine Waffenknechte in den Flusstälern von Drau und Lieser und am Millstätter See hausten. »Nimm«, sagte Stephan. »Nimm und lauf! Ich hab’ dich nicht gesehen.«

Die Mädchenfrau lief aber nicht, kam sogar noch näher, sank schließlich vor ihm auf die Knie. »Sie sagen, wir hätten die Quelle vergiftet.« Ihre Stimme zitterte. »Sie sagen, wir hätten das Neugeborene der Bäuerin behext, damit es stirbt. Sie sagen, wir hätten Schuld an der Rinderpest im Liesertal …«

Ihre Stimme brach, sie senkte den Kopf. Stephan steckte das Brot weg, blieb ratlos vor der Weinenden hocken, berührte mit linkischer Geste ihre Schulter. Seine Frau weinte nie. Auf einmal drückte sie ihm das Kind an die Brust, einen Knaben mit braunen Augen wie ihre, mit schwarzen Haaren wie ihre. Still war er, der Kleine, wie von Todesschrecken betäubt, aschfahl sein schmales, niedliches Gesichtchen.

Hang abwärts riefen Männer im Wald, Geäst brach unter Stiefeln im Unterholz. Die Mädchenfrau fuhr herum, ihre Zöpfe peitschten dem Bärenführer ins Gesicht. »Sie suchen uns schon.« Sie sprang auf und kramte einen Lederbeutel aus ihrem Umhang. »Beim Ewigen, möget Ihr bloß mein Kindchen retten!« Sie warf ihm den Beutel neben die Stiefel. »Bei Adonai, der das Licht der Welt hervorrief! Nehmt die Dukaten und sorgt für meinen Knaben! Ich bitte Euch!«

Wieder warf sie sich vor ihm ins Unterholz auf die Knie, griff in Stephans langes Haar, riss seine Stirn an ihre und murmelte in einer Sprache, die er nicht kannte. Ein Gebet? Einen Segen? Einen Fluch? Ehe er sich versah, riss sie ihm den Dolch aus dem Hüftgurt und säbelte sich den linken Zopf ab.

»Ich flehe Euch an«, keuchte sie, sprang auf und ließ Klinge und Zopf fallen. »Ich beschwöre Euch …« Sie wandte sich ab und rannte los. Jetzt erst nahm sie die Bärin wahr, wich ihr erschrocken aus, sprang ins Unterholz und lief den Hang hinauf in den Wald hinein.

Stephan hockte wie betäubt auf den Fersen mit dem Knaben im Arm und wusste nicht, was tun, was sagen; als wäre das warme Bündel ihm vom Himmel in die Arme gefallen. Und war es nicht so ähnlich?

Der Bärenmann wandte sich nach dem Hang um und stierte in das Gestrüpp, hinter dem die Mutter des Kindes verschwunden war. Was gab es denn dort oben, wohin sie sich retten konnte? Den Kamm, ein paar Höhlen, den Gipfel des Mirnock, den Steinbruch und auf der anderen Seite des Bergrückens den See.

»Der Steinbruch, Jesses, Maria …!« Kalt und heiß wurde ihm. »Sie wird sich doch nicht …?« Er stand auf, den Jungen im Arm. Etwas schwoll heiß und bitter in seinem Herz. Er stierte in den Rauch über den Wipfeln. »Hundsfott, verfluchter …«

Aus Gewohnheit betete Stephan zur Heiligen Jungfrau, aus Gewohnheit ging er zur Messe, wenn sich’s anbot und er in einer papistischen Stadt Zähne brach und Bärin und Hunde tanzen ließ. Heiliger Mustafa – andere hatten andere Gewohnheiten! Musste man ihnen deswegen gleich das Dach über dem Kopf abbrennen? Musste man deswegen ganze Familien ausrotten?

Stephan spuckte gegen einen Eichenstamm und meinte den Landeshauptmann, den Grafen. Vielleicht auch den Kaiser in Prag oder seinen Bischof in Wien. Vielleicht sogar den Herrgott, der so etwas duldete.

»Was mach’ ich denn jetzt, Cura?« Den Knaben im Arm trat er vor die Bärin. »Unsere Landgräfin wird mich stäupen, wenn ich noch einen Esser mitbringe!«

Von Marianne sprach er, seiner Frau. Er pflegte sie »Landgräfin« zu nennen oder »Landgräfin zur Wagenburg«, und das weiß Gott nicht ohne Grund. Seine Landgräfin übrigens hatte ihm keine Kinder geboren.

»Einen Esser noch dazu, der nicht mit anpacken kann.« Er seufzte, machte eine trübsinnige Miene und betrachtete kopfschüttelnd den Knaben. »Was mach’ ich denn jetzt?«

Beide, das neue Jahrhundert und der Knabe, waren kaum zwei Jahre alt, als Stephan, der Bärenführer, Zahnbrecher und Schausteller, mit dem Kleinkind auf dem Arm im Bergwald zwischen Drautal und...

Erscheint lt. Verlag 6.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-8437-3213-2 / 3843732132
ISBN-13 978-3-8437-3213-0 / 9783843732130
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