Das ist nicht das Rohe vom Ei -  Armin Achtmann

Das ist nicht das Rohe vom Ei (eBook)

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2024 | 1. Auflage
451 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-0984-1 (ISBN)
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West-Berlin, Winter 1983. Die beiden 18-jährigen Freunde Rainer und Ludwig langweilen sich in Rainers kalten Einzimmerwohnung in Kreuzberg und beschließen in eine Diskothek zu fahren. Dort lernen sie die zwei Kunststudentinnen Steffi und Nicole kennen, die sie in derselben Nacht einladen, an einem Kunstprojekt auf den Straßen Berlins teilzunehmen. Als eines der Mädchen während der Aufnahmen kurz auf die Toilette geht, versucht ein Unbekannter, sich an ihr zu vergehen. Das ist der Anfang vieler Verwirrungen, in deren Verlauf ihre hedonistische Welt ins Wanken gerät. Irgendwann weiß niemand mehr, wer gut und wer böse ist.

Armin Achtmann wurde 1964 im Südwesten Deutschlands geboren, jedoch kurze Zeit später zog es die Familie in das damalige West-Berlin. Im Erwachsenenalter ging er für mehr als 20 Jahre nach Spanien, studierte erst spanische Philologie und dann später englische Literatur, beendete beide Studien, um anschließend als Sprachlehrer und Übersetzer zu arbeiten. Dort schrieb er jahrelang die Sportkolumne für ein spanisches Wochenblatt. Heute lebt er in Hessen und ist Vater einer Tochter.

1. Der Anfang

 

 

 

 

 

Es war früher Nachmittag an einem kalten Wintertag im Januar 1983, und es war einer von diesen Tagen in Berlin, an denen man nicht nur nicht das Haus verlassen will, sondern am liebsten auch nur im Bett bleiben möchte. Unglücklicherweise hatte ich mich gerade wieder mal mit meiner Freundin Simone gestritten, musste ihre Wohnung, in der wir zusammen lebten, fluchtartig verlassen und nun stand ich hier, auf der Einfahrt des Nachbargrundstücks der Reichenberger Straße 157 in Kreuzberg, und schrie mir die Lunge aus dem Hals.

»Rainer!«

Nichts. Ich wartete einen Moment und rief dann noch einmal.

»Rainer!«

Wieder keine Antwort. Na super, dachte ich mir. Jetzt kann ich wieder über diese widerlich hohe Mauer klettern und mir die Klamotten dreckig machen oder in der Schweinekälte warten, bis einer der Nachbarn nach Hause kommt, um die Hoftür aufzuschließen. Denn mein Problem war nur ins Haus zu kommen, da ich wusste, wie man Rainers Tür, die noch ein steinaltes Schnappschloss hatte, mit einer bestimmten Fingertechnik, auch ohne Schlüssel, aufbekommen konnte und ich dann auf ihn in seiner Wohnung warten könnte oder vielleicht lag er nur wieder völlig besoffen im Bett und schlief seinen Rausch aus. Obwohl wir beide erst achtzehn Jahre alt waren, hatte Rainer schon einen leichten Hang zum übermäßigen Bierkonsum. Ich entschied mich, erst mal eine zu rauchen und auf Zeit zu spielen.

Während ich da so vor dem Eingangstor stand, an meiner Zigarette zog, schlunzte ein ganzes Rudel von Punks an mir vorbei und dann fiel es mir wieder ein, wie ich damals Rainer kennengelernt hatte.

Das war im Oktober 1980 und das neue Jahrzehnt hatte sehr turbulent und mit vielen Konfliktherden auf nahezu allen Kontinenten der alten Mutter Erde begonnen.

Maggie Thatcher stritt sich aufs Heftigste mit den Gewerkschaften und regierte mit eiserner Hand in Großbritannien, die Russen waren mal eben in Afghanistan einmarschiert und die Amis hatten gerade einen alten, abgehalfterten Wildwest Darsteller zu ihrem Präsidenten gewählt. Die ganze Welt stolperte von einer Krise in die Nächste und unter der Jugend machte sich Mut- und Ratlosigkeit breit. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht irgendwelche Schreckensnachrichten in den Medien die Runde machten.

Hatte die Studentengeneration der 68er, erst in den Hörsälen und dann später bei den Demonstrationen auf den Straßen West-Berlins, noch davon geträumt, eine Revolution zu beginnen und die Gesellschaft zu verändern, so hatte sich doch in den letzten Jahren, nachdem sich nicht wirklich viel an den herrschenden Zuständen getan hatte, viel Frust und Resignation aufgebaut, denn die allgemeine Situation in der Mauerstadt verschlechterte sich ständig, ja sogar fast täglich.

Es schien so, als würde die Zukunft wegen mangelnder Teilnehmerzahl abgesagt werden.

Jeder suchte sich irgendwo auf dieser Eisscholle eine Nische, eine Ecke, einen Zufluchtsort, in der man dem tristen Alltag entkommen konnte und auch den endlosen, zermürbenden politischen Diskussionen, bei denen es meistens doch nur darum ging, warum denn alles nun so scheiße wäre.

So gab es Teds, Punks, Rocker und viele weitere Lager Gleichgesinnter, die sich über die Musik und den Kleidungsstil definierten, aber auch Hippies und Ökos. Ein jeder war dem anderen spinnefeind, konnte die anders Aussehenden alle nicht ausstehen und ständig bekriegte man sich. Ganz schlecht dran waren die Hippies, die von fast allen auf die Fresse bekamen, wenn sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielten und die Skinheads, die der Beweis waren, dass es eine Sackgasse der menschlichen Evolution gab, taten sich besonders hervor. Die scheinbar bürgerliche Ordnung wurde immer mehr durcheinandergebracht.

Die Lage in den verfeindeten Gruppen spitzte sich immer weiter zu und eine gewalttätige Auseinandersetzung war nur noch eine Frage der Zeit.

So kam es dann, wie es kommen musste, was sich sowieso schon seit langem angebahnt hatte: Zu der "Schlacht am Hermannplatz" in Neukölln im Oktober 1980, so wie man sie ganz im populistischen Sinne in der Berliner Boulevardpresse des Axel Springer Verlages mit ihrer martialischen Rhetorik konterkarierte, als bei einem Konzert der sogenannten Popper, die sich modisch in grellen Farben und Karottenhosen kleideten und gerne elektronische Musik hörten, zu der man tanzen konnte, sich in einer Diskothek in der Hasenheide trafen, hielten die selbsternannten Retter des guten Geschmacks, nämlich die Punker und Rocker, es für nötig, dies verhindern zu müssen.

Es kam zwischen den rivalisierenden Fraktionen zu einer Straßenschlacht, wie sie die Stadt schon lange nicht mehr erlebt hatte.

Das Ganze lief aus dem Ruder und die Polizei musste einschreiten, in deren Folge viele Schaufensterscheiben der umliegenden Geschäfte zu Bruch gingen. Schilder und Knüppel wurden gegen jeden und alles eingesetzt, was wiederum dazu führte, dass die Polizisten mit Steinen beworfen wurden. Man könnte also fast sagen, dass dies ein ganz normaler Tag im Berliner Großstadtdschungel war, denn irgendwo war immer was los und man bekam mit seiner täglichen Dosis der Gewalt einen kleinen Vorgeschmack auf die Endzeitstimmung, die sich immer mehr breitmachte.

Allerdings waren die Brutalität und Härte, mit der man diesmal aufeinander losging, neu und irgendwie auch ziemlich irritierend.

Zumindest für uns, denn eigentlich wollte ich mit einem Freund aus meiner Schule nur zu dem Konzert, tanzen und ein bisschen Spaß haben. Wir waren auch keine richtigen Popper, nur ein bisschen modisch gekleidet, aber das war in dem Moment egal, denn auf einmal befanden wir uns, wie aus heiterem Himmel, mitten im Getümmel und da wir keinen Bock auf den ganzen Klamauk und auf diese folkloristische Aufführung hatten, die es in Berlin leider immer häufiger gab, wenn sich Punks, Rocker und Hausbesetzer, teils unerbittliche Kämpfe mit den Ordnungshütern lieferten, schlugen wir uns in eine der vielen Seitenstraßen, in der Hoffnung, ungeschoren und mit heiler Haut, das Weite suchen zu können.

Weit gefehlt. Die Taktik der Punks war es gewesen, sich in Splittergruppen aufzuteilen, vagabundierend durch die Straßen zu ziehen und dabei alles kurz und klein zu hauen, was ihnen in die Quere kam.

Wir hatten uns vielleicht schon einhundert Meter vom Ort des Straßentumultes, zu dem sich das Ganze bereits ausgeweitet hatte, in der die Polizei sogar Wasserwerfer und Schlagstöcke einsetzte, entfernen können, als auf einmal eine Rotte von Punks vor uns stand, und mich und meinen Freund, als Popperschweine beschimpfte und abseits des Geschehens in die Mangel nehmen wollten, was aufgrund der zahlenmäßigen Überzahl unser Antipoden, die Knüppel und Steine in ihren Händen hielten, nicht so aussah, als würden sie uns zu einem Milchmixgetränk einladen oder wie die alten Indianer eine Friedenspfeife mit uns rauchen.

Gerade als es so schien, dass unser letztes Stündlein geschlagen hätte und sich nur die Frage stellte, wer als erster von uns Dilettanten die Hucke voll gehauen bekommen würde, tauchten urplötzlich und völlig unverhofft zwei Typen, die wie wir gekleidet waren und einen ähnlichen Haarschnitt trugen, aus dem Nichts auf und vermöbelten nach allen Regeln der Kunst die ersten 3 Punks, die sich ihnen in den Weg stellten, woraufhin die anderen feigen Hyänen die Flucht ergriffen.

Die Aktion fand ein würdiges und gutes Ende für uns, denn wir ließen es uns nicht nehmen, den auf dem Boden liegenden Punks noch ein paar gezielte Fausthiebe zu versetzen und sie dann mit kräftigen Arschtritten davonzujagen. Sicherlich reichte dieses leicht unsportliche Verhalten nicht dafür aus, um in die engere Auswahl für eine Fairplay Auszeichnung zu kommen, aber die Luft auf Neuköllns und Kreuzbergs Straßen war sehr eisig und die untereinander verfeindeten Gruppierungen kannten kein Pardon.

Wir rannten dann alle schnell noch einige Straßen weiter, denn die Schwachmaten mit ihren zerrissenen Lederjacken würden höchstwahrscheinlich alsbald zurückkommen, nur diesmal mit Verstärkung und sicherlich bis an die Zähne bewaffnet.

Völlig außer Atem drängten wir uns in eine dieser typischen Berliner Eckkneipen und wir merkten erst dann, dass wir, aufgrund des abrupten Anstieges unseres Adrenalinspiegels, bis dahin noch überhaupt kein Wort miteinander gesprochen hatten.

»Danke, dass ihr uns geholfen habt. Das war knapp. Ohne euch hätten die uns platt gemacht. Ihr habt uns echt den Arsch gerettet«, sagte ich keuchend zu den beiden. »Übrigens heiße ich Ludwig und das ist mein Freund Fred«, fügte ich noch hinzu und streckte ihnen die Hand aus.

»Ich bin Andreas, aber alle nennen mich Katschi«, sagte der eine.

»Und ich bin Rainer«, sagte sein Kumpel.

Zum Dank luden wir sie ein, bestellten für uns zwei Cola, aber Rainer nahm ein großes Bier und Katschi sogar einen Futschi und meinte, dass wäre das Neuköllner Nationalgetränk und man würde auch schon mal nur eine Pinzette voll mit Coca-Cola in den Weinbrand tun. Dann beschlagnahmte Katschi gleich einen Geldspielautomaten und war dabei so geschickt, dass er so viel aus der Kiste rausholte, um uns eine Runde zu spendieren. Wir blieben bei der Cola, aber Rainer und Katschi hielten sich am Alkohol schadlos.

Das war jetzt etwas über 2 Jahre her. Rainer und ich wurden beste Freunde und wir wohnten nur einige hundert Meter, lediglich getrennt durch den Landwehrkanal, auseinander.

Rainer war eigentlich ein echter Neuköllner, im dortigen Neuköllner Krankenhaus geboren, und die ersten Lebensjahre verbrachte er im Herzen des alten Neuköllns, in Rixdorf. Dort...

Erscheint lt. Verlag 1.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-7598-0984-7 / 3759809847
ISBN-13 978-3-7598-0984-1 / 9783759809841
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