Wage es nur! -  Megan Abbott

Wage es nur! (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
340 Seiten
Pulp Master (Verlag)
978-3-946582-27-4 (ISBN)
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Addy Hanlon war schon immer Beth Cassidys beste Freundin. Beth gibt Befehle, Addy führt sie aus. Gemeinsam dominieren sie das von Wettbewerb geprägte Team der Cheerleader. Bis der neue Coach kommt. Colette French, cool, souverän, eine Abgesandte der Erwachsenenwelt, unerreichbar für Addy und den Rest des Teams, zieht alle in ihr Leben. Nur Beth, verunsichert durch das neue Regiment, bleibt außerhalb des goldenen Zirkels der Trainerin und führt eine subtile und zugleich bösartige Kampagne, um ihre Position als »Top Girl« wiederzuerlangen - sowohl im Team als auch bei Addy. Das traditionell männliche Genre des Noir kommt über Megan Abbotts Cheerleader weiblicher daher. Der zur Schau getragene Teamgeist vermag kaum das Geflecht aus Gehässigkeit und Manipulation zu kaschieren, das die Mädchen zusammenhält.

Die 1971 in Detroit geborene Abbott studierte an der University of Michigan, promovierte an der New York University in anglo-ameri kanischer Literatur und lehrte sowohl an der State University of New York als auch an der New School University. Abbott ist Autorin von nunmehr elf Romanen; ihre Texte erschienen in der New York Times, im Guardian, im Wall Street Journal und im Los Angeles Times Magazine. Sie wurde für zahlreiche Preise nominiert und ausgezeichnet.

3. Kapitel

WOCHE EINS

Es passiert nicht sofort. Keine krasse Veränderung, die alles über den Haufen wirft.
Aber mit jedem Tag dieser Woche schafft es die neue Trainerin, dass wir ganz bei der Sache bleiben – eine echte Leistung.
Wir lassen uns von ihr drillen, wir spulen Tumblings ab. Wir zeigen ihr alle unsere Tanznummern, wir klatschen perfekt im Takt und unsere Radwenden sind flüssig.
Dann zeigen wir ihr unsere berühmteste Nummer, mit der wir die letzte Basketball-Saison beendet haben, eine Menge Chorus-Line-Flips und Toe Touches und ein großes Finale, wo wir alle Beth im Spagat in die Luft heben und sie die Arme V-förmig über den Kopf reckt.
Coach sieht aus, als würde sie nur halb zuschauen, den Fuß hat sie auf den wummernden Ghettoblaster gestützt.
Dann fragt sie uns, was wir noch können.
»Aber die Nummer lieben alle!«, piepst Brinnie Cox. »Wir mussten sie zur Abschlussfeier extra noch mal machen.«
Wir wollen, dass Brinnie den Mund hält.

Coach ist einfach strenger, schneller, als wir erwartet ha­ben, und in dieser ersten Woche fällt uns das auf. Sie steht vor uns, die Körperhaltung so lässig, aber auch selbst­sicher.
Wir können sie nicht aus dem Konzept bringen, und das überrascht uns.
Wir können jeden aus dem Konzept bringen, nicht nur Fish, sondern auch die endlose, traurige Parade der Aushilfslehrer-Marionetten, Mathelehrer mit eingestaubten Schultern und Schulpsychologinnen mit trocken-faltiger Haut.
Seien wir ehrlich, wir sind der einzige Spaß in dieser ganzen Gruft von einer Schule mit ihren niedrigen De­cken und den Glasbausteinen. Wir sind die einzigen lebenden, atmenden Wesen, außer uns gibt es nichts zu sehen.
Und das wissen wir. Man spürt, dass wir es wissen.
Schau sie dir an, hören wir sie – ausnahmslos alle —sagen, wenn wir am Game Day durch die Flure streifen wie ein Rudel, mit wippenden Pferdeschwänzen und Röcken wie Diamanten.
Was glauben die, wer sie sind?
Aber wir wissen genau, wer wir sind.
Genau wie die Trainerin weiß, wer sie ist. Man er­kennt es daran, wie unnahbar und ungerührt sie gleichzeitig ist. Unser Quatsch ist ihr völlig gleichgültig. Es langweilt sie. Eine Langeweile, die wir sehr gut kennen.
Damit hat sie von Anfang an etwas gewonnen, ob­wohl – oder weil – sie nicht darum gebeten hat und es ihr egal war. Nicht weil sie gelangweilt ist, sondern weil wir nicht interessant genug für sie sind.
Jedenfalls noch nicht.

Am zweiten Tag kneift sie Emily in den Speck. Die elfenäugige, apfelbrüstige Emily streckt die Arme träge über den Kopf und gähnt demonstrativ. Oh, wir kennen diese Angewohnheit, die Mrs. Dieterle immer so provoziert und bei der Mr. Callahan rot wird und die Beine überkreuzt. Coachs Hand taucht aus dem Nichts auf und landet an der nackten Stelle, die Emilys hochgerutschtes Tanktop freigelegt hat. Sie kneift in den Babyspeck und dreht ihn einmal kräftig zwischen den Fingern. So fest, dass Emily der Mund offenstehen bleibt. Sie schnappt nach Luft, klingt dabei wie ein Quietschspielzeug.
»Das muss weg«, sagt Coach und hebt den Blick von der Haut zwischen ihren Fingern zu Emilys erschrockenen Augen.
Das muss weg. Einfach so.
Das muss weg? Das muss weg? Hinterher in der Umkleidekabine weint Emily, und Beth verdreht die Augen, lässt entnervt den Kopf auf den Schultern kreisen.
»So was darf sie doch gar nicht sagen, oder?«, heult Emily.
Emily, deren Ballonbrüste und Hüftkaskaden eine der­artige Freude für alle Jungs sind, die ihre verblödeten Hälse recken, wenn sie vorbeigeht, und die um Korridorecken schielen, nur um ihren Cheerleader-Rock tanzen zu sehen.
All die Poster, Fernsehbeiträge und Gesundheitskurse über Körperbilder und wie Blutgefäße im Gesicht platzen und die Speiseröhre reißen kann, wenn man jeden Abend massenweise Süßkram in sich reinstopft, wohl wissend, dass er wieder raus muss, du schwaches kleines Mädchen.
Aber deshalb kann Coach doch einem sensiblen, figurbewussten Teeniemädchen unmöglich sagen, dass es den weichen kleinen Ring um seine Hüften loswerden soll, oder?
Doch, kann sie.
Coach kann alles sagen.
Und Emily kniet nach dem Training über der Kloschüssel und fleht mich an, sie in den Magen zu treten, damit der Rest herauskommt, der Plätzchenteig und die Taco-Chips, vom Geruch dieser Mischung wird mir schlecht. Emily besteht komplett aus Keksen, Chips und Haribo.
Ich trete zu, ich tu’s.
Sie würde dasselbe für mich tun.

Am Mittwoch sagt Brinnie Cox, sie wolle vielleicht aufhören. »Ich kann das nicht«, jammert sie bei Beth und mir. »Habt ihr gehört, wie mein Kopf beim Runterkommen auf die Matte geknallt ist? Ich glaube, Mindy hat das mit Absicht gemacht. Für eine Base ist das einfach. Ihr Körper ist wie ein riesiger Gummiklotz. Stunts trainieren wir nicht.«
»Genau deshalb trainieren wir ja jetzt Stunts«, sage ich. Ich weiß, Brinnie würde in der Halbzeitpause, ja, eigentlich immer, lieber mit Pompons wedeln, mit den Hüften kreisen und sich auf den Arsch klatschen.
Brinnie schikanieren Beth und ich immer am meisten, weil sie uns nervt. »Ich kann ihre großen Zähne und ihre Storchenbeine nicht leiden«, sagt Beth immer. »Schaff sie mir weg.«
Einmal gaben Beth und ich beim Double-Hook-Üben so lange quer durch die Sporthalle Kommentare über Brinnies nuttige Schwester ab, die dabei erwischt wurde, wie sie mit dem Aushilfshausmeister rummachte, dass Brinnie in die Dusche rannte und heulte.
»Also, ich weiß nur«, lispelt Brinnie jetzt mit ihren großen Zähnen, »dass ich unerträgliche Kopfschmerzen habe.«
»Wenn dir ein Blutgefäß geplatzt ist«, erwidert Beth, »dann könnte es sein, dass du langsam in deinen Kopf ausblutest.«
»Du hast wahrscheinlich schon einen Hirnschaden«, füge ich hinzu und beäuge sie genau. »Tut mir leid, aber ist so.«
»Das Blut drückt dir vielleicht das Gehirn an den Schädelknochen«, sagt Beth, »und das bringt dich dann schließ­lich um.«
Brinnies weit aufgerissene Augen schwimmen in Tränen, und ich weiß, wir haben unser Ziel erreicht.

Am letzten Tag der ersten Woche beruft Coach ein Sondertreffen ein. Es wird nervös gechattet und telefoniert. Gerüchte, dass der Squad verkleinert wird, und wer fliegt dann wohl raus?
Doch als sie dann vor uns steht, kommt eine einfache Ansage.
»Es wird keinen Team-Captain mehr geben«, sagt sie.
Alle schauen Beth an.
Ich kenne Beth seit der zweiten Klasse, seit wir uns im Mädchenzeltlager in unseren Schlafsäcken zusammengekuschelt haben, seit wir Blutsbrüderschaft geschlossen haben. Ich kenne Beth und kann jede hochgezogene Augenbraue, jede Zehenbewegung lesen. Sie lehnt ge­wisse Dinge – Infinitesimalrechnung, aufs Klo gehen während des Unterrichts, ihre Mutter, Stoppschilder – beinhart ab, und das macht sie selbst hart.
Einmal hat sie die Zahnbürste ihrer Mutter in die Toilette getunkt, und sie nennt ihren Vater den »Maulwurf«, auch wenn keine von uns mehr weiß, warum, und irgendwann hat sie unsere Sportlehrerin eine Fotze ge­nannt, auch wenn es ihr niemand nachweisen konnte.
Aber es gibt auch noch andere Seiten an ihr, die niemand kennt.
Sie reitet, hat eine geheime Bibliothek mit erotischer Literatur, ist gerade mal eins zweiundfünfzig groß und hat doch die stärksten Beine, die ich je gesehen habe.
Und das kann ich eigentlich auch noch erzählen: In der achten Klasse, nein, im Sommer danach, hat Beth bei einer Bierparty ihren spöttischen Kleinmädchenmund bei Ben Trammel zur Anwendung gebracht, ihr wisst schon, wo. Ich erinnere mich an den Anblick. Er hielt grinsend ihren Kopf unten, die Hand in ihren Haaren, als hätte er mit bloßen Händen eine Forelle gefangen. Und alle wussten davon. Ich hab’s nicht verraten. Trotzdem reden die Leute immer noch darüber. Ich nicht.
Ich habe nie erfahren, warum sie das gemacht hat oder was sie seitdem sonst noch so gemacht hat. Ich habe nie...

Erscheint lt. Verlag 30.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-946582-27-3 / 3946582273
ISBN-13 978-3-946582-27-4 / 9783946582274
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